- In seinem Werk Die Zukunft der Bildung in Ägypten forderte Taha Hussein freie Bildung und einen kulturellen Austausch im ganzen Mittelmeerraum.
Am 23. April ist der
Welttag des Buches, und
vielleicht ist das eine gute Gelegenheit, um mal wieder über
Tunesien zu reden.
Fünfzehn Monate nach dem Sturz Ben Alis ist das Land inzwischen
weitgehend aus den deutschen Medien verschwunden. Nur ab und zu
findet sich ein Bericht wie kürzlich in der FAZ,
in dem von steinewerfenden Demonstranten und der Gefahr des Salafismus
die Rede ist. Was es hierzulande dagegen nicht in die Nachrichten
gebracht hat: Vorgestern versammelten sich mehrere hunderte Menschen auf der Avenue Habib Bourguiba,
dem Hauptboulevard von Tunis und Schauplatz der Revolution, um –
Bücher zu lesen.
Die
Aktion nannte sich L'Avenue
taqra („Die
Straße liest“), und obwohl es sich offiziell um eine unpolitische
Demonstration handelte, war die zugrundeliegende Botschaft
unzweifelhaft: Es ging um die Freiheit der Gedanken und um einen
neuen Bürgersinn, der sich weder durch einen autoritären
Sicherheitsapparat noch durch religiöse Eiferer eingrenzen lassen
will. Es ist kein Zufall, dass eine treibende Kraft des arabischen
Frühlings die Studenten und Hochschulabsolventinnen waren, denen das
alte Regime nicht nur keine beruflichen Chancen, sondern auch keine
Möglichkeit zur persönlichen Entfaltung bot. Ein höherer
Bildungsstand korreliert – das lässt sich länderübergreifend
beobachten – mit einem höheren Interesse an Politik und
gleichzeitig mit einer höheren Bereitschaft zur Demokratie und
Toleranz gegenüber anderen Meinungen.
Und nun zu etwas völlig anderem: Eines der erfolgreichsten Programme der Europäischen Union ist Erasmus, das es Studierenden ermöglicht, einen Teil ihrer Ausbildung an Universitäten anderer europäischer Länder zu verbringen. Rund drei Millionen junge Menschen haben das Programm seit seiner Einführung vor 25 Jahren genutzt. Und dabei ging es natürlich nicht in erster Linie darum, die Bestände fremder Bibliotheken kennen zu lernen, sondern um die Überwindung kultureller Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten und die Entstehung eines gemeinsamen europäischen Erfahrungsraums.
Initiative im Europäischen Parlament
Aber
die Überwindung kultureller Grenzen – ist das nicht auch genau
das, was Europa gegenüber der arabischen Welt anstrebt? Was also
läge näher, als die Beziehungen im Bereich der akademischen und
beruflichen Bildung auszubauen? Tatsächlich entstand in Frankreich
bereits vor einem Jahr, noch während die Revolutionen in Nordafrika
ihren Lauf nahmen, die Idee eines euromediterranen Erasmus, das
als erster Baustein einer „mediterranen Wirtschaftsbürgerschaft“ die Freizügigkeit von Studenten zwischen den beiden Seiten des
Mittelmeers ermöglichen sollte.
Ende September wurde dieser Vorschlag vom Europäischen Parlament in einer schriftlichen Erklärung aufgegriffen. Organisatorischer Rahmen für ein solches Programm könnte etwa die Union für das Mittelmeer sein, die seit ihrer Gründung 2008 darauf wartet, endlich mit Leben gefüllt zu werden. Und auch wenn die Kommission bislang anscheinend noch nicht auf die Aufforderung des Parlaments reagiert hat, scheinen sich die Chancen für eine Umsetzung zuletzt erhöht zu haben, nachdem der Favorit der französischen Präsidentschaftswahlen, François Hollande (PS/SPE), sich für eine weitere Öffnung der Universitäten für ausländische Studenten ausgesprochen hat.
