- Ganz so schick wie diese werden die Unterschriften auf der ersten EBI wohl nicht sein. Ganz so wichtig auch nicht.
Zückt die Kugelschreiber, bald werden
Unterschriften gesammelt! Seit Beginn dieses Monats ist die
Verordnung über die Europäische Bürgerinitiative in Kraft (hier
der Wortlaut, hier eine
Übersichtsdarstellung
des Europäischen Parlaments samt putzigem Video). An
Vorschusslorbeeren dafür mangelt es nicht: Parlamentspräsident
Martin Schulz (SPD/SPE) spricht von einer „wunderbaren Sache“, die
„politische Richtungen gänzlich verändern“ könne. Für
Mehr Demokratie e.V.
gilt die EBI gar als „bahnbrechend für die Bürgerbeteiligung auf
europäischer Ebene“ und als Grundlage, mit der „eine europäische
politische Öffentlichkeit entstehen und wachsen“ könne.
Es
ist nur zu hoffen, dass so viel Optimismus nicht enttäuscht wird.
Denn wer bei dem Wort Bürgerinitiative an europaweite Volksabstimmungen denkt, hat
sich von der direktdemokratischen Rhetorik aufs Glatteis führen
lassen. Die EBI ist nicht mehr als ein Vorschlag, eine Anregung, die von den EU-Organen, wenn die das wollen,
aufgegriffen und in einen Rechtsakt gegossen werden kann. Sicher ist das aber nicht. Und ein europaweites Referendum findet erst recht nicht statt.
Initiativmonopol
und Aufforderungsrecht
Und
darum geht es im Einzelnen: Anders als auf nationaler Ebene, wo
normalerweise sowohl die Regierung als auch das Parlament Gesetze
vorschlagen können, liegt das Initiativrecht auf europäischer Ebene
(mit wenigen Ausnahmen) allein bei der Europäischen Kommission.
Europaparlament und Rat können im Gesetzgebungsverfahren zwar jeden
Rechtsakt beliebig abändern; damit es aber überhaupt dazu kommen
kann, muss er erst einmal von der Kommission vorgeschlagen werden.
Diese Konstruktion geht auf die 1950er Jahre zurück. Sinn der Sache
war es damals, die Kommission als das damals wichtigste
supranationale Organ gegenüber den Mitgliedstaaten zu stärken,
indem sie das alleinige Recht zum Agendasetting erhielt.
Seit
dem Aufstieg des Europäischen Parlaments als Gesetzgebungsorgan gilt das Initiativmonopol der Kommission jedoch
als Relikt der Vergangenheit. In späteren Vertragsreformen wurde es
deshalb immer mehr ausgehöhlt, indem Parlament und Rat ein
„Aufforderungsrecht“ erhielten (Art. 225
und
241
AEUV).
Sie können nun die Kommission aufrufen, einen Vorschlag zu machen.
Die Kommission kann das ablehnen, sie muss dann aber eine Begründung
vorlegen. In der Praxis kommt sie derartigen Aufforderungen in der
Regel nach.
Durch
die Europäische Bürgerinitiative nun erhält die europäische
Bevölkerung ein ähnliches Aufforderungsrecht wie Parlament und Rat.
Dafür müssen die Organisatoren mindestens eine Million
Unterschriften aus mindestens sieben Mitgliedstaaten (mit einer
festen Quote pro Land) sammeln. Sie erhalten dadurch das Recht, bei
einer Anhörung im Europäischen Parlament ihr Projekt vorzustellen.
Anschließend entscheidet dann die Kommission, ob sie einen Rechtsakt
dazu vorschlägt. Entscheidet sie sich dagegen, passiert nichts –
außer dass die Organisatoren einen freundlichen Brief bekommen, in
dem ihnen die Gründe für die Entscheidung erklärt werden.
Immerhin
steht zu hoffen, dass die Kommission sich gegenüber
Bürgerinitiativen genauso aufgeschlossen zeigt wie gegenüber
Aufforderungen von Parlament und Rat und zuletzt vielleicht doch die ein oder andere Verordnung herauskommt. Aber dennoch: Soll das nun der
Durchbruch zu einer europäischen politischen Öffentlichkeit sein?
