- Angela Merkel und François Hollande (Mitte) haben einen Vorschlag für die Zukunft der Eurozone. Matteo Renzi (links) auch.
Wenn die Medien in diesen Tagen
von der Europäischen Währungsunion sprechen, dann geht es meistens
um Griechenland: Wieder einmal steht das Land vor dem Bankrott,
wieder einmal wird um Sozialkürzungen gestritten, wieder einmal soll
in letzter Minute
ein Rettungsdeal ausgehandelt werden. Doch auch über das
griechische Drama hinaus ist für den Euro gerade einiges in
Bewegung: Wenn sich am kommenden 25./26. Juni der Europäische Rat
zum nächsten Mal trifft, wird es um nicht weniger gehen als die
Frage, wie die Währungsunion in Zukunft funktionieren soll –
tiefgreifende institutionelle Reformen nicht ausgeschlossen.
Der Bericht der „vier
Präsidenten“
Der Aufschlag zu dieser Debatte liegt bereits eine Weile zurück: Im
Dezember 2012 veröffentlichten die sogenannten „vier Präsidenten“
(der Europäischen Kommission, des Europäischen Rates, der
Eurogruppe und der Europäischen Zentralbank) einen gemeinsamen
Bericht mit dem
Titel „Auf
dem Weg zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion“ (PDF).
Dieser Bericht enthielt einige kurzfristige Vorschläge wie die
europäische Bankenunion, die in den folgenden Jahren umgesetzt
wurden, aber
auch längerfristige Ansätze, die teilweise
eine Vertragsreform notwendig machen würden und bis
heute auf ihre Verwirklichung warten.
Nach
der Europawahl 2014 beauftragte der Europäische
Rat deshalb den neuen Kommissionschef Jean-Claude Juncker (CSV/EVP), zusammen
mit den übrigen Präsidenten einen weiteren
Vorschlag auszuarbeiten, wie es in den nächsten Jahren mit der Währungsunion
weitergehen soll. Erste Grundlagen dafür präsentierte Juncker
bereits im vergangenen Februar in einem „analytischen Vermerk“, über
den ich auf
diesem Blog im Detail berichtet habe. Ende Juni soll nun der Abschlussbericht folgen. Danach liegt
der Ball erst einmal wieder bei den Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat.
Memoranden zur Zukunft der
Währungsunion
Was den Gipfel Ende Juni
besonders pikant macht, ist aber, dass dort nicht nur über die
Zukunft der Währungsunion gesprochen werden soll – sondern auch
die britische Regierung unter David Cameron (Cons./AECR) die Reformforderungen vorstellen will, die sie zur Bedingung dafür
macht, um sich bei dem für 2016 oder 2017 angesetzten britischen
Referendum für eine weitere Mitgliedschaft in der EU einzusetzen. Die Pläne zu einer Vertiefung der Währungsunion können
deshalb auch als eine implizite Drohung verstanden werden: Je mehr
Ausnahmeklauseln Cameron für sein Land verlangt, desto eher muss er
damit rechnen, dass die Eurozone künftig bei wichtigen Themen
einfach allein vorangeht und Großbritannien immer weiter isoliert.
Wird die Eurozone nun also zu
jenem „Kerneuropa“, über das europäische Verfassungspolitiker
nun seit bald zwanzig Jahren diskutieren? Die Debatte ist jedenfalls
eröffnet, und die europäischen Regierungen nehmen sie
offensichtlich ernst: In den letzten Tagen haben mit Deutschland
und Frankreich, Italien
und Spanien
alle vier großen Euro-Länder Memoranden vorgelegt, um ihre
Vorstellungen zur künftigen Funktionsweise der Währungsunion zu
erläutern und so auf die Diskussion am 25./26. Juni Einfluss zu
nehmen. Und obwohl diese Memoranden eigentlich nicht öffentlich
waren, fanden sie schnell den Weg in die Medien: Der
deutsch-französische Vorschlag kann hier,
der italienische hier,
der spanische hier
im Wortlaut nachgelesen werden. Im Folgenden ein kurzer Überblick.
Bessere Koordinierung der
Wirtschaftspolitik
In einigen Punkten sind sich alle
vier Länder einig: Die Wirtschaftspolitik in der Eurozone muss
besser koordiniert werden. Zwar gibt es schon seit einigen Jahren das
„europäische
Semester“, in dem die Kommission „länderspezifische
Empfehlungen“ für die Mitgliedstaaten gibt. Doch bislang sind
diese Empfehlungen kaum aufeinander abgestimmt – und werden
überdies von den nationalen Regierungen meistens
einfach ignoriert.
