20 März 2013

Warum Zypern systemrelevant ist: Gedanken zu einer unnötigen Krise

Nur so ein Inselchen im Mittelmeer.
Es ist im Augenblick noch nicht abzusehen, ob das, was derzeit in Zypern geschieht, der Anfang vom Ende der Eurokrise oder der Anfang vom Ende der Eurozone ist. Fest steht, dass das zyprische Parlament gestern Abend nach massiven Protesten der Bevölkerung den Beschluss der Eurogruppe von vergangenem Samstag abgelehnt hat, demzufolge etwa ein Drittel der zur Sanierung der zyprischen Banken benötigten 17 Milliarden Euro durch eine Vermögensabgabe auf Sparguthaben aufgebracht werden sollte. Was ab jetzt passiert – europäische Neuverhandlungen, eine russische Intervention oder eine zyprische Staatspleite –, ist offen. In all die Aufregung hinein mischt sich zudem eine Diskussion, ob uns diese seltsame kleine Mittelmeerinsel nicht eigentlich ganz egal sein könnte: Während die Europäische Kommission und die EZB das Land gerade für „systemrelevant“ erklärt haben, sind sich deutsche Politiker wie Norbert Barthle (CDU/EVP) nicht ganz so sicher. Hierzu drei Gedanken.

Erstens wirtschaftlich

Wie unsinnig der Plan der Eurogruppe aus wirtschaftlicher Sicht war, ist in den letzten Tagen schon von vielen Seiten gut erklärt worden (zum Beispiel von Wolfgang Münchau und dem Economist), sodass ich mich hier kurz fassen will. Es ist geradezu eine der Ursachen der Eurokrise, dass die Anleger ihr Geld nach der Lehman-Pleite 2008 in kleinen armen Euro-Staaten für weniger sicher hielten als in großen reichen Euro-Staaten, und zwar weil die großen reichen Staaten eine glaubwürdigere Garantie für die Sicherung von Bankguthaben abgeben konnten. Die Folge war eine massive Kapitalflucht von der Peripherie ins Zentrum, die dann zu einer Spirale von Staats- und Bankschulden in Irland und Südeuropa führte.

Um diese Kapitalflucht zu stoppen, hat sich die EU seitdem verzweifelt darum bemüht, die Glaubwürdigkeit der Einlagensicherungssysteme in der Euro-Peripherie wieder herzustellen. 2010 verabschiedete die Kommission eine Reform der Einlagensicherungs-Richtlinie, die allen Mitgliedstaaten einheitliche Mindeststandards vorschreibt. 2012 folgte dann der Vorschlag einer gemeinsamen europaweiten Einlagensicherung – die allerdings von der Lobby der deutschen Banken (die davon profitieren, dass sich Anleger lieber an sie wenden als an die Konkurrenz aus Südeuropa) und von der Bundesregierung vorerst verhindert wurde.

Mit dem Zypern-Plan torpedierte die Eurogruppe nun all diese Bemühungen der letzten Jahre. Auch wenn die vorgeschlagene Vermögensabgabe rein rechtlich der Einlagensicherungsrichtlinie nicht widerspricht, konterkariert sie vollständig deren Sinn und zerstört das Vertrauen der Anleger, dass die europäischen Banken in jedem Land dieselben staatlichen Mindestgarantien aufweisen. Nicht zufällig erklärte deshalb die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im Europäischen Parlament, Sharon Bowles (LibDem/ELDR), schon am Samstag ihr „Entsetzen“ über den Vorschlag. Und es war reichlich zynisch, dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU/EVP) am Montag noch einmal eigens alle Anleger darauf hinwies, dass ihre Sparguthaben in Deutschland übrigens sicher sind.

Zweitens politisch

Bemerkenswert ist außerdem, dass bereits am Montag niemand von den beteiligten Politikern mehr an den Beschlüssen vom Wochenende schuld sein wollte. Ich habe in diesem Blog öfters darüber geschrieben, wie wichtig es ist, dass wirtschaftspolitische Entscheidungen bestimmten Akteuren zugeschrieben werden können – da die Bevölkerung die damit verbundenen Risiken viel bereitwilliger auf sich nehmen wird, wenn sie weiß, dass sie die Verantwortlichen selbst gewählt hat und auch abwählen könnte. Der Fall Zypern hingegen ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich in der Eurokrise politische Verantwortlichkeiten auflösen.

