28 August 2015

Die europäischen Parteien und ihre nationalen Namen (3): Die Sozialdemokratische Partei Europas

Die Namen ihrer nationalen Mitgliedsverbände können ein Indiz für den inneren Zusammenhalt der europäischen Parteien sein: Treten sie in allen EU-Ländern unter ähnlichen Bezeichnungen auf und suchen so den symbolischen Schulterschluss? Oder folgen sie jeweils nationalen Benennungstraditionen? Heute: Die Sozialdemokratische Partei Europas. (Zum Anfang der Serie.)

Sozialisten, Demokraten, Sozialdemokraten? Der Unterschied ist nur eine Nuance, bereitet der SPE aber einiges Kopfzerbrechen.
Wie Europas große Mitte-Links-Partei eigentlich genau heißt, ist gar nicht so einfach zu sagen. Auf Englisch nennt sie sich Party of European Socialists (PES, „Partei Europäischer Sozialisten“), auf Französisch Parti Socialiste Européen (PSE, „Europäische Sozialistische Partei“), auf Deutsch Sozialdemokratische Partei Europas (SPE). Auch wenn die Unterschiede nur in Nuancen liegen, machen sie doch zweierlei deutlich: Zum einen, dass die europäischen Sozialdemokraten (oder Sozialisten) in ihrer Selbstbezeichnung durchaus auf feine Konnotationen achten. Und zum anderen, dass diese Konnotationen offenbar nicht in jedem Land und jeder Sprache dieselben sind.

So wird der Begriff „sozialistisch“ in einigen Ländern vor allem mit einer links-autoritären Ideologie in Verbindung gebracht – etwa in Deutschland, wo sich die dominierende Organisation der DDR als Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) bezeichnete. Entsprechend groß ist in diesen Ländern das Bedürfnis der SPE-Mitglieder, sich als „Sozialdemokraten“ auch zu einem freiheitlichen politischen System zu bekennen. In anderen Staaten hingegen weckt der Begriff „sozialistisch“ keine derartigen Assoziationen. Und in Portugal steht gar „sozialdemokratisch“ für eine Mitte-Rechts-Position: nämlich die des Partido Social Democrata (PSD, „Sozialdemokratische Partei“), der auf EU-Ebene Mitglied der christdemokratisch-konservativen Europäischen Volkspartei ist.

Sozialisten und Sozialdemokraten

Diese unterschiedlichen Konnotationen führen nicht nur dazu, dass die SPE auf europäischer Ebene je nach Sprache etwas unterschiedliche Namen führt, sondern schlagen sich natürlich auch in der Bezeichnung ihrer Mitglieder auf nationaler Ebene nieder. Unter den gut dreißig nationalen SPE-Mitgliedsparteien tragen zehn den Namensbestandteil „sozialistisch“, fünfzehn „sozialdemokratisch“ – wobei erstere Version vor allem im Süden und Westen, letztere im Norden und Osten der EU verbreitet ist.

Eine „Sozialistische Partei“ gibt es demnach zum Beispiel in Frankreich und Belgien (jeweils Parti Socialiste, PS), Portugal (Partido Socialista, PS) oder Italien (Partito Socialista Italiano, PSI); eine „Sozialdemokratische Partei“ hingegen in Estland (Sotsialdemokraatlik Erakond, SDE), Finnland (Suomen Sosialidemokraattinen Puolue, SDP), Tschechien (Česká strana sociálně demokratická, ČSSD) oder Rumänien (Partidul Social Democrat, PSD).

Vor allem im Osten ist der Zusatz „-demokratisch“ verbreitet

Dass der Zusatz „-demokratisch“ vor allem in den ehemaligen Ostblockstaaten verbreitet ist, ist dabei natürlich kein Zufall: Schließlich haben diese Länder Diktaturen erlebt, die sich selbst als „sozialistisch“ bezeichneten und von denen sich die Mitte-Links-Parteien (die nach 1989 teilweise als Neugründung, teilweise aus einer Umbenennung der alten Einheitsparteien entstanden) absetzen wollten.

Am weitesten geht dabei der polnische Sojusz Lewicy Demokratycznej (SLD, „Bund der demokratischen Linken“), die komplett auf den Begriff „sozial“ verzichtet. Ausnahmen bilden hingegen die Bălgarska Socialističeska Partija (BSP, „Bulgarische Sozialistische Partei“) und die Magyar Szocialista Párt (MSZP, „Ungarische Sozialistische Partei“), die als einzige Parteien im ehemaligen Ostblock dem Namensmuster der west- und südeuropäischen SPE-Mitglieder folgen.

Parteien der Arbeit

Sieht man von diesen Unterschieden ab, ist die Namensgebung der SPE-Mitgliedsparteien allerdings bemerkenswert einheitlich. Außer „sozialistisch“ und „sozialdemokratisch“ gibt es lediglich einen weiteren Begriff, der im Namen von mehreren SPE-Mitgliedern vorkommt und auf deren politischen Ursprünge im 19. Jahrhundert verweist: die „Arbeit“. So bezeichnen sich die britische und die irische Labour Party, die niederländische Partij van de Arbeid (PvdA) und die maltesische Partit Laburista (PL) einhellig als „Arbeitspartei“; dazu kommt noch die kleine polnische Unia Pracy (UP, „Arbeitsunion“).