Ende September wurde dieser Vorschlag vom Europäischen Parlament in einer schriftlichen Erklärung aufgegriffen. Organisatorischer Rahmen für ein solches Programm könnte etwa die Union für das Mittelmeer sein, die seit ihrer Gründung 2008 darauf wartet, endlich mit Leben gefüllt zu werden. Und auch wenn die Kommission bislang anscheinend noch nicht auf die Aufforderung des Parlaments reagiert hat, scheinen sich die Chancen für eine Umsetzung zuletzt erhöht zu haben, nachdem der Favorit der französischen Präsidentschaftswahlen, François Hollande (PS/SPE), sich für eine weitere Öffnung der Universitäten für ausländische Studenten ausgesprochen hat.
Die
Alternative: Erasmus Mundus
Was sich gegen Euromed-Erasmus einwenden ließe: Es existiert schon
heute eine übereuropäische Version von Erasmus, das Programm
Erasmus Mundus. Es ermöglicht Austauschprogramme
zwischen Universitäten der EU und ausgewählten Drittstaaten in
aller Welt. Allerdings ist Erasmus Mundus (im Vergleich zum „normalen“, rein
europäischen Erasmus) nur mit eher geringen Finanzmitteln
ausgestattet: Weltweit können nur rund 2000 Studenten im Jahr
daran teilnehmen, davon nur ein sehr kleiner Teil aus der
arabischen Welt. Statt ein eigenes Euromed-Erasmus einzurichten,
könnte man also auch einfach die Erasmus-Mundus-Partnerschaften mit
Universitäten im Mittelmeerraum ausweiten.
Der wichtigste Unterschied zwischen den beiden Modellen bestünde
darin, dass bei Erasmus-Mundus-Partnerschaften jeweils eine der
Partneruniversitäten in der EU liegen muss, während ein
Euromed-Erasmus, das die gesamte Mittelmeerunion umfasst, auch den
Austausch innerhalb der arabischen Länder fördern würde. Das hat
teilweise Kritik an dem Vorschlag geweckt: Warum sollte die EU Geld
ausgeben, damit ein marokkanischer Student ein Jahr an der
Universität Kairo verbringen kann? Und widerspräche es nicht dem
Konzept einer „europäischen Identität“, wenn sich der
europäische Hochschulraum nun auf das gesamte Mittelmeer (und womöglich
noch weitere Länder) ausdehnen würde?
Andererseits: Was wäre das für eine europäische
Identität, die es nötig hat, sich gegenüber einer Kooperation mit ihren Nachbarländern abzuschotten? Die Mittelmeerunion wurde ja gerade gegründet,
um den politischen Rahmen für Projekte zu bieten, die die Europäer
und die anderen Mittelmeeranrainer gemeinsam angehen – der
freie Austausch der Akademie gehört da zweifellos dazu. Und was das
europäische Interesse an einem intensivierten innerarabischen Kontakt betrifft: Waren es nicht gerade diese Verflechtungen, die
dazu führten, dass sich der arabische Frühling vor einem Jahr von
einem Land zum nächsten ausbreiten konnte?
Studentenaustausch
allein genügt nicht
Damit bleibt nur noch ein Vorbehalt: Die Konzentration auf den
Bildungsbereich genügt natürlich nicht. Was die demokratischen
Fortschritte in Tunesien oder Ägypten gefährdet, ist in erster
Linie die um sich greifende Arbeitslosigkeit. Solange die
wirtschaftliche Lage sich nicht bessert, wird kein akademisches
Austauschprogramm eine breite Ausstrahlungskraft entfalten – wer um
die Ernährung seiner Familie besorgt ist, macht sich meist nur wenig
Gedanken über den kulturellen Austausch mit dem Rest der Welt und
bleibt anfällig für populistische Heilsversprechungen. Die Öffnung der europäischen Märkte und die Förderung von
Direktinvestitionen in Nordafrika muss deshalb ein
zentraler Bestandteil der EU-Nachbarschaftspolitik bleiben.
Langfristig aber kann Euromed-Erasmus einen wichtigen Schritt auf dem
Weg zu einem gemeinsamen europäisch-arabischen Bildungs- und
Kulturraum darstellen und ein Zeichen setzen wie die Demonstration
der Bücherleser auf der Avenue Habib Bourguiba: ein Zeichen gegen
jede Beschränkung des freien Austauschs von Ideen, ob diese nun
durch eine politische oder religiöse Zensur erfolgt oder durch
nationale Grenzen und eine restriktive Migrationspolitik.
Bild: By Taha Husayn (a book from Taha Husayn) [see page for license], via Wikimedia Commons.
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