Wenn man darunter eine grenzüberschreitende Debatte
europäischer Themen mit breiter Bürgerbeteiligung und massenmedialer Aufmerksamkeit versteht, dann habe ich
meine Zweifel. Und zwar vor allem aus zwei Gründen:
Erstens:
Keine Schlüsselthemen
Die
EBI ist lediglich eine Aufforderung an die Kommission, einen
Sekundärrechtsakt vorzuschlagen. Bedingung dafür ist aber
natürlich, dass die Kommission dazu auch eine Kompetenz nach dem
AEU-Vertrag hat – eine Änderung des Vertrags ist als Inhalt einer Bürgerinitiative ausgeschlossen. Damit aber scheidet eine
ganze Reihe von Schlüsselthemen aus, die in den letzten Monaten im
Zentrum der europäischen Politik und Medienaufmerksamkeit standen. Ob der Fiskalpakt
ratifiziert wird oder nicht, ob das Beitrittsverfahren mit der Türkei
beschleunigt oder verlangsamt wird, ob das Europäische Parlament
seinen Zweitsitz in Straßburg aufgeben darf und ob Europa aus der
Atomkraft aussteigt: alles das wird auch weiterhin nur durch die
Regierungen und Parlamente der Mitgliedstaaten beschlossen werden.
Jede
Bürgerinitiative wird deshalb vor der Unterschriftensammlung auf
ihre Vertragskonformität geprüft werden. Natürlich bleiben immer
noch eine ganze Menge umstrittene Themen übrig, für die die
Kommission tatsächlich zuständig ist – sei es
Vorratsdatenspeicherung
oder Finanzmarktregulierung,
Wasserversorgung
oder
Tierschutz. Dennoch werden viele Organisatoren, die sich heute auf die neuen
Mitwirkungsrechte freuen, wohl bald dasselbe frustrierende Gefühl
erleben, das auch die Kommission aus ihrer täglichen Arbeit kennt:
dass es einfach noch immer viel zu viele Themen von europaweiter
Relevanz gibt, für die die supranationalen Organe der EU einfach
keine Kompetenz besitzen.
Zweitens:
Keine Abstimmung
Nun
kommt es für die Herstellung politischer Öffentlichkeit aber
natürlich nicht in erster Linie darauf an, ob eine Bürgerinitiative
auch erfolgreich ist. Es wäre schon ausreichend, wenn nur genug
darüber gesprochen wird, um eine Debatte in Gang zu bringen –
selbst wenn die Initiative dann scheitert, stünde das Thema im Raum
und könnte von anderen politischen Akteuren, etwa den nationalen
Regierungen oder den Parteien im Europaparlament, wieder aufgegriffen
werden. Dafür wäre es jedoch notwendig, dass die Bürgerinitiativen
ein großes Medienecho finden. Und wie wahrscheinlich ist das?
Bei
der Politikberichterstattung sind für Medien unter anderem zwei
Dinge wichtig. Erstens muss das Thema spannend sein: Etwas muss auf
dem Spiel stehen, eine Entscheidung muss fallen, es muss Sieger und
Verlierer geben. Und zweitens sollte das Thema etwas mit dem Publikum
zu tun haben – anknüpfen an bekannte Muster, an
Alltagserfahrungen, oder noch besser: eine eigene Meinung
erforderlich machen. Nicht zuletzt deshalb sind Wahlen und Referenden
ein so dankbares Medienthema: Es gibt da immer zwei klare Positionen,
ein Ja und ein Nein, und da die Zeitungsleser und Fernsehzuschauer am
Ende selbst abstimmen werden, haben sie auch ein Interesse daran,
sich vorher zu informieren und eine eigene Meinung zu bilden.
Die
Europäische Bürgerinitiative jedoch sieht eben keine Abstimmung der
Bürger vor. Alles, was die Organisatoren einer EBI tun können, ist das Sammeln von Unterschriften. Und da die Unterschriftensammler kaum
überall sein können, werden viele Bürger von den laufenden
Bürgerinitiativen erst einmal nichts mitbekommen und daher
auch nicht den Druck verspüren, sich eine Meinung dazu zu bilden.
Entsprechend werden auch die Zeitungen nur wenig Grund sehen, diesen
Themen besonders große Aufmerksamkeit zu widmen. Ein allzu
gewaltiges Medienecho jedenfalls sollte niemand erwarten, der eine
EBI in Gang bringt.
