Andreas Bummel ist Vorsitzender von Democracy without Borders und Koordinator der Kampagne für ein Parlament bei den Vereinten Nationen.
D(e)F: Vom 16. bis 25. Oktober 2020 findet – bereits zum achten Mal – die jährliche „Aktionswoche für ein Weltparlament“ statt, die der von Dir gegründete Verein Democracy without Borders mitorganisiert. Was hat es damit auf sich?
Andreas Bummel: Diese Aktionswoche ist eine internationale Plattform, die alle unabhängig nutzen können, um sich für ein Weltparlament einzusetzen und sich Gehör zu verschaffen. Die Corona-Pandemie führt ja aktuell jedem vor Augen, wie stark die Welt vernetzt ist und dass letztlich alles zusammenhängt. Ein kleiner Virus, der an einem Ort auf den Menschen überspringt und mutiert, kann in kürzester Zeit die ganze Menschheit in eine Notlage bringen. Auf dieses Risiko ist tatsächlich schon lange hingewiesen worden, doch trotzdem waren die meisten Regierungen und erst recht die internationalen Organisationen wie die UNO und die Weltgesundheitsorganisation überfordert und zum Teil handlungsunfähig.
Die Aktionswoche wurde 2013 aufgrund der Erkenntnis ins Leben gerufen, dass es mehr und mehr globale Risiken und Probleme gibt, aber keine wirksamen globalen Instrumente, um mit diesen umzugehen. Die Klimakrise war seinerzeit natürlich auch schon auf der Agenda und die globale Finanzkrise noch frisch im Bewusstsein. Der Aufruf ist deswegen heute noch genauso aktuell wie damals und ist sogar noch dringlicher geworden.
Der springende Punkt daran ist aber der, dass wir effektives Handeln auf der globalen Ebene fordern, dass demokratisch legitimiert und rückgekoppelt ist. Und hier kommt eben das Weltparlament ins Spiel, das wir als unverzichtbares Mittel ansehen, um das sicherzustellen. Es ist nun einmal so, dass die Regierungsvertreter:innen bei der UNO und den anderen vielen internationalen Institutionen vorrangig den Auftrag haben, nationale Interessen zu vertreten. Aber wer vertritt dabei dann eigentlich die Interessen der Menschheit? Diese Aufgabe kann und soll von gewählten Abgeordneten wahrgenommen werden.
Erstaunlicherweise gibt es den Vorschlag eines Weltparlaments schon seit der französischen Revolution. Heute ist es zum einen eine Notwendigkeit aufgrund der globalen Interdependenz. Zum anderen stünde ein Weltparlament aber auch für die klare Anerkennung der rechtlichen und politischen Gleichheit aller Menschen auf dem Planeten. Es geht also auch um globale Solidarität und die Idee des Weltbürgertums. Das sollen aber nun keine leeren Worte sein, wie so oft, sondern sich in einem echten Entscheidungs- und Vertretungsorgan auf der globalen Ebene verkörpern.
Neben dieser fast schon klassischen Forderung nach einem Weltparlament gibt es seit letztem Jahr noch die Kampagne für eine Weltbürgerinitiative. Nach dieser Kampagne sollen Bürger:innen künftig weltweit Vorschläge lancieren können, die dann – wenn sie ein gewisses Ausmaß an Unterstützung erreichen – von UN-Gremien wie der Generalversammlung oder dem Sicherheitsrat debattiert werden müssten.
Mit dieser Weltbürgerinitiative wären keine harten Veränderungen in der Funktionsweise der UN verbunden; zum Beispiel könnte im Sicherheitsrat weiterhin jede der fünf Vetomächte die vorgeschlagenen Maßnahmen blockieren. Trotzdem wäre so ein partizipatives Instrument auf Weltebene natürlich ein verfassungspolitisches Novum. Welchen Nutzen erwartest Du davon?
Ja, diese neue Kampagne hat Democracy without Borders zusammen mit Democracy International und CIVICUS auf die Beine gestellt und inzwischen wird sie von über 200 zivilgesellschaftlichen Gruppen aus aller Welt unterstützt, darunter auch Organisationen wie Greenpeace und in Deutschland Mehr Demokratie. Dieses neue Instrument stellen wir uns als gute Ergänzung zu einer Parlamentarischen Versammlung bei den Vereinten Nationen vor. Letztere würde die demokratische Repräsentation der Bevölkerung in globalen Fragen verbessern wohingegen die Weltbürgerinitiative, wie Du richtig sagst, ein direktdemokratisches Instrument darstellt.
Wir erwarten uns davon eine bessere Verbindung zwischen den Vereinten Nationen als wichtigster politischer Bühne weltweit und den Menschen überall, die von globalen Problemen betroffen sind. Wenn diese Menschen die Möglichkeit haben, sich gegenüber der Weltorganisation direkt zu artikulieren, dann kann dadurch der Handlungsdruck auf die UNO und die Regierungen hoffentlich noch verstärkt werden. Dieses Instrument bietet das Potential, ein Kristallisationspunkt für globale Bewegungen zu werden, etwa auf dem Gebiet der Klima- und Umweltpolitik, aber auch auf vielen anderen. Wir sprechen davon, dass ein neuer globaler politischer Raum geschaffen werden soll.
Die Idee einer Weltbürgerinitiative orientiert sich erkennbar am Modell der Europäischen Bürgerinitiative; und auch die Vorschläge für eine Parlamentarische Versammlung der UN, die sich zu einem Weltparlament mit echten supranationalen Kompetenzen weiterentwickeln könnte, erinnern sehr an den Entwicklungspfad, den das Europäische Parlament genommen hat.
Dass die Europäische Union als Vorbild dient, ist einerseits nicht sehr überraschend – schließlich ist die supranationale Demokratie nirgendwo so stark ausgeprägt wie hier. Andererseits wirft es aber auch die Frage auf, wie gut sich das europäische Demokratiemodell und Demokratieverständnis eigentlich globalisieren lassen. Oder, anders formuliert: Wie europäisch, wie global ist der Weltföderalismus?
Das Europäische Parlament und die Europäische Bürgerinitiative sind tatsächlich wichtige Modelle, von denen man bei den entsprechenden Vorhaben auf der Ebene der UN sehr viel lernen kann und die man sich deswegen genau ansehen sollte. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass dem ein europäisches Demokratie- oder Politikverständnis zugrunde liegt.
Ein Bezugspunkt sind hier eher die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und der Internationale Pakt für bürgerliche und politische Rechte, die nahezu universell anerkannt sind. Aus ihnen geht eine Mindestdefinition hervor, derzufolge die Menschen das Recht haben, sich an der Regierung ihres Landes direkt oder über gewählte Vertreter:innen zu beteiligen. Außerdem werden freie und faire Wahlen als Grundlage jeder legitimen Regierungsgewalt definiert. Für die Befürworter:innen globaler Demokratie gibt es keinen Grund, warum diese Rechte nicht auch im Hinblick auf internationale Institutionen wie die UNO zum Tragen kommen sollten, die für die Bearbeitung globaler Probleme so wichtig sind.
Die europäische Integration liefert dafür ein wichtiges Beispiel, weil sie nun einmal am weitesten vorangeschritten ist. Ähnliche Herangehensweisen gibt es zumindest konzeptionell aber auch anderswo, zum Beispiel in der Afrikanischen Union. Das Pan-Afrikanische Parlament soll sich ja auch zu einem direkt gewählten Legislativorgan entwickeln.
Was den Weltföderalismus betrifft, da ist die EU aus dem gleichen Grund schon ein zentraler Bezugspunkt, aber es gibt auf nationalstaatlicher Ebene umfangreiche Erfahrung mit föderalistischen Modellen in aller Welt, die auch wichtig sind. Es gibt ja über zwanzig föderale Bundesstaaten, darunter Indien, Mexiko, Nigeria oder Südafrika, die man sich ansehen kann. Das Prinzip des Föderalismus an sich ist ohne Zweifel global und nicht europäisch. Schließlich verhält es sich so, dass unsere Kampagnen zwar in Europa Unterstützung haben, aber im globalen Süden ebenfalls, wenn nicht sogar noch stärker.
Wie Du sagst – und in Deinem Buch mit Jo Leinen näher beschrieben hast –, hat die Forderung nach einem Weltparlament schon eine lange Geschichte. Tatsächlich hat die Idee einer globalen Demokratie ja auch einige logische Stringenz, wenn man das Ziel gleichberechtigter politischer Teilhabe aller Menschen ernst nimmt.
Trotzdem scheint die internationale Gemeinschaft von diesem Ziel noch weit entfernt zu sein. Mit den Vereinten Nationen gibt es seit 75 Jahren immerhin einen institutionellen Rahmen für weltweite Politik, aber allzu demokratisch geht es dort nicht zu. Zum einen gibt es unter den UN-Mitgliedstaaten natürlich viele autoritäre Regime, denen an Menschenrechten oder freien und fairen Wahlen ohnehin nicht gelegen ist. Zum anderen scheint sich die Bereitschaft zur Aufgabe nationaler Souveränität aber auch unter den demokratischen Regierungen – bei aller Einsicht in globale Interdependenzen – in einigermaßen überschaubaren Grenzen zu halten. Wird die Weltdemokratie für immer eine bloße idealistische Vision bleiben?
Ein demokratisches Weltparlament und eine Weltdemokratie sind zu diesem Zeitpunkt tatsächlich eine Vision. Es ist ein positives Zukunftsbild, das sicherlich in einem krassen Kontrast dazu steht, wie wir die Welt heute vorfinden. Es stimmt, dass einerseits ein neuer weltweiter Trend der Autokratisierung zu beobachten ist. Andererseits tun die demokratischen Regierungen sehr wenig, um dem etwas entgegenzusetzen. Jetzt rächt sich, dass Menschenrechte und Demokratie in der Globalisierung nur eine geringe Rolle gespielt haben. Die Demokratien müssten besser zusammenarbeiten und eine wertebasierte Außenpolitik machen.
Davon abgesehen ist der gegenwärtige autoritäre Trend meines Erachtens aber auch eine Reaktion darauf, dass emanzipative Werte immer stärker um sich greifen. Populisten und Autokraten versuchen, dem Einhalt zu bieten. In Dutzenden von Ländern in der Welt wehren sich die Bevölkerung und die Zivilgesellschaft aber dagegen. Der Drang nach Freiheit ist ungebrochen.
Das zentrale Problem liegt meiner Meinung nach darin, dass Demokratie auf nationalstaatlicher Ebene nicht mehr ausreicht. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass Demokratie nicht einfach eine Bezeichnung für die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ist, sondern es ist eine Regierungsform. Die internationalen Organisationen sind nicht nur undemokratisch, sondern sie sind auch schwach. Sie sind nicht viel mehr als Instrumente der Mitgliedstaaten. Globale Demokratie bedeutet also nicht nur, für Repräsentation und Partizipation zu sorgen, sondern auch für eine Stärkung der globalen Institutionen. Auch die Übertragung von Kompetenzen wird dazu gehören müssen.
Dazu fehlt es den politischen Führungskräften auch in den Demokratien an Vorstellungskraft. Einen wichtigen Unterschied hast Du ja bereits angedeutet. Die EU zum Beispiel war immer ein Projekt der supranationalen Integration. Die UNO ist das nicht. Aber warum sollte das keine Perspektive sein?
Es gibt sicherlich viele Voraussetzungen, die dafür erfüllt werden müssen, darunter eine fortschreitende Demokratisierung in der Staatenwelt. Aber ein Beharren auf dem traditionellen Multilateralismus bedeutet letztlich Rückschritt, da sich nun einmal alles andere globalisiert hat, nur die weltweite Zusammenarbeit nicht. Deswegen finde ich auch die von Deutschland und Frankreich ins Leben gerufene Allianz für den Multilateralismus wenig inspirierend. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner, und der wird nicht ausreichen, um die globalen Probleme in den Griff zu bekommen.
Schließlich glauben auch wir nicht, dass morgen ein Weltparlament eingerichtet werden kann. Mit dem Spruch der Aktionswoche „World Parliament Now!“ wollen wir aber Aufmerksamkeit und Bewusstsein dafür schaffen, wie dringend eine Veränderung ist. Erste Schritte auf dem Weg dorthin sind notwendig. Wir brauchen ein neues Verständnis der Vereinten Nationen. Die Einrichtung einer Parlamentarischen Versammlung bei der UN als Nebenorgan der Generalversammlung wäre ohne Weiteres unter den gegebenen Umständen möglich. Das hätte man schon vor 25 Jahren machen sollen, als sich das Europäische Parlament erstmals dafür ausgesprochen hat. Diese Versammlung könnte unserer Meinung nach in vielerlei Hinsicht eine positive Rolle spielen – nicht zuletzt für die weltweite Demokratieförderung auf nationaler Ebene.
Vom 16. bis 25. Oktober 2020 findet die achte „Globale Aktionswoche für ein Weltparlament“ statt. Weitere Informationen dazu sind hier zu finden.
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