Nun liegt sie also hinter uns, die
Bundestagswahl 2013, die die deutsche Öffentlichkeit zuletzt so sehr
in Beschlag genommen hat, dass (auch
in diesem Blog) viele andere Themen etwas liegen geblieben sind.
Während sich in Berlin die Personal- und Koalitionsdebatten auch in
diesen Tagen weitergehen, wird es nun Zeit, mal wieder den Blick zu
heben: Schließlich stehen in nicht einmal acht Monaten schon wieder
die nächsten Wahlen an, wenn das Europäische Parlament neu
zusammengesetzt wird. Und tatsächlich fanden auch auf europäischer
Ebene in den letzten Wochen einige Vorwahlkampf-Manöver statt, die
in dem nationalen Rummel leider untergingen. Deshalb hier ein kleiner
Überblick, was bisher geschah.
„Kick-off“ der
Informationskampagne
Am
10. September hat die Vorwahlzeit offiziell begonnen. Jedenfalls
startete an diesem Tag das Europäische Parlament (genauer: die
Kommunikationsabteilung der Parlamentsverwaltung) eine „Informations-
und Sensibilisierungskampagne“, mit der es die Bürger davon
überzeugen will, dass vielleicht doch lohnenswert sein könnte, vom
Wahlrecht Gebrauch zu machen. Der zentrale Slogan der Kampagne lautet
„Act – React – Impact“, auf Deutsch: „Handeln – Mitmachen
– Bewegen“, und wer das etwas albern-trivial findet, ist mit
dieser Einschätzung sicher nicht allein. Dazu gibt es bis jetzt ein
kurzes Video,
dessen Ästhetik stellenweise an einen Horror- oder Katastrophenfilm
erinnert; weitere werden wohl folgen. Immerhin: Kosten soll der
ganze Spaß diesmal nur 16 Millionen Euro, was 2 Millionen
weniger wären als
vor fünf Jahren.
Auch die
Parlamentsverwaltung dürfte inzwischen verstanden haben, dass
Informationskampagnen nicht das wichtigste Mittel sein können, um die Wähler
an die Urnen zu bringen. Die Bürger geben ihre Stimme nicht dem
Europäischen Parlament als Institution, sondern einer bestimmten
Partei – und darum müssen auch in erster Linie die Parteien
darlegen, was sie mit der Macht anfangen wollen, die sie dadurch
erhalten. Staatsbürgerliches Pathos hilft da nicht weiter: Welche
Bedeutung meine Wahl hat, weiß ich erst, wenn ich die Unterschiede
zwischen den Wahlvorschlägen kenne. Und diese Unterschiede können
die betreffenden Politiker nur selbst definieren.
Rede zur Lage der Union
Eine
gute Gelegenheit zur Präsentation solcher Unterschiede wäre zum
Beispiel die alljährliche Rede
zur Lage der Union gewesen, die Kommissionspräsident José
Manuel Durão Barroso (PSD/EVP) am 11. September hielt. Doch leider blieb sie ungenutzt: Nur
einen Tag zuvor hatte ein Sprecher des Parlaments die Ansprache als
„Meilenstein“ der Informationskampagne bezeichnet; hinterher aber
sprach selbst die biedere Neue Zürcher Zeitung von
einer „insgesamt
wenig inspirierenden Rede“. Noch 2012 hatte Barroso mit
der Ankündigung überrascht, dass die Kommission vor den
Europawahlen Vorschläge für die Weiterentwicklung der EU zu einer
„demokratischen Föderation von Nationalstaaten“ vorlegen würde.
Diesmal hingegen beschränkte er sich auf den Ausdruck „echte
politische Union“ und die Forderung, das Regelwerk zur
gemeinschaftlichen Abwicklung von Pleitebanken voranzutreiben.
In der
weiteren
Parlamentsdebatte über die Rede wurde Barroso von links wie
rechts kritisiert; nur der Vorsitzende seiner eigenen Fraktion,
Joseph Daul (UMP/EVP), verteidigte die Bilanz des
Kommissionspräsidenten ein wenig. Sollte Barroso aber – wie
bis heute immer wieder spekuliert wird – tatsächlich vorhaben,
bei den Europawahlen noch einmal als Spitzenkandidat der Europäischen
Volkspartei anzutreten, dann hat er hier sicher eine Chance verpasst, eine breitere Öffentlichkeit für seine Visionen zu
begeistern.
