- „Die europäische Parteienfinanzierung sollte die Parteiendemokratie auf europäischer Ebene stärken. Doch die Ausgestaltung der Förderregeln behindert die Entwicklung eines kompetitiven und responsiven Parteiensystems.“
In der Europäischen Union gibt es keine echten politischen Parteien und kein echtes Parteiensystem: Mit dieser Analyse haben Akademiker:innen und Beobachter:innen der europäischen Politik das Demokratiedefizit der EU erklärt. Auch die EU-Institutionen selbst nahmen sich dies zu Herzen und unternahmen im Laufe der Jahre mehrere Versuche, dieses Defizit zu beheben.
Eine dieser Maßnahmen war die Einführung von direkten finanziellen Zuschüssen für politische Parteien auf europäischer Ebene. Durch die Gewährung öffentlicher Mittel, so die Idee, sollten die europäischen Parteien in die Lage versetzt werden, ihren „Verfassungsauftrag“ nach Art. 10 (4) EUV zu erfüllen. Dort heißt es, dass die europäischen Parteien „zur Herausbildung eines europäischen politischen Bewusstseins und zum Ausdruck des Willens der Bürgerinnen und Bürger der Union“ beitragen. Wie in den meisten Mitgliedstaaten sollte die staatliche Parteienfinanzierung mithelfen, dies zu ermöglichen. Seit Beginn der öffentlichen Förderung im Jahr 2003 wurden von den EU-Institutionen mehr als 550 Millionen Euro für die europäischen politischen Parteien und deren jeweilige politische Stiftungen bereitgestellt.
Ein reformbedürftiger Rechtsrahmen
Mit Beginn der EU-Parteienfinanzierung wurden auch Vorschriften eingeführt, die die Verwendung dieser staatlichen Zuschüsse regeln. Ein solcher Regelungsrahmen setzt eine Reihe von Anreizen und Beschränkungen für die Verwendung der Gelder und kann folglich die Beziehungen zwischen den verschiedenen europäischen Parteien und ihre interne Organisation beeinflussen. Im Jahr 2021 haben die EU-Institutionen begonnen, über eine Überarbeitung dieser Finanzierungsregeln zu diskutieren. Ein neuer Regelungsrahmen soll bis zur nächsten Europawahl im Jahr 2024 in Kraft sein.
Und in der Tat sind die Regeln reformbedürftig. Vor allem in zweierlei Hinsicht trägt der derzeitige Regelungsrahmen nicht zur Stärkung der Parteiendemokratie in der EU bei. Erstens behindert er den Wettbewerb zwischen europäischen Parteien, weil er den Eintritt neuer Parteien sehr erschwert. Zweitens bietet er keine Anreize für eine stärkere Beteiligung der Bürger:innen in den Europarteien und trägt so dazu bei, ihren Status als bloße Dachorganisationen nationaler Mitgliedsparteien zu festigen.
Wettbewerb im europäischen Parteiensystem
Damit ein Parteiensystem wirklich repräsentativ sein kann, ist es wichtig, dass die Regeln ein Gleichgewicht zwischen der Begünstigung bestehender Parteien und der Schaffung angemessener Bedingungen für den Eintritt neuer politischer Parteien herstellen. Ein Regierungssystem, das hauptsächlich die etablierten (größeren) Parteien begünstigt und neuen politischen Wettbewerbern nicht offensteht, verringert den Parteienwettbewerb und die Responsivität des Parteiensystems und beschädigt so dessen demokratische Qualität. Die Finanzierungsvorschriften für europäische Parteien sorgen für eine eingeschränkte Reaktionsfähigkeit des europäischen Parteiensystems, da sie bestehende Parteien begünstigen und unangemessen hohe Schwellen für neue politische Kräfte festlegen, sowohl in Bezug auf die Registrierung, die Finanzierung als auch administrative Anforderungen.
Die Hürde, um offiziell als europäische Partei registriert zu werden, ist sehr hoch. Einige der Bedingungen sind recht einfach: Eine europäische Partei muss eine gemeinnützige Organisation sein, ihren Sitz in einem der EU-Mitgliedstaaten haben, an Europawahlen teilnehmen und die Grundwerte der EU achten. Obwohl das letztgenannte Kriterium schwer zu überprüfen sein kann, sollte es für die meisten neuen politischen Kräfte kein Problem darstellen. Andere Anforderungen sind jedoch erhebliche Hindernisse für neue Parteien, sich auf europäischer Ebene zu etablieren.
Parlamentarische Vertretung als Zulassungsvoraussetzung
Eine Zulassungsvoraussetzung ist nämlich auch, dass europäische Parteien breit genug repräsentiert sein sollen, um als „wirklich transnational“ gelten zu können. Hierfür muss eine Partei in einem Viertel der Mitgliedstaaten vertreten sein (derzeit also in 7 von 27). Diese Regelung war von Anfang an Teil des Finanzierungsregimes und wurde hauptsächlich eingeführt, um rechtsradikalen Parteien den Zugang zu EU-Geldern zu verwehren. In dieser Hinsicht blieb sie zwar erfolglos. Sie hinderte aber mehrere neue transnationale Organisationen – wie Volt Europe, DiEM25 oder die Europäische Piratenpartei – effektiv daran, offiziell als europäische Parteien anerkannt zu werden.
