Die
Namen ihrer nationalen Mitgliedsverbände können ein Indiz für den
inneren Zusammenhalt der europäischen Parteien sein: Treten sie in
allen EU-Ländern unter ähnlichen Bezeichnungen auf und suchen so
den symbolischen Schulterschluss? Oder folgen sie jeweils nationalen
Benennungstraditionen? Heute: Die Europäische Freie Allianz. (Zum Anfang der Serie.)
Im Allgemeinen macht es das europäische Parteiensystem einem deutschen Beobachter ziemlich einfach: Zu fast jeder bedeutenden EU-Partei gibt es auch ein großes nationales Pendant – die CDU/CSU zur EVP, die SPD zur SPE, die Grünen zur EGP und so weiter. In zwei Punkten jedoch ist das Parteiensystem auf EU-Ebene komplexer als das deutsche. Das betrifft zum einen das breit gefächerte rechte Spektrum, in das sich die deutsche AfD nur mäßig gut einfügt (derzeit ist sie Mitglied der nationalkonservativen EKR-Fraktion, ohne aber der dazugehörigen Partei AEKR anzugehören). Und zum anderen gibt es die Europäische Freie Allianz (EFA).
Regionalistische Dachorganisation
Die
EFA versteht sich selbst laut
ihrer Homepage als Dachorganisation für „progressive
nationalistische, regionalistische und autonomistische Parteien […],
die staatenlose Nationen, Regionen und traditionelle Minderheiten in
Europa vertreten“; faktisch reichen ihre Positionen je nach Land und Region von gemäßigten Dezentralisierungsbestrebungen bis zu hartem Separatismus. Was die Zahl ihrer Mitgliedsparteien betrifft –
über vierzig
– wird sie in der EU nur von der EVP übertroffen. Allerdings sind
die meisten dieser Mitgliedsparteien nur sehr klein und spielen auf
nationaler Ebene keine wesentliche Rolle. In Deutschland etwa gehören
der EFA die Partei Die Friesen, die
Bayernpartei (BP),
die Lausitzer Allianz (LA)
sowie der Südschleswigsche
Wählerverband (SSW) an,
von denen nur Letzterer in
einem Parlament, nämlich dem Landtag von Schleswig-Holstein,
vertreten ist.
In
anderen EU-Mitgliedstaaten, speziell in Spanien, Belgien
und Großbritannien, spielen
regionalistische Parteien
hingegen eine größere Rolle. Im
Europäischen Parlament ist die EFA deshalb mit einem
Dutzend Abgeordneten präsent und
bildet zusammen mit der Europäischen
Grünen Partei die
Fraktionsgemeinschaft
Grüne/EFA.
Begünstigt wird dieses
Bündnis dadurch, dass viele der größeren EFA-Mitglieder jenseits
ihrer regionalistischen Programmatik eher Mitte-links-Positionen
vertreten. Das
wichtigste konservative EFA-Mitglied, die belgische Nieuw-Vlaamse
Alliantie
(N-VA,
„Neu-Flämische Allianz“), ist
hingegen 2014 aus der G/EFA-Fraktion ausgetreten und zur EKR
gewechselt.
Nation
Wie aber nennt man sich als eine Partei, die eine ethnische Minderheit oder eine Region repräsentieren will? Unter den EFA-Mitgliedern stechen einige sehr einfache Namensmodelle ins Auge. Das erste und einfachste besteht darin, die Bezeichnung der Volksgruppe auch als Parteinamen zu verwenden – so etwa Die Friesen in Deutschland oder die >Moravané („Mähren“) in Tschechien. Nur wenig komplexer ist die Erweiterung dieser Bezeichnung um das Wort „Partei“: etwa bei der deutschsprachigen Schleswig-Partei (SP) in Dänemark, der Plaid Cymru (PC, „Walisische Partei“) in Großbritannien oder dem Partit
Occitan (POC, „Okzitanische Partei“) in Frankreich.
Viele EFA-Mitglieder gehen allerdings noch einen Schritt weiter und nutzen ihren Parteinamen, um ihr Selbstverständnis als „staatenlose Nation“ zu unterstreichen. Das N-Wort benutzen etwa die Scottish
National Party (SNP, „Schottische Nationalpartei“) in Großbritannien, der Partitu di a Nazione Corsa (PNC, „Partei der Korsischen Nation“) in Frankreich oder der Bloque Nacionalista Galego (BNG, „Galicischer Nationalistischer Block“) in Spanien. Verbunden ist mit dieser Bezeichnung in der Regel die separatistische Forderung nach einer Abspaltung und Gründung eines eigenen souveränen Staates.
