07 Dezember 2015

In wie vielen EU-Ländern werden in drei Jahren rechte Parteien an der Regierung sein?

Wird Marine Le Pen (FN/BENF) Frankreichs nächste Präsidentin? Eher nicht.
Für die Parteien rechts der christdemokratischen Europäischen Volkspartei war 2015 ein erfolgreiches Jahr. Nachdem sie schon bei der Europawahl 2014 so gut abgeschnitten hatten wie nie zuvor, kletterten sie seit Januar 2015 in den Umfragen europaweit von einem Rekordhoch zum nächsten. Trotzdem: Selbst jetzt, inmitten von Flüchtlingskrise und Terrorismus-Angst, kämen rechtskonservative, nationalpopulistische und europaskeptische Parteien bei einer Europawahl allenfalls auf ein knappes Viertel der Sitze im Europäischen Parlament – weit entfernt von einer Mehrheit und überdies von den übrigen politischen Kräften weitgehend isoliert. Wirklichen Einfluss auf die Politik der EU können die Rechtsparteien deshalb nur über Erfolge in den Mitgliedstaaten und die nationalen Regierungen im Ministerrat erreichen.

Wie aber steht es um die Präsenz rechter Parteien in den nationalen Regierungen der EU? Und vor allem: Was werden die nächsten Jahre bringen?

Die drei europäischen Rechtsparteien

Zur Erinnerung: Derzeit gibt es rechts der Christdemokraten drei große europäische Parteien, von denen jede eine Fraktion im Europäischen Parlament hat. Allerdings sind die Parteien und Fraktionen nicht exakt deckungsgleich; jeder der Fraktionen gehören noch nationale Einzelparteien an, die nicht in der EU-Partei organisiert sind. Auch die Namen von Fraktion und Partei unterscheiden sich jeweils leicht. In Reihenfolge steigender Radikalität sind diese Parteien:

● erstens die rechtskonservative Allianz der Europäischen Konservativen und Reformisten (AEKR, Fraktion: EKR), in der die britischen Conservatives und die polnische PiS tonangebend sind,
● zweitens die europaskeptisch-populistische Allianz für Direkte Demokratie in Europa (ADDE, Fraktion: EFDD) um Nigel Farage und die britische UK Independence Party,
● drittens die stramm nationalistische Bewegung für ein Europa der Nationen und der Freiheit (BENF, Fraktion: ENF), initiiert durch den französischen Front National um Marine Le Pen.

Einfluss auf sieben nationale Regierungen

Mitglieder dieser Parteien und Fraktionen nehmen derzeit auf sieben europäische Regierungen Einfluss. Besonders erfolgreich waren dabei im letzten Jahr Parteien, die der AEKR angehören oder nahestehen. Ihre beiden größten Mitglieder erzielten 2015 jeweils eine absolute Mehrheit und stellen mit David Cameron in Großbritannien und Beata Szydło in Polen zwei nationale Regierungschefs. Zwei weitere AEKR-Mitglieder, die finnischen PS und die lettische NA, sind in ihren Ländern Juniorpartner in Mitte-Rechts-Koalitionen.

Hinzu kommt die griechische ANEL, die nicht der AEKR, aber der EKR-Fraktion angehört und seit Januar als kleiner Partner der linken Syriza (EL) an der griechischen Regierung beteiligt ist. Die dänische DF, ebenfalls Mitglied der EKR-Fraktion, wurde bei der nationalen Parlamentswahl im Juni stärkste Kraft des konservativen Lagers und toleriert nun ein Minderheitskabinett der liberalen Partei Venstre (ALDE).

Die ADDE hingegen ist in nur einem Land an der Regierung beteiligt, nämlich in Litauen, wo ihre Mitgliedspartei TT einer sozialdemokratisch geführten Regenbogenkoalition angehört. Die radikale BENF schließlich regiert bislang in keinem einzigen EU-Staat.

