Selten waren in der Presse so viele
Anspielungen auf den Film Und täglich grüßt das Murmeltier
zu lesen wie vor der Abstimmung im griechischen Parlament am
vergangenen Wochenende. Das mag zum einen an der Jahreszeit liegen,
schließlich ist der Groundhog Day erst zwei Wochen her. Zum anderen
aber schien wirklich alles wie immer zu sein: Wieder einmal waren
Zinsen fällig, wieder einmal drohte der Staatsbankrott, wieder
einmal zögerte die restliche Eurozone, die zugesagten Hilfskredite bereitzustellen, und forderte als Bedingung dafür neue Sparmaßnahmen, über die wieder einmal das Parlament in Athen beriet, während draußen auf dem Syntagma-Platz wieder einmal Massendemonstrationen stattfanden.
Auch dass der deutsche Außenminister
Guido Westerwelle (FDP/ELDR) erklärte, Griechenland müsse jetzt
„Taten“ statt nur „Vorleistungen“ liefern, war zwar
etwas höhnisch gegenüber einem Land, das seit 2010 unter anderem
seine Mehrwertsteuer um vier Prozentpunkte erhöht, die Gehälter im
öffentlichen Dienst um ein Siebtel gekürzt, zwei Drittel der
Stellen in den Gemeindeverwaltungen abgebaut, öffentliche
Unternehmen privatisiert, eine schrittweise Erhöhung des
Rentenalters eingeleitet und öffentliche Investitionen gekürzt hat
und dafür eine massive Rezession und eine Verdopplung der
Arbeitslosigkeit (von 9,5% im Jahr 2009 auf über 20 % heute) in Kauf
nahm. Aber auch das blieb noch im Rahmen dessen, was man eben von
dieser Bundesregierung an Europarhetorik erwarten kann. Dass auch ein
besonnener Mensch wie der Eurogruppen-Vorsitzende Jean-Claude Juncker
(CSV/EVP) sich ähnlich äußerte,
klang dagegen schon eher besorgniserregend.
Stunde
der Populisten
Dann
aber schlug, kurz vor der Abstimmung im griechischen Parlament, die
Stunde der Populisten. In Deutschland forderte der bayrische
Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU/EVP) nationale Referenden über
Euro-Rettungsmaßnahmen, angeblich um „die europäische Idee näher
an die Bürger heranzubringen“. (Auf den Gedanken, dazu einfach ein
europaweites Referendum abzuhalten, kam er nicht: Vermutlich wurde
die europäische Idee auch an ihn selbst noch nicht nahe genug
herangebracht.) In Griechenland erklärte derweil die Rechtspartei
LAOS aus Protest gegen die Sparmaßnahmen ihren Austritt aus der
Übergangsregierung, offenbar um zwei Monate vor den Wahlen im April
keine Kompromisse mehr in ihrer national-populistischen Linie machen
zu müssen. Außerdem will sie natürlich den strategischen Nachteil
gegenüber der kommunistischen KKE wettmachen, die schon seit
längerem die Massendemonstrationen als Bühne nutzt, um gegen die
„imperialistische“ und „monopolistische“ EU zu agitieren.
Bei
der Abstimmung im Parlament stimmte die Mehrheit der Rest-Koalition
aus PASOK (SPE) und ND (EVP) für den neuen Sparplan,
der unter anderem einen weiteren Abbau öffentlicher Stellen, eine
Kürzung des Mindestlohns und eine beschleunigte Privatisierung
öffentlicher Güter beinhaltet. 22 Sozialisten und 21 Konservative,
insgesamt rund ein Viertel der Regierungsabgeordneten, verweigerten
jedoch ihre Zustimmung und wurden daraufhin, wie zuvor von den
Parteispitzen angedroht, umgehend aus ihren Fraktionen
ausgeschlossen. Amüsanterweise animierte das ausgerechnet einen
Bundestagsabgeordneten der FDP dazu, seinen griechischen Kollegen
eine Lektion in Demokratie zu erteilen.
Deutsche
Angst vor griechischen Wahlen
Richtig
bedrohlich wurde die Stimmung jedoch erst in den Tagen danach. Die
anhaltenden Proteste in Athen und die innere Zerrissenheit von PASOK
und ND machten der deutschen Bundesregierung offenbar zum ersten Mal
bewusst, dass bei den griechischen Wahlen im April ein Erfolg der
Populisten von LAOS und KKE alles andere als ausgeschlossen ist –
und dass Griechenland dann mit einiger Sicherheit nicht den von der
EU vorgegebenen Kurs radikaler Austerität fortsetzen würde. Doch
die Konsequenz, die die Bundesregierung daraus zog, war nicht etwa,
PASOK und ND mit einer Solidaritätsdemonstration beiseite zu
springen, um deren Wahlchancen zu verbessern. Stattdessen schlug sie
die Strategie ein, zunächst noch einmal ihre Zustimmungserklärung
zu den neuen Hilfskrediten zu verzögern, um von ihren Plänen so viel wie möglich
noch vor den griechischen Wahlen durchzusetzen. Wirtschaftsminister Philipp Rösler
(FDP/ELDR) etwa erklärte, die Parlamentsabstimmung sei noch nicht genug, denn nicht
der Beschluss, sondern erst die Umsetzung der Sparmaßnahmen sei
entscheidend für die Bereitstellung der Rettungsgelder. Und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU/EVP) wurde noch expliziter, indem er forderte, dass sich
PASOK und ND bereits jetzt schriftlich verpflichten sollten, auch
nach den Wahlen gemeinsam die Sparpolitik fortzusetzen – und
suggerierte, man sollte die Wahl am besten einfach um ein Jahr
verschieben, was von dem Europaabgeordneten Elmar Brok
(CDU/EVP) umgehend unterstützt wurde.