Einige Parteien schließlich kombinieren die Begriffe „Arbeit“ und „sozialistisch“/„sozialdemokratisch“ auch: etwa der Partido Socialista Obrero Español (PSOE, „Spanische Sozialistische Arbeiterpartei“), die Sveriges Socialdemokratiska Arbetareparti (SAP, „Schwedens Sozialdemokratische Arbeiterpartei“) oder die nordirische Social Democratic and Labour Party (SDLP, „Sozialdemokratische und Arbeitspartei“).

Partei“

Und noch in einer weiteren Hinsicht zeigen die Namen der SPE-Mitgliedsparteien untereinander große Ähnlichkeiten: Auch bei der Frage, um was für eine Art von Organisation es sich handelt, ist die Terminologie in fast allen Fällen identisch. Anders als die Mitglieder der Europäischen Volkspartei (die sich teils als „Union“, „Bund“, „Sammlung“, „Aufruf“, „Bewegung“, „Familie“ oder Ähnliches bezeichnen), findet sich bei den Sozialdemokraten fast immer der Begriff „Partei“.

Auch dies verweist auf ihre Wurzeln in der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts, deren Aufstieg parallel zur Etablierung der Parteiendemokratie erfolgte. Ausnahmen bei der Namenswahl bilden nur die Dänen und Slowenen, die sich schlicht als „Sozialdemokraten“ (Socialdemokraterne, Socialni demokrati) bezeichnen, sowie einige wenige weitere SPE-Mitglieder wie der polnische Sojusz Lewicy Demokratycznej (SLD, „Bund der demokratischen Linken“) oder die zyprische Kinima Sosialdimokraton (EDEK, „Bewegung der Sozialdemokraten“).

Zwei Sonderfälle

Politische Schlüsselwörter jenseits des Zweiklangs aus „sozialistisch“/„sozialdemokratisch“ und „Arbeit“ kommen unter den SPE-Parteinamen fast überhaupt nicht vor. Eine Ausnahme bildet die slowakische SMER – sociálna demokracia (SMER-SD, „Richtung – Sozialdemokratie“), die 1999 als SMER – tretia cresta („Richtung – Dritter Weg“) gegründet wurde und deren Name auf das damals in der SPE populäre Konzept eines „dritten Wegs“ zwischen freier Marktwirtschaft und sozialistischer Planwirtschaft anspielte.

Der wichtigste Sonderfall aber ist mit Sicherheit der italienische Partito Democratico (PD, „Demokratische Partei“). Er ist heute die stärkste nationale Mitte-Links-Partei in Europa – und zugleich das einzige SPE-Mitglied, dessen Name keinerlei Hinweise auf eine Positionierung in der linken Hälfte des politischen Spektrums enthält.

Der Grund dafür liegt in der komplexen Geschichte des italienischen Parteiensystems, in dem der Partito Socialista Italiano (PSI, ebenfalls SPE-Mitglied) nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch eine untergeordnete Rolle spielte. Die Hauptantagonisten waren vielmehr der kommunistische PCI und die christdemokratische DC, die jedoch Anfang der 1990er Jahre in Korruptionsskandalen untergingen. Nach verschiedenen Neu- und Umgründungen fusionierten 2007 schließlich Nachfolgeparteien des PCI sowie des linken Flügels der DC zum heutigen PD. Dabei konnten sie sich zwar auf eine gemeinsame inhaltliche Linie einigen – nicht aber auf eine Selbstbezeichnung als „sozialistisch“ oder „sozialdemokratisch“.

„Sozialisten und Demokraten“ oder „Sozialdemokraten“?

Am Ende schlugen diese Skrupel der italienischen „Demokraten“ auch auf die Namensgebung auf europäischer Ebene zurück: Als der PD nach der Europawahl 2009 nämlich der SPE-Fraktion im Europäischen Parlament beitrat, bestanden die Italiener darauf, dass ihre Rolle als Nicht-Sozialisten auch im Namen der Fraktion deutlich werden müsse. Infolgedessen entschied sich die Fraktion unter ihrem damaligen Vorsitzenden Martin Schulz für eine Umbenennung. Hatte sie zuvor je nach Sprache entweder Socialist Group oder Sozialdemokratische Fraktion geheißen, so bezeichnete sie sich fortan als Progressive Alliance of Socialists and Democrats (S&D, „Progressive Allianz der Sozialisten und Demokraten“).

Diese Nebeneinanderstellung befriedigte die Bedürfnisse des italienischen PD, war allerdings unter all jenen Fraktionsmitgliedern umstritten, die sich selbst weder als „Sozialisten“ noch als bloße „Demokraten“ verstehen. Letztlich war aber auch dieses Problem durch eine geschickte Übersetzung lösbar: In ihrer deutschen Namensversion lässt die Fraktion das trennende „und“ inzwischen einfach weg – und nennt sich (trotz der Abkürzung mit &-Zeichen) schlicht Progressive Allianz der Sozialdemokraten.

