- Hans-Werner Sinn erklärt in deutschen Medien gern die Euro-Krise. An der europäischen Öffentlichkeit beteiligt er sich eher weniger.
Man
kann wahrhaftig nicht sagen, dass die Euro-Krise besonders arm an
kurzfristigen Aufregern wäre, und dass eigentlich die politische
Sommerpause begonnen hat, wird daran wohl erst einmal nichts ändern.
Darum, dass auch zwischen der Diskussion über ein neues Grundgesetz
vor zwei Wochen und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
morgen keine Langeweile in der Öffentlichkeit aufkommt, haben sich
letzte Woche die Wirtschaftswissenschaftler gekümmert: Innerhalb
weniger Tage wurden gleich drei Aufrufe und Gegenaufrufe zu
Euro-Rettung und Bankenunion veröffentlicht, bis es dem Laien ganz
schwindlig war und Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU/EVP)
endlich konstatierte, „von allen denkbaren Verfahren in der
Bewältigung dieser Krise“ sei „das am wenigsten taugliche die
Umsetzung von Expertenempfehlungen“. Na, danke.
Aufrufe
und Gegenaufrufe
Was
genau passiert ist, hat die Süddeutsche Zeitung hier
zusammengefasst. Am Anfang stand ein von Hans-Werner Sinn und Walter
Krämer initiiertes Schreiben, in dem sie scharf die letzten
Gipfelbeschlüsse kritisierten, denen zufolge der Europäische
Stabilitätsmechanismus (ESM) künftig auch direkt zur Bankenrettung
eingesetzt werden soll und damit indirekt die Funktion einer
gesamteuropäischen Einlagensicherung übernimmt (im Ausgleich dafür
soll auch die Bankenaufsicht stärker europäisiert werden). Dieses
Schreiben wurde innerhalb weniger Tage von fast zweihundert anderen
Wirtschaftswissenschaftlern mitunterzeichnet, stieß aber auch auf
scharfe Kritik. Eine Gruppe von Ökonomen um Peter Bofinger reagierte
mit einer „Widerrede“, in der sie dem Kreis um Sinn und
Krämer vorwarfen, unsachlich zu sein und keine klaren Alternativen
vorzuschlagen. Und schließlich formierte sich noch ein dritter Kreis
um Frank Heinemann und Gerhard Illing, die sich in einer
eigenen Stellungnahme klar für die Europäische
Bankenunion aussprachen. Auch dieser Gegenaufruf wurde innerhalb
kurzer Zeit von über hundert weiteren Wirtschaftswissenschaftlern
unterstützt.
Ich
möchte mich an dieser Stelle nicht näher zu der ökonomischen
Debatte selbst äußern – zum einen tun das zurzeit schon genügend andere, zum anderen habe ich auch selbst in diesem Blog bereits
vor einem Monat die Kommissionspläne zur Bankenunion kommentiert.
Allgemein sind die in den jüngsten Aufrufen formulierten Argumente
weder besonders neu noch besonders ungewöhnlich. Interessant daran
finde ich eher etwas anderes: nämlich wie „deutsch“ diese ganze
Diskussion verlaufen ist.
Nur
deutschsprachige Unterzeichner
Das
Erste, was auffällt, wenn man sich die Unterzeichnerliste unter den
beiden Manifesten ansieht, ist die fast vollständige Abwesenheit
ausländischer Namen. Und nicht nur das: Auch bei den hinter den
Namen angeführten Universitätsstädten findet sich nur hier und
dort ein London oder Chicago, ein Lissabon oder Montréal. Die überwältigende Mehrheit der Unterzeichner
hingegen stammt aus Deutschland, einige aus Österreich und mehrere
auch aus, ja, der Schweiz. Tatsächlich bezeichnen sich die Verfasser
des ersten Appells selbst als „Wirtschaftswissenschaftlerinnen
und Wirtschaftswissenschaftler der deutschsprachigen Länder“. Auch
offizielle englischsprachige Übersetzungen der öffentlichen Aufrufe
gibt es offenbar nicht – es scheint ganz, als sei dies eine Debatte
von Germanophonen für Germanophone.
Aber
warum? Sind die deutschen Wirtschaftswissenschaftler international so
schlecht vernetzt, dass sie keine Kollegen außerhalb von Österreich
und der Schweiz kennen? War bei der Veröffentlichung der Manifeste
auf die Schnelle kein Übersetzer zu haben? Gibt es eine eigene
„deutsche Ökonomie“, die auf ganz anderen Lehrsätzen und
Theorien beruht als denen, die in diesem Fach im Rest der Welt
diskutiert werden? Oder warum sonst hat niemand bei Paul de Grauwe
oder Francesco Mongelli nachgefragt, um nur zwei renommierte Forscher
zur Eurozone und der Theorie optimaler Währungsräume zu nennen? Wo
sind die Namen von Jean Pisani-Ferry und den anderen Mitarbeitern von
Bruegel, dem bekanntesten ökonomischen Thinktank der EU? Wo die
diversen amerikanischen Wirtschaftsnobelpreisträger, die sich in
jüngster Zeit immer wieder zur europäischen Krise geäußert haben?
