01 Dezember 2015

Die europäischen Parteien und ihre nationalen Namen (7): Die Europäische Freie Allianz

Die Namen ihrer nationalen Mitgliedsverbände können ein Indiz für den inneren Zusammenhalt der europäischen Parteien sein: Treten sie in allen EU-Ländern unter ähnlichen Bezeichnungen auf und suchen so den symbolischen Schulterschluss? Oder folgen sie jeweils nationalen Benennungstraditionen? Heute: Die Europäische Freie Allianz. (Zum Anfang der Serie.)

Die Namen der EFA-Mitgliedsparteien sind auch eine Lektion in europäischer Regionalgeografie.
Im Allgemeinen macht es das europäische Parteiensystem einem deutschen Beobachter ziemlich einfach: Zu fast jeder bedeutenden EU-Partei gibt es auch ein großes nationales Pendant – die CDU/CSU zur EVP, die SPD zur SPE, die Grünen zur EGP und so weiter. In zwei Punkten jedoch ist das Parteiensystem auf EU-Ebene komplexer als das deutsche. Das betrifft zum einen das breit gefächerte rechte Spektrum, in das sich die deutsche AfD nur mäßig gut einfügt (derzeit ist sie Mitglied der nationalkonservativen EKR-Fraktion, ohne aber der dazugehörigen Partei AEKR anzugehören). Und zum anderen gibt es die Europäische Freie Allianz (EFA).

Regionalistische Dachorganisation

Die EFA versteht sich selbst laut ihrer Homepage als Dachorganisation für „progressive nationalistische, regionalistische und autonomistische Parteien […], die staatenlose Nationen, Regionen und traditionelle Minderheiten in Europa vertreten“; faktisch reichen ihre Positionen je nach Land und Region von gemäßigten Dezentralisierungsbestrebungen bis zu hartem Separatismus. Was die Zahl ihrer Mitgliedsparteien betrifft – über vierzig – wird sie in der EU nur von der EVP übertroffen. Allerdings sind die meisten dieser Mitgliedsparteien nur sehr klein und spielen auf nationaler Ebene keine wesentliche Rolle. In Deutschland etwa gehören der EFA die Partei Die Friesen, die Bayernpartei (BP), die Lausitzer Allianz (LA) sowie der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) an, von denen nur Letzterer in einem Parlament, nämlich dem Landtag von Schleswig-Holstein, vertreten ist.

In anderen EU-Mitgliedstaaten, speziell in Spanien, Belgien und Großbritannien, spielen regionalistische Parteien hingegen eine größere Rolle. Im Europäischen Parlament ist die EFA deshalb mit einem Dutzend Abgeordneten präsent und bildet zusammen mit der Europäischen Grünen Partei die Fraktionsgemeinschaft Grüne/EFA. Begünstigt wird dieses Bündnis dadurch, dass viele der größeren EFA-Mitglieder jenseits ihrer regionalistischen Programmatik eher Mitte-links-Positionen vertreten. Das wichtigste konservative EFA-Mitglied, die belgische Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA, „Neu-Flämische Allianz“), ist hingegen 2014 aus der G/EFA-Fraktion ausgetreten und zur EKR gewechselt.

Nation

Wie aber nennt man sich als eine Partei, die eine ethnische Minderheit oder eine Region repräsentieren will? Unter den EFA-Mitgliedern stechen einige sehr einfache Namensmodelle ins Auge. Das erste und einfachste besteht darin, die Bezeichnung der Volksgruppe auch als Parteinamen zu verwenden – so etwa Die Friesen in Deutschland oder die >Moravané („Mähren“) in Tschechien. Nur wenig komplexer ist die Erweiterung dieser Bezeichnung um das Wort „Partei“: etwa bei der deutschsprachigen Schleswig-Partei (SP) in Dänemark, der Plaid Cymru (PC, „Walisische Partei“) in Großbritannien oder dem Partit Occitan (POC, „Okzitanische Partei“) in Frankreich.

Viele EFA-Mitglieder gehen allerdings noch einen Schritt weiter und nutzen ihren Parteinamen, um ihr Selbstverständnis als „staatenlose Nation“ zu unterstreichen. Das N-Wort benutzen etwa die Scottish National Party (SNP, „Schottische Nationalpartei“) in Großbritannien, der Partitu di a Nazione Corsa (PNC, „Partei der Korsischen Nation“) in Frankreich oder der Bloque Nacionalista Galego (BNG, „Galicischer Nationalistischer Block“) in Spanien. Verbunden ist mit dieser Bezeichnung in der Regel die separatistische Forderung nach einer Abspaltung und Gründung eines eigenen souveränen Staates.