Neues Schlagwort: „progressiv“

Jenseits dieser Namenskapriolen führte die Umbenennung der Fraktion 2009 aber auch noch zu einer weiteren interessanten Änderung in der Selbstbezeichnung der europäischen Mitte-Links-Familie: das neue Schlagwort „progressiv“, das an die Fortschrittsideen der Aufklärung und der frühen Arbeiterbewegung anknüpft und zugleich doch politisch offener ist als das Begriffsfeld „sozialistisch“. Nachdem es im neuen Namen der Fraktion erstmals als Schlüsselbegriff verwendet wurde, scheint es unter den europäischen Sozialdemokraten in den letzten Jahren immer mehr an Beliebtheit zu gewinnen. So läuft etwa der offizielle Twitter-Account der S&D-Fraktion unter dem Namen @TheProgressives; und auch das neue weltweite Mitte-Links-Netzwerk, das 2013 vor allem auf Betreiben der deutschen SPD gegründet wurde, nennt sich Progressive Allianz.

Wie weit sich das neue Schlagwort allgemein durchsetzen und zuletzt womöglich die traditionellen Selbstbezeichnungen ablösen wird, wird erst die Zukunft zeigen. In den Namen der nationalen SPE-Mitglieder kommt der Begriff bis heute noch nicht vor. Aber immerhin hat er einen zentralen Vorteil: Er lässt sich hervorragend in alle europäischen Sprachen übersetzen.

Die europäischen Parteien und ihre nationalen Namen

1: Auftakt
2: Europäische Volkspartei
3: Sozialdemokratische Partei Europas
4: Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa
5: Partei der Europäischen Linken
6: Europäische Grüne Partei
7: Europäische Freie Allianz

Bild: By Aleksander GLOGOWSKI [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.

21 August 2015

Wenn am nächsten Sonntag Europawahl wäre (August 2015): Umfragen in der Sommerpause

Stand: 21.08.2015
Die Sommerpause ist nicht der beste Moment, um mithilfe von Meinungsumfragen die politische Stimmung in einem Land zu erfassen oder gar langfristige demoskopische Trends zu entdecken. Zum einen ist ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung schlicht im Urlaub und für die Umfrageinstitute nicht zu erreichen. Zum anderen folgt während der medialen Saure-Gurken-Zeit auch die öffentliche Debatte einer unüblichen Dynamik, in der einzelne Themen und Akteure große Präsenz gewinnen können, die im Herbst, wenn die normalen Parlamentssitzungen zurückkehren, schnell wieder vergessen sind. In vielen Ländern verzichten die Institute deshalb im Sommer ganz darauf, Umfragen durchzuführen. Und natürlich spiegelt deshalb auch unsere europaweite Hochrechnung, die bekanntlich auf einer Aggregation nationaler Wahlumfragen beruht, zum Teil nur den Stand vor der Sommerpause wieder.

Griechenland und Polen

Zwei Länder sollen hier dennoch besonders hervorgehoben werden: Griechenland und Polen, wo im Lauf der nächsten zwei Monate jeweils nationale Parlamentswahlen stattfinden werden. In Griechenland datieren die neuesten Umfragen aus der zweiten Julihälfte – also nach dem Referendum vom 5. Juli und dem umstrittenen Kompromiss über das neue Hilfspaket, aber deutlich vor dem jüngsten Rücktritt von Regierungschef Alexis Tsipras.

Das Auffällige an diesen Umfragen ist, wie wenig darin zu sehen ist: Alles in allem scheint das Referendum den Umfragewerten der Regierungspartei Syriza (EL) weder genutzt noch geschadet zu haben; vorher wie nachher kam sie auf gut 40% und damit fast doppelt so viel wie die zweitplatzierte ND (EVP). Bei einer Wahl würde dies für die absolute Mehrheit der Sitze genügen. Offen ist aber natürlich, wie sich die heute angekündigte Abspaltung des linken Syriza-Flügels auf deren künftige Umfragewerte auswirken wird.

Ganz im Gegensatz dazu zeigen die polnischen Umfragen vor der Parlamentswahl im Oktober eine sehr hohe Volatilität. Bis vor einigen Monaten hatten sie noch recht konstant die liberalkonservative PO (EVP) als Gewinner gesehen. Nach dem überraschenden Sieg der rechtskonservativen PiS (AEKR) bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Mai drehte sich das Blatt jedoch: Während die Werte der PiS und der neuen, rechtspopulistischen ROPK in die Höhe schossen, stürzte die PO ab, und die sozialdemokratische SLD (SPE) fiel sogar unter die Fünf-Prozent-Sperrklausel.

In letzter Zeit mäßigte sich diese Dynamik wieder: Die PiS behält zwar einen klaren Vorsprung vor der PO, die ROPK verliert jedoch deutlich, während die SLD sich erholt. Allerdings sind die Schwankungen zwischen den einzelnen Umfragen enorm – wo die Parteien in der Gunst der Bevölkerung wirklich stehen, wird wohl erst die Wahl selbst zeigen.

Wenig Veränderungen auf gesamteuropäischer Ebene

Blickt man auf die EU insgesamt, so zeigen sich nur geringe Veränderungen gegenüber der letzten Projektion Ende Juni. Die christdemokratische EVP als stärkste Fraktion verliert noch einmal leicht und käme nun auf 204 Sitze (–1), ihr schlechtester Wert in dieser Wahlperiode. Demgegenüber kann sich die sozialdemokratische S&D vor allem dank der Entwicklungen in Polen etwas verbessern (190 Sitze/+2).

