16 Februar 2012

Griechenland: Schlimmer denn je

Was aber, wenn das Murmeltier einmal nicht mehr grüßt?
Selten waren in der Presse so viele Anspielungen auf den Film Und täglich grüßt das Murmeltier zu lesen wie vor der Abstimmung im griechischen Parlament am vergangenen Wochenende. Das mag zum einen an der Jahreszeit liegen, schließlich ist der Groundhog Day erst zwei Wochen her. Zum anderen aber schien wirklich alles wie immer zu sein: Wieder einmal waren Zinsen fällig, wieder einmal drohte der Staatsbankrott, wieder einmal zögerte die restliche Eurozone, die zugesagten Hilfskredite bereitzustellen, und forderte als Bedingung dafür neue Sparmaßnahmen, über die wieder einmal das Parlament in Athen beriet, während draußen auf dem Syntagma-Platz wieder einmal Massendemonstrationen stattfanden.

Auch dass der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP/ELDR) erklärte, Griechenland müsse jetzt „Taten“ statt nur „Vorleistungen“ liefern, war zwar etwas höhnisch gegenüber einem Land, das seit 2010 unter anderem seine Mehrwertsteuer um vier Prozentpunkte erhöht, die Gehälter im öffentlichen Dienst um ein Siebtel gekürzt, zwei Drittel der Stellen in den Gemeindeverwaltungen abgebaut, öffentliche Unternehmen privatisiert, eine schrittweise Erhöhung des Rentenalters eingeleitet und öffentliche Investitionen gekürzt hat und dafür eine massive Rezession und eine Verdopplung der Arbeitslosigkeit (von 9,5% im Jahr 2009 auf über 20 % heute) in Kauf nahm. Aber auch das blieb noch im Rahmen dessen, was man eben von dieser Bundesregierung an Europarhetorik erwarten kann. Dass auch ein besonnener Mensch wie der Eurogruppen-Vorsitzende Jean-Claude Juncker (CSV/EVP) sich ähnlich äußerte, klang dagegen schon eher besorgniserregend.

Stunde der Populisten

Dann aber schlug, kurz vor der Abstimmung im griechischen Parlament, die Stunde der Populisten. In Deutschland forderte der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU/EVP) nationale Referenden über Euro-Rettungsmaßnahmen, angeblich um „die europäische Idee näher an die Bürger heranzubringen“. (Auf den Gedanken, dazu einfach ein europaweites Referendum abzuhalten, kam er nicht: Vermutlich wurde die europäische Idee auch an ihn selbst noch nicht nahe genug herangebracht.) In Griechenland erklärte derweil die Rechtspartei LAOS aus Protest gegen die Sparmaßnahmen ihren Austritt aus der Übergangsregierung, offenbar um zwei Monate vor den Wahlen im April keine Kompromisse mehr in ihrer national-populistischen Linie machen zu müssen. Außerdem will sie natürlich den strategischen Nachteil gegenüber der kommunistischen KKE wettmachen, die schon seit längerem die Massendemonstrationen als Bühne nutzt, um gegen die „imperialistische“ und „monopolistische“ EU zu agitieren.

Bei der Abstimmung im Parlament stimmte die Mehrheit der Rest-Koalition aus PASOK (SPE) und ND (EVP) für den neuen Sparplan, der unter anderem einen weiteren Abbau öffentlicher Stellen, eine Kürzung des Mindestlohns und eine beschleunigte Privatisierung öffentlicher Güter beinhaltet. 22 Sozialisten und 21 Konservative, insgesamt rund ein Viertel der Regierungsabgeordneten, verweigerten jedoch ihre Zustimmung und wurden daraufhin, wie zuvor von den Parteispitzen angedroht, umgehend aus ihren Fraktionen ausgeschlossen. Amüsanterweise animierte das ausgerechnet einen Bundestagsabgeordneten der FDP dazu, seinen griechischen Kollegen eine Lektion in Demokratie zu erteilen.

