05 August 2014

Junckers 28: Die Konflikte um die Frauenquote und um die Binnenhierarchien in der neuen Europäischen Kommission

#TenOrMore: Nicht nur Neelie Kroes will in der neuen Kommission mindestens so viele Frauen sehen, wie sie Finger an beiden Händen hat.
Am heutigen Dienstag ist es drei Wochen her, dass das Europäische Parlament Jean-Claude Juncker (CSV/EVP) nach zähem Ringen und mit einigem öffentlichen Echo zum neuen EU-Kommissionspräsidenten gewählt hat. Zwei Tage später scheiterte der Europäische Rat mit der Ernennung eines neuen Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und beschloss, die Entscheidung über die weiteren EU-Spitzenjobs (neben dem Hohen Vertreter vor allem der Präsident des Europäischen Rates) bis Ende August zu vertagen. Seitdem ist es in den Medien um das Brüsseler Personalpuzzle wieder etwas ruhiger geworden.

Unterhalb des Radars der breiten öffentlichen Aufmerksamkeit aber hat sich einiges getan, denn außer den Spitzenjobs sind schließlich auch die Posten der „normalen“ Kommissionsmitglieder neu zu besetzen. Inzwischen haben fast alle nationalen Regierungen einen Namen für das Kommissionsmitglied aus ihrem jeweiligen Land vorgeschlagen. Eine (laufend aktualisierte) Liste ist hier zu finden, und die meisten der darin enthaltenen Politiker werden wohl tatsächlich im Herbst ihr Büro in Brüssel beziehen. Trotzdem ist das letzte Wort noch nicht gesprochen: Sowohl bei der personellen Zusammensetzung als auch bei der Ressortverteilung zeichnen sich nämlich neue Konflikte ab – und schon bald könnte der Ball wieder beim Europäischen Parlament liegen.

Das Verfahren zur Wahl der Kommission

In aller Kürze zum Verfahren: Wenigstens für die nächste Amtsperiode wird wie bisher jeder Mitgliedstaat einen Kommissar stellen. Nach Art. 17 Abs. 7 EU-Vertrag können dabei die einzelnen nationalen Regierungen Vorschläge machen. Die gesamte Liste wird dann vom Ministerrat „im Einvernehmen mit dem gewählten Präsidenten“ angenommen. Wenigstens de jure hat Juncker also ein Vetorecht gegen die vorgeschlagenen Kandidaten. De facto hat davon allerdings noch kein Kommissionspräsident jemals Gebrauch gemacht; üblicherweise werden die Vorschläge der einzelnen Regierungen im Rat einfach durchgewinkt.

Ist die Liste einmal angenommen, kann Juncker die Zuständigkeitsbereiche für die einzelnen Kommissare nach Art. 248 AEU-Vertrag frei verteilen. (Einzige Ausnahme ist der Hohe Vertreter, der vom Europäischen Rat namentlich ernannt wird.) Anschließend muss sich die gesamte Kommission als Kollegium einer Abstimmung im Europäischen Parlament stellen. Nur wenn sie auch dort bestätigt wird, können die Kommissare ihre Arbeit aufnehmen. In der Vergangenheit hat dies bereits zweimal dazu geführt, dass einzelne im Parlament abgelehnte Kandidaten von ihren jeweiligen nationalen Regierungen zurückgezogen und ersetzt wurden.

#TenOrMore: Die Frauenfrage

Woran der Vorschlag des Rates dieses Jahr scheitern könnte, sind jedoch nicht unbedingt einzelne Kandidaten. In der Kritik steht vielmehr die Zusammensetzung der Kommission insgesamt, genauer: das Verhältnis zwischen Frauen und Männern darin. In der vergangenen Amtsperiode waren nämlich nur neun der 28 Kommissionsmitglieder weiblich – eine Quote, die Jean-Claude Juncker gerne erhöhen wollte. Schon Anfang Juli forderte er die Regierungen deshalb auf, nicht nur jeweils einen einzelnen Kandidaten vorzuschlagen, sondern mindestens eine Frau und einen Mann, aus denen er dann selbst ein ausgewogenes Kollegium zusammenstellen würde. Zudem deutete er wiederholt an, dass weibliche Kandidatinnen bei der Vergabe der wichtigen Ressorts bessere Chancen haben könnten.