Ebenfalls leicht zulegen können die liberale ALDE (74/+1), die rechtskonservative EKR (70/+1) und die grüne G/EFA (35/+1). Wie schon in der letzten Projektion profitiert die EKR-Fraktion dabei vor allem vom Höhenflug der polnischen PiS, der allerdings insbesondere durch den Niedergang ihrer deutschen Mitgliedspartei AfD gebremst wird.

Deutlich verschlechtert zeigen sich dagegen die Werte der linken GUE/NGL-Fraktion (56/–5). Dies liegt vor allem an ihren italienischen Mitgliedsparteien: Das Bündnis aus SEL und RC, das bei der Europawahl 2014 mit einer Liste namens Unʼaltra Europa con Tsipras knapp den Einzug ins Parlament schaffte, würde nun auch gemeinsam an der nationalen Vierprozenthürde scheitern. Allerdings spiegelt das nur die insgesamt unruhige Situation im linken Spektrum der italienischen Politik wider, wo derzeit fast im Monatstakt neue Parteigründungsprojekte angekündigt werden. Sofern diese sich vor der nächsten Europawahl erneut zu einer gemeinsamen Liste vereinigen, dürften sie weiterhin gute Chancen auf einen Wiedereinzug ins Parlament haben.

Die Rechtsfraktionen legen weiter zu

Schließlich bleiben noch die beiden Fraktionen am rechten Rand des Europäischen Parlaments, die nationalpopulistische EFDD und die Rechtsaußen-Gruppierung ENF. Sie können ihre Umfragewerte ein weiteres Mal verbessern: Die EFDD käme nun auf 47 Mandate (+4), die ENF auf 49 (+2). In der Summe würde das europaskeptisch-rechte Lager aus EKR, EFDD und ENF nun 166 Sitze erreichen und wäre damit so stark wie noch nie. Weiterhin wären aber sowohl EFDD als auch ENF auf die Unterstützung von Parteien aus weiteren Mitgliedstaaten angewiesen, um ihren Fraktionsstatus zu behalten.

Keine Änderungen gibt es unter den fraktionslosen Parteien (11/±0). Die weiteren Parteien (die derzeit nicht im Parlament vertreten sind und auch nach ihrer politischen Ausrichtung keiner Fraktion klar zugeordnet werden können) kämen nur noch auf 15 Sitze (–5). Dabei macht sich vor allem das Ende des Höhenflugs der polnischen ROPK bemerkbar, die gegenüber der Juni-Projektion die Hälfte ihrer Sitze einbüßt. Ganz neu auf dem Tableau ist die griechische Kleinpartei Enosi Kentroon („Union der Zentristen“), die bereits seit den 1990er Jahren existiert, nun aber erstmals Chancen auf einen Parlamentseinzug hat.

Die Übersicht

Die folgende Tabelle schlüsselt die Projektion für die Sitzverteilung zwischen den Fraktionen im nächsten Europäischen Parlament nach nationalen Einzelparteien auf. Da es bis heute keine gesamteuropäischen Wahlumfragen gibt, basiert sie auf aggregierten nationalen Umfragen und Wahlergebnissen aus allen Mitgliedstaaten. Wie die Datengrundlage für die Länder im Einzelnen aussieht und nach welchen Kriterien die nationalen Parteien den europäischen Fraktionen zugeordnet wurden, ist im Kleingedruckten unter der Tabelle erläutert.


GUE/
NGL
G/EFA S&D ALDE EVP EKR EFDD ENF fʼlos Weitere
EP heute 52 50 189 70 217 74 45 39 15
Juni 15 61* 34* 188* 73* 205* 69* 43 47 11 20
Aug. 15 56* 35* 190* 74* 204* 70* 47 49 11 15
DE 9 Linke
1 Tier
10 Grüne
1 Piraten
1 ödp
23 SPD 4 FDP
1 FW
40 Union 3 AfD
1 Familie


1 Partei
1 NPD
FR 3 FG 3 EELV 16 PS 8 MD-UDI 23 Rép

21 FN

GB 1 SF 3 Greens
4 SNP
18 Lab

24 Cons
1 UUP
21 UKIP
1 DUP
IT

27 PD
9 FI
1 SVP

20 M5S 13 LN
3 FdI


ES 10 Pod
2 IU
1 ERC 14 PSOE 8 Cʼs
1 CDC
1 PNV
17 PP




PL

4 SLD-TR
16 PO 25 PiS


6 ROPK
RO

14 PSD
17 PNL
1 UDMR





NL 4 SP
1 PvdD
2 GL 1 PvdA 3 D66
5 VVD
1 50plus
4 CDA 1 CU
4 PVV
EL 9 Syriza
2 Potami
1 Pasok

