- In der Debatte über die Reform der Währungsunion meldet sich auch das Europäische Parlament zu Wort.
Am
25./26. Juni werden die Staats- und Regierungschefs im Europäischen
Rat darüber
diskutieren, wie die europäische Währungsunion in Zukunft
funktionieren soll. Sie werden dazu einen Bericht in Empfang nehmen,
das Kommissionschef Jean-Claude Juncker (CSV/EVP) zusammen mit den
Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Europäischen Rates,
der Europäischen Zentralbank und der Euro-Gruppe ausgearbeitet hat;
und sie werden sich auf Memoranden der
nationalen Regierungen verschiedener Mitgliedstaaten stützen. Zur
Debatte stehen dabei die Instrumente
zur wirtschaftspolitischen Steuerung – von einer besseren
Koordinierung von Strukturreformen bis zu einer gemeinsamen
Arbeitslosenversicherung –, aber auch die Frage der
demokratischen Legitimation.
Wie
ich hier vor
einer Woche ausführlicher beschrieben habe, wollen die
nationalen Regierungen bei dieser institutionellen Reform das
Europäische Parlament weitgehend außen vor lassen. Was aber sagen
die Europaabgeordneten eigentlich selbst dazu?
Beitrag
des Europäischen Parlaments zur Reformdebatte
Am
vergangenen Dienstag hat der Währungsausschuss des Europäischen
Parlaments einen
Resolutionsvorschlag
verabschiedet (Wortlaut),
mit dem die Abgeordneten
ihren eigenen,
rechtlich
nicht bindenden Beitrag
zur „Überprüfung
des Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung“ leisten. Seine Bestätigung
durch das Plenum des Parlaments ist nun
für
den kommenden Mittwoch geplant – genau
einen
Tag vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs.
Ausgearbeitet
wurde der
Text von
der Sozialdemokratin
Pervenche
Berès (PS/SPE), die
bereits im Februar einen ersten
Entwurf vorlegte. Allzu
leicht fiel den
Abgeordneten
die Suche nach einer gemeinsamen Linie allerdings nicht:
Über 800
Änderungsanträge später fand
der Resolutionsvorschlag letztlich nur die Zustimmung der beiden
größten Fraktionen (der
christdemokratischen EVP und der sozialdemokratischen S&D) und
passierte den Währungsausschuss mit einer Mehrheit von 33:24
Stimmen.
Großkoalitionäre
Kompromisse
Und
auch
EVP und S&D waren
sich
keineswegs in allen Punkten einig, wie
sehr deutlich aus den Pressemitteilungen hervorgeht, die die
Fraktionen nach der Abstimmung im Währungsausschuss veröffentlicht
haben. Während
die Sozialdemokraten „Konstruktionsprobleme“
der Währungsunion sehen,
gibt
es aus
Sicht der Christdemokraten
kaum
Bedarf nach großen Neuerungen,
da
sich
die
europäischen
Steuerungsinstrumente
während der Eurokrise
im
Wesentlichen bewährt
hätten.
Außerdem
lobt die EVP die beschlossenen Sparmaßnahmen
und Strukturreformen, dank
deren
„fast
alle Länder wieder auf der Spur“ seien.
Die
S&D hingegen will mehr
Raum für wachstumsfördernde Investitionen und
einen
besseren
sozialen
Schutz. Im
Ergebnis
fordert
der
Resolutionsvorschlag
einfach beides
und
spricht wiederholt von einer „wachstumsfreundlichen
Haushaltskonsolidierung“
–
ein
schönes Beispiel für einen großkoalitionären Kompromiss, der den
Leser mit mehr Fragen als Antworten zurücklässt.
Unterstützung
für die Kommission
Und
auch sonst wirkt der
Resolutionsvorschlag
auf den ersten Blick eher unspektakulär, als
ob die Fraktionen sich
nicht auf eine gemeinsame Vision hätten einigen können. In weiten
Teilen beschränkt er sich darauf,
Vorschläge oder Beschlüsse zu unterstützen, die die Europäische
Kommission in den letzten Jahren und Monaten verabschiedet
hat.
Auf
den zweiten Blick lässt sich dahinter jedoch durchaus eine Strategie
erkennen: Denn
indem
das Parlament der
Kommission den
Rücken stärkt, verhindert
es, dass die europäische Wirtschaftspolitik nur den nationalen
Regierungen überlassen bleibt – und sichert
sich
dadurch indirekt auch selbst einen Einfluss darauf.
„Flexible
Interpretation“ des Stabilitätspakts
Dies
zeigt sich etwa bei der Diskussion,
wie
im
Rahmen des europäischen Stabilitätspakts mit
öffentlichen
Investitionen
umzugehen
ist,
die zwar kurzfristig die Verschuldung steigern, langfristig aber für
das Wachstum und
damit indirekt auch für den Staatshaushalt förderlich
sind.
In
den letzten Jahren wurde immer
wieder
vorgeschlagen,
dass
solche
Investitionen (im
Sinne der „Goldenen Regel“ der Finanzpolitik) nicht
auf die nationalen
Haushaltsdefizite
angerechnet
werden
sollten.