Die Regierungen jedoch reagierten kaum auf diese Aufforderung. Das einzige Land, das Juncker tatsächlich mehrere Kandidaten zur Auswahl anbot, war Slowenien, wo gerade eine nationale Parlamentswahl das Parteiensystem durcheinander geworfen hat, sodass die Regierung offenbar andere Sorgen hatte. Darüber hinaus schlugen nur vier weitere Regierungen (Italien, Tschechien, Schweden und Bulgarien) eine Frau vor. Belgien, Dänemark und die Niederlande sind noch unentschlossen. Die übrigen zwanzig hingegen haben sich bereits auf einen Mann festgelegt. Auch einer Bitte Junckers, dass diese Länder ihre Vorschläge noch einmal überdenken und weitere Kandidatinnen nachnominieren, erteilte jüngst die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU/EVP) eine Abfuhr.

Lässt das Parlament die Kommission scheitern?

Geht es nach den Vorschlägen der nationalen Regierungen, dürfte der Frauenanteil in der neuen Kommission also sinken statt zu steigen. Das aber haben die großen Fraktionen des Europäischen Parlaments in den letzten Wochen öffentlich abgelehnt: Der sozialdemokratische Fraktionschef Martin Schulz (SPD/SPE) etwa erklärte Mitte Juli, ein reiner „Männerclub“ werde im Parlament durchfallen. Noch deutlicher wurde sein christdemokratischer Gegenüber Manfred Weber (CSU/EVP), der eine Wahl der Kommission „definitiv“ ausschloss, wenn darin nicht mindestens der bisherige Anteil von neun Frauen gehalten würde. Begleitet wurden diese Forderungen auf Twitter unter dem Hashtag #tenormore, wo unter anderem die scheidenden Kommissarinnen Neelie Kroes (VVD/ALDE) und Androulla Vassiliou (EDI/ALDE) ihre Unterstützung für die Forderung des Parlaments verdeutlichten.

Wird das Parlament also die neue Kommission an der Frauenfrage scheitern lassen? Es würde damit jedenfalls politisches Neuland betreten: Anders als 2004 und 2009, wo es jeweils nur einzelne Regierungen zu einem Rückzug ihrer Kandidaten zwang, wäre es diesmal der gesamte Ministerrat, der seine Liste überdenken müsste. Gleichzeitig könnte es dadurch wenige Monate nach dem erfolgreichen Spitzenkandidaten-Verfahren bei der Europawahl erneut ein Zeichen dafür setzen, dass die Ernennung der Europäischen Kommission nicht allein Sache der nationalen Regierungen ist – und dass es neben dem nationalen Proporz auch noch andere Quoten gibt, die bei der Repräsentation der Europäer wichtig sind.

Die missglückte Verkleinerung der Kommission

Der Konflikt um den Frauenanteil ist allerdings nicht die einzige spannende Frage bei der Bildung der neuen Europäischen Kommission. Nicht weniger interessant wird auch, wie Jean-Claude Juncker unter ihren Mitgliedern die Ressorts aufteilt. Wie schon erwähnt, hat er dabei weitgehend freie Hand – was aber natürlich die nationalen Regierungen und das Europäische Parlament nicht davon abzuhalten braucht, auch zu diesem Thema ihre Meinung zu äußern.

Weitgehend einig sind sich dabei alle Seiten, dass die Kommission eigentlich längst zu groß geworden ist. Auf nationaler Ebene bestehen Regierungskabinette in Europa meistens aus etwa 15 bis 20 Ministern. Die Kommission hingegen, die einen Kommissar aus jedem Mitgliedstaat umfasst, ist durch die EU-Erweiterungen inzwischen auf 28 Mitglieder gewachsen. Und da bislang jeder dieser Kommissare ein eigenes Ressort hat, wurden auch die Zuständigkeitsbereiche immer kleiner. In der aktuellen Kommission Barroso etwa gibt es einen Kommissar für Umwelt und eine andere für Klimaschutz; einen für Entwicklungspolitik und eine andere für humanitäre Hilfe; und im Wirtschaftsbereich tummeln sich (unter anderem) je einer für Binnenmarkt, Wettbewerb, Industrie, Außenhandel und Währungspolitik.

Solche kleinen Ressorts führen in der Kommission natürlich zu ständigen Koordinierungsproblemen, da die meisten Probleme die Zuständigkeiten gleich mehrerer Kommissare betreffen. Der EU-Vertrag von Lissabon sah deshalb eigentlich eine Verkleinerung der Kommission vor. Vor allem in kleineren Ländern stieß dies jedoch auf Kritik, und nach dem gescheiterten Referendum in Irland einigten sich die Staats- und Regierungschefs 2008 darauf, dass auch künftig jedes Land einen Kommissar stellen sollte. Die rechtliche Grundlage dafür bietet heute ein Beschluss des Europäischen Rates von 2013.

„Juniorkommissare“, „Kommissare ohne Portfolio“, „Cluster“?