In
Zukunft will Italien deshalb einen „systemischen Ansatz“, der „mittelfristige
Euro-weite Prioritäten“ definiert und besser
berücksichtigt, wie sich die wirtschaftspolitischen Maßnahmen jedes
einzelnen Landes auf die Wirtschaft der anderen Mitgliedstaaten
auswirkt. Ganz
ähnlich schlagen Deutschland
und Frankreich vor,
dass die Kommission künftig nicht nur länderspezifische
Empfehlungen veröffentlichen soll, sondern auch eine Strategie
für die Eurozone insgesamt. In konkrete
wirtschaftspolitische Maßnahmen aber wollen
die Regierungen sich auch künftig nicht
hereinreden lassen: Für
Deutschland und Frankreich soll die Kommission sich bei ihren
Empfehlungen auf
eine „begrenzte
Anzahl von wichtigen Herausforderungen“ konzentrieren und „stärker
die Ziele als die Mittel“ festlegen; und
auch Italien und Spanien verlangen, die
Umsetzung in „nationaler Eigenverantwortung“ der
Mitgliedstaaten zu belassen.
In
einem Punkt allerdings geht die
spanischen Regierung einen
Sonderweg. Als
Einzige drängt
sie darauf, in die wirtschaftspolitische Koordinierung künftig auch die nationale
Inflationsentwicklung einzubeziehen, um
die derzeitigen starken
Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedstaaten einzudämmen. Dazu
möchte die Regierung
unter Mariano Rajoy (PP/EVP) sogar das
Mandat der Europäischen Zentralbank überarbeiten:
Statt nur die Preisstabilität im europaweiten Durchschnitt zu
garantieren, soll diese künftig auch einen „Beitrag zur Vorbeugung
makroökonomischer Divergenzen und Ungleichgewichte zwischen den
Ländern“ leisten. Allerdings ist
dieser Vorschlag auch in
Spanien auf Kritik
gestoßen, da die Regierung ihn
offenbar nicht
mit der spanischen Zentralbank abgestimmt hat.
Binnenmarkt-,
Investitions- und Steuerpolitik
Ein anderer Punkt, in dem sich die vier
großen Euro-Staaten einig sind, ist der weitere Ausbau des
Binnenmarkts, um die wirtschaftliche Verflechtung zwischen den
Mitgliedstaaten und dadurch auch ihre Widerstandsfähigkeit gegen
asymmetrische Krisen zu erhöhen. Alle drei Memoranden unterstützten
deshalb explizit die Energieunion,
die digitale
Agenda, die Vollendung
der Bankenunion und die Kapitalmarktunion.
In einem Detail allerdings unterscheiden sich die Memoranden: Spanien
und Italien wollen für die Bankenunion auch eine gemeinsame
Einlagensicherung – wovon im deutsch-französischen Vorschlag (wohl
nicht zufällig) keine Rede ist.
Und auch was öffentliche
Investitionen betrifft, zeigen die beiden südeuropäischen Länder
sehr viel mehr Emphase: So unterstützen zwar alle vier Regierungen
den von Jean-Claude Juncker initiierten Europäischen
Fonds für Strategische Investitionen (EFSI). Spanien und Italien
würden diesen Fonds allerdings gern noch weiter ausbauen und ihm die
Möglichkeit einer Kreditaufnahme geben. Außerdem will Spanien eine
„goldene Regel“ im europäischen Stabilitätspakt einführen,
nach der nationale Investitionen in bestimmten, von der EU
vorgegebenen Bereichen künftig nicht mehr auf das nationale Defizit
angerechnet werden. Und schließlich wollen beide Länder gerne auch
einen Teil der Mittel im Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)
zur Finanzierung von europäischen Investitionsprojekten nutzen.
Ein weiteres gemeinsames Ziel
aller vier Regierungen ist der Kampf gegen Steuervermeidung.
Deutschland und Frankreich wollen dafür „die Einrichtung eines
Konvergenzrahmens der Bemessungsgrundlagen insbesondere für die
Körperschaftssteuer“. Spanien wiederum hat gleich ein ganzes
Bündel an Vorschlägen, unter anderem die Einführung einer
europaweit einheitlichen Steuer-Identifikationsnummer.
Arbeitsmobilität und
Sozialpolitik
Um die Währungsunion
krisenfester zu machen, setzen alle vier Regierungen zudem auf
größere Mobilität von Arbeitnehmern. Vor allem für Spanien, wo
die Arbeitslosigkeit während der Eurokrise auf über 26 Prozent
stieg und bis
heute kaum gesunken ist, ist das ein zentrales Thema. Durch eine
bessere Koordinierung der nationalen Sozialversicherungen, eine
leichtere Anerkennung von Bildungsabschlüssen und eine Überwindung
von Sprachbarrieren will die spanische Regierung europäischen Bürgern
die Jobsuche in anderen Mitgliedstaaten erleichtern. Langfristig will
sie sogar sogar „alle Kompetenzen, die mit der Arbeitsmobilität
verbunden sind, auf die europäische Ebene übertragen, einschließlich
beispielsweise der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung
und der Berufsqualifikation“.
