Es ist im Augenblick noch
nicht abzusehen, ob das, was derzeit in Zypern geschieht, der Anfang
vom Ende der Eurokrise oder der Anfang vom Ende der Eurozone ist.
Fest steht, dass das zyprische Parlament gestern Abend nach massiven
Protesten der Bevölkerung den Beschluss der Eurogruppe von
vergangenem Samstag abgelehnt hat, demzufolge etwa ein Drittel der
zur Sanierung der zyprischen Banken benötigten 17 Milliarden Euro
durch eine Vermögensabgabe auf Sparguthaben aufgebracht werden
sollte. Was ab jetzt passiert – europäische Neuverhandlungen, eine
russische Intervention oder eine zyprische Staatspleite –, ist
offen. In all die Aufregung hinein mischt sich zudem eine Diskussion,
ob uns diese seltsame kleine Mittelmeerinsel nicht eigentlich ganz
egal sein könnte: Während die Europäische Kommission und die EZB
das Land gerade für „systemrelevant“ erklärt haben, sind sich deutsche Politiker
wie Norbert Barthle (CDU/EVP) nicht ganz so sicher. Hierzu drei Gedanken.
Erstens wirtschaftlich
Wie
unsinnig der Plan der Eurogruppe aus wirtschaftlicher Sicht war, ist
in den letzten Tagen schon von vielen Seiten gut erklärt worden (zum
Beispiel von Wolfgang Münchau und dem Economist),
sodass ich mich hier kurz fassen will. Es ist geradezu eine der
Ursachen der Eurokrise, dass die Anleger ihr Geld nach der
Lehman-Pleite 2008 in kleinen armen Euro-Staaten für weniger sicher
hielten als in großen reichen Euro-Staaten, und zwar weil die großen
reichen Staaten eine glaubwürdigere Garantie für die Sicherung von
Bankguthaben abgeben konnten. Die Folge war eine massive
Kapitalflucht von der Peripherie ins Zentrum, die dann zu einer
Spirale von Staats- und Bankschulden in Irland und Südeuropa führte.
Um
diese Kapitalflucht zu stoppen, hat sich die EU seitdem verzweifelt
darum bemüht, die Glaubwürdigkeit der Einlagensicherungssysteme in
der Euro-Peripherie wieder herzustellen. 2010 verabschiedete die
Kommission eine Reform der Einlagensicherungs-Richtlinie, die allen Mitgliedstaaten
einheitliche Mindeststandards vorschreibt. 2012 folgte dann der
Vorschlag einer gemeinsamen europaweiten Einlagensicherung – die allerdings von der Lobby
der deutschen Banken (die davon profitieren, dass sich Anleger lieber
an sie wenden als an die Konkurrenz aus Südeuropa) und von der
Bundesregierung vorerst verhindert wurde.
Mit
dem Zypern-Plan torpedierte die Eurogruppe nun all diese Bemühungen
der letzten Jahre. Auch wenn die vorgeschlagene Vermögensabgabe rein
rechtlich der Einlagensicherungsrichtlinie nicht widerspricht,
konterkariert sie vollständig deren Sinn und zerstört das Vertrauen
der Anleger, dass die europäischen Banken in jedem Land dieselben
staatlichen Mindestgarantien aufweisen. Nicht zufällig erklärte
deshalb die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im Europäischen
Parlament, Sharon Bowles (LibDem/ELDR), schon am Samstag ihr „Entsetzen“ über den Vorschlag. Und es war reichlich
zynisch, dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU/EVP) am
Montag noch einmal eigens alle Anleger darauf hinwies, dass ihre Sparguthaben in Deutschland übrigens sicher sind.
Zweitens politisch
Bemerkenswert
ist außerdem, dass bereits am Montag niemand von den beteiligten
Politikern mehr an den Beschlüssen vom Wochenende schuld sein
wollte. Ich habe in diesem Blog öfters darüber geschrieben, wie
wichtig es ist, dass wirtschaftspolitische Entscheidungen bestimmten Akteuren zugeschrieben werden können – da die Bevölkerung die
damit verbundenen Risiken viel bereitwilliger auf sich nehmen wird,
wenn sie weiß, dass sie die Verantwortlichen selbst gewählt hat und
auch abwählen könnte. Der Fall Zypern hingegen ist ein
Musterbeispiel dafür, wie sich in der Eurokrise politische
Verantwortlichkeiten auflösen.
