Die
Namen ihrer nationalen Mitgliedsverbände können ein Indiz für den
inneren Zusammenhalt der europäischen Parteien sein: Treten sie in
allen EU-Ländern unter ähnlichen Bezeichnungen auf und suchen so
den symbolischen Schulterschluss? Oder folgen sie jeweils nationalen
Benennungstraditionen? Heute: Die Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa. (Zum Anfang der Serie.)
- Auf europäischer Ebene beschränkt sich die ALDE auf zwei große Schlagwörter. National ist ihr Namensspektrum bunter.
Die
Allianz
der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) trägt ihren
heutigen Namen erst seit wenigen Jahren. Ursprünglich als
Europäische
Liberale, Demokratische und Reformpartei (ELDR) gegründet, bildete sie im Europäischen Parlament zusammen mit der kleineren Europäischen Demokratischen Partei (EDP)
eine Fraktionsgemeinschaft
unter
der
Bezeichnung ALDE.
Im
Lauf der Zeit verlor
die EDP jedoch immer mehr an Bedeutung: Obwohl sie formal bis
heute zwei getrennte Parteien sind, wurde
die gemeinsame Fraktion zunehmend
von der ELDR dominiert. Diese schleichende Übernahme gipfelte 2012 schließlich darin, dass die
ELDR sich
auch selbst in ALDE umbenannte.
Außer
der symbolischen Marginalisierung der
EDP brachte diese Umbenennung für die ALDE den Vorteil
einer leicht auszusprechenden Abkürzung – und die Konzentration
auf zwei politische Schlagwörter, „liberal“ und „demokratisch“,
die auch viele ihrer rund
30 nationalen Mitgliedsparteien in EU-Ländern in ihrer
Selbstbezeichnung verwenden.
Liberale,
Demokraten, Liberaldemokraten
So
findet sich der Begriff „liberal“ (oder „frei“) in fast der
Hälfte der nationalen ALDE-Parteinamen: von der schwedischen
Folkpartiet liberalerna (FP,
„Volkspartei Die Liberalen“) über
die Lietuvos
Respublikos liberalų sąjūdis (LRLS,
„Bewegung der Liberalen der Litauischen Republik“) bis
zur bulgarischen Dviženie
sa Prawa i Swobodi (DPS,
„Bewegung für Rechte und Freiheiten“). Als
„demokratisch“ wiederum bezeichnen sich etwa die niederländischen
Democraten
66 (D66,
„Demokraten 66“), die luxemburgische Demokratesch
Partei (DP,
„Demokratische Partei“) oder die zyprischen Enomeni
Dimokrates (ED,
„Vereinigte Demokraten“).
Besonders
beliebt aber ist die Kombination beider
Begriffe – etwa
bei der deutschen Freien
Demokratischen Partei (FDP),
der niederländischen Volkspartij
voor Vrijheid en Democratie (VVD,
„Volkspartei für Freiheit und Demokratie“), den britischen
Liberal
Democrats (LibDem,
„Liberaldemokraten“) oder
den Open
Vlaamse Liberalen en Democraten (OpenVLD,
„Offene Flämische Liberale und Demokraten“).
Die
verschiedenen Konnotationen von „liberal“
Dass
die Selbstbezeichnung als „liberal“ unter den ALDE-Parteien so verbreitet ist, ist auch deshalb interessant, weil es sich dabei eigentlich um einen je
nach Land und Sprache sehr unterschiedlich konnotierten Begriff
handelt. In den USA zum
Beispiel versteht
man unter diesem Schlagwort eine Position links der Mitte,
die auch mit der
Forderung nach einem größeren Sozialstaat einhergeht.
In
Frankreich
wiederum wird
„liberal“ fast
nur noch als Schimpfwort für marktradikale
Positionen gebraucht – was auch ein Grund dafür sein mag, dass die
ALDE bis heute keine französische Mitgliedspartei hat: Das Mouvement
Démocrate (MoDem,
„Demokratische Bewegung“) und
die Union
des Démocrates et Indépendants (UDI,
„Union der Demokraten und Unabhängigen“) verbleiben
beide in der EDP.
Historische
Parteinamen mit klärendem
Zusatz
Innerhalb
der ALDE
jedoch
scheint „liberal“ ein
eindeutig
positiv
besetzter Begriff
zu sein, von
dem man sich auch grenzüberschreitend einen gewissen
Wiedererkennungswert verspricht. Dies
lässt sich besonders gut an ihrer
größten dänischen
Mitgliedspartei ersehen,
die
aus
historischen Gründen den
Namen
Venstre
(V,
„Die Linke“) trägt.