5 ND 1 ANEL

1 XA
1 KKE
1 EK
BE
1 Groen
1 Ecolo
2 sp.a
3 PS
2 OpenVLD
3 MR
2 CD&V
1 cdH
1 CSP
4 N-VA
1 VB

PT 2 CDU
1 BE

9 PS
9 PSD-CDS




CZ 3 KSČM
5 ČSSD 7 ANO 2 TOP09
1 KDU-ČSL
3 ODS



HU
1 LMP 3 MSZP
2 DK

9 Fidesz


6 Jobbik
SE 1 V 1 MP 5 S 2 C
1 FP
5 M
5 SD


AT
3 Grüne 4 SPÖ 1 Neos 4 ÖVP

6 FPÖ

BG

4 BSP 2 DPS 7 GERB
2 RB




2 PF
DK 1 FmEU
5 S 3 V
1 LA

3 DF



FI 1 Vas 2 Vihr 2 SDP 3 Kesk 3 Kok 2 PS



SK

6 SMER 1 SaS 1 KDH
1 M-H
1 OĽ-NOVA
1 SNS
2 Sieť
IE 2 SF

3 FF 3 FG



3 Unabh.
HR 1 ŽZ
5 SDP
5 HDZ




LT

4 LSDP 2 LRLS
2 DP
2 TS-LKD
1 TT


LV

3 Sask 2 ZZS 2 V 1 NA



SI 2 ZL
1 SD 2 SMC 2 SDS
1 NSi-SLS





EE

1 SDE 2 RE
2 KE





1 EVA
CY 2 AKEL
1 DIKO
1 EDEK

2 DISY




LU
1 Gréng 1 LSAP 1 DP 3 CSV




MT

3 PL
3 PN





Verlauf

GUE/
NGL
G/EFA S&D ALDE EVP EKR EFDD ENF fʼlos Weitere
21.08.20155635190742047047491115
30.06.201561341887320569 43471120
03.05.201560321938020562 4451159
10.03.201560311967721660 4349127
12.01.201565401907021259 4743178
18.11.201460421956921259 4743168
23.09.20145339196672236147401510
28.07.2014564719175215664440134
EP 01.07.14525019167221704837
15

Die Zeile „EP 01.07.14“ kennzeichnet die Sitzverteilung zum 1. Juli 2014, dem Zeitpunkt der Konstituierung des Europäischen Parlaments nach der Europawahl im Mai 2014. Die Spalte für die ENF-Fraktion gibt bis Mai 2015 die Werte der Europäischen Allianz für Freiheit (EAF) bzw. der Bewegung für ein Europa der Nationen und Freiheiten (MENL) und ihr nahestehender Parteien an, die bis zur Fraktionsgründung im Juni 2015 fraktionslos waren.

Die vollen Namen der Fraktionen und der nationalen Einzelparteien erscheinen als Mouseover-Text, wenn der Mauszeiger eine kurze Zeit regungslos auf der Bezeichnung in der Tabelle gehalten wird. Bei den weiteren Parteien ist zudem die ungefähre politische Ausrichtung angegeben, um ihre Bündnismöglichkeiten auf europäischer Ebene anzudeuten. Da die betreffenden Parteien allerdings oft erst vor kurzer Zeit gegründet wurden, befindet sich ihre Programmatik zum Teil noch im Fluss, sodass die Angabe lediglich zur groben Orientierung dienen kann.

Fraktionszuordnung
Für die Prognose werden Parteien, die bereits im Europäischen Parlament vertreten sind, jeweils ihrer derzeitigen Fraktion zugerechnet, es sei denn, sie haben ausdrücklich ihren Entschluss zu einem Fraktionswechsel nach der nächsten Wahl erklärt. Nationale Parteien, die derzeit nicht im Europäischen Parlament vertreten sind, aber einer europäischen Partei angehören oder ihr in der politischen Ausrichtung sehr nahe stehen, werden der Fraktion der entsprechenden europäischen Partei zugeordnet. In Fällen, bei denen sich die Mitglieder einer nationalen Liste nach der Wahl voraussichtlich auf mehrere Fraktionen aufteilen werden, wird jeweils die am plausibelsten scheinende Verteilung zugrundegelegt. Parteien, die nicht im Parlament vertreten sind und bei denen die Zuordnung zu einer bestimmten Fraktion unklar ist, werden als „Weitere Parteien“ eingeordnet. Diese Zuordnungen folgen zum Teil natürlich auch einer subjektiven Einschätzung der politischen Ausrichtung der Parteien. Jeder Leserin und jedem Leser sei es deshalb selbst überlassen, sie nach eigenen Kriterien zu korrigieren.

Für die Bildung einer eigenständigen Fraktion sind nach der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens sieben Mitgliedstaaten erforderlich. Mit einem Asterisk (*) gekennzeichnete Gruppierungen würden nach der Prognose diese Bedingungen erfüllen. Andere Gruppierungen müssten gegebenenfalls nach der Europawahl zusätzliche Abgeordnete (z. B. aus der Spalte Weitere“) für sich gewinnen, um sich als Fraktion konstituieren zu können.