Deutsche Angst vor griechischen Wahlen

Richtig bedrohlich wurde die Stimmung jedoch erst in den Tagen danach. Die anhaltenden Proteste in Athen und die innere Zerrissenheit von PASOK und ND machten der deutschen Bundesregierung offenbar zum ersten Mal bewusst, dass bei den griechischen Wahlen im April ein Erfolg der Populisten von LAOS und KKE alles andere als ausgeschlossen ist – und dass Griechenland dann mit einiger Sicherheit nicht den von der EU vorgegebenen Kurs radikaler Austerität fortsetzen würde. Doch die Konsequenz, die die Bundesregierung daraus zog, war nicht etwa, PASOK und ND mit einer Solidaritätsdemonstration beiseite zu springen, um deren Wahlchancen zu verbessern. Stattdessen schlug sie die Strategie ein, zunächst noch einmal ihre Zustimmungserklärung zu den neuen Hilfskrediten zu verzögern, um von ihren Plänen so viel wie möglich noch vor den griechischen Wahlen durchzusetzen. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP/ELDR) etwa erklärte, die Parlamentsabstimmung sei noch nicht genug, denn nicht der Beschluss, sondern erst die Umsetzung der Sparmaßnahmen sei entscheidend für die Bereitstellung der Rettungsgelder. Und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU/EVP) wurde noch expliziter, indem er forderte, dass sich PASOK und ND bereits jetzt schriftlich verpflichten sollten, auch nach den Wahlen gemeinsam die Sparpolitik fortzusetzen – und suggerierte, man sollte die Wahl am besten einfach um ein Jahr verschieben, was von dem Europaabgeordneten Elmar Brok (CDU/EVP) umgehend unterstützt wurde.

Nun ist das Absagen von Wahlen aus Angst vor missliebigen Ergebnissen eher nicht die feine demokratische Art, weshalb sich der griechische Staatspräsident Karolos Papoulias (PASOK/SPE) gestern Abend zu einer harschen Antwort auf derartige Vorschläge genötigt sah: „Wer ist Herr Schäuble, dass er Griechenland kränkt? Wer sind die Niederländer? Wer sind die Finnen?“ Dass auch Papoulias sich dabei im Ton vergriff und an seinen Kontrahenten nicht ihre politische Meinung, sondern ihre nationale Herkunft kritisierte, wird kaum zu einer Verständigung über die nationalen Grenzen hinweg beitragen. Die treuherzige Versicherung des EU-Währungskommissars Olli Rehn (Kesk./ELDR), Europa stehe „an der Seite des griechischen Volkes“, scheint vor Ort jedenfalls nicht mehr allzu viel Glaubwürdigkeit zu besitzen.

Schuldzuweisungen als letzte Verhandlungsrunde?

Die Lage ist, daran besteht kein Zweifel, schlimmer denn je. Tatsächlich deutet einiges darauf hin, dass, wie die Financial Times Deutschland fürchtet, die europäischen Regierungen derzeit nicht mehr nach einer Lösung für die griechische Katastrophe suchen, sondern nur noch nach einem Schuldigen. Während die griechischen Regierungsparteien sich mit patriotischen Floskeln und Vorwürfen an die übrigen Europäer verzweifelt gegen das absehbare Wahldebakel stemmen, zeichnen ihre Kollegen in den reicheren Mitgliedstaaten immer häufiger das Bild eines verantwortungslosen, reformunwilligen Landes, das beim besten Willen nicht zu retten ist. Am Ende könnte dann in jeder nationalen Öffentlichkeit die Vorstellung gereift sein, dass es am besten ist, die ungeliebte Partnerschaft aufzugeben, und alle Seiten würden sich in den griechischen Staatsbankrott und Austritt aus der Eurozone fügen, in der festen Überzeugung, dass daran nur die anderen schuld sind.

Der Verlierer eines solchen Szenarios aber wäre Europa als Ganzes. Finanziell sowieso: Würde Griechenland tatsächlich zahlungsunfähig, so müssten die übrigen Mitgliedstaaten enorme neue Rettungsschirme für ihre Banken aufspannen und noch dazu Portugal, Spanien und Italien retten, die die Märkte natürlich als die nächsten Pleitekandidaten sehen würden. Vor allem aber symbolisch: Am Ende hätten die Populisten gesiegt, und die Europäische Union hätte vor den Augen der Weltöffentlichkeit bewiesen, dass sie nicht im Stande ist, genügend Solidarität zu mobilisieren, um eines ihrer Mitglieder vor Staatsbankrott, Rezession und sozialen Unruhen zu retten – nicht einmal, wenn es sich dabei um ein so kleines Land wie Griechenland handelt.

Noch aber braucht man die Hoffnung nicht aufzugeben. Immerhin scheint die Europäische Zentralbank entschlossen, sich dem Zerfall der Eurozone entgegenzustellen, und hat eine Art Plan B entwickelt, um Griechenland durch die Hintertür zu helfen. Natürlich wäre das alles andere als die optimale Lösung: Die Zentralbank kann nicht dauerhaft einen Ersatz für einen funktionierenden Solidaritätsmechanismus bilden, und da sie von der Politik unabhängig agiert, kann sie auch nicht gut dazu beitragen, dass die wirtschaftspolitischen Leitentscheidungen in Europa künftig wieder auf demokratischem Wege erfolgen. Aber vielleicht bringt die Entschlossenheit der Währungshüter endlich doch noch die europäischen Regierungen dazu, über ihren eigenen Schatten zu springen und den derzeitigen griechischen Teufelskreis zu verlassen.

Bild: By Maarten Smit (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons.

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