EVP: Bloß nicht zu viel Charisma
Oder aber
Barroso hat einfach nur gut die internen Dynamiken der EVP
verstanden, denn tatsächlich scheint sich die Begeisterung für
Zukunftsvisionen dort in engen Grenzen zu halten. Angela Merkel
(CDU/EVP) jedenfalls hat gerade erst auf nationaler Ebene einen
eindrucksvollen Wahlsieg gewonnen, ohne dass in ihrem Wahlprogramm
auch
nur das Geringste über die künftige Gestalt der EU zu lesen gewesen
wäre – und es ist kaum anzunehmen, dass sich die mächtigste
Frau Europas nun ab 2014 einen charismatischen und ideenreichen
Brüsseler Gegenspieler wünscht. Entsprechend zurückhaltend sind
die potenziellen EVP-Kandidaten bisher.
Fest
steht bislang, dass der polnische Premierminister Donald Tusk
(PO/EVP), der lange als Favorit der Partei galt, nicht
antreten will (obwohl etwa der Deutschlandfunk ihn
immer noch zu
den potenziellen Kandidaten zählt). Interesse hätte hingegen
die derzeitige Justizkommissarin Viviane Reding (CSV/EVP), die jedoch
vielen als „zu proeuropäisch“ gilt und deshalb an den
Merkelianern scheitern dürfte. Außerdem brachte sich jüngst auch
Michel Barnier (UMP/EVP) ins
Gespräch, der als Binnenmarktkommissar in den letzten Jahren vor allem durch seine
Vorschläge
zur Bankenunion, aber auch durch die missglückte
Kommunikation der Konzessionsvergabe-Richtlinie aufgefallen ist.
Weitere mögliche Kandidaten wären der schwedische Premierminister
Fredrik Reinfeldt (M/EVP) oder die parteilose, aber der EVP
nahestehende litauische Präsidentin Dalia
Grybauskaitė.
Mit
erschwert wird die Kandidatensuche noch dadurch, dass der Vorsitzende
der EVP, der 77-jährige Wilfried Martens (CD&V/EVP), an
gesundheitlichen
Problemen leidet und deshalb wohl nur eingeschränkt als
Vermittler tätig sein kann. Und da die Partei bis jetzt auch noch
kein Verfahren, geschweige denn einen Zeitplan für die Nominierung
hat, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie zuletzt in aller Eile
einen möglichst harmlosen Kompromisskandidaten präsentieren wird.
Wie zum Beispiel Barroso.
ALDE: Guy Verhofstadt vs. Olli Rehn
- Guy Verhofstadt (Mitte links) und Olli Rehn (Mitte rechts) wären beide gern Spitzenkandidat der europäischen Liberalen.
Olli
Rehn hingegen war in den letzten Jahren als Kommissar für Wirtschaft
und Währung vor allem das Gesicht der europäischen
Austeritätspolitik. Auch er befürwortet zwar die Einführung
von Eurobonds, was vor allem die deutsche ALDE-Mitgliedspartei,
die FDP, nicht gerne hören wird. Zugleich aber vertrat Rehn wie kein
Zweiter den radikalen Sparkurs, mit dem die Krisenstaaten ihre
Haushalte sanieren sollten, und prallte dabei unter anderem mit
dem belgischen Entwicklungsminister Paul Magnette (PS/SPE) sowie
mit
dem amerikanischen Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman in
spektakulären medialen Auseinandersetzungen zusammen.
Gelegenheit,
um über diese und mögliche weitere Kandidaten zu diskutieren,
werden die europäischen Liberalen auf einem Kongress
Ende Oktober haben. Formelle Frist für die Nominierung ist dann
der 19. Dezember, wenn sich die Chefs der nationalen
Mitgliedsparteien zu einem kleinen Parteitag treffen. Die endgültige
Entscheidung soll dann – nach einem noch festzulegenden Verfahren –
voraussichtlich im Februar fallen.
Grüne: Startschuss für die
Nominierungsphase
Bereits
begonnen hat der Nominierungsprozess dagegen bei der Europäischen
Grünen Partei: Seit dem 4. September können dort die
nationalen Mitgliedsverbände ihre
Kandidaten vorschlagen. Unter den Nominierten, die die
Unterstützung von mindestens fünf Verbänden vorweisen können, soll dann ab November eine große Online-Vorwahl stattfinden,
bei der sich alle europäischen Bürger beteiligen können, die sich
zu den Grundwerten der Grünen bekennen. (Mehr zu dem
Vorwahlverfahren hier.)
Aussichten
auf die zwei Spitzenplätze haben dabei gleich mehrere Kandidaten.
Die deutschen Grünen stellten bereits vor drei Wochen erneut
die derzeitige Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms auf; außerdem
dürften die Österreicherin Ulrike Lunacek (Grüne/EGP) und der
Franzose José Bové (EELV/EGP) ins Rennen gehen. Und auch die
Belgier Isabelle Durant und Philippe Lamberts (beide Ecolo/EGP)
werden sich wohl um eine Nominierung bemühen – und dafür zunächst
auf nationaler Ebene gegeneinander antreten müssen, um die
Unterstützung ihrer Partei zu gewinnen.