Datengrundlage
Soweit verfügbar, wurde bei der Sitzberechnung für jedes Land jeweils die jüngste Umfrage zu den Wahlabsichten für das Europäische Parlament herangezogen. In Ländern, wo es keine spezifischen Europawahlumfragen gibt oder wo die letzte solche Umfrage mehr als ein Jahr zurückliegt, wurde stattdessen die jüngste verfügbare Umfrage für die Wahl zum nationalen Parlament verwendet. Wo mehr als eine Umfrage erschienen ist, wurde der Durchschnitt aller Umfragen aus den letzten zwei Wochen vor der jüngsten Umfrage berechnet. Für Mitgliedstaaten, für die sich überhaupt keine Umfragen finden lassen, wurde auf die Ergebnisse der letzten nationalen Parlaments- oder Europawahl zurückgegriffen.
In der Regel wurden die nationalen Umfragewerte der Parteien direkt auf die Gesamtzahl der Sitze des Landes umgerechnet. In Ländern, wo die Wahl in regionalen Wahlkreisen ohne Verhältnisausgleich erfolgt (Frankreich, Vereinigtes Königreich, Belgien, Irland), werden regionale Umfragedaten genutzt, soweit diese verfügbar sind. Wo dies nicht der Fall ist, wird die Sitzzahl für jeden Wahlkreis einzeln berechnet, dabei aber jeweils die nationalen Gesamt-Umfragewerte herangezogen.
Nationale Sperrklauseln, soweit vorhanden, werden in der Prognose berücksichtigt. In Ländern, in denen es üblich ist, dass Parteien zu Wahlen in Listenverbindungen antreten, werden der Prognose jeweils die am plausibelsten erscheinenden Listenverbindungen zugrunde gelegt.
Da es in Deutschland bei der Europawahl keine Sperrklausel gibt, können Parteien bereits mit weniger als 1 Prozent der Stimmen einen Sitz im Europäischen Parlament gewinnen. Mangels zuverlässiger Umfragedaten wird für diese Kleinparteien in der Prognose jeweils das Ergebnis der letzten Europawahl herangezogen (je 1 Sitz für Tierschutzpartei, ödp, Piraten, FW, Familienpartei, PARTEI und NPD). In Großbritannien haben wegen der Unterschiede im Wahlrecht einige Parteien nur bei Europawahlen echte Chancen, Mandate zu gewinnen. In Umfragen zu nationalen Wahlen schneiden diese Parteien deshalb strukturell deutlich schlechter ab als bei der Europawahl. Dies gilt vor allem für UKIP und Greens. Um dies zu kompensieren, wird in der Prognose für die Greens stets das Ergebnis der Europawahl herangezogen (3 Sitze). Für UKIP und LibDem werden die aktuellen Umfragewerte für nationale Wahlen verwendet, aber für die Prognose mit dem Faktor 3 (UKIP) bzw. 1,33 (LibDem) multipliziert. In Italien können Minderheitenparteien durch eine Sonderregelung auch mit nur recht wenigen Stimmen ins Parlament einziehen. In der Prognose wird die Südtiroler Volkspartei deshalb jeweils mit dem Ergebnis der letzten Europawahl (1 Sitz) geführt.
Die folgende Übersicht führt die Datengrundlage für die Mitgliedstaaten im Einzelnen auf:
Deutschland: nationale Umfragen, 4.-17.8.2015, Quelle: Wikipedia.
Frankreich: nationale Regionalwahl-Umfragen, 29.3.2015, Quelle: Wikipedia.
Vereinigtes Königreich, England: nationale Umfragen, 9.-13.8.2015, Quelle: Wikipedia.
Vereinigtes Königreich, Wales: regionale Umfragen für die nationale Parlamentswahl, 26.6.2015, Quelle: Wikipedia.
Vereinigtes Königreich, Schottland: regionale Umfragen für die nationale Parlamentswahl, 7.7.2015, Quelle: Wikipedia.
Vereinigtes Königreich, Nordirland: Ergebnisse der nationalen Parlamentswahl, 7.5.2015.
Italien: nationale Umfragen, 23.7.-5.8.2015, Quelle: Wikipedia.
Spanien: nationale Umfragen, 10.-17.8. (PP, PSOE, Podemos, Cs, IU, UPyD), 20.-23.7. (andere Parteien), Quelle: Wikipedia.
Polen: nationale Umfragen, 3.-15.8.2015, Quelle: Wikipedia.
Rumänien: nationale Umfragen, 14.7.2015, Quelle: Inscop.
Niederlande: nationale Umfragen, 16.8.2015, Quelle: Wikipedia.
Griechenland: nationale Umfragen, 17.-24.7.2015, Quelle: Wikipedia.
Belgien, Flandern und Wallonien: nationale Umfragen, 18.5.2015, Quelle: Baromètre politique.
Belgien, deutschsprachige Gemeinschaft: Ergebnisse der Europawahl, 25.5.2014.
Portugal: nationale Umfragen, 4.8.2015, Quelle: Wikipedia.
Tschechien: nationale Umfragen, 13.7.2015, Quelle: Wikipedia. 
Ungarn: nationale Umfragen, 15.6.2015, Quelle: Ipsos.
Schweden: nationale Umfragen, 17.-19.8.2015, Quelle: Wikipedia.
Österreich: nationale Umfragen, 17.-30.7.2015, Quelle: Wikipedia.
Bulgarien: nationale Umfragen, 27.5.2015, Quelle: Exacta.
Dänemark: nationale Umfragen, 3.-16.8.2015, Quelle: Berlinske Barometer.
Finnland: nationale Umfragen, 4.8.2015, Quelle: Wikipedia.
Slowakei: nationale Umfragen, 4.8.2015, Quelle: Focus Research.
Irland: nationale Umfragen, 15.8.2015, Quelle: Wikipedia.
Kroatien: nationale Umfragen, 3.8.2015, Quelle: Wikipedia.
Litauen: nationale Umfragen, 12.7.2015, Quelle: Vilmorus.
Lettland: nationale Umfragen, April 2015, Quelle: Latvian Facts.
Slowenien: nationale Umfragen, Juli/August 2015, Quelle: Episcenter, Ninamedia.
Estland: nationale Umfragen, Juni 2015, Quelle: Erakonnad.
Zypern: Ergebnisse der Europawahl, 25.5.2014.
Luxemburg: Ergebnisse der Europawahl, 25.5.2014.
Malta: nationale Umfragen, Juni 2015, Quelle: Malta Today.