Darüber
hinaus bekennen sich auch Deutschland und Frankreich zu einer „Stärkung
der sozialen Basis der Wirtschafts- und Währungsunion“,
wobei ihre Vorschläge im Einzelnen allerdings
eher zurückhaltend
bleiben. So sollen die
Mitgliedstaaten „in bestimmten Bereichen wie aktive
Arbeitsmarktpolitik und in Bezug auf die Systeme der sozialen
Sicherheit“ künftig
enger zusammenarbeiten. Außerdem
sprechen sich Deutschland
und Frankreich für
Mindestlöhne aus,
die aber „national
zu definieren“ wären –
also letztlich jedem
Mitgliedstaat selbst überlassen.
Soziale Rechte als
Unionsbürgerrechte
Deutlich ambitionierter ist
hingegen die italienische Regierung. Eine effektive Sozialpolitik ist
für sie nicht nur eine Investition in langfristiges
Wirtschaftswachstum, sondern auch eine Basis für die soziale
Akzeptanz der Währungsunion. Die Regierung unter Matteo Renzi
(PD/SPE) schlägt deshalb die Einführung von „sozialen Rechten als
‚europäischen Bürgerrechten‘“ vor, um „den jüngsten
Generationen einen Grund für den Glauben zu geben, dass die EU eine
Quelle von Chancen statt nur einer Bedrohung für die soziale
Sicherheit sein kann“.
Dabei setzt Italien unter anderem
auf EU-finanzierte, aber von den Mitgliedstaaten umgesetzte
„Direktmaßnahmen gegen extreme Armut“, aber auch auf eine
europäische Arbeitslosenversicherung, die „ein machtvolles Signal
für die Bereitschaft zu einer Bürgerunion
sein könnte“.
Automatische Stabilisatoren
Aber
nicht nur das: Darüber hinaus hätte eine europäische
Arbeitslosenversicherung aus
italienischer Sicht auch den Vorteil, dass sie asymmetrische
Konjunkturschocks auffangen und damit die Eurozone insgesamt
stabilisieren könnte.
Tatsächlich ist diese Notwendigkeit eines automatischen makroökonomischen Stabilisators bereits seit dem Vier-Präsidenten-Bericht von 2012 ein Dauerbrenner in der Diskussion über die Zukunft der Währungsunion. Vor allem die italienische Regierung legt einen großen Schwerpunkt auf das Thema, wobei sie außer der Arbeitslosenversicherung noch andere Möglichkeiten in Betracht zieht – etwa ein gemeinsames Eurozonenbudget, das über spezielle europäische Steuern finanziert werden könnte.
Auch das spanische Memorandum schlägt
in diesem Sinne die
„Schaffung einer begrenzten gemeinsamen Fiskalkapazität innerhalb
der europäischen Währungsunion“ vor, die
der Finanzierung öffentlicher Investitionen dienen würde.
Langfristig allerdings
strebt Spanien ohnehin eine
„echte Fiskalunion“ an – in
der es nicht nur ein
Eurozonen-Budget geben, sondern die
europäische Ebene auch frei über Einnahmen und Ausgaben entscheiden
und die Möglichkeit zur Ausgabe von „gemeinsamen
Schuldeninstrumenten“ haben
soll.
Und die institutionelle
Reform?
Selbst
wenn sich die Euro-Mitgliedstaaten zuletzt nur auf den kleinsten
gemeinsamen Nenner einigen: Die
Memoranden der vier Regierungen lassen jedenfalls erwarten, dass die
europäische
Währungsunion in
den nächsten Jahren eine Phase
vertiefter Integration erfahren wird. Wirtschafts-
und haushalts-, aber auch sozialpolitische Entscheidungen dürften
künftig noch
häufiger
als
bisher auf
europäischer Ebene fallen. Oder
genauer: auf Ebene der Eurozone. Denn sowenig die derzeitige britische Regierung ein
Interesse daran haben wird, sich an einem
weiteren Integrationsschub zu beteiligen, so wenig werden die Euro-Länder
die künftige Funktionsfähigkeit der
Währungsunion von den Bremsern aus London abhängig machen wollen.
Damit
aber stellt sich natürlich auch die Frage einer
institutionellen
Reform.
Welche
Organe braucht die Eurozone, um wirksam
und handlungsfähig
zu sein? Wie
können ihre Entscheidungen demokratisch legitimiert werden? Kurz
gesagt: Wie viel „Kerneuropa“ soll es
in Zukunft geben? Auch
hierzu äußern
sich die vier Regierungen in ihren Memoranden. Mehr
dazu demnächst in einem weiteren Artikel auf
diesem Blog.
Die Eurozone als Kerneuropa
1: Deutsch-französische, spanische und italienische Reformvorschläge für die Währungsunion
2: Vorschläge zur institutionellen Reform
3: Was das Europäische Parlament zur Reform der Währungsunion sagt
1: Deutsch-französische, spanische und italienische Reformvorschläge für die Währungsunion
2: Vorschläge zur institutionellen Reform
3: Was das Europäische Parlament zur Reform der Währungsunion sagt
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