SPE: Alles läuft auf Martin
Schulz zu
Am deutlichsten schließlich sieht die Lage bei den europäischen
Sozialdemokraten aus. Dort beginnt die offizielle Nominierungsphase
zwar erst am 1. Oktober, und darauf soll noch ein recht
aufwendiges Vorwahlverfahren folgen. Doch schon jetzt scheint
festzustehen, wer daraus als Sieger hervorgehen wird: der Deutsche
Martin Schulz (SPD/SPE), seit 2012 Präsident des Europäischen
Parlaments, der recht offensichtlich schon
länger auf diese Nominierung hinarbeitet und in der Partei auch
auf breite Zustimmung zählen kann.
Etwas
bedauerlich wäre es freilich schon, wenn Schulz zuletzt ganz ohne
Konkurrenz zum Spitzenkandidat der SPE ernannt würde. Schließlich
sollten die Vorwahlen auch als Anlass zu einer länderübergreifenden
Debatte und als Aufhänger für das Interesse der Medien dienen.
Allerdings erscheint es eher unwahrscheinlich, dass allzu viele
andere Sozialdemokraten Lust haben werden, es auf eine mögliche
Vorwahl-Niederlage ankommen zu lassen. Für die dänische
Premierministerin Helle Thorning Schmidt (S/SPE), über deren
Interesse an der Kommissionspräsidentschaft verschiedentlich
spekuliert wurde, wäre eine Kandidatur jedenfalls auch mit
Risiken für ihr Image auf nationaler Ebene verbunden.
MyVote2014
Aber
nicht nur im Europäischen Parlament und in den verschiedenen
europäischen Parteien beginnen sich die Maschinen in Bewegung zu
setzen. Auch in der Zivilgesellschaft werden bereits die ersten
Wahlaktionen vorbereitet. So dürfte es insbesondere die
Wahlomat-begeisterten
Deutschen freuen, dass vor wenigen Tagen eine erste
Online-Orientierungshilfe für die Europawahl erschienen ist. Sie
nennt sich MyVote2014
und wurde von den Betreibern der
Seite VoteWatch.eu entwickelt,
die das Abstimmungsverhalten der Fraktionen und einzelnen
Abgeordneten im Europäischen Parlament dokumentiert.
Entsprechend
basiert auch MyVote2014 (anders
als etwa der Wahlomat vor der Bundestagswahl) nicht auf den
Wahlprogrammen der Parteien, die ohnehin erst in den nächsten
Monaten veröffentlicht werden sollen. Stattdessen können die
Benutzer ihre Meinung zu 15 europapolitischen Themen angeben und
diese dann mit dem realen Abstimmungsverhalten der Parlamentsparteien
in den letzten fünf Jahren vergleichen. Wer Spaß daran hat: Hier
ist der Link.
Weitere Artikel zur Europawahl in diesem Blog:
● Noch 365 Tage bis zur Europawahl 2014!
● Europawahl 2014: Wie die europäischen Parteien ihre Spitzenkandidaten wählen
● Nach der Wahl ist vor der Wahl: Zwischenstand auf dem Weg zur Europawahl 2014
● Parlamentarismus wagen: Die Spitzenkandidaten zur Europawahl schwächen den Europäischen Rat und stärken die Demokratie
● Martin Schulz, Alexis Tsipras und noch immer kein Christdemokrat: erste Vorentscheidungen im Europawahlkampf
● Umfragen zur Europawahl 2014: Eine Prognose für das nächste Europäische Parlament (1)
● Umfragen zur Europawahl 2014: Eine Prognose für das nächste Europäische Parlament (2)
● „Green Primary Debate“ in Berlin: Eindrücke aus einem transnationalen Wahlkampf
● Grüne Enttäuschungen, liberale Kompromisse – und immer noch kein Christdemokrat: Neues aus dem Europawahlkampf
● Krisenstaaten wählen links, kleine Länder liberal, und die Christdemokraten sind vor allem in der Eurozone stark: Zur Wahlgeografie der Europäischen Union
● Die AfD und ihre Partner: Wie sich die europäische Rechte nach der Europawahl verändern wird
● Juncker, Schulz – oder doch ein ganz anderer? Die Chancen im Wettstreit um die Kommissionspräsidentschaft
● Nach der Europawahl
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Bilder: European Parliament [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr; Alberto Novi (ALDEADLE) [CC BY-NC-SA 2.0], via Flickr; Matthias Groote [CC BY-NC-SA 2.0], via Flickr.
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