- Die Europäische Zentralbank könnte die Regierungen der Eurozone retten – hätte aber lieber, dass diese das selbst tun, zum Beispiel mithilfe von Eurobonds.
Das kam nicht wirklich überraschend,
auch wenn die Ratingagentur Moodyʼs noch ein wenig nachhelfen
musste: Wenige Tage nach dem neuesten Beschluss des Europäischen
Rates rutschen die globalen Aktienkurse wieder einmal ab,
während die Zinsen für italienische Staatsanleihen sich wieder
bedrohlich in Richtung 7 Prozent begeben. Und warum auch nicht?
Schließlich enthielt die am Freitag beschlossene Vertragsreform zwar
viele langfristige Austeritätsversprechen, aber praktisch keinen
einzigen Lösungsvorschlag, der auch in der akuten Krise weiterhelfen
würde. Die einzige Verbesserung ist, dass für die Aktivierung des
Europäischen Stabilitätsmechanismus nun statt der Einstimmigkeit
eine 85-Prozent-Mehrheit genügen soll, sodass kein einzelner Staat
mehr ein Veto dagegen einlegen kann.(*) Aber auch wenn das womöglich
genügt, um ein neues deutsches Grundgesetz erforderlich zu machen –
zur Bewältigung der Euro-Krise ist der ESM einfach zu klein, und das
ist eigentlich auch schon seit mehreren Wochen allen Beteiligten
klar.
Wenn man von umfassenden Lösungen wie
einer echten Fiskalunion durch den Ausbau des EU-Haushalts und die
Etablierung automatischer Stabilisatoren auf europäischer
Ebene einmal absieht und sich auf das beschränkt, was der Europäische Rat wenigstens zu diskutieren bereit ist, scheint es derzeit nur zwei Möglichkeiten zu
geben, um dem Grauen ein Ende zu bereiten: Die eine Option sind
Eurobonds, also gemeinsame Staatsanleihen der Mitgliedstaaten, für
die sich auf dem Gipfel neben den Regierungen Italiens und Luxemburgs
auch Ratspräsident Herman van Rompuy aussprach. Deutschland und
Frankreich verweigerten sich diesem Vorschlag jedoch, sodass nun
lediglich beschlossen wurde, auf dem Gipfel im nächsten Juni noch
einmal darüber zu reden. Die andere Option sind massive Aufkäufe
der Anleihen von Krisenstaaten durch die Europäische
Zentralbank, die dadurch zum lender
of last resort würde.
Auch dies wird traditionell von Deutschland abgelehnt, während zum
Beispiel Spanien und Frankreich recht offen dafür sind. Aufgrund der Unabhängigkeit
der EZB hat der Europäische Rat hier aber ohnehin nicht viel zu
sagen: Die Zentralbank entscheidet selbst, ob und wie stark sie
interveniert.
Die paradoxe Situation ist nun, dass
die EZB selbst eine Rolle als lender of last resort
ablehnt und die Verantwortung für die Staatsfinanzierung gerne im
politischen System belassen würde – wie dies durch Eurobonds der
Fall wäre, die die Zentralbank nach langem Zögern nun wohl als das
kleinere Übel bevorzugen würde. Umgekehrt hingegen scheinen die
deutschen Eurobonds-Gegner insgeheim darauf zu hoffen, dass die EZB
jetzt aktiv wird und ihnen damit die Last einer politischen
Entscheidung abnimmt: Merkel und Seehofer könnten dann noch ein
wenig über die verantwortungslosen Zentralbanker schimpfen, aber
immerhin müsste die Bundesregierung im Europäischen Rat keinen
weiteren Maßnahmen mehr zustimmen, die den Parteiprogrammen von CDU
und CSU widersprechen.
Deutschland zum Handeln zwingen
Es
wird interessant zu beobachten sein, wie die Zentralbank darauf
reagiert. Falls sie nun dazu überginge, in großem Stil Staatsanleihen der
überschuldeten Staaten zu kaufen, würde sie jedenfalls das Überleben der Eurozone sichern und die Krise beenden. Zugleich würde sie damit aber einen Präzedenzfall setzen – man würde dann
künftig immer wieder von ihr erwarten, dass sie in
Staatsschuldenkrisen einspringt, um Rezession und Arbeitslosigkeit zu
verhindern. Damit käme die EZB genau in die Rolle, die sie mit gutem Grund immer
abgelehnt hat.
Auf der anderen Seite gibt es die Hoffnung auf nächsten
Juni: Falls die wirtschaftlichen Probleme sich im Lauf der nächsten Monate noch
verschlimmern, wird vielleicht auch Deutschland endlich seine Blockadehaltung aufgeben und Eurobonds akzeptieren. Um das zu erreichen, müsste die EZB den Druck auf die Regierungen steigern, indem sie hart bleibt und die Krise noch ein halbes Jahr auf niedriger Flamme kochen lässt. Nur
begibt sie sich damit auf einen schmalen Grat: Denn wenn sie überhaupt nicht handelt, dann droht immer noch der Staatsbankrott
Italiens, der wohl unvermeidlich einen Zerfall der Währungsunion
nach sich ziehen würde. Die EZB muss also genügend Staatsanleihen
aufkaufen, um einen sofortigen Kollaps der Eurozone zu verhindern,
aber zugleich doch so wenige, dass niemand auf die Idee kommt, dass
das Schlimmste bereits überstanden sei. Die Märkte müssen nervös sein, dürfen aber nicht in Panik ausbrechen. Die Katastrophe darf nicht stattfinden, aber die Angst davor muss bleiben. Nur dann besteht die Chance, dass der Europäische Rat sich zuletzt doch noch auf eine echte politische Lösung für die Krise einigt.
Man darf gespannt sein, ob die Zentralbank sich wirklich auf ein so riskantes Spiel einlässt und ob sie es dann auch erfolgreich zu Ende bringt. Erst einmal aber hat sie ihre Anleihenkäufe nach dem Gipfel jedenfalls stark zurückgefahren. Fasten your seatbelts, itʼs going to be a bumpy year.
Man darf gespannt sein, ob die Zentralbank sich wirklich auf ein so riskantes Spiel einlässt und ob sie es dann auch erfolgreich zu Ende bringt. Erst einmal aber hat sie ihre Anleihenkäufe nach dem Gipfel jedenfalls stark zurückgefahren. Fasten your seatbelts, itʼs going to be a bumpy year.
(*) Update/Korrektur: Da die Stimmen der Mitgliedstaaten im ESM-Rat nicht alle gleich viel gelten, sondern nach Kapitaleinlagen gewichtet werden, hat auch bei Mehrheitsentscheidungen jeder Staat mit einem Kapitalanteil von mehr als 15 Prozent allein eine Sperrminorität und damit ein faktisches Vetorecht. Dies gilt für Deutschland, Frankreich und Italien.
Bild: ArcCan (Own work) [CC-BY-SA-3.0 or GFDL], via Wikimedia Commons.
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