- #TenOrMore: Nicht nur Neelie Kroes will in der neuen Kommission mindestens so viele Frauen sehen, wie sie Finger an beiden Händen hat.
Am heutigen Dienstag ist
es drei Wochen her, dass das Europäische Parlament Jean-Claude
Juncker (CSV/EVP) nach
zähem Ringen und mit einigem öffentlichen Echo zum
neuen EU-Kommissionspräsidenten gewählt hat. Zwei Tage später
scheiterte der Europäische Rat mit der Ernennung eines neuen Hohen
Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und
beschloss, die Entscheidung über die weiteren EU-Spitzenjobs (neben
dem Hohen Vertreter vor allem der Präsident des Europäischen Rates)
bis
Ende August zu vertagen. Seitdem ist es in den Medien um das
Brüsseler Personalpuzzle wieder etwas ruhiger geworden.
Unterhalb des Radars der
breiten öffentlichen Aufmerksamkeit aber hat sich einiges getan,
denn außer den Spitzenjobs sind schließlich auch die Posten der
„normalen“ Kommissionsmitglieder neu zu besetzen. Inzwischen
haben fast alle nationalen Regierungen einen Namen für das
Kommissionsmitglied aus ihrem jeweiligen Land vorgeschlagen. Eine
(laufend aktualisierte) Liste ist hier
zu finden, und die meisten der darin enthaltenen Politiker werden
wohl tatsächlich im Herbst ihr Büro in Brüssel beziehen. Trotzdem
ist das letzte Wort noch nicht gesprochen: Sowohl bei der personellen
Zusammensetzung als auch bei der Ressortverteilung zeichnen sich
nämlich neue Konflikte ab – und schon bald könnte der Ball wieder
beim Europäischen Parlament liegen.
Das Verfahren zur Wahl
der Kommission
In
aller Kürze zum Verfahren: Wenigstens
für die nächste Amtsperiode wird wie bisher jeder Mitgliedstaat
einen Kommissar stellen. Nach Art.
17 Abs. 7 EU-Vertrag können dabei die einzelnen nationalen
Regierungen Vorschläge machen. Die gesamte Liste wird dann vom
Ministerrat „im Einvernehmen mit dem gewählten Präsidenten“
angenommen. Wenigstens de
jure hat
Juncker also ein Vetorecht gegen die vorgeschlagenen Kandidaten. De
facto hat
davon allerdings noch
kein Kommissionspräsident jemals Gebrauch gemacht; üblicherweise
werden die Vorschläge der einzelnen Regierungen im Rat einfach
durchgewinkt.
Ist
die Liste einmal angenommen, kann Juncker die Zuständigkeitsbereiche
für die einzelnen Kommissare nach Art.
248 AEU-Vertrag frei verteilen. (Einzige Ausnahme ist der Hohe
Vertreter, der vom Europäischen Rat namentlich ernannt wird.)
Anschließend muss sich die gesamte Kommission als Kollegium einer
Abstimmung im Europäischen Parlament stellen. Nur wenn sie auch dort
bestätigt wird, können die Kommissare ihre Arbeit aufnehmen. In der
Vergangenheit hat dies bereits
zweimal
dazu geführt, dass einzelne im Parlament abgelehnte Kandidaten von
ihren jeweiligen nationalen Regierungen zurückgezogen und ersetzt
wurden.
#TenOrMore: Die
Frauenfrage
Woran
der Vorschlag des Rates dieses Jahr scheitern könnte, sind jedoch
nicht unbedingt einzelne Kandidaten. In der Kritik steht vielmehr die
Zusammensetzung der Kommission insgesamt, genauer: das Verhältnis
zwischen Frauen und Männern darin. In der vergangenen Amtsperiode
waren nämlich nur neun der 28 Kommissionsmitglieder weiblich –
eine Quote, die Jean-Claude
Juncker gerne erhöhen wollte. Schon Anfang Juli forderte er die
Regierungen deshalb auf, nicht nur jeweils einen einzelnen Kandidaten
vorzuschlagen, sondern mindestens
eine Frau und einen Mann, aus denen er dann selbst ein ausgewogenes
Kollegium zusammenstellen würde. Zudem deutete er wiederholt an,
dass weibliche Kandidatinnen bei der Vergabe der wichtigen Ressorts
bessere Chancen haben könnten.
Die
Regierungen jedoch reagierten kaum auf diese Aufforderung. Das
einzige Land, das Juncker tatsächlich mehrere
Kandidaten zur Auswahl anbot, war Slowenien, wo gerade
eine nationale Parlamentswahl das Parteiensystem durcheinander
geworfen hat, sodass die Regierung offenbar andere Sorgen hatte.
