Wenn man den deutschen Stammtisch und die
griechische Taverne so über die Eurokrise sprechen hört, dann will
man kaum meinen, dass von derselben Angelegenheit die Rede ist. Nur eines scheint die
öffentliche Meinung in beiden Ländern gemeinsam zu haben: die Überzeugung, im Recht zu sein. Und das hört sich dann
so an:
So wie in Griechenland kann es einfach nicht weitergehen. Jahrelang haben die Menschen dort über ihre Verhältnisse gelebt, jeder versucht abzugreifen, wo er nur kann: 13. und 14. Monatsgehalt, Steuerbetrug, Schwarzarbeit, manche Leute beziehen sogar Renten für schon verstorbene Verwandte. Und dann haben sie auch
noch jahrelang den Rest der EU mit falschen Statistiken betrogen!
Als Ergebnis dieser
verantwortungslosen Politik muss das Land jetzt mit Milliarden an
deutschen Steuergeldern gerettet werden – obwohl im Vertrag über
die Währungsunion doch eigentlich ausdrücklich geregelt ist,
dass das verboten ist. Aber jetzt werden ständig neue Instrumente
erfunden, mit denen Deutschland für andere Staaten geradestehen
soll: erst der Rettungsschirm EFSF, dann der
Stabilitätsmechanismus; man verliert schon ganz den Überblick,
weil dauernd über etwas Neues abgestimmt wird. Auf diese Weise
wird die EU zur Transferunion, in der die Schulden
vergemeinschaftet werden und jeder einen Anreiz hat, sich
möglichst hoch zu verschulden, weil er ja weiß, dass die anderen
dafür bezahlen. Am Ende sollen die Deutschen, die immer solide
haushalten, zum Zahlmeister Europas werden, während sich die
anderen Völker auf die faule Haut legen.
Selbst in der heutigen
Lage versucht sich Griechenland immer noch irgendwie
durchzumogeln. Wenn man ihnen die Pistole auf die Brust setzt,
versprechen die griechischen Politiker zwar alle möglichen
Sparmaßnahmen, aber hinterher setzen sie die nicht um. Und
deswegen werden am Schluss immer neue Hilfspakete nötig werden,
für die immer neue deutsche Steuergelder bezahlt werden müssen.
Dabei ist doch sonnenklar, dass ohne Ausgabenkürzungen und eine
vernünftige Haushaltspolitik das griechische Defizit nicht ins
Gleichgewicht zu bringen sein wird. Und nur bei harten Reformen,
so wie damals Hartz IV in Deutschland, werden die Märkte auch
wieder Vertrauen in Griechenland fassen.
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Griechenland befindet sich in der schwierigsten
wirtschaftlichen Lage, die ein EU-Land jemals erlebt hat. Immer
mehr Menschen wissen nicht, wovon sie leben sollen: Die Löhne
sind niedrig, die Arbeitslosenhilfe fast nicht existent, viele
können überhaupt nur noch von Schwarzarbeit leben. Auch von der
Politik ist nicht viel zu erwarten: Die frühere Regierung hat
sogar die Bevölkerung mit falschen Statistiken betrogen, und die
heutige hat auch keine Lösungen parat.
Doch statt dass sich die EU in dieser
katastrophalen Lage mit Griechenland solidarisch zeigt, bekommt es
von den anderen Mitgliedstaaten nur Kredite, für die diese auch noch deutlich
höhere Zinsen verlangen, als sie selbst bezahlen. Vor allem die
reichen Deutschen sind permanent knausrig und tun gerade genug, um
einen griechischen Zahlungsausfall zu verhindern. Dabei hilft
Deutschland gar nicht der griechischen Bevölkerung, sondern nur
seinen eigenen Banken, die von einem griechischen Bankrott
betroffen wären: Zuletzt flossen die Hilfskredite sogar eigens
auf ein Sperrkonto, das ausschließlich zur Zinstilgung verwendet
werden darf. Alle Maßnahmen, die Griechenland wirklich nutzen
würden, werden von Deutschland dagegen abgelehnt: Eurobonds,
gemeinsam finanzierte Konjunkturmaßnahmen, zuletzt sogar die
Erweiterung des Rettungsschirms, obwohl die sogar der IWF fordert.