Ursprung
dieser Bezeichnung
ist
das dänische Parteiensystem des 19. Jahrhunderts, in
dem die Liberalen
die „linke“ Alternative zu den Konservativen bildeten. Im
heutigen
Europa freilich
ist
der Name
mindestens missverständlich – und
so nutzt
die Venstre
seit
einiger Zeit die Zusatzbezeichnung Danmarks
Liberale Parti („Dänemarks
Liberale Partei“), unter
der sie auch in
den internationalen Medien bekannt
ist.
Dieselbe
Strategie wendet
auch
die zweite dänische ALDE-Mitgliedspartei an: Die
Radikale
Venstre (RV,
„Radikale Linke“) definiert
sich heute durch
die
Ergänzung
Danmarks
social-liberale parti („Dänemarks
Sozialliberale Partei“). Die
litauische
Darbo
Partija (DP,
„Arbeitspartei“)
hingegen
verzichtet auf mögliche klärende Zusätze –
obwohl
man auch ihren
Namen eher bei einem Mitglied
der Sozialdemokratischen Partei Europas als bei der ALDE erwarten würde.
Reformer
und Zentristen
„Liberal“
und „demokratisch“ sind allerdings nicht die einzigen
Schlüsselwörter, auf die die ALDE-Mitglieder bei ihrer Namenswahl
zurückgreifen. Auch auf europäischer Ebene bezeichnete
sich die Partei ja noch
bis 2012 als Liberale,
Demokratische und Reformpartei.
Dieses
Begriffsfeld
um
„Reform“,
„Fortschritt“
und
„Erneuerung“
ist
auch
unter den nationalen Mitgliedsparteien recht verbreitet. Beispiele
hierfür sind das belgische Mouvement
Réformateur (MR,
„Reformbewegung“) oder die Eesti
Reformierakond (RE,
„Estnische Reformpartei“), aber
unter
anderem auch
Latvijas
attīstībai
(LA,
„Für Lettlands Entwicklung“) oder
Das
Neue Österreich (NEOS).
Ein
weiterer Schlüsselbegriff vor allem in den Namen der
nordeuropäischen ALDE-Mitgliedern ist auch das „Zentrum“: etwa
die schwedische Centerpartiet (C, „Zentrumspartei“),
Suomen Keskusta (Kesk., „Finnisches Zentrum“) oder die
Eesti Keskerakond (KE, „Estnische Zentrumspartei“). Meist
gehen diese nordischen Zentrumsparteien auf frühere Bauernparteien
zurück, die sich selbst in der politischen Mitte zwischen den
konservativen Eliten und der sozialdemokratischen Arbeiterschaft
verorteten. Erst in jüngerer Zeit übernahmen sie zunehmend
wirtschaftsliberale Positionen.
Jenseits
der nordischen Staaten tragen ALDE-Parteien das „Zentrum“
hingegen nur selten im Namen; in der Regel sind es sonst
Mitglieder
der Europäischen Volkspartei,
die auf
diese Weise die politische Mitte für sich beanspruchen. Eine
Ausnahme bildet
die
slowenische
ALDE-Mitgliedspartei
Stranka
Modernega Centra (SMC,
„Partei des modernen Zentrums“), deren
Name
sowohl auf
das „Zentrum“ als auch auf das Begriffsfeld
„Erneuerung / Modernität“
verweist.
Parteien,
die nach ihrem Gründer benannt sind
Interessanterweise
nahm die SMC diese neue Bezeichnung übrigens erst im März 2015 an;
und dass sie dabei auf diese Schlüsselbegriffe zurückgriff, liegt
in erster Linie daran, dass sie gut zu den Initialen ihres früheren
Namens passen. Als die Partei im Juni 2014 gegründet wurde – einen
Monat vor der slowenischen Parlamentswahl, bei der sie aus dem Stand
stärkste Kraft wurde –, hieß sie nämlich noch schlicht nach
ihrem Gründer und Spitzenkandidaten Stranka Mira Cerarja (SMC,
„Partei von Miro Cerar“).
Ganz
ähnlich ist auch die
Namensgeschichte des bulgarischen ALDE-Mitglieds NDSV.
Gegründet wurde sie kurz
vor der bulgarischen Parlamentswahl 2001
von Simeon Sakskoburggotski,
der bis 1946 als Simeon II.
der letzte bulgarische
Monarch gewesen
war, unter
der Bezeichnung Nacionalno Dviženie Simeon
Vtori („Nationale Bewegung
Simeon der Zweite“). Nach
einem Erdrutschsieg der
NDSV bei
der Wahl 2001 regierte
Sakskoburggotski bis
2005 als
Ministerpräsident. Nach
seinem Rücktritt benannte
sich die Partei 2007
dann um,
ohne aber
ihre alten
Initialen NDSV aufzugeben:
Heute heißt sie
Nacionalno Dviženie za Stabilnost
i Văzhod
(„Nationale Bewegung für
Stabilität und Aufschwung“).
Auch
die
1998 gegründete italienische
ALDE-Mitgliedspartei
firmierte
lange
Zeit nach
ihrem Gründer
Antonio
Di Pietro als
Italia
dei Valori – Lista Di Pietro (IdV,
„Italien
der Werte – Liste Di Pietro“); sie
ließ
den Zusatz allerdings fallen, als Di Pietro 2014 aus
der Partei
austrat.
Das
2014
gegründete slowenische
Zavezništvo
Alenke Bratušek (ZaAB,
„Bündnis von Alenka Bratušek“), das
ebenfalls zur ALDE gehört,
trägt
den
Namen der Parteichefin hingegen
bis heute.
In
den letzten Jahren wird das Spektrum bunter
Vor
allem in den letzten Jahren traten der ALDE noch
eine Reihe von weiteren Parteien bei, deren Namen ebenfalls keinerlei
Beziehung zu den Begriffsfeldern „Liberalismus“, „Demokratie“,
„Reform“ oder „Zentrum“ erkennen lassen: 2009 etwa die
irische Fianna
Fáil (FF,
„Kämpfer des Schicksals“), 2013
die griechische Drassi
(„Aktion“),
2014
die tschechische Akce
Nespokojených Občanů (ANO,
„Aktion Unzufriedener Bürger“) und
der
portugiesische Partido
da Terra (MPT,
„Partei der Erde“).
Diese
neue Buntheit im
Spektrum ihrer
nationalen Parteinamen spiegelt auch eine politische Strategie der ALDE wider: Um auf europäischer Ebene an Einfluss
zu gewinnen, versucht sie offenbar,
in möglichst vielen Mitgliedstaaten vertreten
zu sein – auch
wenn das bedeutet, Mitgliedsparteien aufzunehmen, die nicht unbedingt
das klassisch liberale Milieu repräsentieren oder die erst vor sehr kurzer Zeit gegründet wurden und
deren künftige Entwicklung noch offen ist.
Letztlich wird die ALDE damit zunehmend zu einer Art Sammlungspartei
der politischen Mitte: in der Regel proeuropäisch, unternehmerfreundlich und
gesellschaftspolitisch
progressiv, aber ohne dass eines
dieser Kriterien (oder gar das
Bekenntnis zu bestimmten
Begrifflichkeiten
bei der Namenswahl) für
die Mitgliedschaft wirklich unverzichtbar wäre.
Aber natürlich gibt es auch den Gegentrend: Wie in dem Auftakt-Artikel dieser Serie beschrieben, gehört die ALDE zu jenen europäischen Parteien, deren Name und Initialen in den letzten Monaten als Vorbild für eine nationale Parteineugründung dienten – in diesem Fall die rumänische Alianța Liberalilor și Democraților (ALDE, „Allianz der Liberalen und Demokraten“). Ob dieses Muster Schule macht, wird sich zeigen. Aber letztlich könnte es durchaus sein, dass die wachsende Sichtbarkeit der ALDE auf europäischer Ebene auch bei der Namenswahl nationaler Parteien dem Begriffspaar „liberal“ und „demokratisch“ zu neuer Popularität verhilft.
Aber natürlich gibt es auch den Gegentrend: Wie in dem Auftakt-Artikel dieser Serie beschrieben, gehört die ALDE zu jenen europäischen Parteien, deren Name und Initialen in den letzten Monaten als Vorbild für eine nationale Parteineugründung dienten – in diesem Fall die rumänische Alianța Liberalilor și Democraților (ALDE, „Allianz der Liberalen und Demokraten“). Ob dieses Muster Schule macht, wird sich zeigen. Aber letztlich könnte es durchaus sein, dass die wachsende Sichtbarkeit der ALDE auf europäischer Ebene auch bei der Namenswahl nationaler Parteien dem Begriffspaar „liberal“ und „demokratisch“ zu neuer Popularität verhilft.
Die europäischen Parteien und ihre nationalen Namen
1: Auftakt
2: Europäische Volkspartei
3: Sozialdemokratische Partei Europas
4: Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa
5: Partei der Europäischen Linken
6: Europäische Grüne Partei
7: Europäische Freie Allianz
1: Auftakt
2: Europäische Volkspartei
3: Sozialdemokratische Partei Europas
4: Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa
5: Partei der Europäischen Linken
6: Europäische Grüne Partei
7: Europäische Freie Allianz
Bild: By European Parliament [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.
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