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Das Horizon-Europe-Projekt Activating European Citizens’ Trust in Times of Crisis and Polarisation (ActEU) untersucht Fragen politischen Vertrauens und demokratischer Legitimität in Europa. Dieser Artikel ist Teil einer Serie, in der ActEU-Forscher:innen ihre Ergebnisse präsentieren. |

- „Ob Menschen das Gefühl haben, mit ihrem Haushaltseinkommen auszukommen, ist für das Niveau politischen Vertrauens von entscheidender Bedeutung.“
Politisches Vertrauen ist eine grundlegende Voraussetzung für die Stabilität und Legitimität des politischen Systems. Damit unsere Gesellschaften reibungslos funktionieren können, müssen wir ein gewisses Mindestmaß an Vertrauen in die Akteure und Institutionen haben, die in unserem Namen autoritative Entscheidungen treffen. Wir müssen nicht mit allem einverstanden sein, was sie tun, aber eine allgemeine Überzeugung, dass das System zum Wohle aller funktioniert, ist jedenfalls von Vorteil. Die Untersuchung politischen Vertrauens ist deshalb ein zentrales Thema der Politikwissenschaft.
Studien haben gezeigt, dass das Niveau des politischen Vertrauens je nach Zeit und Ort unterschiedlich ist, wobei es schwierig sein kann, in diesen Schwankungen ein gemeinsames Muster zu finden. Alle Länder erleben in ihrem Vertrauensniveau Höhen und Tiefen, die durch historische Hintergründe, internationale Krisen und innenpolitische Ereignisse geprägt sind. Es fällt deshalb zuweilen schwer, einen gemeinsamen Trend darin zu erkennen.
Vertrauen variiert je nach sozialer Gruppe
Eine bleibende Erkenntnis ist jedoch, dass es zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen offenbar anhaltende Unterschiede im Ausmaß des politischen Vertrauens gibt. Mehrere Studien weisen auf, dass das Vertrauen je nach Faktoren wie Alter, Geschlecht und ethnischer Zugehörigkeit unterschiedlich stark ausgeprägt ist.
Gerade in Krisenzeiten wie diesen – geprägt von Klimawandel, zunehmenden Sicherheitsbedrohungen in Europa, wachsenden antidemokratischen Tendenzen sowie einer Wettbewerbs- und Innovationslücke in der EU – wird die Frage immer dringlicher, wie wir das Vertrauen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen in unser politisches System aufrechterhalten können. Ohne ein hohes Maß an politischem Vertrauen wären demokratische Staaten möglicherweise nicht in der Lage, die aktuellen Turbulenzen zu bewältigen.
Benachteiligte Gruppen haben meist weniger Vertrauen
Von benachteiligten Gruppen wird oft erwartet, dass sie ein geringeres Maß an politischem Vertrauen haben. So neigen beispielsweise Frauen, junge Menschen und Menschen mit geringerem Bildungsniveau dazu, weniger Vertrauen zu haben als ihre männlichen, älteren und gut ausgebildeten Mitbürger:innen. Diese Erkenntnis lässt sich durch politökonomische Theorien und die „Gewinnerhypothese“ erklären, wonach Gruppen mit größeren Ressourcen, sei es in Form von Humankapital (z. B. Bildungsniveau, Fertigkeiten, Gesundheit) oder Wirtschaftskapital (z. B. Einkommen), am ehesten Vertrauen in politische Institutionen haben, da sie vom Status quo des sozialen und politischen Systems am meisten profitieren.
Menschen in höheren sozialen Schichten haben mehr politischen Einfluss, wodurch sie ihre Interessen besser verteidigen können und daher mehr Vertrauen in politische Institutionen haben. Benachteiligte Gruppen hingegen profitieren vom politischen System weniger und haben deshalb auch weniger Vertrauen in diese Institutionen.