Damit aber blieb das Problem der ineffizienten Ressortverteilung weiter ungelöst. Seit einigen Jahren mehren sich deshalb die Vorschläge, wie eine Kommission auch mit 28 Mitgliedern besser funktionieren könnte als bisher. Hierzu zählte etwa die Einführung von „Juniorkommissaren“: Diese sollten zwar bei Entscheidungen im Kommissionskollegium beteiligt sein, dabei aber keinen eigenen Zuständigkeitsbereich und womöglich noch nicht einmal Mitarbeiter haben, sondern lediglich einem der „Seniorkommissare“ zuarbeiten. Eine andere Option wären „Kommissare ohne Portfolio“. Anders als „Juniorkommissare“ würden diese nicht bestimmten anderen Kommissaren untergeordnet sein, sondern wären für spezifische ressortübergreifende Querschnittsthemen zuständig. Auch sie hätten jedoch nur einen reduzierten Mitarbeiterstab.

Beide Vorschläge sind allerdings unter den nationalen Regierungen eher unbeliebt, da sowohl ein „Juniorkommissar“ als auch ein „Kommissar ohne Portfolio“ in der Öffentlichkeit als eine Art Kommissar zweiter Klasse wahrgenommen werden könnte. Das Modell, das in den letzten Monaten in Brüssel am häufigsten diskutiert wurde, sind deshalb die sogenannten „Cluster“: Demnach sollen die einzelnen Ressorts künftig in thematische Blöcke zusammengefasst werden, die jeweils von einem Kommissions-Vizepräsidenten geleitet werden. Damit hätte also weiterhin jeder einzelne Kommissar ein Ressort für sich. Die Vizepräsidenten könnten jedoch innerhalb ihres jeweiligen Clusters für eine bessere Koordinierung und eine stimmige Gesamtlinie sorgen.

Nationale Eitelkeiten um die Vizepräsidenten-Posten

Unterstützung findet dieses Konzept insbesondere in den großen Mitgliedstaaten: Sowohl der von Frankreich nominierte Kommissarskandidat Pierre Moscovici (PS/SPE) als auch sein deutscher Kollege Günther Oettinger (CDU/EVP) sprachen sich in den letzten Wochen für die Bildung von Clustern aus – und brachten zugleich sich selbst für einen der Vizepräsidenten-Posten ins Spiel. Skeptisch sind jedoch weiterhin die kleineren Länder. Die bulgarische Kommissarin Kristalina Georgiewa (EVP) sprach sich deshalb Ende Juni für einen flexibleren „Netzwerkansatz“ aus, nach dem die Kommissare zwar ebenfalls enger als bisher zusammenarbeiten würden, aber nicht in feste Cluster gruppiert wären.

Letztlich steht Juncker bei der Frage nach den internen Hierarchien in der Kommission also vor einem Zielkonflikt nationaler Eitelkeiten: Für die Effizienz, aber auch für ihre Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit wäre es zweifellos besser, wenn die Arbeit der Kommission vor allem von einer überschaubaren Gruppe von fünf bis sieben Cluster-Chefs bestimmt würde. Allerdings erwarten die Regierungen der großen Länder wie selbstverständlich, dass ihre Kandidaten bei der Vergabe dieser Posten berücksichtigt werden. Und gerade diese Selbstverständlichkeit ist es, die die kleinen Länder gegen den Vorschlag aufbringt.

Wie genau sich Juncker zuletzt entscheiden wird, ist derzeit deshalb noch weitgehend Spekulation. Das „Juniorkommissar“-Modell lehnte er schon im Juni explizit ab. Die Clusterbildung hingegen schien bei ihm auf größere Sympathie zu stoßen; Mitte Juli wurde sogar ein Plan bekannt, wie diese Cluster aussehen könnten. Zuletzt allerdings distanzierte er sich wieder von der Idee, womit der flexible „Netzwerkansatz“ nun wahrscheinlicher wird – selbst wenn derzeit gar nicht so ganz klar ist, wie dieser eigentlich genau funktionieren soll. Und die Befürchtung steigt, dass die Zuständigkeiten in der neuen Kommission ebenso zersplittert und die Verantwortlichkeiten in der Öffentlichkeit ebenso unklar bleiben werden, wie sie es auch in der Vergangenheit gewesen sind.


Bild: By Sebastiaan ter Burg [CC BY-SA 2.0], via Flickr.

1 Kommentar:

  1. Jetzt habe ich mal zusammen, wie ich mir das Verfahren zur Wahl des Kommissionspräsidenten und der Kommission in groben Züge vorstelle.

    http://www.mister-ede.de/politik/reform-wahl-eu-kommission/2936

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