Darüber hinaus schlugen nur vier weitere Regierungen (Italien,
Tschechien, Schweden und Bulgarien) eine Frau vor. Belgien, Dänemark
und die Niederlande sind noch unentschlossen. Die übrigen zwanzig
hingegen haben sich bereits auf einen Mann festgelegt. Auch einer
Bitte Junckers, dass diese Länder ihre Vorschläge noch einmal
überdenken und weitere Kandidatinnen nachnominieren, erteilte
jüngst die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU/EVP) eine
Abfuhr.
Lässt das Parlament
die Kommission scheitern?
Geht
es nach den Vorschlägen der nationalen Regierungen, dürfte der
Frauenanteil in der neuen Kommission also sinken statt zu steigen.
Das aber haben die großen Fraktionen des Europäischen Parlaments in
den letzten Wochen öffentlich abgelehnt: Der sozialdemokratische
Fraktionschef Martin Schulz (SPD/SPE) etwa erklärte Mitte Juli, ein
reiner „Männerclub“ werde im Parlament durchfallen. Noch
deutlicher wurde sein christdemokratischer Gegenüber Manfred Weber
(CSU/EVP), der eine
Wahl der Kommission „definitiv“ ausschloss, wenn darin nicht
mindestens der bisherige Anteil von neun Frauen gehalten würde.
Begleitet wurden diese Forderungen auf Twitter unter dem Hashtag
#tenormore, wo
unter anderem die scheidenden Kommissarinnen Neelie Kroes (VVD/ALDE)
und Androulla Vassiliou (EDI/ALDE) ihre Unterstützung für die
Forderung des Parlaments verdeutlichten.
Wird
das Parlament also die neue Kommission an der Frauenfrage scheitern
lassen? Es würde damit jedenfalls politisches Neuland betreten:
Anders als 2004 und 2009, wo es jeweils nur einzelne Regierungen zu
einem Rückzug ihrer Kandidaten zwang, wäre es diesmal der gesamte
Ministerrat, der seine Liste überdenken müsste. Gleichzeitig könnte
es dadurch wenige Monate nach dem erfolgreichen
Spitzenkandidaten-Verfahren bei der Europawahl erneut ein Zeichen
dafür setzen, dass die Ernennung der Europäischen Kommission nicht
allein Sache der nationalen Regierungen ist – und dass es neben
dem nationalen Proporz auch
noch andere Quoten gibt, die bei der Repräsentation der Europäer
wichtig sind.
Die missglückte
Verkleinerung der Kommission
Der
Konflikt um den Frauenanteil ist allerdings nicht die einzige
spannende Frage bei der Bildung der neuen Europäischen Kommission.
Nicht weniger interessant wird auch, wie Jean-Claude Juncker unter
ihren Mitgliedern die Ressorts aufteilt. Wie schon erwähnt, hat er
dabei weitgehend freie Hand – was aber natürlich die nationalen
Regierungen und das Europäische Parlament nicht davon abzuhalten
braucht, auch zu diesem Thema ihre Meinung zu äußern.
Weitgehend
einig sind sich dabei alle Seiten, dass die Kommission eigentlich
längst zu groß geworden ist. Auf nationaler Ebene bestehen
Regierungskabinette in Europa meistens aus etwa 15 bis 20 Ministern.
Die Kommission hingegen, die einen Kommissar aus jedem Mitgliedstaat
umfasst, ist durch die EU-Erweiterungen inzwischen auf 28 Mitglieder
gewachsen. Und da bislang jeder dieser Kommissare ein eigenes Ressort
hat, wurden auch die Zuständigkeitsbereiche immer kleiner. In der
aktuellen Kommission
Barroso etwa gibt es einen Kommissar für Umwelt und eine andere
für Klimaschutz; einen für Entwicklungspolitik und eine andere für
humanitäre Hilfe; und im Wirtschaftsbereich tummeln sich (unter
anderem) je einer für Binnenmarkt, Wettbewerb, Industrie,
Außenhandel und Währungspolitik.
Solche
kleinen Ressorts führen in der Kommission natürlich zu ständigen
Koordinierungsproblemen, da die meisten Probleme die Zuständigkeiten
gleich mehrerer Kommissare betreffen. Der EU-Vertrag von Lissabon sah
deshalb eigentlich eine Verkleinerung der Kommission vor. Vor allem
in kleineren Ländern stieß dies jedoch auf Kritik, und nach dem
gescheiterten Referendum in Irland einigten sich die Staats- und
Regierungschefs 2008 darauf, dass
auch künftig jedes Land einen Kommissar stellen sollte. Die
rechtliche Grundlage dafür bietet heute ein
Beschluss
des Europäischen Rates von 2013.
„Juniorkommissare“,
„Kommissare ohne Portfolio“, „Cluster“?