Schlimmer noch: Nur weil Deutschland
wirtschaftlich gut dasteht, meint es, dass es in der EU auch mehr
zu sagen haben soll als die anderen Staaten. Es setzt sich einfach
über die griechische Souveränität hinweg und diktiert der
griechischen Regierung, welche Sparmaßnahmen sie zu treffen hat.
Dabei sind es gerade diese Sparmaßnahmen, die zu einer immer
tieferen Rezession geführt haben: Ohne sie stünde Griechenland
heute wirtschaftlich viel besser da. Und mit mehr
Wachstum gäbe es nicht nur weniger Arbeitslosigkeit,
sondern auch höhere Steuereinnahmen. Am Ende sind es also die
Deutschen selbst, die die griechische Wirtschaft zerstören!
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Deutschlands Wirtschaftspolitik
Nicht einmal auf die
Europäische Zentralbank ist noch Verlass. Seitdem die dazu
übergegangen ist, die Staatsanleihen von Schuldenstaaten wie
Griechenland zu kaufen, hat sie ihre politische Unabhängigkeit
verloren. Ursprünglich war die EZB ja als eine Kopie der der
deutschen Bundesbank gedacht, die mit ihrer Stabilitätspolitik
immer erfolgreich war. Aber die Deutschen verlieren in den
Entscheidungsgremien immer mehr an Einfluss, deswegen wird die
Politik der Zentralbank immer unzuverlässiger. Am Ende muss das ja zu
einer Masseninflation führen; und das geht dann zu Lasten der kleinen
Sparer, die nur für ihr Alter vorsorgen wollten. Dabei
steht im EZB-Statut ausdrücklich, dass die einzige Aufgabe der
EZB die Preisstabilität ist.
Man sieht es eben
immer wieder: Nur Deutschland betreibt eine disziplinierte Wirtschaftspolitik. Deswegen ist
Deutschland auch das wirtschaftlich erfolgreichste Land in Europa
– während die anderen zu viel konsumieren, zu hohe Löhne haben
und deshalb nicht wettbewerbsfähig sind. Schon klar, dass die
anderen deswegen neidisch sind. Aber man kann ja nicht einen
gemeinsamen Standard in Europa erreichen, indem man die Starken
schwächt, sondern nur, indem die Schwachen auch mehr leisten.
Aber die verweigern sich dem einfach.
Und nicht nur, dass
die Griechen von unserem Geld leben: Dann sind sie auch noch
unverschämt und beschweren sich über die Deutschen, die sie
retten. In der Sonne sitzen und es sich gut gehen lassen, während
andere Leute arbeiten müssen!
Vielleicht sollte man Griechenland einfach aus
der Eurozone hinauswerfen. Immerhin wäre man sie dann los, auch
wenn man wohl die Banken retten müsste, wenn das Land dann den
Bankrott erklärt. Aber besser ein Ende mit Schrecken als ein
Schrecken ohne Ende.
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Und auch auf die Europäische Zentralbank kann
man keine Hoffnung setzen. Weil Deutschland die größte
Volkswirtschaft in Europa ist, orientiert sich die EZB bei der
Festlegung ihrer Politik viel stärker an den deutschen
Bedürfnissen als an den anderen Mitgliedstaaten. Außerdem stand
sie von Anfang an unter dem Einfluss der deutschen
Wirtschaftsideologie; deswegen achtet sie immer nur auf die
Preisstabilität, auch wenn gerade eigentlich eine höhere
Inflation nötig wäre, damit die wirtschaftliche Lage in
Griechenland sich nicht noch mehr verschlimmert. Inzwischen gehen
deutsche Politiker sogar so weit, dass sie der EZB öffentlich
vorschreiben wollen, ob sie Staatsanleihen kaufen darf oder nicht.