In
den letzten Tagen haben verschiedene
Journalisten
zu rekonstruieren versucht, wer wann welchen Beitrag zu dem fatalen
Vorschlag leistete. Etwas vereinfacht war es vor allem die deutsche
Bundesregierung, die darauf bestand, dass die zyprischen Anleger
selbst einen Beitrag zur Bankenrettung leisten müssten. Getrieben
wurde sie dabei von einer deutschen öffentlichen Meinung, die davon
ausging, dass auf zyprischen Konten hauptsächlich Schwarzgeld aus
Russland gewaschen wird. Der vor drei Wochen neu gewählte zyprische
Präsident Nikos Anastasiadis (DISY/EVP) lehnte diesen
Vorschlag allerdings strikt ab – aus der wohl berechtigten Sorge,
dass dann außer den Schwarzgeld-Oligarchen auch andere Anleger
ihr Kapital von den zyprischen Banken abziehen würden.
Seinen
Versuch, den Gipfel scheitern zu lassen, unterband allerdings der
ebenfalls anwesende EZB-Direktor Jörg Asmussen, der drohte, dass die
Zentralbank in diesem Fall sofort die Kreditversorgung der zyprischen
Banken abstellen und sie damit in den Konkurs treiben würde.
Daraufhin lenkte Anastasiadis ein, versuchte allerdings noch,
möglichst gute Bedingungen für die Großanleger herauszuschlagen,
bei denen eine Kapitalflucht am wahrscheinlichsten ist. Am Ende stand
eine Konstruktion, nach der Guthaben von über 100.000 Euro mit 9,9% belastet werden sollten,
kleinere Guthaben aber immer noch mit 6,75%. Woraufhin in der Bevölkerung die Proteste ausbrachen.
Das
Ergebnis: Für die Zyprer steht fest, dass ihnen die Vermögensabgabe
von außen aufgezwungen wurde – von der Eurogruppe, von der EZB,
von der Bundesregierung. In den deutschen Medien hingegen verweisen
deutsche Politiker darauf, dass an der unsozialen Verteilung der
Lasten ja die zyprische Regierung schuld sei, die auch Kleinanleger
ganz von der Abgabe befreien und dafür Großvermögen mit 15 oder 20
Prozent hätte belasten können. Und der Bürger bleibt ratlos
zurück: Wen um alles in der Welt kann er abwählen, wenn er mit
diesem absurden Krisenmanagement unzufrieden ist?
Drittens demokratisch
Und dann die Sache mit der Systemrelevanz.
Offensichtlich wäre die Situation in Zypern niemals so eskaliert, wenn EZB-Direktor Asmussen auf dem Gipfel nicht halbwegs
glaubwürdig mit einer Pleite der zyprischen Banken hätte drohen
können. Und dies wiederum war nur deshalb möglich, weil in Europa
die Vorstellung verbreitet ist, dass Zypern wirtschaftlich „nicht
systemrelevant“ ist – das heißt, dass das wirtschaftliche
Gewicht der zyprischen Banken und des zyprischen Staates so gering
ist, dass der Rest der Eurozone ihren Bankrott halbwegs unbeschadet
überstehen könnte. Wie gesagt, sind die EZB und Asmussen selbst
nach dem Wochenende von dieser Einschätzung wenigstens offiziell
wieder abgerückt. Dennoch darf man wohl davon ausgehen, dass die
Politik einiger Regierungen in der Eurozone durchaus von dem Gedanken
beeinflusst sein dürfte, dass man Zypern, anders als etwa Spanien
oder Italien, durchaus fallen lassen könnte.
Wenn
wir uns jedoch auf diese Logik einlassen, dann ist die Eurozone
gerade dabei, in zwei Klassen von Mitgliedstaaten zu zerfallen: auf
der einen Seite jene, die als too big to fail gelten und
deshalb darauf vertrauen können, dass die anderen sie schon
irgendwie heraushauen werden. Und auf der anderen Seite jene, die
„nicht systemrelevant“ sind und denen man deshalb – friss oder
stirb! – ohne allzu große Rücksichtnahme Vorschriften machen
kann. (In welche der beiden Gruppen Griechenland einzusortieren ist, war vergangenen Sommer bereits Thema einer
Arbeitsgruppe im deutschen Finanzministerium.)