Bilder: Eigene Grafiken.

19 August 2015

Die europäischen Parteien und ihre nationalen Namen (2): Die Europäische Volkspartei

Die Namen ihrer nationalen Mitgliedsverbände können ein Indiz für den inneren Zusammenhalt der europäischen Parteien sein: Treten sie in allen EU-Ländern unter ähnlichen Bezeichnungen auf und suchen so den symbolischen Schulterschluss? Oder folgen sie jeweils nationalen Benennungstraditionen? Heute: Die Europäische Volkspartei. (Zum Anfang der Serie.)
Wie viele Völker gibt es in der Europäischen Volkspartei?

Die Europäische Volkspartei, die sich auf ihrer Homepage selbst als „die politische Familie der rechten Mitte“ beschreibt, ist die größte der gesamteuropäischen Parteien – und das nicht nur nach Sitzen im Europäischen Parlament, sondern auch nach der Anzahl ihrer nationalen Mitgliedsverbände. In den 28 EU-Staaten gibt es über fünfzig nationale Parteien, die der EVP angehören: sechs allein in Italien, fünf in Bulgarien und jeweils vier in Rumänien und der Slowakei. Dahinter steht offenbar eine Strategie der breiten Präsenz: Die europaweite Führungsrolle, die die Europäische Volkspartei heute einnimmt, verdankt sie nicht zuletzt ihrer Fähigkeit, so viele gemäßigt konservative Einzelparteien unter ihrem Dach zu vereinen.

Dass auch ihr Name eher allgemein gehalten ist, dürfte dabei ebenfalls von Vorteil sein: „Volkspartei“ lässt für sich allein ja noch kaum eine inhaltliche Positionierung erkennen, sondern lediglich den Anspruch, einen möglichst großen Teil der europäischen Bevölkerung anzusprechen. Darüber hinaus ist die Selbstbezeichnung als „Volkspartei“ allerdings auch unter ihren nationalen Mitgliedsparteien recht weit verbreitet. Auf die ein oder andere Weise taucht sie bei etwa jedem fünften Mitgliedsverband der EVP auf, in Reinform etwa bei der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), der Südtiroler Volkspartei (SVP) oder dem spanischen Partido Popular (PP, „Volkspartei“).

Republikaner, Bürger, Demokraten

Hinzu kommen zahlreiche Parteien, die zwar nicht das Wort „Volk“ im Namen tragen, aber durch andere Begriffe auf das Ziel einer Vereinigung möglichst großer Bevölkerungsschichten verweisen. Mögliche Schlüsselwörter sind etwa „Sammlung“ oder „Aufruf“ – so bei der finnischen Kansallinen Kokoomus (Kok., „Nationale Sammlung“) oder der zyprischen Dimokratikos Synagermos (DISY, „Demokratischer Aufruf“). Noch häufiger bezeichnen sich die EVP-Mitglieder als „Union“, etwa die Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) oder die Unió Democrática de Catalunya (UDC, „Demokratische Union Kataloniens“). In Lettland schließlich trägt die Partei schlicht den Namen Vienotība (V, „Einigkeit“).

Die Idee, wenigstens potenziell das ganze Volk anzusprechen, die den Namen vieler EVP-Mitgliedsparteien zugrunde liegt, lässt sich jedoch auch noch etwas stärker politisch aufladen. In einigen Fällen erfolgt dies vor allem als Anspielung an bürgerlich-republikanische Werte: etwa bei den französischen Républicains („Die Republikaner“) oder der polnischen Platforma Obywatelska (PO, „Bürgerplattform“). Oft ist das Schlüsselwort dabei einfach „Demokratie“. Beispiele dafür sind die griechische Nea Dimokratia (ND, „Neue Demokratie“), die Slovenska Demokratska Stranka (SDS, „Slowenische Demokratische Partei“) oder die Hrvatska Demokratska Zajednica (HDZ, „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“).

Nationalisten (und Europäer)

In anderen Fällen haben die Namen jedoch auch eher patriotisch-nationalistische Konnotationen: so bei der estnischen Isamaa ja Res Publica Liit (IRL, „Vaterlands- und Res-Publica-Bund“) oder der maltesischen Partit Nazzjonalista (PN, „Nationalistische Partei“).

Noch deutlicher wird dieser nationale Einschlag bei einer weiteren Gruppe von EVP-Mitgliedsparteien, die in ihrer Bezeichnung vor allem den Namen des jeweils eigenen Landes in den Mittelpunkt stellen. Am bekanntesten ist dabei wohl die Berlusconi-Partei Forza Italia (FI, „Vorwärts, Italien“), die ihren Namen einem Anfeuerungsruf für die Nationalmannschaft im Sport verdankt. Aber auch die Demokrati sa Silna Balgarija (DSB, „Demokraten für ein Starkes Bulgarien“), die Fine Gael (FG, „Familie der Iren“) oder das portugiesische Wahlbündnis Portugal à Frente („Portugal nach vorn“) folgen einem ähnlichen Muster.