Dabei soll die EZB doch eigentlich unabhängig sein.
Und auch wenn man sich die eigentlichen Wurzeln
der Krise ansieht, ist Deutschland nicht unschuldig. Indem es über
Jahre hinweg die Löhne gesenkt wurden, hat es immer höhere
Außenhandelsüberschüsse aufgebaut, unter denen jetzt die
übrigen EU-Mitgliedstaaten leiden. Jeder weiß, dass zu
Ungleichgewichten immer zwei gehören und dass die deutsche
Wirtschaft gar nicht funktionieren könnte, wenn der Rest von
Europa nicht die deutschen Waren konsumieren würde. Aber trotzdem
beharrt Deutschland darauf, dass es im eigenen Haus nichts zu verändern hätte.
Und nicht nur, dass die Deutschen in diesen
schweren Zeiten keine Solidarität zeigen: Dann sind sie auch noch
arrogant und wollen anderen vorschreiben, wie sie ihre
Wirtschaftspolitik zu machen haben. Immer noch die gleichen Nazis
wie eh und je!
Vielleicht sollte Griechenland deshalb einfach
aus der Eurozone aussteigen und den Bankrott erklären. Dann
müssen die Banken sehen, wo sie bleiben; soll Deutschland sie
doch retten. Und schlimmer als jetzt kann es sowieso nicht mehr
kommen.
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Im Nationalismus geeint
Zwei Sichtweisen, wie sie kaum verschiedener sein könnten? Nicht ganz, denn wenn man genau hinhört, stellt man auch die Ähnlichkeiten fest: in der Art, wie politische Positionen als „nationale Interessen“ statt als gesellschaftliche Ziele formuliert werden, wie man die nationalen Klischees pflegt und versucht, die europäischen Institutionen für die eigenen nationalen Zwecke zu instrumentalisieren, weil man partout nicht versteht, dass diese tatsächlich dem Wohlergehen der Europäischen Union insgesamt verpflichtet sind. Zwei Jahre Krisengipfel-Diplomatie haben uns dazu gebracht, dass wir heute europaweit die nationalen Regierungen wie selbstverständlich als die Protagonisten der europäischen Politik betrachten – und dass wir deshalb auch wie selbstverständlich die Nullsummenlogik der Außenpolitik übernommen haben, in der man sich zunächst als Staatsangehöriger des eigenen Landes versteht und nicht als Bürger der EU. Von allen wirtschaftlichen Verwerfungen einmal abgesehen: Dies ist der Punkt, an dem die europäische Integration in der Krise vielleicht den schwersten Schaden genommen hat, und womöglich auch derjenige, der das größte Hindernis auf der Suche nach einer tragfähigen, dauerhaften Lösung ist.
Zwei Sichtweisen, wie sie kaum verschiedener sein könnten? Nicht ganz, denn wenn man genau hinhört, stellt man auch die Ähnlichkeiten fest: in der Art, wie politische Positionen als „nationale Interessen“ statt als gesellschaftliche Ziele formuliert werden, wie man die nationalen Klischees pflegt und versucht, die europäischen Institutionen für die eigenen nationalen Zwecke zu instrumentalisieren, weil man partout nicht versteht, dass diese tatsächlich dem Wohlergehen der Europäischen Union insgesamt verpflichtet sind. Zwei Jahre Krisengipfel-Diplomatie haben uns dazu gebracht, dass wir heute europaweit die nationalen Regierungen wie selbstverständlich als die Protagonisten der europäischen Politik betrachten – und dass wir deshalb auch wie selbstverständlich die Nullsummenlogik der Außenpolitik übernommen haben, in der man sich zunächst als Staatsangehöriger des eigenen Landes versteht und nicht als Bürger der EU. Von allen wirtschaftlichen Verwerfungen einmal abgesehen: Dies ist der Punkt, an dem die europäische Integration in der Krise vielleicht den schwersten Schaden genommen hat, und womöglich auch derjenige, der das größte Hindernis auf der Suche nach einer tragfähigen, dauerhaften Lösung ist.
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