Diese theoretische Annahme wurde in mehreren Studien untersucht. Die Ergebnisse sind im Allgemeinen bestätigend. So geht beispielsweise ein höheres Einkommen mit einem höheren Maß an politischem Vertrauen einher, und auch die Zugehörigkeit zur Mittel- oder Oberschicht ist im Vergleich zu anderen sozialen Schichten mit einem höheren Vertrauen in nationale politische Institutionen verbunden.
Welche Faktoren können Unterschiede im Vertrauen wirklich erklären?
Das Ausmaß, in dem soziodemografische Ungleichheiten für Unterschiede im politischen Vertrauen verantwortlich sind, ist jedoch noch unklar. Zudem wissen wir noch nicht, welche dieser Ungleichheiten für die Unterschiede im politischen Vertrauen entscheidend sind. Im Rahmen des von Horizon Europe finanzierten Projekts ActEU haben wir uns mit der Frage befasst, wie soziodemografische Merkmale und der soziale Status das politische Vertrauen der Bürger:innen in Europa beeinflussen. Mithilfe von Zeitreihendaten aus dem European Social Survey (ESS) für den Zeitraum 2002-2023 haben wir untersucht, inwieweit sieben sozioökonomische Faktoren zur Erklärung der Unterschiede im politischen Vertrauen beitragen können: Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund, Urbanität, Bildungsniveau, soziale Schicht sowie subjektive Gefühle zum Haushaltseinkommen.
Wir haben den Zusammenhang zwischen diesen Faktoren und dem politischen Vertrauen sowohl in die nationale als auch in die europäische Regierungsebene untersucht. Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse der Regressionsanalysen, in denen wir vergleichen, wie weit jeder dieser Faktoren mit dem politischen Vertrauen auf europäischer und nationaler Ebene korreliert.
Unsere Analyse zeigt zunächst einmal, dass viele der vermuteten Unterschiede unter Berücksichtigung anderer Faktoren gar nicht so groß sind. Es wäre allerdings ein Fehler, dies als Beweis dafür zu interpretieren, dass soziodemografische Faktoren weitgehend irrelevant seien. Vielmehr zeigt es, dass die verschiedenen Faktoren eng miteinander verbunden sind und dass bestimmte Gruppen mehrere Merkmale aufweisen können, die das Vertrauensniveau beeinträchtigen.
Subjektives Einkommen beeinflusst das Vertrauensniveau stark
Ein Faktor jedoch führt zu deutlichen Unterschieden im Vertrauensniveau sowohl gegenüber nationalen als auch gegenüber EU-Institutionen: das subjektive Einkommen. Diese Variable bezieht sich darauf, inwieweit die Befragten das Gefühl haben, mit ihrem aktuellen Haushaltseinkommen auskommen zu können. Europa hat in den letzten Jahren eine Reihe von Turbulenzen erlebt, die sich negativ auf die Kaufkraft der Durchschnittsbürger:innen ausgewirkt und ihr Sicherheitsgefühl beeinträchtigt haben. Inflation, die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise und andere Faktoren haben das Vertrauen der Bürger:innen in ihre persönliche Wirtschaftslage auf die Probe gestellt, sodass diese Messgröße derzeit besonders relevant ist.
Das Ergebnis zeigt, dass Menschen, die Schwierigkeiten haben, mit ihrem aktuellen Haushaltseinkommen auszukommen, im Durchschnitt weniger Vertrauen in das politische System auf nationaler und europäischer Ebene haben. Die Unterschiede sind recht stark ausgeprägt und umso bemerkenswerter, als die Ergebnisse um Faktoren wie Bildung und soziale Schicht bereinigt sind. Über alle anderen Faktoren hinweg äußern Menschen, die das Gefühl haben, wirtschaftlich Schwierigkeiten zu haben, ein geringeres Maß an politischem Vertrauen. Obwohl wir mit unseren Daten keinen Kausalzusammenhang herstellen können, deutet dieses Ergebnis darauf hin, dass materielle Unsicherheit eine wichtige Triebkraft für die Unterschiede im politischen Vertrauen ist.