Anders hingegen die größte bulgarische EVP-Mitgliedspartei: Die Graschdani sa Ewropejsko Raswitie na Balgaria (GERB, „Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens“) stellen gerade nicht die nationale, sondern eine europäische Identität in den Vordergrund. Worin genau eine „europäische Entwicklung“ besteht, bleibt dabei natürlich ebenso Interpretationssache wie die Frage, wo sich für Italien oder Portugal „vorne“ befindet.

Die Parteien mit dem C

Der Appell an das „Volk“ ist allerdings nicht das einzige Schlagwort der europäischen Mitte-Rechts-Familie: Vor der Gründung der EVP im Jahr 1976 bezeichnete sie sich in der Regel als „christdemokratisch“, und noch heute trägt ihre Fraktion im Europäischen Parlament offiziell den Namen „Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten)“ – auch wenn sie diesen in der öffentlichen Darstellung, etwa auf ihrer Homepage, nicht mehr verwendet.

Auf nationaler Ebene allerdings ist der Verweis auf das Christentum nach wie vor weit verbreitet: Allein ein Dutzend der EVP-Mitgliedsparteien bezeichnet sich in der ein oder anderen Weise als christdemokratisch, weitere drei als christlich-sozial. Die Liste reicht von der deutschen CDU über den niederländischen Christen Democratisch Appèl (CDA, „Christlich-Demokratischer Aufruf“) und die dänischen Kristendemokraterne (KD, „Christdemokraten“) bis zur luxemburgischen Chrëschtlech Sozial Vollekspartei (CSV, „Christlich-Soziale Volkspartei“).

Allerdings zählen die Parteien mit dem C im Namen nur in Deutschland und den Benelux-Staaten zu den stärksten politischen Kräften ihres jeweiligen Landes. In vielen anderen Fällen sind sie hingegen lediglich die zweitgrößte EVP-Mitgliedsorganisation in ihrem Land: So ist die ungarische Kereszténydemokrata Néppárt (KDNP, „Christdemokratische Volkspartei“) nur der kleine Partner der größeren, ebenfalls zur EVP gehörenden Fidesz – Magyar Polgári Szövetség („Fidesz – Ungarischer Bürgerbund“). Und auch die finnischen Kristillisdemokraatit (KD, „Christdemokraten“) sind im Gegensatz zur Kansallinen Kokoomus nur eine Kleinpartei.

Die Mitte

Passend zum Selbstverständnis als „Volkspartei“ ist ein weiteres beliebtes Begriffsfeld bei der Namenswahl der EVP-Mitglieder auch die „politische Mitte“. Zu dieser bekennen sich etwa die italienische Unione di Centro (UdC, „Union der Mitte“), das belgische Centre Démocrate Humaniste (CDH, „Demokratisch-Humanistische Mitte“) sowie – sinngemäß – die schwedische Moderata samlingspartiet (M, „Gemäßigte Sammlungspartei“). Und auch das italienische Nuovo Centrodestra (NCD, „Neue rechte Mitte“) positioniert sich wenigstens nicht allzu weit davon entfernt.

Die von vielen externen Beobachtern verwendete Beschreibung als „konservativ“ vermeiden die meisten EVP-Parteien in ihrer Namenswahl hingegen. Lediglich die kleine Konservative Folkeparti (K, „Konservative Volkspartei“) aus Dänemark verwendet dieses Stichwort auch als Selbstbezeichnung.

Portugiesisches Kuriosum

Insgesamt geben die Namen der nationalen EVP-Mitgliedsparteien also ein sehr vielfältiges Bild ab. Sie kreisen zwar um zwei recht deutlich erkennbare Begriffsfelder – zum einen die Idee der Volkseinheit, zum anderen der Verweis auf das Christentum –, nutzen dabei jedoch einen bunten Strauß an Schlüsselbegriffen mit im Einzelnen durchaus unterschiedlichen Konnotationen.

Einzelne Mitgliedsparteien verlassen in ihrer Namensgebung das gemeinsame Begriffsfeld auch ganz: etwa die tschechische Tradice, Odpovědnost, Prosperita 09 (TOP09, „Tradition, Verantwortung, Wohlstand“) oder die slowakische Most–Híd (M-H, „Brücke“, gemeint ist eine kulturelle Brücke zwischen der slowakischen Bevölkerung und der ungarischen Minderheit). Das schönste Kuriosum aber dürfte der Name des größten portugiesischen EVP-Mitglieds sein: Seit ihrer Gründung 1974 trägt diese den Namen Partido Social Democrata (PSD, „Sozialdemokratische Partei“). In der portugiesischsprachigen Welt ist das nicht weiter ungewöhnlich; auch in Brasilien und Osttimor gibt es bürgerliche Mitte-Rechts-Parteien mit diesem Namen. In Europa allerdings ruft der Begriff „Sozialdemokratie“ sonst eher andere Assoziationen hervor – um die Sozialdemokratische Partei Europas soll es im nächsten Kapitel dieser Serie gehen.



Bilder: By European People's Party (EPP 35th anniversary event) [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons.