- Vor der Wahl des Generalsekretärs wird die UN-Generalversammlung künftig mit den Kandidaten sprechen. Das ist ein Fortschritt.
Am
heutigen Freitag beginnt in New
York das dreitägige Gipfeltreffen, auf dem die UN-Generalversammlung die
neuen „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (besser bekannt als Sustainable Development Goals, kurz
SDGs) beschließen will. Die 17 Ziele lösen die im
Jahr 2000 beschlossenen „Millennium-Entwicklungsziele“ (MDGs) ab und bilden so
etwas wie die wirtschafts-, umwelt- und gesellschaftspolitische Agenda der
Vereinten Nationen bis 2030. Ihre Ausarbeitung dauerte fast drei Jahre und
umfasste erstmals auch vorsichtige
Ansätze einer globalen Bürgerbeteiligung. Im Einzelnen reichen sie vom „Ende der
Armut“ über „bezahlbare und saubere Energie“ bis hin zur „Förderung von
gerechten, friedlichen und inklusiven Gesellschaften“.
Die
öffentlichen Reaktionen auf diese Vorhaben sind bislang allerdings eher
zwiegespalten. Einerseits wirkt das Pathos, mit dem die Vereinten Nationen für
das Jahr 2030 eine bessere Welt entwerfen, natürlich ansteckend: Wer möchte
nicht auch selbst daran glauben, dass die Menschheit sich hier aufmacht, um
endlich gemeinsam ihre größten Probleme zu überwinden?
Beliebig und
überambitioniert?
Andererseits
waren die SDGs zuletzt aber immer wieder auch das Objekt von teils scharfer
Kritik, wobei vor allem zwei Vorwürfe immer wieder zu hören sind. Zum einen
seien die nachhaltigen Entwicklungsziele allzu
detailliert und vielfältig: Die 17 Hauptziele sind noch einmal untergliedert
in nicht weniger als 169 Unterziele – die sich zudem womöglich nicht
miteinander vereinbaren lassen, da eine Umsetzung der wirtschaftlichen
Ziele mehr Ressourcen in Anspruch nehmen würde, als die Umsetzung der
umweltpolitischen Ziele erlaubt. Die fehlende Prioritätensetzung, so die
Kritik, führe zu einer Beliebigkeit, die die SDGs letztlich wirkungslos mache.
Der
zweite, damit verwandte Vorwurf ist die Überambitioniertheit
der Ziele.
Dass beispielsweise 2030 kein Mensch auf der Welt mehr Hunger leidet, Aids,
Tuberkulose und Malaria der Vergangenheit angehören sowie sämtliche Formen der
Diskriminierung von Frauen überwunden sind, klingt für viele Kritiker nach
purer Utopie. Und auch das Ziel von „effektiven, verantwortlichen und
transparenten Institutionen“ sowie „zugänglichen, inklusiven,
partizipatorischen und repräsentativen Entscheidungsprozessen auf allen Ebenen“
impliziert, wenn man es ernst nimmt, eine Demokratisierung der ganzen Welt –
die wir bei allem Optimismus wohl kaum in den nächsten fünfzehn Jahren
erreichen werden.
(Andere
Vorhaben sind demgegenüber bemerkenswert lax formuliert: So soll zum Beispiel
illegaler Waffenhandel nicht komplett unterbunden, sondern nur „erheblich
verringert“ werden. Das aber nur am Rande.)
Es fehlt an
Institutionen, um die Ziele wirklich durchzusetzen
Sind
die nachhaltigen Entwicklungsziele also bloße Rhetorik und von vorneherein zum
Scheitern verurteilt? Wenigstens zum Teil dürfte dieser Vorwurf durchaus
zutreffen. Dies liegt allerdings nur zum geringeren Teil daran, dass die
Erfüllung der SDGs tatsächlich unmöglich wäre. Wichtiger ist, dass schlicht die
politischen Institutionen fehlen, die entschlossen und in der Lage wären, sie tatsächlich
durchzusetzen.
Denn
am Ende liegt die Verantwortung für die Verwirklichung der gemeinsam gesetzten
Ziele natürlich bei den nationalen Regierungen der Mitgliedstaaten – und wie
die Erfahrung zeigt, neigen diese immer wieder dazu, im UN-Rahmen hochtrabende
Erklärungen abzugeben, die sie später nur sehr unzureichend in die Tat
umsetzen. Die Gründe dafür sind vielfältig und großenteils strukturell bedingt:
So sind die reichen Industrieländer von vielen der Probleme, die durch die SDGs
gelöst werden sollen, ohnehin weniger betroffen, und in vielen Entwicklungsstaaten
herrschen autoritäre, kleptokratische Regime, deren Politik nicht unbedingt den
besten Interessen ihrer Bürger folgt. Und wo es um teure Maßnahmen für den
Schutz globaler Gemeingüter wie das Klima oder saubere Ozeane geht, lassen
ohnehin alle Länder gerne den jeweils anderen den Vortritt.
Ändern
ließe sich dies natürlich, indem wir den Vereinten
Nationen selbst mehr politische Durchgriffsrechte übertragen. Davon aber
sind wir heute noch weit entfernt und werden es wohl auch 2030 noch sein.
Die
Millenniumsziele waren kein Misserfolg
Und
dennoch: Blickt man heute zurück auf die Vorgänger der SDGs, die vor fünfzehn
Jahren beschlossenen „Millenniums-Entwicklungsziele“ (MDGs), dann ist deren
Bilanz nicht vollkommen enttäuschend. Zwar wurden die konkreten Zielvorgaben,
die damals für das Jahr 2015 getroffen wurden, nur in einigen
Fällen wirklich erreicht, aber immerhin gab es fast überall enorme
Fortschritte.
Woran
das im Einzelnen liegt, ist umstritten. So zeigt eine Studie, dass die größten Fortschritte
in den Bereichen der MDGs bereits vor dem Jahr 2000 erreicht wurden – was dafür
spräche, dass die Millenniumsziele eher dazu dienten, eine ohnehin
stattfindende Entwicklung in Worte zu fassen, als dass sie der kausale Auslöser
für verstärkte politische Bemühungen der Mitgliedstaaten gewesen wären.
Dennoch
sind sich viele Experten
einig darin,
dass die MDGs jedenfalls eine gewisse diskursive Wirkmächtigkeit entwickelten.
Staaten, die ihre Politik an den Millenniumszielen ausrichteten, konnten ihre
internationale Reputation verbessern; und natürlich waren sie ein hilfreiches
Argument, wenn es darum ging, Finanzierungsmöglichkeiten für bestimmte Projekte
zu erschließen.
Der UN-Generalsekretär
kann den Zielen Sichtbarkeit verschaffen
Wenn wir diesen Effekt – das Prägen eines globalen Diskurses – als den zentralen Wirkmechanismus der Entwicklungsziele ansehen, dann ist es allerdings notwendig, dass diese auch in der
Öffentlichkeit eine möglichst große Sichtbarkeit gewinnen. Im Fall der MDGs
wurde dies unter anderem durch die Millenniumskampagne
vorangetrieben, die im Auftrag der Vereinten Nationen die Bevölkerung in
strategisch wichtigen Mitgliedstaaten für die Ziele sensibilisieren sollte.
Letztlich
aber zeigt sich an dieser Stelle auch die Bedeutung der zentralen UN-Organe selbst
– besonders die des Generalsekretärs, der wie kein anderer in den Augen der globalen
Öffentlichkeit die Vereinten Nationen insgesamt repräsentiert. Er wird deshalb von
den Medien auf der ganzen Welt als relevanter politischer Akteur wahrgenommen
und kann daher bis zu einem gewissen Grad auch selbst Themen setzen. Ein populärer
Generalsekretär, der entschlossen die nachhaltigen Entwicklungsziele als
Maßstab globalen politischen Handelns vorantreibt, wäre durchaus in der Lage, die
Öffentlichkeit zu mobilisieren und den globalen Diskurs zu prägen. Vorausgesetzt
jedenfalls, dass er selbst ein Mindestmaß an Charisma und öffentlicher
Ausstrahlung mitbringt.
Generalsekretäre
waren bis jetzt politisch meist eher blass
Wie
aber sind die Chancen, dass wir in den nächsten Jahren einen medienwirksamen UN-Generalsekretär
erleben werden? Hier ergibt sich nun eine Verbindung zu einem anderen Beschluss,
den die UN-Generalversammlung vor einigen Tagen verabschiedet hat – nämlich in
Bezug auf das Verfahren zur Wahl des neuen Generalsekretärs, der Ende 2016
ernannt werden und zum 1. Januar 2017 den jetzigen Amtsinhaber Ban Ki-moon
ablösen soll.
