Es ist nun etwa ein Jahr
her, dass der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU/EVP)
seinen Baden-Württemberger Amtskollegen Stefan Mappus (CDU/EVP) auf
ein Parteitagstreffen in München einlud. Die beiden
schimpften dort etwas über den deutschen Länderfinanzausgleich,
beschworen den Süden als „die Herzkammer der deutschen Politik“
und legten den Baden-Württemberger Wählern nahe, sich doch bei der
anstehenden Landtagswahl wieder für Mappus zu entscheiden. Diese
wählten stattdessen jedoch mehrheitlich Grüne oder SPD, sodass
Mappus sein Amt an Winfried Kretschmann (Grüne/EGP) abgeben musste.
Das gute Verhältnis zwischen Bayern und Baden-Württemberg ist
deshalb heute zerrüttet.
Ein knappes halbes Jahr
später stattete dann seinerseits Kretschmann dem Berliner
Landtagswahlkampf einen Besuch ab, um
mit einer gemeinsamen Veranstaltung seine Parteikollegin
Renate Künast zu unterstützen, die angetreten war, um den
Amtsinhaber Klaus Wowereit (SPD/SPE) abzulösen. Das half Künast
allerdings nicht sehr, letztlich blieb ihr Versuch erfolglos und Wowereit
im Amt. Seitdem kann sich Kretschmann in Berlin nicht mehr
blicken lassen.
Und nun hat vor einer
Woche der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel eine gemeinsame Pressekonferenz mit Torsten Albig und Heiko Maas gegeben, die in
Schleswig-Holstein und im Saarland als Spitzenkandidaten gegen die
amtierenden CDU-Ministerpräsidenten antreten werden. Man stelle sich
vor, einer der beiden ist bei der Wahl erfolgreich, während der
andere scheitert. Werden dann auch zwischen dem Norden und dem Westen
der Republik bald böse Ressentiments aufkochen?
Natürlich ist das
alles Unsinn: Das bayrisch-baden-württembergische Verhältnis ist so entspannt wie eh und je, über die Beziehungen zwischen Kretschmann und Wowereit ist nichts Negatives bekannt, und auch um Schleswig-Holstein und das Saarland muss man sich keine Sorgen machen. Jeder in Deutschland weiß, dass sich Spitzenkandidaten bei
Landtagswahlen gern von prominenten Parteifreunden –
Bundespolitikern oder Ministerpräsidenten anderer Länder –
unterstützen lassen. Und niemand sieht darin etwas Verwerfliches:
Schließlich ist offensichtlich, dass jede Landtagswahl auch eine
gesamtdeutsche Bedeutung hat, und sei es nur, weil dadurch das
Kräfteverhältnis im Bundesrat beeinflusst wird. Dass die
Landesregierungen zwischen den Wahlen dennoch über Parteiengrenzen
hinweg zusammenarbeiten können, wird dadurch nicht in Frage
gestellt. Man konkurriert miteinander, weil das zur Demokratie
dazugehört, aber natürlich will man auch pragmatische Lösungen für
konkrete Probleme finden, und in aller Regel sind Spitzenpolitiker
professionell genug, diese beiden Ebenen nicht miteinander zu
verwechseln.
Und in Europa?
Und in Europa? Nun, da
verkündete vor einigen Monaten die französische UMP-Regierung, dass sie
ihr Programm für die anstehenden Parlaments- und
Präsidentschaftswahlen mit der deutschen CDU würde
abstimmen wollen. Sowohl UMP als auch CDU gehören der Europäischen
Volkspartei an, sie vertreten ähnliche politische Ziele, die sie auf
EU-Ebene nur gemeinsam verwirklichen können. Man hätte die
programmatischen Absprachen also für eine Selbstverständlichkeit
halten können – wurde dann aber von Spiegel online eines
Besseren belehrt: „Das
gab es noch nie.“
Und
damit nicht genug: Gestern flog auch noch Angela Merkel nach Paris,
um dort Regierungskonsultationen abzuhalten und danach ein
gemeinsames Interview mit Nicolas Sarkozy zu geben (hier
in der ZDF-Mediathek zu sehen). Inhaltlich war das eher mäßig
interessant, es ging ein wenig um die Euro-Krise und
viel um wechselseitige Beweihräucherung. Dennoch war offensichtlich,
was das eigentliche Ziel der Bundeskanzlerin war – nämlich ihrem
französischen Amts- und Parteikollegen beizustehen, um einen
Wahlsieg von François Hollande (PS/SPE) zu verhindern, der in den
letzten Tagen angekündigt hatte, dass er den hauptsächlich EVP-inspirierten Euro-Fiskalpakt nicht ratifizieren werde.
Konsequenterweise wies Merkel deshalb gestern auch eine Bitte
Hollandes, sie während des Wahlkampfs einmal in Berlin besuchen zu
dürfen, kühl zurück. Keine nette Geste, gewiss, aber warum
sollte sie dem politischen Konkurrenten helfen?