Das Hauptproblem ist dabei die Art und Weise, wie diese Bedingung operationalisiert wird: nämlich als parlamentarische Repräsentation. Nur eine europäische Partei, die bei europäischen, nationalen oder regionalen Wahlen in sieben Mitgliedstaaten Sitze gewonnen hat – oder mindestens 3 Prozent der Stimmen erhalten hat –, kann offiziell registriert werden. Mit anderen Worten: Europäische Parteien können nur registriert werden, nachdem sie an Wahlen teilgenommen haben. Auch die Finanzierungsregeln betrachten das europäische Parteiensystem in dieser Hinsicht also als bloße Summe von nationalen Parteien ohne einen eigenen Mehrwert. Für neue politische Kräfte stellt das Repräsentanzkriterium eine erhebliche Hürde dar, um überhaupt offiziell als europäische Partei registriert zu werden.
Finanzierungsregeln begünstigen große Parteien
In ähnlicher Form begünstigen auch die Regeln für den Zugang zu und die Verteilung von Finanzmitteln die großen etablierten Parteien gegenüber kleineren Parteien und politischen Newcomern. Die Voraussetzungen für den Erhalt europäischer Fördermittel sind identisch mit den Registrierungsbedingungen, mit dem einzigen Zusatz, dass eine europäische Partei auch mindestens eine:n Europaabgeordneten stellen muss. Folglich ist die Schwelle für den Erhalt staatlicher Unterstützung für neue Parteien sehr hoch; außerparlamentarischen Parteien wird die Finanzierung de facto verweigert.
Auch der Verteilungsschlüssel für die Finanzierung kommt in erster Linie den größeren Parteien zugute: Jedes Jahr wird eine Gesamtsumme für die europäische Parteienfinanzierung festgelegt. Diese Gesamtsumme wird anschließend auf die finanzierungsberechtigten Parteien verteilt, wobei allerdings nur 10 Prozent der Summe zu gleichen Teilen und 90 Prozent im Verhältnis zur Anzahl der Europaabgeordneten der Partei vergeben werden. Dies begünstigt eindeutig die größeren Parteien.
Wachsende Verwaltungslast
Darüber hinaus haben verschiedene Reformen der Finanzierungsvorschriften den Verwaltungsaufwand für die europäischen Parteien im Lauf der Zeit erheblich erhöht. Sie stellen heute höhere Anforderungen an die Berichterstattung und Buchführung, verlangen die Einhaltung längerer und intensiverer Verfahren und schreiben die Vorlage von mehr Dokumenten vor.
Diese neuen Maßnahmen haben die Kontrolle und – in geringerem Maße – die Transparenz des Finanzsystems verbessert. Sie verlangen den Parteien aber auch erheblich mehr Verwaltungskapazität ab, so dass sie wie ein kleines oder mittleres Unternehmen arbeiten und/oder bestimmte Aufgaben an spezialisierte Firmen auslagern müssen. Diese neuen administrativen Anforderungen haben selbst die größeren Parteien vor Herausforderungen gestellt. Für kleinere Parteien und Newcomer stellen sie auf jeden Fall eine bedeutende praktische Hürde dar.
Fehlende Bürgerbeteiligung
Regulierungssysteme prägen auch die interne Organisation politischer Parteien und können so Anreize oder sogar Verpflichtungen für eine aktive Beteiligung von Parteimitgliedern oder anderen Bürger:innen an den Parteitätigkeiten schaffen. Für europäische Parteien wäre dies besonders wichtig, da sie ja die Kluft zwischen den EU-Institutionen und den europäischen Bürger:innen überbrücken sollen. Die Finanzierungsvorschriften enthalten jedoch kaum Bestimmungen, die die europäischen Parteien dazu veranlassen würden, Partizipationsmöglichkeiten der Bürger:innen zu stärken.
Wie schon erwähnt, muss eine europäische Partei für ihre Zulassung in einem Viertel der Mitgliedstaaten „repräsentiert“ sein. Diese Repräsentation bezieht sich jedoch nur auf die Mitgliedsparteien – die Anzahl der Einzelmitglieder ist in keiner Weise relevant. Selbst eine europäische politische Partei, die über ihre Europaabgeordneten hinaus überhaupt keine Einzelmitglieder hat, könnte Anspruch auf EU-Finanzierung erhalten.
Auf der anderen Seite enthalten die Förderbedingungen durchaus einen Anreiz für die europäischen Parteien, ihre finanzielle Bindung an die Gesellschaft zu stärken: Parteien erhalten nur dann europäische Fördermittel, wenn sie mindestens 10 Prozent ihrer Eigenmittel durch Spenden, Mitgliedsbeiträge oder andere Einnahmen erwirtschaften. Dies könnte genutzt werden, um einzelne Bürger:innen als Spender:innen in die europäische Parteiorganisationen einzubringen. In der Praxis werden die meisten dieser Eigenmittel allerdings in Form von Beiträgen der nationalen Mitgliedsparteien aufgebracht.