Schon am Namen als deutlich weniger ambitioniert zu erkennen ist hingegen das Mouvement Région Savoie (MRS,
„Bewegung Region Savoyen“). Sein Ziel ist zwar ebenfalls ein unabhängiges Savoyen – aber nicht etwa unabhängig von Frankreich, sondern nur von der Region Rhône-Alpes, zu der die Departements Savoie und Haute-Savoie seit 1972 gehören.
Einheit
Ein weiteres Begriffsfeld, das bei der Selbstbezeichnung der EFA-Mitgliedsparteien verbreitet ist, ist das der „Einheit“ oder „Union“. Es findet sich etwa im Namen der Unitat Catalana (UC,
„Katalanische Einheit“) in Frankreich, der Enotna Lista (EL, „Einheitsliste“) der Slowenen in Österreich, der Slowenska Skupnost (SSK,
„Slowenische Gemeinschaft“) in Italien, der Union
Démocratique Bretonne (UDB,
„Bretonische Demokratische Union“) in Frankreich
oder der Nieuw-Vlaamse
Alliantie
(N-VA,
„Neu-Flämische Allianz“) in
Belgien. Aber
auch
die
Mebyon
Kernow (MK,
„Söhne Cornwalls“) in Großbritannien
suggerieren
mit ihrem Namen eine
brüderlich-familiäre
Verbundenheit.
Der
implizite Appell
zur Geschlossenheit,
den
eine solche
Namenswahl ausdrückt,
ist
wenig überraschend; schließlich
erheben
die
EFA-Mitglieder
jeweils
den Anspruch, eine ganze
Volksgruppe zu vertreten. Interessant
ist allerdings die
Ähnlichkeit,
die
in diesem Punkt zwischen
der
EFA
und
der christdemokratisch-konservativen
Europäischen
Volkspartei besteht:
Auch
deren
Mitglieder zeigen
in ihrer Namenswahl häufig den Wunsch, das gesamte Volk zu
vertreten,
und
greifen daher auf Begriffe
wie „Union“ und „Gemeinschaft“ zurück. Der
zentrale
Unterschied
besteht allerdings
darin, dass die Mitgliedsparteien der
EVP dabei
in
der Regel die
Gesamtbevölkerung
des jeweiligen Staates
im Blick haben, die
der EFA hingegen ethnische
Minderheiten oder eben „staatenlose Nationen“.
Freiheit
und Autonomie
Die
Forderung nach nationaler Unabhängigkeit oder wenigstens größerer
regionaler Eigenständigkeit erklärt einen weiteren
Schlüsselbegriff, der im Namen einiger EFA-Mitgliedsparteien vorkommt: die „Freiheit“
oder „Autonomie“. Genutzt wird er insbesondere von den
separatistischen Parteien Süd-Tiroler Freiheit (STF)
in Italien und
Ruch Autonomii Śląska
(RAS, „Bewegung für die
Autonomie Schlesiens“) in Polen.
Bei
der
Partei Autonomie
Liberté Participation Écologie (ALPE,
„Autonomie Freiheit
Teilhabe Ökologie“) wiederum
erscheint der
Schlüsselbegriff sogar
gleich zwei Mal –
wobei der Name dieser Partei
sich allerdings
in erster Linie aus
dem Versuch erklärt, das
Akronym ALPE mit
einem Inhalt zu füllen, in
dem die regionale Identität dieser Partei
aus dem italienischen
Aosta-Tal zum
Ausdruck kommt.
Verortung im Rechts-Links-Spektrum
Auffällig
selten nutzen die
EFA-Mitglieder indessen
ihren Namen, um
sich über
ihre regionalistische Zielsetzung hinaus noch
weiter im
politischen Links-Rechts-Spektrum
zu verorten. Lediglich eine
Anzahl von Parteien in Spanien positionieren sich über ihre
Selbstbezeichnung mehr oder weniger eindeutig im linken Feld:
insbesondere
Esquerra Republicana de Catalunya (ERC,
„Republikanische Linke Kataloniens“) sowie
Eusko Alkartasuna (EA,
„Baskische Solidarität“).
Der
Grund hierfür
dürfte das sehr
ausgeprägte Regionalbewusstsein
in Katalonien und dem
Baskenland sein, das dazu
führt, dass es
hier –
anders als in den meisten
anderen europäischen
Regionen – jeweils
gleich mehrere
regionalistisch-separatistische
Parteien
gibt, die
sich entlang dem üblichen Links-Rechts-Schema
differenzieren. Die
EFA-Mitgliedsparteien ERC und EA vertreten dabei
Mitte-Links-Positionen. Die
großen regionalistischen
Mitte-Rechts-Parteien Convergència Democràtica de
Catalunya (CDC) und Partido
Nacionalista Vasco (PNV)
hingegen gehören auf
europäischer Ebene der liberalen
ALDE bzw. der zentristischen EDP an.