Was mir an der
derzeitigen Diskussion über die Zypern-Krise am meisten Sorgen
macht, ist, dass ein Großteil der Politiker und der öffentlichen
Meinung anscheinend
nicht einmal bemerken, auf welch eine schiefe Bahn wir uns da
begeben. Denn wenn wir die Europäische Union als eine Demokratie
verstehen, dann darf der politische Einfluss eines Bürgers natürlich
nicht von der Wirtschaftsleistung seines Landes abhängen.
Die letzten Jahre haben in dramatischer
Weise gezeigt, wie sehr die ökonomischen Verflechtungen in Europa nationale Handlungsspielräume eingeschränkt haben. Angesichts der wechselseitigen Abhängigkeiten ist die Vorstellung, dass wirtschaftspolitische Entscheidungen in erster
Linie in den nationalen Parlamenten getroffen werden, ganz offensichtlich
eine Illusion. Deshalb kann man auch nicht nur die nationalen Politiker dafür verantwortlich machen: Die politische Legitimität für den Weg aus der
Krise muss auf Ebene der Europäischen Union erzeugt werden.
Dafür aber wäre es zuallererst notwendig, dass das europäische
Krisenmanagement nicht mehr auf der Grundlage wechselseitiger Erpressungen erfolgt. Wie Christian Rickens treffend schreibt, gleichen die Verhandlungen einem Hasenfuß-Rennen: Beide Beteiligten, die EU und
die Regierung des Krisenlands, rasen im Auto aufeinander zu, und wer
aus Angst vor den Folgen eines Staatsbankrotts als Erster abdreht,
hat verloren. Es gibt Unmengen an spieltheoretischer
Literatur über solche Chicken Games, und es ist offensichtlich, dass die Ergebnisse, die
dabei herauskommen, weder besonders rational noch besonders
demokratisch sind. In Zypern aber hat das Parlament das Gaspedal mit seiner jüngsten Ablehnung der Vermögensabgabe noch einmal
kräftig durchgedrückt, und es könnte sein, dass sich die restliche Eurogruppe nun bemüßigt fühlt, ihrerseits den gefürchteten
Unfall herbeizuführen.
Was wir stattdessen bräuchten, ist eine klare und glaubwürdige Erklärung der
europäischen Institutionen, dass die EU keinen ihrer
Mitgliedstaaten fallen lässt – und zwar weil wir eine solidarische und
demokratische Gemeinschaft sind und nicht nur austauschbare
außenpolitische Partner. Zugleich darf man dann aber natürlich auch nicht darüber hinwegsehen, dass es bei
allen europäischen Verflechtungen durchaus Wirtschaftskrisen
geben kann, die einzelne Mitgliedstaaten selbst verschuldet haben. Es
lohnt sich nicht, darüber zu streiten, wieweit das in Zypern
zutrifft: ob der Bankensektor durch niedrige Steuern und laxe
Kontrollen künstlich aufgeblasen war oder ob nur die bis heute
ungelöste Krise Griechenlands auf das ansonsten ordentlich regierte
Nachbarland überschwappte. Klar ist, dass eine umfassende
europäische Solidaritätsankündigung das Risiko zu Moral Hazard
erhöhen würde. Und deshalb darf auch die
wirtschaftspolitische Steuerung künftig nicht mehr auf nationaler
Ebene erfolgen.
Eine
demokratische Wirtschaftspolitik ist in Europa nur noch möglich,
wenn sie von den gemeinsam gewählten EU-Institutionen, dem
Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission,
durchgeführt wird. Wenn deutsche Politiker stattdessen darüber
schwadronieren, dass man Zypern notfalls ja fallen lassen könnte, hilft das zwar
kurzfristig vielleicht der Position der Bundesregierung im
Europäischen Rat. Aber außer dem wirtschaftlichen gibt es auch ein
politisches System, für das die zyprische Krise relevant ist. Und
Deutschland als das mächtigste Mitgliedsland der EU steht mehr als alle anderen in der Verantwortung, dass dieses politische System fair und demokratisch bleibt.
Bild: By NASA [Public Domain], via Wikimedia Commons.
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