Wie beispielsweise Thomas Piketty in „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ aufgezeigt hat, ist wirtschaftliche Ungleichheit zumindest teilweise das Ergebnis politischer Entscheidungen. Es ist deshalb nur logisch, dass sie sich auch auf das Vertrauen in die für die Politikgestaltung verantwortlichen Institutionen auswirkt. Dennoch ist es bemerkenswert, dass sich wirtschaftliche Not so deutlich in einem Gefühl der Ablehnung gegenüber dem politischen System äußert.
Der Effekt ist länderübergreifend sichtbar …
Die weitreichenden Auswirkungen wirtschaftlicher Not werden auch deutlich, wenn wir untersuchen, wie sich Länder hinsichtlich der Frage unterscheiden, wie wirtschaftliche Not das politische Vertrauen im Laufe der Zeit beeinflusst. In Abbildung 2 zeigen wir die bivariaten Zusammenhänge zwischen subjektivem Einkommensempfinden und politischem Vertrauen im Zeitraum 2002-2023 für jedes einzelne Land. Um den Vergleich übersichtlicher zu gestalten, zeigen wir hier nur die Unterschiede zwischen den beiden Extremkategorien (komfortables Leben vs. sehr schwieriges Auskommen).

- Abb. 2: Länderunterschiede im politischen Vertrauen in Abhängigkeit von der gefühlten Einkommenssituation, ESS2002-2023I (zum Vergrößern anklicken).
Die Ergebnisse zeigen, dass Menschen, die in komfortablen Verhältnissen leben, im Allgemeinen sowohl in die europäische als auch in die nationale Ebene ein höheres Vertrauen haben, während Menschen, die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind, tendenziell ein geringeres Vertrauen haben. Dieses Muster ist in allen Ländern zu beobachten, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Trotz einiger Schwankungen ist das Muster in allen Ländern bemerkenswert konsistent. Darüber hinaus scheint sich die Kluft in den meisten Ländern im Laufe der Zeit vergrößert zu haben, was darauf hindeutet, dass die Unterschiede mit der Zeit noch deutlicher werden.
… und gilt für Vertrauen in europäische, nationale und regionale Ebene
Wirtschaftliche Not ist somit in ganz Europa ein starker und konsistenter Prädiktor für ein geringeres politisches Vertrauen sowohl in die europäische als auch in die nationale Ebene. Aber wie sieht es auf regionaler Ebene aus? In Abbildung 3 stellen wir die Unterschiede im Vertrauen zwischen wohlhabenden und weniger wohlhabenden Menschen auf regionaler Ebene dar (in diesem Fall nur für das Jahr 2020).

- Abb. 3: Verhältnis zwischen subjektivem Einkommen und Vertrauen auf regionaler Ebene (NUTS 2+3), ESS2020 (zum Vergrößern anklicken).
Werte um 1 herum deuten darauf hin, dass wirtschaftliche Not eine geringere Rolle bei der Bildung von Vertrauen spielt. Werte über 1 (dunklere Farben) bedeuten, dass diejenigen, die wirtschaftliche Not erleben, ein höheres Vertrauen haben als diejenigen, die keine Probleme haben, über die Runden zu kommen. Werte unter 1 (hellere Farben) zeigen hingegen an, dass diejenigen, die wirtschaftliche Not erleben, ein geringeres Vertrauen haben. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass in den meisten Regionen Europas das Vertrauen sowohl in die europäische als auch in die nationale Ebene bei Gruppen, die wirtschaftliche Not erleben, tendenziell geringer ist. Wirtschaftliche Not ist somit selbst auf regionaler Ebene ein starker Prädiktor für politisches Vertrauen.