Damit
aber blieb das Problem der ineffizienten Ressortverteilung weiter
ungelöst. Seit einigen Jahren mehren sich deshalb die Vorschläge,
wie eine Kommission auch mit 28 Mitgliedern besser funktionieren
könnte als bisher. Hierzu zählte etwa die Einführung von
„Juniorkommissaren“: Diese sollten zwar bei Entscheidungen im
Kommissionskollegium beteiligt sein, dabei aber keinen eigenen
Zuständigkeitsbereich und womöglich noch nicht einmal Mitarbeiter
haben, sondern lediglich einem der „Seniorkommissare“ zuarbeiten.
Eine andere Option wären „Kommissare ohne Portfolio“. Anders als
„Juniorkommissare“ würden diese nicht bestimmten anderen
Kommissaren untergeordnet sein, sondern wären für spezifische
ressortübergreifende Querschnittsthemen zuständig. Auch sie hätten
jedoch nur einen reduzierten Mitarbeiterstab.
Beide
Vorschläge sind allerdings unter den nationalen Regierungen eher
unbeliebt, da sowohl ein „Juniorkommissar“ als auch ein
„Kommissar ohne Portfolio“ in der Öffentlichkeit als eine Art
Kommissar zweiter Klasse wahrgenommen werden könnte. Das Modell, das
in den letzten Monaten in Brüssel am häufigsten diskutiert wurde,
sind deshalb die sogenannten „Cluster“: Demnach sollen die
einzelnen Ressorts künftig
in thematische Blöcke zusammengefasst werden, die jeweils von
einem Kommissions-Vizepräsidenten geleitet werden. Damit hätte also
weiterhin jeder einzelne Kommissar ein Ressort für sich. Die
Vizepräsidenten könnten jedoch innerhalb ihres jeweiligen Clusters
für eine bessere Koordinierung und eine stimmige Gesamtlinie sorgen.
Nationale Eitelkeiten
um die Vizepräsidenten-Posten
Unterstützung
findet dieses Konzept insbesondere in den großen Mitgliedstaaten:
Sowohl der von
Frankreich nominierte Kommissarskandidat Pierre Moscovici (PS/SPE)
als auch sein
deutscher Kollege Günther Oettinger (CDU/EVP) sprachen sich in
den letzten Wochen für die Bildung von Clustern aus – und brachten
zugleich sich selbst für einen der Vizepräsidenten-Posten ins
Spiel. Skeptisch sind jedoch weiterhin die kleineren Länder. Die
bulgarische Kommissarin Kristalina Georgiewa (EVP) sprach sich
deshalb Ende Juni für
einen flexibleren „Netzwerkansatz“ aus, nach dem die
Kommissare zwar ebenfalls enger als bisher zusammenarbeiten würden,
aber nicht in feste Cluster gruppiert wären.
Letztlich
steht Juncker bei der Frage nach den internen Hierarchien in der
Kommission also vor einem Zielkonflikt nationaler Eitelkeiten: Für
die Effizienz, aber auch für ihre Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit
wäre es zweifellos besser, wenn die Arbeit der Kommission vor allem
von einer überschaubaren Gruppe von fünf bis sieben Cluster-Chefs
bestimmt würde. Allerdings erwarten die Regierungen der großen
Länder wie selbstverständlich, dass ihre Kandidaten bei der Vergabe dieser
Posten berücksichtigt werden. Und gerade diese
Selbstverständlichkeit ist es, die die kleinen Länder gegen den
Vorschlag aufbringt.
Wie
genau sich Juncker zuletzt entscheiden wird, ist derzeit deshalb noch
weitgehend Spekulation. Das „Juniorkommissar“-Modell lehnte
er schon im Juni explizit ab. Die Clusterbildung hingegen schien
bei ihm auf größere Sympathie zu stoßen; Mitte Juli wurde sogar
ein
Plan bekannt, wie diese Cluster aussehen könnten. Zuletzt
allerdings distanzierte
er sich wieder von der Idee, womit der flexible „Netzwerkansatz“
nun wahrscheinlicher wird – selbst wenn derzeit gar nicht so ganz
klar ist, wie dieser eigentlich genau funktionieren soll. Und die
Befürchtung steigt, dass die Zuständigkeiten in der neuen
Kommission ebenso zersplittert und die Verantwortlichkeiten in der
Öffentlichkeit ebenso unklar bleiben werden, wie sie es auch in der
Vergangenheit gewesen sind.
Bild: By Sebastiaan ter Burg [CC BY-SA 2.0], via Flickr.
Jetzt habe ich mal zusammen, wie ich mir das Verfahren zur Wahl des Kommissionspräsidenten und der Kommission in groben Züge vorstelle.
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