In den letzten Tagen haben verschiedene Journalisten zu rekonstruieren versucht, wer wann welchen Beitrag zu dem fatalen Vorschlag leistete. Etwas vereinfacht war es vor allem die deutsche Bundesregierung, die darauf bestand, dass die zyprischen Anleger selbst einen Beitrag zur Bankenrettung leisten müssten. Getrieben wurde sie dabei von einer deutschen öffentlichen Meinung, die davon ausging, dass auf zyprischen Konten hauptsächlich Schwarzgeld aus Russland gewaschen wird. Der vor drei Wochen neu gewählte zyprische Präsident Nikos Anastasiadis (DISY/EVP) lehnte diesen Vorschlag allerdings strikt ab – aus der wohl berechtigten Sorge, dass dann außer den Schwarzgeld-Oligarchen auch andere Anleger ihr Kapital von den zyprischen Banken abziehen würden.

Seinen Versuch, den Gipfel scheitern zu lassen, unterband allerdings der ebenfalls anwesende EZB-Direktor Jörg Asmussen, der drohte, dass die Zentralbank in diesem Fall sofort die Kreditversorgung der zyprischen Banken abstellen und sie damit in den Konkurs treiben würde. Daraufhin lenkte Anastasiadis ein, versuchte allerdings noch, möglichst gute Bedingungen für die Großanleger herauszuschlagen, bei denen eine Kapitalflucht am wahrscheinlichsten ist. Am Ende stand eine Konstruktion, nach der Guthaben von über 100.000 Euro mit 9,9% belastet werden sollten, kleinere Guthaben aber immer noch mit 6,75%. Woraufhin in der Bevölkerung die Proteste ausbrachen.

Das Ergebnis: Für die Zyprer steht fest, dass ihnen die Vermögensabgabe von außen aufgezwungen wurde – von der Eurogruppe, von der EZB, von der Bundesregierung. In den deutschen Medien hingegen verweisen deutsche Politiker darauf, dass an der unsozialen Verteilung der Lasten ja die zyprische Regierung schuld sei, die auch Kleinanleger ganz von der Abgabe befreien und dafür Großvermögen mit 15 oder 20 Prozent hätte belasten können. Und der Bürger bleibt ratlos zurück: Wen um alles in der Welt kann er abwählen, wenn er mit diesem absurden Krisenmanagement unzufrieden ist?

Drittens demokratisch

Und dann die Sache mit der Systemrelevanz. Offensichtlich wäre die Situation in Zypern niemals so eskaliert, wenn EZB-Direktor Asmussen auf dem Gipfel nicht halbwegs glaubwürdig mit einer Pleite der zyprischen Banken hätte drohen können. Und dies wiederum war nur deshalb möglich, weil in Europa die Vorstellung verbreitet ist, dass Zypern wirtschaftlich „nicht systemrelevant“ ist – das heißt, dass das wirtschaftliche Gewicht der zyprischen Banken und des zyprischen Staates so gering ist, dass der Rest der Eurozone ihren Bankrott halbwegs unbeschadet überstehen könnte. Wie gesagt, sind die EZB und Asmussen selbst nach dem Wochenende von dieser Einschätzung wenigstens offiziell wieder abgerückt. Dennoch darf man wohl davon ausgehen, dass die Politik einiger Regierungen in der Eurozone durchaus von dem Gedanken beeinflusst sein dürfte, dass man Zypern, anders als etwa Spanien oder Italien, durchaus fallen lassen könnte.

Wenn wir uns jedoch auf diese Logik einlassen, dann ist die Eurozone gerade dabei, in zwei Klassen von Mitgliedstaaten zu zerfallen: auf der einen Seite jene, die als too big to fail gelten und deshalb darauf vertrauen können, dass die anderen sie schon irgendwie heraushauen werden. Und auf der anderen Seite jene, die „nicht systemrelevant“ sind und denen man deshalb – friss oder stirb! – ohne allzu große Rücksichtnahme Vorschriften machen kann. (In welche der beiden Gruppen Griechenland einzusortieren ist, war vergangenen Sommer bereits Thema einer Arbeitsgruppe im deutschen Finanzministerium.)

