28 September 2013

Nach der Wahl ist vor der Wahl: Zwischenstand auf dem Weg zur Europawahl 2014

Das Gebäude des Europäischen Parlaments wurde schon mal kampagnenfertig gemacht.
Nun liegt sie also hinter uns, die Bundestagswahl 2013, die die deutsche Öffentlichkeit zuletzt so sehr in Beschlag genommen hat, dass (auch in diesem Blog) viele andere Themen etwas liegen geblieben sind. Während sich in Berlin die Personal- und Koalitionsdebatten auch in diesen Tagen weitergehen, wird es nun Zeit, mal wieder den Blick zu heben: Schließlich stehen in nicht einmal acht Monaten schon wieder die nächsten Wahlen an, wenn das Europäische Parlament neu zusammengesetzt wird. Und tatsächlich fanden auch auf europäischer Ebene in den letzten Wochen einige Vorwahlkampf-Manöver statt, die in dem nationalen Rummel leider untergingen. Deshalb hier ein kleiner Überblick, was bisher geschah.

Kick-off“ der Informationskampagne

Am 10. September hat die Vorwahlzeit offiziell begonnen. Jedenfalls startete an diesem Tag das Europäische Parlament (genauer: die Kommunikationsabteilung der Parlamentsverwaltung) eine „Informations- und Sensibilisierungskampagne“, mit der es die Bürger davon überzeugen will, dass vielleicht doch lohnenswert sein könnte, vom Wahlrecht Gebrauch zu machen. Der zentrale Slogan der Kampagne lautet „Act – React – Impact“, auf Deutsch: „Handeln – Mitmachen – Bewegen“, und wer das etwas albern-trivial findet, ist mit dieser Einschätzung sicher nicht allein. Dazu gibt es bis jetzt ein kurzes Video, dessen Ästhetik stellenweise an einen Horror- oder Katastrophenfilm erinnert; weitere werden wohl folgen. Immerhin: Kosten soll der ganze Spaß diesmal nur 16 Millionen Euro, was 2 Millionen weniger wären als vor fünf Jahren.

Auch die Parlamentsverwaltung dürfte inzwischen verstanden haben, dass Informationskampagnen nicht das wichtigste Mittel sein können, um die Wähler an die Urnen zu bringen. Die Bürger geben ihre Stimme nicht dem Europäischen Parlament als Institution, sondern einer bestimmten Partei – und darum müssen auch in erster Linie die Parteien darlegen, was sie mit der Macht anfangen wollen, die sie dadurch erhalten. Staatsbürgerliches Pathos hilft da nicht weiter: Welche Bedeutung meine Wahl hat, weiß ich erst, wenn ich die Unterschiede zwischen den Wahlvorschlägen kenne. Und diese Unterschiede können die betreffenden Politiker nur selbst definieren.

Rede zur Lage der Union

Eine gute Gelegenheit zur Präsentation solcher Unterschiede wäre zum Beispiel die alljährliche Rede zur Lage der Union gewesen, die Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso (PSD/EVP) am 11. September hielt. Doch leider blieb sie ungenutzt: Nur einen Tag zuvor hatte ein Sprecher des Parlaments die Ansprache als „Meilenstein“ der Informationskampagne bezeichnet; hinterher aber sprach selbst die biedere Neue Zürcher Zeitung von einer „insgesamt wenig inspirierenden Rede“. Noch 2012 hatte Barroso mit der Ankündigung überrascht, dass die Kommission vor den Europawahlen Vorschläge für die Weiterentwicklung der EU zu einer „demokratischen Föderation von Nationalstaaten“ vorlegen würde. Diesmal hingegen beschränkte er sich auf den Ausdruck „echte politische Union“ und die Forderung, das Regelwerk zur gemeinschaftlichen Abwicklung von Pleitebanken voranzutreiben.

In der weiteren Parlamentsdebatte über die Rede wurde Barroso von links wie rechts kritisiert; nur der Vorsitzende seiner eigenen Fraktion, Joseph Daul (UMP/EVP), verteidigte die Bilanz des Kommissionspräsidenten ein wenig. Sollte Barroso aber – wie bis heute immer wieder spekuliert wird – tatsächlich vorhaben, bei den Europawahlen noch einmal als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei anzutreten, dann hat er hier sicher eine Chance verpasst, eine breitere Öffentlichkeit für seine Visionen zu begeistern.

EVP: Bloß nicht zu viel Charisma

Oder aber Barroso hat einfach nur gut die internen Dynamiken der EVP verstanden, denn tatsächlich scheint sich die Begeisterung für Zukunftsvisionen dort in engen Grenzen zu halten. Angela Merkel (CDU/EVP) jedenfalls hat gerade erst auf nationaler Ebene einen eindrucksvollen Wahlsieg gewonnen, ohne dass in ihrem Wahlprogramm auch nur das Geringste über die künftige Gestalt der EU zu lesen gewesen wäre – und es ist kaum anzunehmen, dass sich die mächtigste Frau Europas nun ab 2014 einen charismatischen und ideenreichen Brüsseler Gegenspieler wünscht. Entsprechend zurückhaltend sind die potenziellen EVP-Kandidaten bisher.