Keine Vorschriften zur parteiinternen Demokratie
Ein weiterer Punkt: Während der EU-Rechtsrahmen detaillierte Bestimmungen für die Verwaltungs- und Finanzorganisation und die Rolle der Führungsgremien europäischer Parteien enthält, sind die Vorschriften in Bezug auf individuelle Mitgliedschaftsrechte sehr viel unklarer. Die Vorschriften überlassen den Parteien hier ein hohes Maß an Freiheit: Es gibt keine verbindlichen Bestimmungen zur parteiinternen Demokratie oder zur Beteiligung von Einzelbürger:innen.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass die europäischen Parteien bis heute größtenteils Dachorganisationen ihrer nationalen Mitgliedsparteien geblieben sind. Die meisten dieser europäischen Parteien haben mehr Mitgliedsparteien als Einzelmitglieder. Nur die liberale ALDE-Partei hat mit über 1000 Personen eine nennenswerte Basis von Individualmitgliedern. Dies sind jedoch weit weniger als bei jüngeren transnationalen Bewegungen wie Volt Europe oder DiEM25 – obwohl diese beiden Organisationen weit davon entfernt sind, die Voraussetzungen zu erfüllen, um überhaupt als europäische Partei registriert zu werden.
Die aktuellen Reformvorschläge genügen nicht
Insgesamt wird deutlich: Die Einführung einer europäischen Parteienfinanzierung hatte zwar den Anspruch, die Parteiendemokratie auf europäischer Ebene zu stärken. Doch die Ausgestaltung der Förderregeln behindert die Entwicklung eines kompetitiven und responsiven Parteiensystems und setzt keine Anreize für eine stärkere Einbindung der europäischen Bürger:innen in das EU-Parteileben.
Die laufenden Debatten in den EU-Institutionen zur Reform der Förderregeln tragen wenig dazu bei, um diese Situation zu entschärfen: Es wurden keine Versuche unternommen, die Zulassungskriterien oder die Förderbestimmungen wesentlich zu ändern, um den Parteienwettbewerb zu verbessern oder Parteien zu einer stärkeren Einbeziehung der Bürger:innen anzuregen. Der Vorschlag der Europäischen Kommission würde die Verwaltungslasten sogar noch erhöhen, indem er die europäischen Parteien verpflichtet, Bestimmungen zur Geschlechtervertretung, zu Logos und politischen Programmen sowie zu politischer Werbung in ihre Satzungen aufzunehmen. Die Beteiligung von Bürger:innen kommt in den Diskussionen derzeit überhaupt nicht vor.
Anreize für eine Parteipolitik von unten
Gezielte Änderungen des Rechtsrahmens könnten jedoch einen wichtigen Anreiz für mehr Initiativen von unten bieten. Anstatt nur von der parlamentarischen Vertretung ihrer Mitgliedsparteien könnte die Zulassung europäischer Parteien zum Beispiel auch davon abhängig gemacht werden, dass sie über genügend Einzelmitglieder verfügen oder – analog zur Europäischen Bürgerinitiative – in einem Viertel der Mitgliedstaaten eine bestimmte Anzahl an Unterschriften sammeln.
Zudem könnte die Höhe der finanziellen Förderung teilweise von der individuellen Mitgliederbasis abhängig gemacht werden, oder europäische Parteien könnten Zuschüsse für Projekte erhalten, die speziell darauf abzielen, Bürger:innen in ihre interne Entscheidungsfindung einzubeziehen. Auch wenn die Reichweite solcher Maßnahmen begrenzt bliebe, könnten sie wenigstens einen Ansatzpunkt für eine stärkere Beteiligung der Öffentlichkeit in die Parteipolitik auf europäischer Ebene bieten.
Wouter Wolfs ist Politikwissenschaftler am Public Governance Institute der Universität Leuven und Senior Researcher der flämischen Forschungsstiftung (Fonds voor Wetenschappelijk Onderzoek – Vlaanderen). Als Re:constitution Fellow arbeitet er zur Regulierung europäischer Parteien und zu Europawahlen. |
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Ludvig Norman ist Associate Professor für Politikwissenschaft an der Universität Stockholm und Senior Fellow des UC Berkeley Institute of European Studies.
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Dieser Beitrag basiert auf unserem Artikel „Is the Governance of Europe’s Transnational Party System Contributing to EU Democracy?“, der kürzlich im Journal of Common Market Studies (Heft 60.2, 2022, S. 463-479) erschienen ist.
Bilder: Farbige MdEP-Figuren (im Parlamentarium in Brüssel): Ulkoministeriön Eurooppatiedotus, CC BY-NC 2.0, via Flickr; Porträts Wouter Wolfs, Ludvig Norman: privat [alle Rechte vorbehalten].
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