Sollte man nicht deren Meinung mit einbeziehen, wenn man die Debatte
zu den jüngsten politischen Entwicklungen mit ernsthafter
wirtschaftswissenschaftlicher Expertise unterfüttern will?
Doch
vermutlich liegt genau darin die Antwort auf diese Fragen: Das Ziel
der Unterzeichner des ersten Aufrufs war es eben nicht, eine solide,
wissenschaftlich durchdachte Stellungnahme abzugeben – womit sie an
die Öffentlichkeit traten, ist ein rein politischer Appell. Das
zeigt sich bereits an der Wortwahl des Textes, der an die „lieben
Mitbürger“ adressiert ist und mit dem Aufruf endet, sich an den
„Abgeordneten Ihres Wahlkreises“ zu wenden, damit „unsere
Volksvertreter […] wissen, welche Gefahren unserer Wirtschaft
drohen“. Und dass im ersten Satz Angela Merkel schlicht als „die
Kanzlerin“ bezeichnet wird, als gäbe es nur eine, lässt keine
Zweifel daran, an welche „Mitbürger“ sich die Autoren da wenden:
Sie sprechen als Deutsche zu Deutschen, und schon die Österreicher und
Schweizer unter den Unterzeichnern sind kaum mehr als Zaungäste
dabei.
Eine
Debatte unter nationalem Vorzeichen
Ich
habe hier vor zwei Wochen darüber geschrieben,
dass man über die EU auf zwei unterschiedliche Arten diskutieren
kann: Wenn Entscheidungen in einem supranationalen Rahmen getroffen
werden können, verstehen sich die Menschen meist als europäische
Bürger, denen an einer gemeinsamen Lösung gelegen ist. Wenn Europa
jedoch im rein nationalen Rahmen verhandelt wird, dann dominieren oft
die Paradigmen der Außenpolitik und es steigt das Misstrauen
gegenüber den „ausländischen“ Regierungen, denen man möglichst
wenig Mitsprache über die eigene Fiskalpolitik geben will.
Der
Brief der Ökonomen um Sinn und Krämer scheint mir geradezu ein
Musterbeispiel für eine solche Entwicklung zu sein. Es mag noch
angehen, dass sie die Währungsunion nicht etwa als eine Einheit
sehen, sondern zwischen den „Krisenländern“ und den „bislang
noch soliden Länder[n]“ unterscheiden. Problematischer wird
es, wenn sie unterstellen, die Bürger der Letzteren hätten „mit
all dem“, d.h. den Bankenproblemen in Südeuropa, „wenig zu tun“
– als wären nicht gerade die ökonomischen Ungleichgewichte
innerhalb der Eurozone die strukturelle Ursache der Krise gewesen.
Doch wenn es zu Beginn des zweiten Absatzes heißt:
Die Politiker mögen hoffen, die Haftungssummen begrenzen und den Missbrauch durch eine gemeinsame Bankenaufsicht verhindern zu können. Das wird ihnen aber kaum gelingen, solange die Schuldnerländer über die strukturelle Mehrheit im Euroraum verfügen,
dann
lässt sich diese Gegenüberstellung nur noch als blanker nationaler
Argwohn lesen: hier „die Politiker“, dort „die
Schuldnerländer“; hier der hehre Versuch, Missbrauch zu
verhindern, dort aber – ja, was eigentlich? Die Tücke der Romanen,
die nach dem Schatz der Nibelungen gieren?
Die
Gegenaufrufe
Bemerkenswerterweise
ist es ausgesprochen schwierig, eine Debatte, die erst einmal auf
diese Weise ins nationale Fahrwasser geraten ist, noch europäisch zu
öffnen. Das zeigt sich auch an den Reaktionen auf
den Sinn/Krämer-Aufruf: So betonte Peter Bofinger in seiner Widerrede
zwar, dass es „in erster Linie um die […] Auswirkungen […] auf
die Stabilität des gesamten Finanzsystems des Euro-Raums“ gehe –
aber auch er appellierte zuletzt nur an eine deutsche Öffentlichkeit,
wenn er erklärt, dass bei einer Bankenpleite „auch
der deutsche Sparer und der deutsche Steuerzahler“ betroffen wäre
und „auch die deutsche Wirtschaft erheblich beeinträchtigt würde“.
Das ist ohne Zweifel richtig, aber kommt es darauf wirklich an? Wäre
es denn in Ordnung, den Rest Europas ins wirtschaftliche Chaos
stürzen zu lassen, wenn nur sichergestellt wäre, dass Deutschland
dabei seine Schäfchen im Trockenen halten kann?