Fest steht bislang, dass der polnische Premierminister Donald Tusk (PO/EVP), der lange als Favorit der Partei galt, nicht antreten will (obwohl etwa der Deutschlandfunk ihn immer noch zu den potenziellen Kandidaten zählt). Interesse hätte hingegen die derzeitige Justizkommissarin Viviane Reding (CSV/EVP), die jedoch vielen als „zu proeuropäisch“ gilt und deshalb an den Merkelianern scheitern dürfte. Außerdem brachte sich jüngst auch Michel Barnier (UMP/EVP) ins Gespräch, der als Binnenmarktkommissar in den letzten Jahren vor allem durch seine Vorschläge zur Bankenunion, aber auch durch die missglückte Kommunikation der Konzessionsvergabe-Richtlinie aufgefallen ist. Weitere mögliche Kandidaten wären der schwedische Premierminister Fredrik Reinfeldt (M/EVP) oder die parteilose, aber der EVP nahestehende litauische Präsidentin Dalia Grybauskaitė.

Mit erschwert wird die Kandidatensuche noch dadurch, dass der Vorsitzende der EVP, der 77-jährige Wilfried Martens (CD&V/EVP), an gesundheitlichen Problemen leidet und deshalb wohl nur eingeschränkt als Vermittler tätig sein kann. Und da die Partei bis jetzt auch noch kein Verfahren, geschweige denn einen Zeitplan für die Nominierung hat, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie zuletzt in aller Eile einen möglichst harmlosen Kompromisskandidaten präsentieren wird. Wie zum Beispiel Barroso.

ALDE: Guy Verhofstadt vs. Olli Rehn

Guy Verhofstadt (Mitte links) und Olli Rehn (Mitte rechts) wären beide gern Spitzenkandidat der europäischen Liberalen.
Mehr Bewegung gibt es derweil bei den europäischen Liberalen. Nachdem dort lange Zeit der derzeitige Fraktionsvorsitzende Guy Verhofstadt (Open-VLD/ALDE) als unangefochtener Favorit galt, erklärte Ende August überraschend auch Olli Rehn (Kesk./ALDE) sein Interesse an der Spitzenkandidatur. Für den parteiinternen Vorwahlkampf verspricht das Spannung, da Verhofstadt und Rehn für recht unterschiedliche Politikansätze stehen. Zusammen mit dem Grünen Daniel Cohn-Bendit ist Verhofstadt ein führendes Mitglied der föderalistischen Spinelli-Gruppe und Autor des Pamphlets Für Europa!, in dem sie in drastischen Worten die Gründung eines europäischen Bundesstaates als Lösung für die Eurokrise fordern.

Olli Rehn hingegen war in den letzten Jahren als Kommissar für Wirtschaft und Währung vor allem das Gesicht der europäischen Austeritätspolitik. Auch er befürwortet zwar die Einführung von Eurobonds, was vor allem die deutsche ALDE-Mitgliedspartei, die FDP, nicht gerne hören wird. Zugleich aber vertrat Rehn wie kein Zweiter den radikalen Sparkurs, mit dem die Krisenstaaten ihre Haushalte sanieren sollten, und prallte dabei unter anderem mit dem belgischen Entwicklungsminister Paul Magnette (PS/SPE) sowie mit dem amerikanischen Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman in spektakulären medialen Auseinandersetzungen zusammen.

Gelegenheit, um über diese und mögliche weitere Kandidaten zu diskutieren, werden die europäischen Liberalen auf einem Kongress Ende Oktober haben. Formelle Frist für die Nominierung ist dann der 19. Dezember, wenn sich die Chefs der nationalen Mitgliedsparteien zu einem kleinen Parteitag treffen. Die endgültige Entscheidung soll dann – nach einem noch festzulegenden Verfahren – voraussichtlich im Februar fallen.

Grüne: Startschuss für die Nominierungsphase

Bereits begonnen hat der Nominierungsprozess dagegen bei der Europäischen Grünen Partei: Seit dem 4. September können dort die nationalen Mitgliedsverbände ihre Kandidaten vorschlagen. Unter den Nominierten, die die Unterstützung von mindestens fünf Verbänden vorweisen können, soll dann ab November eine große Online-Vorwahl stattfinden, bei der sich alle europäischen Bürger beteiligen können, die sich zu den Grundwerten der Grünen bekennen. (Mehr zu dem Vorwahlverfahren hier.)