Folgenreiche AEKR-Alleinregierungen

Vergleicht man diese sieben Regierungsbeteiligungen, so zeigen sich von Land zu Land erhebliche Unterschiede. Wo die rechten Parteien nur als Juniorpartner mitregieren, hält sich ihr Einfluss bislang meist in Grenzen. In Großbritannien und Polen hingegen zeigen die AEKR-Alleinregierungen deutliche Folgen: Bei den britischen Conservatives betrifft dies vor allem die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, die in dem von David Cameron einberufenen Austrittsreferendum auf dem Spiel steht. In Polen wiederum hat die erst vor wenigen Wochen gewählte PiS-Regierung in kurzer Zeit Reformen in Gang gesetzt, die das Land nach innen autoritärer machen werden, und sucht auch mit den EU-Institutionen die Konfrontation.

Ist in Zukunft mit weiteren solchen Entwicklungen zu rechnen? Hier ein kleiner Überblick über die in den nächsten drei Jahren anstehenden Wahlen, bei denen rechte Parteien Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung haben.

Slowakei: Rückkehr der SNS?

2016 dürfte in dieser Hinsicht ein eher ruhiges Jahr werden. Obwohl von Irland über Zypern bis Rumänien in zahlreichen EU-Ländern Wahlen stattfinden, können rechte Parteien nirgendwo mit größeren Erfolgen, geschweige denn einer Regierungsbeteiligung rechnen. Die einzige Ausnahme sind die slowakischen Wahlen im März 2016. Hier könnte die bislang allein regierende sozialdemokratische SMER (SPE) künftig einen Koalitionspartner brauchen, wofür verschiedene kleinere Parteien in Frage kämen. Eine davon ist die rechtsnationalistische SNS, mit der die SMER schon einmal von 2006 bis 2010 eine Koalition bildete.

Allerdings führte dieses Bündnis damals zu scharfer Kritik und einer zeitweiligen Suspendierung der SMER-Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei Europas. Es ist deshalb fraglich, ob sich die SMER noch einmal auf diese Koalitionsoption einlassen würde – umso mehr, als es erst vor wenigen Wochen aufgrund der Flüchtlingskrise erneut zu Spannungen zwischen ihr und den anderen SPE-Parteien kam, die nur mit einiger Mühe beigelegt werden konnten.

Niederlande: PVV stärkste Kraft

Zum Schlüsseljahr für die rechten Parteien in Europa dürfte hingegen 2017 werden. Den Auftakt macht dabei die niederländische Parlamentswahl im März. Die PVV, eine der prominentesten BENF-Mitgliedsparteien, ist hier derzeit in Umfragen mit Abstand die stärkste Kraft und könnte rund 35 der 150 Parlamentssitze erreichen. Rechnerisch wäre damit eine Mitte-Rechts-Koalition der PVV mit der rechtsliberalen VVD (ALDE) und dem christdemokratischen CDA (EVP) möglich.

Ob diese sich tatsächlich darauf einlassen würden, den umstrittenen PVV-Chef Geert Wilders zum Premierminister zu wählen, ist freilich unklar. Für die PVV spricht allerdings, dass in dem stark zersplitterten niederländischen Parteiensystem derzeit keine plausible alternative Mehrheit in Sicht ist: Für eine Regierungsbildung ohne die Rechtspopulisten müssten sich mindestens fünf andere Parteien zu einer Koalition zusammenfinden.

Frankreich: Marine Le Pen und der FN

Wenige Wochen nach der niederländischen Wahl wird dann Frankreich folgen: zunächst mit der Präsidentschaftswahl im April, dann mit der Parlamentswahl im Juni. Mit Marine Le Pen und ihrem Front National (FN/BENF) tritt hier die wohl bekannteste Führungsfigur der europäischen Rechten an. Ihr möglicher Wahlsieg wurde schon in der Vergangenheit gern als politisches Worst-Case-Szenario für die EU beschrieben; und dass der FN gestern mit fast 30 Prozent in der ersten Runde der Regionalwahlen zur meistgewählten Partei wurde, heizt erst recht die Spekulationen an.