In
der Vergangenheit war dieses Verfahren immer vollkommen intransparent: Der
UN-Sicherheitsrat (genauer: die fünf Vetomächte USA, Russland, China,
Frankreich und Großbritannien) pflegten sich hinter verschlossenen Türen auf
einen Kandidaten zu einigen, der dann von der Generalversammlung ohne weitere
Diskussion abgenickt wurde. In der Praxis führte diese Wahlmethode in der Regel
dazu, dass die Generalsekretäre zwar geschickte Diplomaten, zugleich aber politisch
sehr blasse Persönlichkeiten waren. Ban Ki-moon selbst ist dafür ein gutes
Beispiel; sein charismatischer Vorgänger Kofi Annan hingegen ist eine eher zufällige
Ausnahme.
Ein neues
Wahlverfahren
In
den letzten Monaten erhoben deshalb mehrere globale NGOs im Rahmen der Kampagne
1for7billion
die Forderung, das Wahlverfahren des UN-Generalsekretärs zu überarbeiten (ich
habe hier
bereits ausführlich darüber berichtet). Durch einen klaren Zeitplan und
öffentliche Anhörungen der Kandidaten sollte das Verfahren transparenter und öffentlichkeitswirksamer
werden; außerdem sollte der Sicherheitsrat nicht nur einen, sondern mehrere
Kandidaten nominieren, um die eigentliche Entscheidung in die
Generalversammlung zu verlagern.
Diese
Forderungen wurden von
zahlreichen UN-Mitgliedstaaten unterstützt; sie stießen jedoch auf den
Widerstand der drei Großmächte USA, Russlands und Chinas, denen weder an einer
Machtverschiebung vom Sicherheitsrat in die Generalversammlung noch an einem
politisch gestärkten Generalsekretär gelegen ist. Dennoch verabschiedete
die Generalversammlung nun am 11. September eine Resolution (Wortlaut),
mit der sie einige – wenn auch nicht alle – Forderungen der NGOs umsetzt.
Eine „historische“
Resolution?
Im
Einzelnen soll die Ernennung des Generalsekretärs künftig nach einem im Voraus
klar benannten Verfahren ablaufen, bei dem interessierte Bewerber zunächst öffentlich
ihre Kandidatur erklären müssen. Anschließend soll es informelle Gespräche zwischen
der Generalversammlung und denjenigen Kandidaten geben, die daran interessiert
sind. Wie viele Kandidaten der Sicherheitsrat letztlich nominiert, bleibt ihm allerdings
weiter selbst überlassen.
Auch
wenn diese Resolution von der 1for7billion-Kampagne
als
„historisch“ begrüßt wurde, bleibt abzuwarten, wie groß ihre Auswirkungen tatsächlich
sein werden. Immerhin erhöht sie aber die Chance auf ein geregeltes Verfahren und
verringert die Wahrscheinlichkeit, dass der nächste Generalsekretär erst in
letzter Minute von den Großmächten aus dem Hut gezaubert wird. Damit ist sie jedenfalls
auch ein erster Schritt zu mehr Transparenz und könnte helfen, dem
UN-Generalsekretär ein wenig von der medialen Aufmerksamkeit zu verschaffen,
die er benötigt, um auch als politischer Akteur diskursive Wirkung zu entfalten
– und damit seinen Beitrag zu leisten, dass die Agenda der nachhaltigen
Entwicklungsziele am Ende mehr ist als nur geduldiges Papier.
Auf
dem globalen Entwicklungsgipfel in New York werden die Regierungschefs der ganzen
Erde in diesen Tagen beschließen, unsere Welt bis 2030 zu einem besseren Ort zu
machen. Im institutionellen System der UN aber ist es schon ein Fortschritt,
wenn künftig die Generalversammlung vor der Wahl des Generalsekretärs mit den
Kandidaten informelle Gespräche führt. Aber immerhin, es gibt diese
Fortschritte. Und wer weiß, wie weit sie uns bis 2030 bringen werden.
Bild: Public domain, via Wikimedia Commons.
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