Gefühle sind wichtig
Das Ausmaß, in dem Menschen das Gefühl haben, mit ihrem Haushaltseinkommen zurechtzukommen, ist also von entscheidender Bedeutung, um die gesellschaftlichen Unterschiede im Niveau des politischen Vertrauens zu verstehen. Wirtschaftliche Not ist ein entscheidender Faktor, der Vertrauen untergraben kann.
Diese Erkenntnis hat mehrere Implikationen. Am wichtigsten ist vielleicht, dass sie konkrete Lösungen für die Stärkung des politischen Vertrauens aufzeigt. Hierfür ist zunächst einmal festzuhalten, dass es nicht nur auf die in Euro bezifferbare wirtschaftliche Realität der Bürger:innen ankommt, d. h. auf das Geld, das sie in ihrem Haushalt zur Verfügung haben, sondern auch auf die subjektiven Gefühle der Menschen hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage ihres Haushalts. Das Vertrauen der Bürger:innen in ihre wirtschaftliche Situation zu stärken ist wichtig, um politisches Vertrauen zu erhöhen. Um politisches Vertrauen zu fördern, ist es wesentlich, die wirtschaftliche Sicherheit der Menschen in Europa zu verbessern.
Gerechtes Wachstum, erschwingliche Grundversorgung, Sozialpolitik
Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, besteht darin, den Haushalten mehr Geld für ihre Grundbedürfnisse zur Verfügung zu stellen. Maßnahmen zur Sicherung des Wirtschaftswachstums können Teil der Lösung sein, da ein nachhaltiges Wachstum den Kuchen für alle größer machen kann. Es ist jedoch unerlässlich, dass dieses Wachstum auch bei denjenigen ankommt, die es schwer haben, über die Runden zu kommen. Wirtschaftswachstum, das nur Spitzenverdiener:innen zugutekommt, kann unbeabsichtigt sogar das Vertrauen in die Politik untergraben, da diejenigen, die davon nicht profitieren, ihre wirtschaftliche Lage angesichts des Erfolgs der anderen noch negativer einschätzen. Ein funktionierender Arbeitsmarkt, der Chancen für alle bietet, ist daher ebenfalls Teil der Lösung.
Zudem hängt wirtschaftlicher Wohlstand nicht nur davon ab, wie viel Geld ein Mensch in der Tasche hat. Es geht auch darum, wie weit dieses Geld reicht – wie gut grundlegende menschliche Bedürfnisse damit gedeckt werden können. Das bedeutet, dass die Preise für Grundbedürfnisse wie Lebensmittel, Wohnen, Heizung und Gesundheitsversorgung von vorrangiger Bedeutung sind. Damit das Vertrauensniveau steigt, müssen die Menschen sicher sein, dass sie sich diese Grundgüter leisten können. Zur Stärkung des politischen Vertrauens können deshalb beispielsweise auch wirtschaftspolitische Maßnahmen hilfreich sein, die auf eine niedrige und stabile Inflation abzielen, insbesondere bei Lebensmitteln und Grundgütern. Auch ein Gefühl der wirtschaftlichen Absicherung ist von Vorteil. Sozialpolitiken, die die Grundbedürfnisse aller sichern, können deshalb dazu beitragen, das politische Vertrauen zu stärken.
Diese Lösungen mögen kostspielig sein. Aber sie scheinen entscheidend zu sein, wenn wir die Legitimität unseres politischen Systems in Zukunft sicherstellen wollen.
Henrik Serup Christensen ist Senior University Lecturer an der Åbo Akademi University in Turku, Finnland. |
Janette Huttunen ist Postdoktorandin an der Åbo Akademi University in Turku, Finnland. |
Dieser Artikel basiert auf den Beiträgen der Autor:innen zu dem von ActEU veröffentlichten „Report on how trends in trust among specific social and political groups, including ethnic and territorial identities, territorial attachment and regime types at subnational level impact on varying levels of trust across European subnational units“, der im März 2025 erschienen ist.
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