Die Bundestagswahl steht vor der Tür – und damit auch eine Richtungsentscheidung für die Europäische Union. Die neue Bundesregierung, die aus dieser Wahl hervorgeht, wird im Rat der EU an der Gesetzgebung und der Ernennung zahlreicher europäischer Amtsträger:innen beteiligt sein. Bei vielen wichtigen Entscheidungen, etwa in der gemeinsamen Außen-, Steuer- oder Sozialpolitik, wird sie ein Vetorecht besitzen. Und wenn es um die institutionelle Weiterentwicklung der EU oder um Vertragsreformen geht, führt ohnehin kein Weg am größten Mitgliedstaat und seinem Parlament vorbei.
Im Wahlkampf kommt Europa bislang kaum vor
Mit ihrem Stimmzettel werden die deutschen Wähler:innen deshalb großen Einfluss auf die Ausrichtung der EU in den kommenden vier Jahren nehmen. Um eine bewusste Entscheidung zu treffen, müssten sie dazu allerdings wissen, wo die Parteien europapolitisch eigentlich stehen. Im Bundestagswahlkampf ist die EU bislang jedoch auf fast schmerzhafte Weise abwesend. Das ist kein neues Phänomen, in diesem Jahr aber besonders auffällig. Wahlplakate mit Europamotiven beispielsweise findet man diesmal – anders als noch vor vier Jahren – allenfalls bei Kleinparteien wie Volt oder den Republikanern. In den Kanzlerkandidaten-Triellen kam Europa ebenfalls kaum vor, abgesehen von einer WDR-Sendung im Mai, die lange vor der eigentlichen heißen Wahlkampfphase lief.
Und auch der bekannte Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung ist keine echte Hilfe, um die doch durchaus existierenden europapolitischen Unterschiede zwischen den Parteien zu verstehen. In der Ausgabe zur Bundestagswahl befasst sich nur eine einzige These explizit mit der EU. Und diese lautet: „Deutschland soll aus der Europäischen Union austreten“ – eine Forderung, die keine einzige Partei mit Regierungsaussichten vertritt und die in der politischen Debatte so gut wie überhaupt keine Rolle spielt.
Ein europapolitischer Wahlkompass
Um diese Lücke zu schließen, ist auf diesem Blog ab heute der EUROMAT zu finden – ein interaktives Instrument, mit dem Nutzer:innen ihre eigenen europapolitischen Standpunkte mit denen der deutschen Parteien vergleichen können.
Der EUROMAT funktioniert ähnlich wie der Wahl-O-Mat: Als Nutzer:in bewerten Sie wie die Parteien 23 Thesen zur europäischen Integration mit „Stimme zu“, „Stimme nicht zu“ oder „Neutral“. Das Programm berechnet dann, wie weit Ihre Antworten mit denen der Parteien übereinstimmen. Anders als die Parteien können Sie auch einzelne Thesen überspringen sowie im Nachhinein die Thesen markieren, die Ihnen besonders wichtig sind. Zum Abschluss können Sie schließlich sämtliche Positionen der Parteien miteinander vergleichen und nachlesen, wie die Parteien ihre Standpunkte jeweils begründet haben.
Vier Betreiber-Organisationen
Dies ist nicht die erste Ausgabe des EUROMAT. Tatsächlich hatte er gleich drei Vorläufer bei der Bundestagswahl 2017: Damals gab es den „europapolitischen Wahlkompass“ auf diesem Blog, den „Euromat“ der beiden Vereine Pulse of Europe und Polis 180 sowie den „EUromat“ der Jungen Europäischen Föderalisten. In diesem Jahr haben wir unsere Kräfte gebündelt, sodass der neue EUROMAT 2021 ein gemeinsames Projekt von vier Institutionen ist:
- die Jungen Europäischen Föderalisten Deutschland, die sich als Jugendverband der Europa-Union Deutschland seit über 70 Jahren für ein demokratisches und föderales Europa einsetzen,
- Pulse of Europe, eine 2016 gegründete unabhängige Bürgerbewegung mit dem Ziel, den europäischen Gedanken wieder sichtbar und hörbar zu machen,
- Polis180, ein 2015 gegründeter Graswurzel-Thinktank für Außen- und Europapolitik,
- und natürlich Der (europäische) Föderalist.
Alle vier Organisationen sind parteipolitisch unabhängig.