Immerhin: Allzu wahrscheinlich scheint ein Triumph Le Pens derzeit nicht. Folgt man den aktuellen Wahlumfragen, ist das plausibelste Szenario vielmehr, dass sie bei der Präsidentschaftswahl zwar in die Stichwahl kommen, dort aber deutlich verlieren wird, und zwar unabhängig davon, ob der Gegenkandidat Nicolas Sarkozy oder Alain Juppé von den Républicains (EVP) oder Manuel Valls vom PS (SPE) sein wird. Eine Chance hätte Le Pen nur gegen den unbeliebten amtierenden Präsidenten François Hollande (PS/SPE), aber der dürfte ohnehin kaum in die Stichwahl einziehen.

Größere Unsicherheit besteht hingegen bei der Parlamentswahl: Durch das Zwei-Runden-Mehrheitswahlverfahren könnte der FN entweder drastisch an Sitzen dazugewinnen – oder auch weitgehend bedeutungslos bleiben, wenn sich die übrigen Parteien in der zweiten Runde jeweils hinter einem gemeinsamen Kandidaten vereinigen. Letzteres war in der Vergangenheit die Regel, ist inzwischen jedoch vor allem unter den Spitzenpolitikern der Républicains umstritten.

Italien: LN, M5S und das Wahlsystem

In doppelter Hinsicht besonders ist die italienische Parlamentswahl, die voraussichtlich Anfang 2018 stattfinden wird. Zum einen gibt es hier gleich zwei konkurrierende europaskeptische Parteien: die rechte Lega Nord (LN/BENF) und das populistische Movimento Cinque Stelle (M5S), das keiner europäischen Partei angehört, aber der ADDE nahesteht. Zum anderen wird es die erste Wahl sein, bei der das ungewöhnliche neue italienische Wahlrecht zur Anwendung kommt. Dieses sieht zwei Wahlgänge vor, wobei es in der zweiten Runde zu einer Stichwahl zwischen den beiden Listen kommt, die im ersten Wahlgang landesweit die meisten Stimmen erhalten haben; der Gewinner der Stichwahl gewinnt dann automatisch eine absolute Mehrheit der Parlamentssitze.

Nach den aktuellen Umfragen hätten drei „Lager“ eine Chance, in diese Stichwahl einzuziehen: der derzeit regierende sozialdemokratische PD (SPE), das M5S sowie eine mögliche gemeinsame rechte Liste der Lega Nord mit der Berlusconi-Partei Forza Italia (FI/EVP). Für die Stichwahl sehen die Umfragen PD und M5S praktisch Kopf an Kopf, während beide gegenüber der rechten Liste einen knappen Vorsprung hätten. Insgesamt aber sind die Ergebnisse so knapp, dass bis 2018 alles möglich scheint.

Ungarn: Jobbik stärkste Oppositionspartei

In Ungarn, wo ebenfalls 2018 eine Parlamentswahl stattfindet, gehört die Regierungspartei Fidesz zwar zur christdemokratischen EVP; sie bildet aber deren äußersten rechten Flügel und betreibt seit Jahren eine Entdemokratisierung des Landes. Noch problematischer wird die Situation dadurch, dass die stärkste Oppositionspartei mit gut 20 Prozent die rechtsextreme und teils offen antidemokratische Jobbik ist, mit der selbst die BENF eine Zusammenarbeit ablehnt. Die drei Mitte-Links-Parteien MSzP (SPE), LMP (EGP) und DK (SPE-nah) hingegen kommen jeweils nur auf 5 bis 10 Prozent und sind weit von einer regierungsfähigen Mehrheit entfernt.

In den aktuellen Umfragen erscheint die absolute Mehrheit der Fidesz nicht gefährdet. Wie die politische Lage sich entwickeln würde, falls sie sie doch verpassen sollte, lässt sich kaum absehen: Die Mitte-Links-Parteien wären wohl kaum bereit, dem autoritären Ministerpräsident Viktor Orbán das Amt zu retten – aber würde dieser sich seinerseits auf Jobbik stützen wollen?

Schweden: alle gegen die SD

In Schweden steht die nächste Parlamentswahl im Herbst 2018 an, und auf den ersten Blick ist die Lage auch hier verfahren: Umfragen sehen die rechtspopulistischen Sverigedemokraterna (SD/ADDE) bei gut 20 Prozent, nahezu gleichauf mit SAP (SPE) und Moderaterna (EVP). Es ist deshalb durchaus wahrscheinlich, dass nach der Wahl weder das „rot-grüne Lager“ um die SAP noch die liberalkonservative „Allianz“ um die Moderaterna eine Mehrheit im Parlament haben wird.