Immerhin:
Europäisierung von Parteien und Verbänden
Was
bleibt? Die größte Stärke der Europäischen Bürgerinitiative sehe
ich an einer ganz anderen Stelle. Sie könnte dazu beitragen, dass
sich die europaweite Zusammenarbeit der verschiedenen nationalen
Parteien und Verbände in Zukunft verbessert – und zwar
paradoxerweise gerade aufgrund der vielen Hürden, die damit
verbunden sind. Für eine erfolgreiche Bürgerinitiative braucht es
nämlich eine Million Unterschriften, wobei in mindestens einem
Viertel der Mitgliedstaaten jeweils eine bestimmte landesspezifische
Mindestanzahl erreicht werden muss (konkret jeweils 750 Mal so viele,
wie das Land Europaabgeordnete hat, was von 3750 Unterschriften in
Malta bis zu 74250 in Deutschland reicht). Um erfolgreich zu sein,
müssen die Organisatoren einer Initiative also in einer Vielzahl von
Ländern präsent sein. Und das wiederum bedeutet, dass Parteien und
Verbände einen Anlass bekommen, sich besser auf europäischer Ebene
zu vernetzen.
Wenn
also die FDP die Idee hat, durch eine Europäische Bürgerinitiative
die Vorratsdatenspeicherung zu Fall zu bringen, so wird sie wohl als
Erstes die europäische liberale Partei ELDR für die Kampagne
begeistern müssen. Wenn der Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland
sich für einen besseren Tierschutz einsetzen will, dann wird er sich
an seinen europäischen Dachverband Friends of the Earth wenden. Und
damit die Gewerkschaften die EBI für eine Verbesserung der
Sicherheit am Arbeitsplatz nutzen können, werden sie sich über den
Europäischen Gewerkschaftsbund koordinieren müssen.
Und
damit könnte die Europäische Bürgerinitiative am Ende doch noch
einen Beitrag zur Europäisierung der Öffentlichkeit leisten: nicht
dadurch, dass sie breite Debatten anstößt, die über die
Massenmedien eine Vielzahl von Bürgern erreichen, sondern in der
Art, wie sich die Zivilgesellschaft organisiert. Die EBI wird in
erster Linie ein Politikinstrument werden, das die europaweiten
Parteien und Verbände für ihre Zwecke nutzen können – und sie
wird diesen dadurch eine wichtigere Rolle gegenüber ihren nationalen
Mitgliedsorganisationen verschaffen. Das ist sicher eine gute Sache
und soll uns willkommen sein. Aber der ganz große Durchbruch zur
europäischen Demokratie ist es wohl nicht.
Nachtrag: In englischsprachigen Medien verbreitet sich heute die Nachricht, dass zwei große britische Lobbyfirmen ihren Klienten anbieten, sie bei der Entwicklung und Förderung von Europäischen Bürgerinitiativen zu unterstützen. Das hat zu einer gewissen öffentlichen Aufregung geführt – schließlich sei die EBI als ein Instrument der Basisdemokratie gedacht, nicht als Einfallstor für die Interessen von Großunternehmen. Aber mal ehrlich: Hat wirklich irgendwer geglaubt, dass lokale Graswurzelvereine in der Lage sind, europaweit eine Million Unterschriften einzusammeln? Wenn Lobbyfirmen ihren Klienten dabei helfen, sich auf europäischer Ebene zu vernetzen, dann scheint mir das nicht per se verwerflich zu sein. Und am Ende wird die Entscheidung, ob die von ihnen eingebrachten Initiativen dem Gemeinwohl entsprechen, ohnehin den EU-Gesetzgebungsorganen überlassen bleiben.
Nachtrag: In englischsprachigen Medien verbreitet sich heute die Nachricht, dass zwei große britische Lobbyfirmen ihren Klienten anbieten, sie bei der Entwicklung und Förderung von Europäischen Bürgerinitiativen zu unterstützen. Das hat zu einer gewissen öffentlichen Aufregung geführt – schließlich sei die EBI als ein Instrument der Basisdemokratie gedacht, nicht als Einfallstor für die Interessen von Großunternehmen. Aber mal ehrlich: Hat wirklich irgendwer geglaubt, dass lokale Graswurzelvereine in der Lage sind, europaweit eine Million Unterschriften einzusammeln? Wenn Lobbyfirmen ihren Klienten dabei helfen, sich auf europäischer Ebene zu vernetzen, dann scheint mir das nicht per se verwerflich zu sein. Und am Ende wird die Entscheidung, ob die von ihnen eingebrachten Initiativen dem Gemeinwohl entsprechen, ohnehin den EU-Gesetzgebungsorganen überlassen bleiben.
Bild: Zinneke at lb.wikipedia [GFDL or CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons.
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