Aussichten auf die zwei Spitzenplätze haben dabei gleich mehrere Kandidaten. Die deutschen Grünen stellten bereits vor drei Wochen erneut die derzeitige Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms auf; außerdem dürften die Österreicherin Ulrike Lunacek (Grüne/EGP) und der Franzose José Bové (EELV/EGP) ins Rennen gehen. Und auch die Belgier Isabelle Durant und Philippe Lamberts (beide Ecolo/EGP) werden sich wohl um eine Nominierung bemühen – und dafür zunächst auf nationaler Ebene gegeneinander antreten müssen, um die Unterstützung ihrer Partei zu gewinnen.

SPE: Alles läuft auf Martin Schulz zu

Der Unvermeidliche? Martin Schulz dürfte in den nächsten Monaten noch viele Hände schütteln.
Am deutlichsten schließlich sieht die Lage bei den europäischen Sozialdemokraten aus. Dort beginnt die offizielle Nominierungsphase zwar erst am 1. Oktober, und darauf soll noch ein recht aufwendiges Vorwahlverfahren folgen. Doch schon jetzt scheint festzustehen, wer daraus als Sieger hervorgehen wird: der Deutsche Martin Schulz (SPD/SPE), seit 2012 Präsident des Europäischen Parlaments, der recht offensichtlich schon länger auf diese Nominierung hinarbeitet und in der Partei auch auf breite Zustimmung zählen kann.

Etwas bedauerlich wäre es freilich schon, wenn Schulz zuletzt ganz ohne Konkurrenz zum Spitzenkandidat der SPE ernannt würde. Schließlich sollten die Vorwahlen auch als Anlass zu einer länderübergreifenden Debatte und als Aufhänger für das Interesse der Medien dienen. Allerdings erscheint es eher unwahrscheinlich, dass allzu viele andere Sozialdemokraten Lust haben werden, es auf eine mögliche Vorwahl-Niederlage ankommen zu lassen. Für die dänische Premierministerin Helle Thorning Schmidt (S/SPE), über deren Interesse an der Kommissionspräsidentschaft verschiedentlich spekuliert wurde, wäre eine Kandidatur jedenfalls auch mit Risiken für ihr Image auf nationaler Ebene verbunden.

MyVote2014

Aber nicht nur im Europäischen Parlament und in den verschiedenen europäischen Parteien beginnen sich die Maschinen in Bewegung zu setzen. Auch in der Zivilgesellschaft werden bereits die ersten Wahlaktionen vorbereitet. So dürfte es insbesondere die Wahlomat-begeisterten Deutschen freuen, dass vor wenigen Tagen eine erste Online-Orientierungshilfe für die Europawahl erschienen ist. Sie nennt sich MyVote2014 und wurde von den Betreibern der Seite VoteWatch.eu entwickelt, die das Abstimmungsverhalten der Fraktionen und einzelnen Abgeordneten im Europäischen Parlament dokumentiert.

Entsprechend basiert auch MyVote2014 (anders als etwa der Wahlomat vor der Bundestagswahl) nicht auf den Wahlprogrammen der Parteien, die ohnehin erst in den nächsten Monaten veröffentlicht werden sollen. Stattdessen können die Benutzer ihre Meinung zu 15 europapolitischen Themen angeben und diese dann mit dem realen Abstimmungsverhalten der Parlamentsparteien in den letzten fünf Jahren vergleichen. Wer Spaß daran hat: Hier ist der Link.

Weitere Artikel zur Europawahl in diesem Blog:

Noch 365 Tage bis zur Europawahl 2014!
Europawahl 2014: Wie die europäischen Parteien ihre Spitzenkandidaten wählen
● Nach der Wahl ist vor der Wahl: Zwischenstand auf dem Weg zur Europawahl 2014
Parlamentarismus wagen: Die Spitzenkandidaten zur Europawahl schwächen den Europäischen Rat und stärken die Demokratie
Martin Schulz, Alexis Tsipras und noch immer kein Christdemokrat: erste Vorentscheidungen im Europawahlkampf
Umfragen zur Europawahl 2014: Eine Prognose für das nächste Europäische Parlament (1)
Umfragen zur Europawahl 2014: Eine Prognose für das nächste Europäische Parlament (2)
„Green Primary Debate“ in Berlin: Eindrücke aus einem transnationalen Wahlkampf
Grüne Enttäuschungen, liberale Kompromisse – und immer noch kein Christdemokrat: Neues aus dem Europawahlkampf
Krisenstaaten wählen links, kleine Länder liberal, und die Christdemokraten sind vor allem in der Eurozone stark: Zur Wahlgeografie der Europäischen Union
Die AfD und ihre Partner: Wie sich die europäische Rechte nach der Europawahl verändern wird
Juncker, Schulz – oder doch ein ganz anderer? Die Chancen im Wettstreit um die Kommissionspräsidentschaft
Nach der Europawahl

Bilder: European Parliament [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr; Alberto Novi (ALDEADLE) [CC BY-NC-SA 2.0], via Flickr; Matthias Groote [CC BY-NC-SA 2.0], via Flickr.

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