Während vor
allem die
südeuropäischen Länder und
Teile der Sozialdemokraten eine solche Regelung unterstützen, lehnen
die deutsche Bundesregierung
und die Christdemokraten sie ab.
Die
Europäische Kommission wiederum verfolgt seit einigen Monaten eine
Art Mittelweg:
Sie
bezieht
Investitionen
bei der Berechnung des Defizits zwar
weiterhin
voll
ein,
verzichtet
im
Sinne einer „flexiblen Interpretation“ aber
gegebenenfalls
auf
die Einleitung eines Verfahrens.
Faktisch
können sich Länder,
die viel investieren oder
reformieren,
also
höher
verschulden
– aber
nur,
wenn auch
die Kommission diesen Kurs gutheißt.
Mitentscheidungsrecht
über „Konvergenzleitlinien“
In
dem Resolutionsvorschlag unterstützt
das
Europäische
Parlament
nun die
Linie der
Kommission:
Ohne
den Rechtsrahmen des Stabilitätspakts zu verändern, soll
die Kommission von
der „in
die bestehenden Rechtsvorschriften eingebauten Flexibilität“
Gebrauch
machen,
um
die „Investitionslücke in der EU“ zu schließen und die
„Umsetzung
wachstumsfördernder,
nachhaltiger
und sozial ausgewogener
Strukturreformen“
zu erleichtern. Einzige
Bedingung: Die
Kommission soll
dabei
nicht willkürlich
vorgehen, sondern auf „Berechenbarkeit, Transparenz und
Wirksamkeit“ achten.
Um
diese Berechenbarkeit
sicherzustellen,
ist wiederum
eine
kohärente
wirtschaftspolitische
Strategie
notwendig,
wofür
die
Resolution unter
anderem ein
neues Steuerungsinstrument vorschlägt:
sogenannte
„Konvergenzleitlinien“,
mit
denen
die
EU jeweils für
einen mehrjährigen
Zeitraum klar
umrissene
Prioritäten
definieren
soll.
Auf
diesen
Leitlinien würden dann
alle weiteren Beschlüsse
basieren, mit
denen die Kommission
auf
die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten einwirkt.
Vor
allem aber soll für
die Leitlinien das
ordentliche Gesetzgebungsverfahren gelten – also
ein gleichrangiges
Mitentscheidungsrecht
des
Parlaments
mit
den
Ministerrat.
Die
Europäische
Kommission
gegenüber den nationalen
Regierungen zu
stärken, sie
zugleich
aber auf die Einhaltung einer klar definierten
politischen Agenda zu verpflichten, an deren Ausarbeitung das
Parlament selbst beteiligt ist: So
ungefähr
lässt
sich
die Strategie zusammenfassen, mit
der die Abgeordneten ihren Einfluss auf die europäische
Wirtschaftspolitik ausbauen wollen.
Verhältnis
zwischen Eurozone und Gesamt-EU
Wenn
über die Reform der europäischen Währungsunion diskutiert wird,
geht es aber nicht
nur um das Machtgleichgewicht
zwischen
supranationalen und intergouvernementalen Institutionen,
sondern immer
auch
um
das
Verhältnis zwischen der Eurozone
und
der Gesamt-EU. So
fanden sich in
den Memoranden, die die nationalen Regierungen der Euro-Staaten in
den letzten Wochen vorgelegt haben, zahlreiche
Vorschläge, die
der Eurozone mehr Unabhängigkeit verschaffen sollten: etwa ein
eigenes Eurozonen-Budget,
eine
Aufwertung
des Eurogruppen-Präsidenten oder eine
parlamentarische Versammlung, in
der sich
die
Wirtschaftsausschüsse
der nationalen Parlamente der
Eurozone treffen.
Im
Europäischen
Parlament hingegen
scheint sich die Begeisterung für eine solches institutionalisiertes
„Kerneuropa“ allerdings in engen Grenzen zu halten. Zwar hält
auch der Resolutionsentwurf bestimmte Eurozone-spezifische
Instrumente für notwendig, um die Funktionsfähigkeit der
Währungsunion zu gewährleisten. So
will das Parlament zum Beispiel die „Widerstandsfähigkeit
der [Währungsunion]
gegenüber wirtschaftlichen Erschütterungen und unvorhergesehenen
Ereignissen“ verbessern,
was
man wohl
als
Anspielung auf die Einführung automatischer Konjunkturstabilisatoren
verstehen muss. Und
auch ein eigenes
Eurozonen-Budget,
das
sich aus speziellen Eigenmittel speisen und zur Finanzierung von
Strukturreformen genutzt werden soll, findet die Zustimmung der
Abgeordneten.