Allerdings haben die beiden großen demokratischen Lager für diese Situation bereits vorgebeugt: Ende 2014 schlossen fast alle Parlamentsparteien das sogenannte Dezemberabkommen (Wortlaut), dem zufolge bis 2022 das jeweils unterlegene Lager zulassen wird, dass das erfolgreiche Lager eine Minderheitsregierung bildet. Sinn dieser Einigung ist die Isolierung und faktische parlamentarische Neutralisierung der Sverigedemokraterna: Wenn Rot-Grüne und Allianz dem Abkommen treu bleiben, werden die Rechtspopulisten für die Regierungsbildung in Schweden keine Rolle spielen.

Österreich: FPÖ gefährdet Mehrheit der Großen Koalition

Den Abschluss dieser Drei-Jahres-Vorausschau macht schließlich Österreich, wo ebenfalls spätestens im Herbst 2018 gewählt wird. Die rechtspopulistische FPÖ (BENF) ist hier schon seit vielen Jahren so stark, dass eine stabile Regierungsbildung ohne sie nur durch eine Große Koalition aus SPÖ (SPE) und ÖVP (EVP) möglich ist. Seit einiger Zeit allerdings sagen die Umfragen für die nächste Wahl noch eine weitere Verschärfung der Lage voraus: Wäre heute Parlamentswahl, würde die FPÖ mit gut 30 Prozent stärkste Partei; und SPÖ und ÖVP besäßen erstmals in der Geschichte gemeinsam keine Mehrheit mehr im Parlament.

Wie die Parteien darauf reagieren würden, ist unklar. Die ÖVP, die bereits von 2000 bis 2005 eine Koalition mit der FPÖ bildete, hielt sich diese Option auch später stets offen; und auch die SPÖ hat sich auf regionaler Ebene erst vor wenigen Monaten auf ein Bündnis mit der FPÖ eingelassen. Allerdings stellten ÖVP und SPÖ dabei jeweils selbst den Regierungschef, während sie nun nur noch Juniorpartner einer FPÖ-Regierung wären. Als Alternative käme eine Erweiterung der Großen Koalition um Grüne (EGP) oder NEOS (ALDE) in Frage. Vor allem aber dürften die österreichischen Regierungsparteien darauf setzen, dass es bis zur Wahl ja noch eine Weile dauert – und hoffen, dass die FPÖ in der Wählergunst bis 2018 wieder verliert.

Fazit

Der Trend ist bedrohlich: Bei den Wahlen in den nächsten Jahren werden Parteien rechts der EVP in vielen EU-Mitgliedstaaten an Stimmen gewinnen, teilweise wohl auch stärkste Kraft ihres Landes werden. Zudem kommen innerhalb des rechten Spektrums zunehmend extremere Parteien zum Zuge: Während 2015 vor allem die nationalkonservative AEKR Erfolge feierte, dürfte bei den Wahlen 2017/18 besonders die radikale BENF zulegen. Im äußersten Fall könnte diese in drei Jahren gleich vier nationale Regierungschefs stellen.

Wahrscheinlich ist dieses Szenario jedoch nicht: Wirklich gute Siegchancen haben nach den heutigen Umfragen nur die niederländische PVV und die österreichische FPÖ – und auch diese könnten jeweils durch eine Mehrparteienkoalition von der Regierung ferngehalten werden. Die größte Gefahr dürfte deshalb anderswo liegen: nämlich darin, dass die Parteien der demokratischen Mitte beginnen, aus Furcht vor den Rechtspopulisten nach und nach selbst deren Positionen zu übernehmen.

Bild: By Blandine Le Cain (Meeting 1er mai 2012 Front National) [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons.

1 Kommentar:

  1. Vielleicht müsste man auch Deutschland erwähnen. Sollte die AfD in den Bundestag einziehen, könnte die Große Koalition selbst über Experimente wie Schwarz-Grün, Jamaika oder Rot-Rot-Grün nicht mehr verhindert werden.

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