Neun Parteien
Bereits im Juli wurden alle deutschen Parteien, die bei der Europawahl 2019 Sitze im Europäischen Parlament gewonnen haben, eingeladen, sich am EUROMAT zu beteiligen. Neun von ihnen – SPD (SPE), CDU/CSU (EVP), Grüne (EGP), FDP (ALDE), Linke (EL), Freie Wähler (EDP), Volt, Piraten und Tierschutzpartei – haben auf die Anfrage reagiert, die Thesen beantwortet und ihre Antworten großteils auch begründet. Die Verantwortung für die inhaltliche Richtigkeit der Begründungen liegt allein bei den Parteien.
Eine Besonderheit gibt es allerdings für die beiden größten Parteien: CDU/CSU und SPD haben zwar zunächst zugesagt, die Thesen zu beantworten, dies aber bis zum Redaktionsschluss am 9. September 2021 nicht (im Fall der CDU/CSU) oder nicht vollständig (im Fall der SPD) getan. Die fehlenden Positionen dieser beiden Parteien wurden hier deshalb entsprechend ihren Wahlprogrammen ergänzt. Statt einer Begründung finden sich im EUROMAT die einschlägigen Auszüge aus dem Wahlprogramm oder anderen öffentlichen Stellungnahmen der Partei.
23 Thesen
Mit insgesamt 23 Thesen deckt der EUROMAT ein breites thematisches Spektrum ab – von der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik über die Asyl- und Klimapolitik bis zur institutionellen Reform der EU. Zur besseren Allgemeinverständlichkeit gibt es zu allen Thesen noch kurze Texte, die in wenigen Sätzen erklären, worum es dabei genau geht. Diese Erklärungen lassen sich beim Beantworten der Thesen durch einen Klick auf das Fragezeichen-Symbol aufrufen.
Darüber hinaus haben wir den Parteien noch einige weitere Thesen vorgelegt, die nicht in die finale Fassung des EUROMAT aufgenommen wurden. Das hatte unterschiedliche Gründe, lag aber häufig daran, dass sich die Antworten der Parteien nicht oder nur geringfügig unterschieden.
Immerhin: Auch dieser breite Konsens in einigen Fragen ist eine interessante Beobachtung und soll an dieser Stelle kurz dokumentiert werden. Alle Parteien, von denen wir bis zum 9. September 2021 Antworten erhalten haben, sprachen sich dafür aus, dass
- die EU gegen die polnische und ungarische Regierung Sanktionen wegen Rechtsstaatlichkeitsverstößen verhängt,
- die Konferenz zur Zukunft Europas in eine EU-Vertragsreform mündet,
- das Europäische Parlament das Recht bekommt, eigene Gesetze vorzuschlagen,
- die Mitglieder der EU-Kommission allein vom Europäischen Parlament gewählt werden,
- auf Importe in die EU eine Grenzabgabe entsprechend der verursachten CO2-Emissionen gezahlt wird,
- die EU ein neues Seenotrettungsprogramm im Mittelmeer startet,
- die EU eine verpflichtende Tierwohl-Kennzeichnung für Lebensmittel einführt.
Hingegen waren alle Parteien dagegen, dass
- die seit 2015 existierenden Kontrollen an der deutschen Außengrenze auch nach dem Ende der Corona-Pandemie weitergeführt werden,
- Deutschland aus der EU austritt. (Ja, auch wir haben diese Frage gestellt!)
Übrigens
Technisch umgesetzt wurde der EUROMAT von Moritz Kröger, der auch schon den Euromat 2017 von Pulse of Europe und Polis 180 programmiert hat. Auf diesem Blog ist der EUROMAT über die Website euromat.info eingebunden. Personenbezogene Daten fallen bei der Nutzung des EUROMAT kaum an. Die dazugehörige Datenschutzerklärung ist hier zu finden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Kommentare sind hier herzlich willkommen und werden nach der Sichtung freigeschaltet. Auch wenn anonyme Kommentare technisch möglich sind, ist es für eine offene Diskussion hilfreich, wenn Sie Ihre Beiträge mit Ihrem Namen kennzeichnen. Um einen interessanten Gedankenaustausch zu ermöglichen, sollten sich Kommentare außerdem unmittelbar auf den Artikel beziehen und möglichst auf dessen Argumentation eingehen. Bitte haben Sie Verständnis, dass Meinungsäußerungen ohne einen klaren inhaltlichen Bezug zum Artikel hier in der Regel nicht veröffentlicht werden.