Beschwörung
von Land und Natur
Außerhalb
von Spanien gibt es nur zwei EFA-Mitglieder,
die in ihrer
Selbstbezeichnung über
den Regionalismus hinaus auch
auf klassische politische Positionen anspielen: nämlich
der Magyar Kereszténydemokrata Szövetség (MKDSz,
„Ungarischer Christdemokratischer Verband“) in der Slowakei sowie
die schon erwähnte Partei
ALPE in Italien, in deren
Namen das E für Écologie („Ökologie“)
und damit für einen grün
besetzten Begriff steht.
Und schließlich gibt es in der EFA umgekehrt auch noch einige Parteien, deren Name für sich allein keinerlei politische Inhalte zum Ausdruck bringen, sondern
lediglich auf poetisch-pathetische Weise das Land und die Natur beschwören. So ist etwa die baskisch-separatistische (und links der EA positionierte) Partei Aralar nach einem Gebirgszug benannt; die Partei der slawisch-mazedonischen Minderheit in Griechenland heißt Vinožito („Regenbogen“); und die Partei, die sich im französischen Elsass für mehr Autonomie ausspricht, trägt schlicht den Namen Unser
Land.
EFA, der Max Mustermann unter den EU-Parteien
Interessant ist schließlich auch der Name der Europäischen Freien Allianz selbst, der mit seinen drei Bestandteilen gewissermaßen als der Max Mustermann unter den europäischen Parteien gelten kann: Der Bezug auf Europa ist dabei quasi-obligatorisch; er ist ausnahmslos im Namen sämtlicher europäischer Parteien enthalten. Auch die Selbstbezeichnung als „Allianz“ ist (neben „Partei“ und vor „Bewegung“) eine beliebte Wahl: Außer der EFA verwenden sie unter anderem die Allianz der Liberalen und Demokratien für Europa (ALDE), die Allianz der Europäischen Konservativen und Reformisten (AEKR), die Allianz für Direkte Demokratie in Europa (ADDE) und die Allianz der Europäischen Nationalen Bewegungen (AENM).
Aber auch der mittlere Namensbestandteil der EFA, die „Freiheit“, ist unter den europäischen Parteien überaus beliebt – vor allem im rechtskonservativ-europaskeptischen Spektrum, wo Freiheit oft mit nationaler Souveränität gleichgesetzt wird. In diesem Sinne findet er sich etwa im Namen der Bewegung für ein Europa der Freiheit und der Demokratie (MELD) oder der Bewegung für ein Europa der Nationen und der Freiheit (MENL). Um die Verwirrung perfekt zu machen, gibt es sogar noch eine Europäische Allianz für Freiheit (EAF): Es handelt sich dabei um das 2010 von der Französin Marine Le Pen gegründete Rechtsaußenbündnis. (Allerdings hat die EAF ihre Tätigkeiten inzwischen weitgehend eingestellt, da die meisten ihrer Mitglieder zum MENL übergetreten sind.)
Namensähnlichkeit zur EVP und zu den rechten Parteien
Zusammengefasst: Im Europäischen Parlament ist die EFA zwar mit den Grünen verbündet. Was
die Namen ihrer Mitgliedsparteien betrifft, hat sie aber mehr Ähnlichkeit mit der Europäischen Volkspartei: Beide appellieren mit ihrer Namenswahl vor allem an die Einheit des Volkes, als deren Vertreter sie sich jeweils verstehen – nur dass das im Fall der EVP die Staatsvölker der EU-Mitgliedstaaten sind, im Fall der EFA die nationalen Minderheiten und die Regionen, von denen viele allerdings gerne selbst zu souveränen Staaten würden.
Der Name der EFA selbst wiederum verrät wenig bis nichts über die inhaltliche Ausrichtung des regionalistischen Bündnisses. In seiner Bedeutungslosigkeit bietet er erhebliches Verwechslungspotenzial mit rechtskonservativen und nationalpopulistischen Parteien. Doch zu diesen ein andermal mehr.
Die europäischen Parteien und ihre nationalen Namen
1: Auftakt
2: Europäische Volkspartei
3: Sozialdemokratische Partei Europas
4: Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa
5: Partei der Europäischen Linken
6: Europäische Grüne Partei
7: Europäische Freie Allianz
1: Auftakt
2: Europäische Volkspartei
3: Sozialdemokratische Partei Europas
4: Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa
5: Partei der Europäischen Linken
6: Europäische Grüne Partei
7: Europäische Freie Allianz
Bild: By CHA - Chunta Aragonesista [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.
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