Schon am Namen als deutlich weniger ambitioniert zu erkennen ist hingegen das Mouvement Région Savoie (MRS, „Bewegung Region Savoyen“). Sein Ziel ist zwar ebenfalls ein unabhängiges Savoyen – aber nicht etwa unabhängig von Frankreich, sondern nur von der Region Rhône-Alpes, zu der die Departements Savoie und Haute-Savoie seit 1972 gehören.

Einheit

Ein weiteres Begriffsfeld, das bei der Selbstbezeichnung der EFA-Mitgliedsparteien verbreitet ist, ist das der „Einheit“ oder „Union“. Es findet sich etwa im Namen der Unitat Catalana (UC, „Katalanische Einheit“) in Frankreich, der Enotna Lista (EL, „Einheitsliste“) der Slowenen in Österreich, der Slowenska Skupnost (SSK, „Slowenische Gemeinschaft“) in Italien, der Union Démocratique Bretonne (UDB, „Bretonische Demokratische Union“) in Frankreich oder der Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA, „Neu-Flämische Allianz“) in Belgien. Aber auch die Mebyon Kernow (MK, „Söhne Cornwalls“) in Großbritannien suggerieren mit ihrem Namen eine brüderlich-familiäre Verbundenheit.

Der implizite Appell zur Geschlossenheit, den eine solche Namenswahl ausdrückt, ist wenig überraschend; schließlich erheben die EFA-Mitglieder jeweils den Anspruch, eine ganze Volksgruppe zu vertreten. Interessant ist allerdings die Ähnlichkeit, die in diesem Punkt zwischen der EFA und der christdemokratisch-konservativen Europäischen Volkspartei besteht: Auch deren Mitglieder zeigen in ihrer Namenswahl häufig den Wunsch, das gesamte Volk zu vertreten, und greifen daher auf Begriffe wie „Union“ und „Gemeinschaft“ zurück. Der zentrale Unterschied besteht allerdings darin, dass die Mitgliedsparteien der EVP dabei in der Regel die Gesamtbevölkerung des jeweiligen Staates im Blick haben, die der EFA hingegen ethnische Minderheiten oder eben „staatenlose Nationen“.

Freiheit und Autonomie

Die Forderung nach nationaler Unabhängigkeit oder wenigstens größerer regionaler Eigenständigkeit erklärt einen weiteren Schlüsselbegriff, der im Namen einiger EFA-Mitgliedsparteien vorkommt: die „Freiheit“ oder „Autonomie“. Genutzt wird er insbesondere von den separatistischen Parteien Süd-Tiroler Freiheit (STF) in Italien und Ruch Autonomii Śląska (RAS, „Bewegung für die Autonomie Schlesiens“) in Polen.

Bei der Partei Autonomie Liberté Participation Écologie (ALPE, „Autonomie Freiheit Teilhabe Ökologie“) wiederum erscheint der Schlüsselbegriff sogar gleich zwei Mal – wobei der Name dieser Partei sich allerdings in erster Linie aus dem Versuch erklärt, das Akronym ALPE mit einem Inhalt zu füllen, in dem die regionale Identität dieser Partei aus dem italienischen Aosta-Tal zum Ausdruck kommt.

Verortung im Rechts-Links-Spektrum

Auffällig selten nutzen die EFA-Mitglieder indessen ihren Namen, um sich über ihre regionalistische Zielsetzung hinaus noch weiter im politischen Links-Rechts-Spektrum zu verorten. Lediglich eine Anzahl von Parteien in Spanien positionieren sich über ihre Selbstbezeichnung mehr oder weniger eindeutig im linken Feld: insbesondere Esquerra Republicana de Catalunya (ERC, „Republikanische Linke Kataloniens“) sowie Eusko Alkartasuna (EA, „Baskische Solidarität“).