Nur:
Geht
es nach dem Europäischen Parlament, so soll dieses Eurozonen-Budget
im
Rahmen des Gesamt-EU-Haushalts beschlossen werden – und
damit den ganz regulären Haushaltsverfahren unterliegen. Außerdem
will das Parlament anstelle des Eurogruppen-Präsidenten (der allein
von den nationalen Regierungen ernannt wird) lieber den EU-Kommissar
für Wirtschaft und Währung stärken (an
dessen Wahl
es selbst
beteiligt ist).
Kein
Interesse an parlamentarischen Versammlungen
Auch
das Interesse an parlamentarischen Versammlungen der
Eurozone ist
bei den Europaabgeordneten eher gering: Im
Sinne klarer Verantwortlichkeiten sollen die
nationalen
Parlamente besser
ihre
jeweiligen nationalen
Regierungen kontrollieren, aber
die parlamentarische Mitsprache auf gesamteuropäischer
Ebene dem
Europäischen
Parlament überlassen.
Und
schließlich wollen die Abgeordneten auch den
Europäischen
Stabilitätsmechanismus und
den
Fiskalpakt
– mit
denen die Währungsunion in
den letzten Jahren außerhalb des EU-Rechtsrahmens
ausgebaut
wurde – in
die EU-Verträge übernehmen.
Nur
was die Außenvertretung
betrifft,
unterstützt
das
Parlament die
Vorschläge der nationalen Regierungen,
die
der Eurozone in
internationalen
Organisationen gern
ein eigenes Gesicht geben wollen. Insgesamt
aber lassen
die Abgeordneten keinen
Zweifel daran, dass
sie
die
Währungsunion in
erster Linie als
einen Politikbereich der Gesamt-EU verstehen
– und
dass sie
deshalb
nicht
bereit sind,
zwischen die Eurozone und den Rest der EU
einen
Spalt zu
treiben.
Und
die Opposition?
So
weit der Resolutionsvorschlag, der aber, wie gesagt, im
Währungsausschuss nur
von der
Großen Koalition aus EVP und S&D unterstützt
wurde. Immerhin
drei der übrigen
Fraktionen veröffentlichten
hinterher ebenfalls Pressemitteilungen, in
denen sie die Gründe für ihre Ablehnung darlegten.
●
Am
unklarsten blieb dabei die nationalkonservative
EKR-Fraktion. In
der Pressemitteilung begründet sie ihr Nein vor
allem damit,
dass „der Vorsitz in der Eurogruppe nicht einem Mitglied der
EU-Kommission übertragen werden“ solle – was insofern verwunderlich ist, als ein
solcher Vorschlag in der Resolution überhaupt nicht vorkommt.
Darüber hinaus scheint
die
EKR aber unter
anderem auch
ein Eurozonen-Budget
sowie
die
Übertragung des
Europäischen
Stabilitätsmechanismus in
das
reguläre EU-Vertragswerk abzulehnen.
●
Die
liberale
ALDE-Fraktion
kritisiert
vor allem die Flexibilität, die EVP und S&D der Kommission bei
der Eröffnung
von Defizitverfahren
zubilligen.
Für
die Liberalen ruft die Große Koalition damit zu einer „Schwächung
des Stabilitäts- und
Wachstumspakts“
auf.
● Für
die Grünen
wiederum haben
die Sozialdemokraten zu viele Zugeständnisse an die EVP gemacht, die
die Resolution nutzen wolle, um „frühere
progressive
Positionen“ zu
revidieren,
die das Parlament in der
Vergangenheit bezogen
habe. Im
Einzelnen vermissen die Grünen unter anderem eine „weitreichende
EU-Steuerpolitik“, eine
bessere
Berücksichtigung sozialer Aspekte sowie
einen „antizyklischen Ansatz“ in
der
europäischen Wirtschaftspolitik.
Die
Debatte geht weiter
Und
jetzt? Wie
erwähnt, soll die Resolution am
kommenden Mittwoch in
Plenum verabschiedet werden, und
angesichts der Unterstützung durch die beiden größten Fraktionen
ist dabei wohl kaum mit großen Hindernissen zu rechnen. Danach
werden erst einmal alle Augen auf den Europäischen
Rat gerichtet sein
– und
auf den Bericht der „fünf Präsidenten“, von dessen Inhalten
bereits erste
Grundzüge bekannt geworden sind. Für
die europäischen
Politiker
und Bürger bietet
sich damit eine wichtige Gelegenheit, um
auch in der breiteren
Öffentlichkeit über die Zukunft der Währungsunion zu diskutieren.
Immer vorausgesetzt natürlich, dass wir nächste
Woche nicht
alle vollauf
damit beschäftigt
sind, die Grexit-Panik unter Kontrolle zu bringen.
Die Eurozone als Kerneuropa
1: Deutsch-französische, spanische und italienische Reformvorschläge für die Währungsunion
2: Vorschläge zur institutionellen Reform
3: Was das Europäische Parlament zur Reform der Währungsunion sagt
1: Deutsch-französische, spanische und italienische Reformvorschläge für die Währungsunion
2: Vorschläge zur institutionellen Reform
3: Was das Europäische Parlament zur Reform der Währungsunion sagt
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