Überzogene
Reaktionen
Die
Reaktionen aber, die diese Einmischung Merkels in den französischen
Wahlkampf auslöste, ließen vermuten, dass wir noch in Zeiten
der Kabinettsdiplomatie lebten. Während Hollandes siegessicherer
Wahlkampfleiter Pierre Moscovici noch recht gelassen blieb und
erklärte, er sehe bei all dem kein „Drama“, überboten sich die
deutschen Parteien mit Kritik: Sigmar Gabriel
(SPD/SPE) bezeichnete das gemeinsame Interview als „eher peinlich“,
für Jürgen Trittin (Grüne/EGP) schadete Merkel „den
deutsch-französischen Beziehungen“, und selbst Guido Westerwelle
(FDP/ELDR) sah sich zu der Erklärung genötigt, „selbstverständlich“
sei „die Bundesregierung im französischen Wahlkampf neutral“. So
neutral, möchte man ergänzen, wie die bayrische Landesregierung im
Wahlkampf von Baden-Württemberg.
Gewiss
kann man Merkel und Sarkozy vorwerfen, dass sie selbst die Ebenen
zwischen Regierungs- und Parteipolitik verwischten, indem sie
bilaterale Regierungskonsultationen als Anlass für ihren Auftritt
nahmen. Merkel machte diesen Widerspruch zu Beginn des
Fernsehinterviews deutlich, als sie erklärte, sie und
Sarkozy hätten sich in ihren „staatspolitischen Funktionen“
getroffen, „unbeschadet davon“ gehörten sie aber „zu
einer Parteienfamilie“, sodass sie ihn „natürlich auch im
Wahlkampf unterstützen würde“, obwohl es „heute und hier“ um etwas anderes gehe. Diese leeren Worte waren offensichtlich der
Tatsache geschuldet, dass Nicolas Sarkozy bislang noch nicht offiziell
seine Kandidatur erklärt hat, sodass er formal auch keine
Wahlkampfauftritte haben kann, sondern nur seine präsidialen Funktionen
ausübt: eine politische Taschenspielerei, die in Frankreich längst niemanden mehr beeindruckt.
Frankreich geht uns alle an
Aber
davon abgesehen: Was spricht dagegen, dass eine prominente
EVP-Politikerin einen anderen EVP-Politiker in dessen Wahlkampf
unterstützt? Die französischen Wahlen beeinflussen die
Zusammensetzung des Rates der Europäischen Union und damit die EU-Gesetzgebung, die auch in Deutschland gilt: Man kann das
kaum als eine rein innere Angelegenheit eines anderen Staates abtun.
Europapolitik ist (um Merkel zu zitieren) Innenpolitik – und
Wahlkämpfe in europäischen Staaten sind deshalb Wahlkämpfe, die
uns alle angehen.
Die
produktivste Reaktion auf Merkels Auftritt mit Sarkozy zeigte deshalb die stellvertretende Parteivorsitzende der SPD und
nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Diese
erklärte der Rheinischen Post,
die SPD werde „natürlich auch die französischen Sozialisten vor
Ort im Wahlkampf unterstützen“. Unter europäischen
Sozialdemokraten sei das schließlich eine Selbstverständlichkeit.
PS. Heute vor zwanzig Jahren wurde der Vertrag von Maastricht unterzeichnet, durch den in den damaligen EG-Vertrag unter anderem der neue Artikel 138a eingefügt wurde. Sein Wortlaut: „Politische Parteien auf europäischer Ebene sind wichtig als Faktor der Integration in der Union. Sie tragen dazu bei, ein europäisches Bewusstsein herauszubilden und den politischen Willen der Bürger der Union zum Ausdruck zu bringen.“ In diesem Sinne: Joyeux anniversaire!
PS. Heute vor zwanzig Jahren wurde der Vertrag von Maastricht unterzeichnet, durch den in den damaligen EG-Vertrag unter anderem der neue Artikel 138a eingefügt wurde. Sein Wortlaut: „Politische Parteien auf europäischer Ebene sind wichtig als Faktor der Integration in der Union. Sie tragen dazu bei, ein europäisches Bewusstsein herauszubilden und den politischen Willen der Bürger der Union zum Ausdruck zu bringen.“ In diesem Sinne: Joyeux anniversaire!
Bild: Sebastian Zwez [CC-BY-3.0-de], via Wikimedia Commons.
Das von Ihnen oben eingestellte Foto Merkel / Sarkozy entstand bereits am 07. Feb. 2009 anlässlicher der Münchner Sicherheitkonferenz.
AntwortenLöschenEs ist Eigentum mit allen Rechten des Photographen Sebastina Zwerz und des Veranstalters der MUNICH SECURITY CONFERENCE.
Ihnen wurden KEINE Nutzungsrechte erteilit !
Das Foto wurde somit illegal hier eingestellt !
Ashley Morrison
@Ashley Morrison: Wie sich hier ohne Weiteres nachvollziehen lässt, hat die Münchner Sicherheitskonferenz die Bilder unter der Creative Commons Attribution 3.0 Germany License zur weiteren Nutzung freigegeben.
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