Nun
ist das Absagen von Wahlen aus Angst vor missliebigen Ergebnissen
eher nicht die feine demokratische Art, weshalb sich der griechische
Staatspräsident Karolos Papoulias (PASOK/SPE) gestern Abend zu einer
harschen Antwort auf
derartige Vorschläge genötigt sah: „Wer ist Herr Schäuble, dass
er Griechenland kränkt? Wer sind die Niederländer? Wer sind die
Finnen?“ Dass auch Papoulias sich dabei im Ton vergriff und an
seinen Kontrahenten nicht ihre politische Meinung, sondern ihre
nationale Herkunft kritisierte, wird kaum zu einer
Verständigung über die nationalen Grenzen hinweg beitragen. Die treuherzige Versicherung des EU-Währungskommissars Olli Rehn (Kesk./ELDR), Europa stehe „an der Seite des griechischen Volkes“, scheint vor Ort jedenfalls nicht mehr allzu viel Glaubwürdigkeit zu besitzen.
Schuldzuweisungen
als letzte Verhandlungsrunde?
Die
Lage ist, daran besteht kein Zweifel, schlimmer denn je. Tatsächlich
deutet einiges darauf hin, dass, wie die Financial Times Deutschland fürchtet, die
europäischen Regierungen derzeit nicht mehr nach einer Lösung für
die griechische Katastrophe suchen, sondern nur noch nach einem
Schuldigen. Während die griechischen Regierungsparteien sich mit
patriotischen Floskeln und Vorwürfen an die übrigen Europäer
verzweifelt gegen das absehbare Wahldebakel stemmen, zeichnen ihre
Kollegen in den reicheren Mitgliedstaaten immer häufiger das Bild
eines verantwortungslosen, reformunwilligen Landes, das beim besten
Willen nicht zu retten ist. Am Ende könnte dann in jeder nationalen
Öffentlichkeit die Vorstellung gereift sein, dass es am besten ist,
die ungeliebte Partnerschaft aufzugeben, und alle Seiten würden sich
in den griechischen Staatsbankrott und Austritt aus der Eurozone
fügen, in der festen Überzeugung, dass daran nur die anderen schuld
sind.
Der
Verlierer eines solchen Szenarios aber wäre Europa als Ganzes.
Finanziell sowieso: Würde Griechenland tatsächlich zahlungsunfähig,
so müssten die übrigen Mitgliedstaaten enorme neue Rettungsschirme
für ihre Banken aufspannen und noch dazu Portugal, Spanien und
Italien retten, die die Märkte natürlich als die nächsten
Pleitekandidaten sehen würden. Vor allem aber symbolisch: Am Ende
hätten die Populisten gesiegt, und die Europäische Union hätte vor
den Augen der Weltöffentlichkeit bewiesen, dass sie nicht im Stande
ist, genügend Solidarität zu mobilisieren, um eines ihrer
Mitglieder vor Staatsbankrott, Rezession und sozialen Unruhen zu
retten – nicht einmal, wenn es sich dabei um ein so kleines Land
wie Griechenland handelt.
Noch
aber braucht man die Hoffnung nicht aufzugeben. Immerhin scheint die
Europäische Zentralbank entschlossen, sich dem Zerfall der Eurozone
entgegenzustellen, und hat eine Art Plan B entwickelt,
um Griechenland durch die Hintertür zu helfen. Natürlich wäre das
alles andere als die optimale Lösung: Die Zentralbank kann nicht
dauerhaft einen Ersatz für einen funktionierenden
Solidaritätsmechanismus bilden, und da sie von der Politik
unabhängig agiert, kann sie auch nicht gut dazu beitragen, dass die
wirtschaftspolitischen Leitentscheidungen in Europa künftig wieder
auf demokratischem Wege erfolgen. Aber vielleicht bringt die
Entschlossenheit der Währungshüter endlich doch noch die europäischen
Regierungen dazu, über ihren eigenen Schatten zu springen und den
derzeitigen griechischen Teufelskreis zu verlassen.
Bild: By Maarten Smit (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons.
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