Erst
der Gegenaufruf der Heinemann/Illing-Gruppe nahm schließlich eine europäische
Perspektive auf das Thema ein. Das beginnt schon mit ihren Zielen,
als die sie „eine
stabilere Architektur Europas“ und „den Zusammenhalt der
Währungsunion“ nennen. Und anders als Krämer und Sinn sprechen
sie die strukturellen Probleme der Eurozone an: die „fatale[n]
Konstruktionsfehler der Währungsunion“, die einen „Teufelskreis
zwischen nationalen Schulden- und Bankenkrisen“ auslösten. Dieser
könne nur durch eine „Europäisierung der Kreditversorgung“
durchbrochen werden – was seinerseits „einheitliche
Regulierungsstandards“ und eine „europäische Bankenaufsicht mit
weitreichenden Eingriffsrechten“ erforderlich mache.
Doch auch unter dieser Analyse, die wohl eine Vielzahl von Wissenschaftlern in anderen Ländern Europas teilen würde, finden sich kaum ausländische Namen. Weshalb? Fast scheint es, als ob sich die Verfasser damit abgefunden hätten, dass dies eine rein deutsche Debatte sein wird. Oder fürchten sie gar, ihr Aufruf würde in der deutschen Öffentlichkeit an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn man sähe, dass sich ihm auch Griechen und Italiener anschließen können?
Doch auch unter dieser Analyse, die wohl eine Vielzahl von Wissenschaftlern in anderen Ländern Europas teilen würde, finden sich kaum ausländische Namen. Weshalb? Fast scheint es, als ob sich die Verfasser damit abgefunden hätten, dass dies eine rein deutsche Debatte sein wird. Oder fürchten sie gar, ihr Aufruf würde in der deutschen Öffentlichkeit an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn man sähe, dass sich ihm auch Griechen und Italiener anschließen können?
Deutsches
und europäisches Interesse
Kurz
gesagt: Während sich die Krämer/Sinn- und die Bofinger-Gruppe
darüber streiten, welche Strategie im besten deutschen Interesse
liegt (wobei Bofinger die deutlich besseren Argumente hat), sucht der Kreis um Heinemann und Illing eine Lösung für die Währungsunion
insgesamt. Solange es bei EU-Vertragsreformen ein nationales Vetorecht gibt, ist es womöglich notwendig, die Debatte auf beiden Ebenen
gleichzeitig zu führen – und bei jedem Lösungsvorschlag zu
verdeutlichen, dass er nicht nur „den Europäern“ insgesamt
nutzt, sondern auch „den Deutschen“ speziell. Angesichts der
schon heute existierenden engen Verflechtungen fallen oft genug
ohnehin beide Ebenen zusammen, da ein Scheitern der Währungsunion
kaum einem Land so sehr schaden würde wie Deutschland.
Für
die öffentliche Debatte aber ist zu hoffen, dass möglichst viele
Bürger verstehen, dass kollektive Interessen keineswegs zwingend auf
der Ebene des Nationalstaats gebildet werden müssen. Wenn wir uns
eine Meinung zu politischen Fragen bilden, dann gehen wir dabei oft
von dem aus, was wir als „das Gemeinwohl“ verstehen. In der
Außenpolitik stellt man sich dieses Gemeinwohl meist als ein
nationales vor und spricht dann vom nationalen Interesse. Aber in diesen Zeiten der wechselseitigen Abhängigkeit aller Mitgliedstaaten sollten wir die Euro-Krise nicht als ein Thema nationaler Außen-, sondern
europäischer Innenpolitik betrachten – und darum nicht nur das deutsche, sondern immer auch das gesamteuropäische Gemeinwohl in den Blick nehmen.
Erst recht gilt das natürlich für Wirtschaftswissenschaftler, die den Anspruch erheben, fachliche Expertise zu aktuellen politischen Problemen zu geben. Es ist ein Grundmerkmal wissenschaftlicher Erkenntnis, dass sie nicht an nationalen Grenzen halt macht. Ob ein bestimmtes Argument Sinn ergibt oder nicht, hängt nicht von der Staatsangehörigkeit seines Verfassers ab. Wenn sich also das nächste Mal eine Gruppe von Ökonomen mit einem politischen Manifest zu Wort melden will, dann sollte sie uns zeigen, dass sie bereit ist, darüber auch mit Kollegen aus anderen Ländern zu diskutieren, und dass ihre Vorschläge auch bei diesen auf Zustimmung stoßen. Denn ohne einen gesamteuropäischen Ansatz wird die Euro-Krise am Ende ohnehin nicht zu lösen sein.
PS
Bild: By Jan Roeder, Krailling (Photographer Jan Roeder) [GFDL or CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons.
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