Was mir an der derzeitigen Diskussion über die Zypern-Krise am meisten Sorgen macht, ist, dass ein Großteil der Politiker und der öffentlichen Meinung anscheinend nicht einmal bemerken, auf welch eine schiefe Bahn wir uns da begeben. Denn wenn wir die Europäische Union als eine Demokratie verstehen, dann darf der politische Einfluss eines Bürgers natürlich nicht von der Wirtschaftsleistung seines Landes abhängen.

Politische Chicken Games

Die letzten Jahre haben in dramatischer Weise gezeigt, wie sehr die ökonomischen Verflechtungen in Europa nationale Handlungsspielräume eingeschränkt haben. Angesichts der wechselseitigen Abhängigkeiten ist die Vorstellung, dass wirtschaftspolitische Entscheidungen in erster Linie in den nationalen Parlamenten getroffen werden, ganz offensichtlich eine Illusion. Deshalb kann man auch nicht nur die nationalen Politiker dafür verantwortlich machen: Die politische Legitimität für den Weg aus der Krise muss auf Ebene der Europäischen Union erzeugt werden.

Dafür aber wäre es zuallererst notwendig, dass das europäische Krisenmanagement nicht mehr auf der Grundlage wechselseitiger Erpressungen erfolgt. Wie Christian Rickens treffend schreibt, gleichen die Verhandlungen einem Hasenfuß-Rennen: Beide Beteiligten, die EU und die Regierung des Krisenlands, rasen im Auto aufeinander zu, und wer aus Angst vor den Folgen eines Staatsbankrotts als Erster abdreht, hat verloren. Es gibt Unmengen an spieltheoretischer Literatur über solche Chicken Games, und es ist offensichtlich, dass die Ergebnisse, die dabei herauskommen, weder besonders rational noch besonders demokratisch sind. In Zypern aber hat das Parlament das Gaspedal mit seiner jüngsten Ablehnung der Vermögensabgabe noch einmal kräftig durchgedrückt, und es könnte sein, dass sich die restliche Eurogruppe nun bemüßigt fühlt, ihrerseits den gefürchteten Unfall herbeizuführen.

Was wir stattdessen bräuchten, ist eine klare und glaubwürdige Erklärung der europäischen Institutionen, dass die EU keinen ihrer Mitgliedstaaten fallen lässt – und zwar weil wir eine solidarische und demokratische Gemeinschaft sind und nicht nur austauschbare außenpolitische Partner. Zugleich darf man dann aber natürlich auch nicht darüber hinwegsehen, dass es bei allen europäischen Verflechtungen durchaus Wirtschaftskrisen geben kann, die einzelne Mitgliedstaaten selbst verschuldet haben. Es lohnt sich nicht, darüber zu streiten, wieweit das in Zypern zutrifft: ob der Bankensektor durch niedrige Steuern und laxe Kontrollen künstlich aufgeblasen war oder ob nur die bis heute ungelöste Krise Griechenlands auf das ansonsten ordentlich regierte Nachbarland überschwappte. Klar ist, dass eine umfassende europäische Solidaritätsankündigung das Risiko zu Moral Hazard erhöhen würde. Und deshalb darf auch die wirtschaftspolitische Steuerung künftig nicht mehr auf nationaler Ebene erfolgen.

Eine demokratische Wirtschaftspolitik ist in Europa nur noch möglich, wenn sie von den gemeinsam gewählten EU-Institutionen, dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission, durchgeführt wird. Wenn deutsche Politiker stattdessen darüber schwadronieren, dass man Zypern notfalls ja fallen lassen könnte, hilft das zwar kurzfristig vielleicht der Position der Bundesregierung im Europäischen Rat. Aber außer dem wirtschaftlichen gibt es auch ein politisches System, für das die zyprische Krise relevant ist. Und Deutschland als das mächtigste Mitgliedsland der EU steht mehr als alle anderen in der Verantwortung, dass dieses politische System fair und demokratisch bleibt.

Bild: By NASA [Public Domain], via Wikimedia Commons.

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