Der Grund hierfür dürfte das sehr ausgeprägte Regionalbewusstsein in Katalonien und dem Baskenland sein, das dazu führt, dass es hier – anders als in den meisten anderen europäischen Regionen – jeweils gleich mehrere regionalistisch-separatistische Parteien gibt, die sich entlang dem üblichen Links-Rechts-Schema differenzieren. Die EFA-Mitgliedsparteien ERC und EA vertreten dabei Mitte-Links-Positionen. Die großen regionalistischen Mitte-Rechts-Parteien Convergència Democràtica de Catalunya (CDC) und Partido Nacionalista Vasco (PNV) hingegen gehören auf europäischer Ebene der liberalen ALDE bzw. der zentristischen EDP an.

Beschwörung von Land und Natur

Außerhalb von Spanien gibt es nur zwei EFA-Mitglieder, die in ihrer Selbstbezeichnung über den Regionalismus hinaus auch auf klassische politische Positionen anspielen: nämlich der Magyar Kereszténydemokrata Szövetség (MKDSz, „Ungarischer Christdemokratischer Verband“) in der Slowakei sowie die schon erwähnte Partei ALPE in Italien, in deren Namen das E für Écologie („Ökologie“) und damit für einen grün besetzten Begriff steht.

Und schließlich gibt es in der EFA umgekehrt auch noch einige Parteien, deren Name für sich allein keinerlei politische Inhalte zum Ausdruck bringen, sondern lediglich auf poetisch-pathetische Weise das Land und die Natur beschwören. So ist etwa die baskisch-separatistische (und links der EA positionierte) Partei Aralar nach einem Gebirgszug benannt; die Partei der slawisch-mazedonischen Minderheit in Griechenland heißt Vinožito („Regenbogen“); und die Partei, die sich im französischen Elsass für mehr Autonomie ausspricht, trägt schlicht den Namen Unser Land.

EFA, der Max Mustermann unter den EU-Parteien

Interessant ist schließlich auch der Name der Europäischen Freien Allianz selbst, der mit seinen drei Bestandteilen gewissermaßen als der Max Mustermann unter den europäischen Parteien gelten kann: Der Bezug auf Europa ist dabei quasi-obligatorisch; er ist ausnahmslos im Namen sämtlicher europäischer Parteien enthalten. Auch die Selbstbezeichnung als „Allianz“ ist (neben „Partei“ und vor „Bewegung“) eine beliebte Wahl: Außer der EFA verwenden sie unter anderem die Allianz der Liberalen und Demokratien für Europa (ALDE), die Allianz der Europäischen Konservativen und Reformisten (AEKR), die Allianz für Direkte Demokratie in Europa (ADDE) und die Allianz der Europäischen Nationalen Bewegungen (AENM).

Aber auch der mittlere Namensbestandteil der EFA, die „Freiheit“, ist unter den europäischen Parteien überaus beliebt – vor allem im rechtskonservativ-europaskeptischen Spektrum, wo Freiheit oft mit nationaler Souveränität gleichgesetzt wird. In diesem Sinne findet er sich etwa im Namen der Bewegung für ein Europa der Freiheit und der Demokratie (MELD) oder der Bewegung für ein Europa der Nationen und der Freiheit (MENL). Um die Verwirrung perfekt zu machen, gibt es sogar noch eine Europäische Allianz für Freiheit (EAF): Es handelt sich dabei um das 2010 von der Französin Marine Le Pen gegründete Rechtsaußenbündnis. (Allerdings hat die EAF ihre Tätigkeiten inzwischen weitgehend eingestellt, da die meisten ihrer Mitglieder zum MENL übergetreten sind.)

Namensähnlichkeit zur EVP und zu den rechten Parteien

Zusammengefasst: Im Europäischen Parlament ist die EFA zwar mit den Grünen verbündet. Was die Namen ihrer Mitgliedsparteien betrifft, hat sie aber mehr Ähnlichkeit mit der Europäischen Volkspartei: Beide appellieren mit ihrer Namenswahl vor allem an die Einheit des Volkes, als deren Vertreter sie sich jeweils verstehen – nur dass das im Fall der EVP die Staatsvölker der EU-Mitgliedstaaten sind, im Fall der EFA die nationalen Minderheiten und die Regionen, von denen viele allerdings gerne selbst zu souveränen Staaten würden.

Der Name der EFA selbst wiederum verrät wenig bis nichts über die inhaltliche Ausrichtung des regionalistischen Bündnisses. In seiner Bedeutungslosigkeit bietet er erhebliches Verwechslungspotenzial mit rechtskonservativen und nationalpopulistischen Parteien. Doch zu diesen ein andermal mehr.


Bild: By CHA - Chunta Aragonesista [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.

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