Bei
der Bundestagswahl im kommenden September wählen die Deutschen nicht
nur ihre nationalen Abgeordneten, sondern auch ihre Vertreter in den
intergouvernementalen EU-Organen. Welche Alternativen stehen dabei
zur Auswahl? In einer Sommerserie vergleicht dieses Blog die
europapolitischen Vorschläge in den Wahlprogrammen der
Bundestagsparteien – CDU/CSU (EVP), SPD (SPE), FDP (ALDE), Grüne (EGP) und Linke (EL). Heute: Wirtschaftspolitik. (Zum
Anfang der Serie.)
Die
Herausforderung
Im
Mai 2013 betrug die Arbeitslosenquote
in der EU 11,0 Prozent, in der Eurozone sogar 12,2 Prozent
– der höchste Wert seit Gründung der Union. Dass dies kaum auf
mediale Aufmerksamkeit stieß, mag daran liegen, dass die
Arbeitslosigkeit in der EU schon seit Mitte 2011 fast jeden Monat ein
neues Rekordhoch erreicht hat. In absoluten Zahlen wurde vor etwas
mehr als einem Jahr die Fünfundzwanzig-Millionen-Grenze
überschritten. Und auch wenn sich die Werte im Juli leicht gebessert
haben, kann kein Zweifel bestehen: Europa steckt nach wie vor in
einer der tiefsten Wirtschaftskrisen, die es je erlebt hat.
Gleichzeitig
allerdings wirkt sich diese Krise auf die einzelnen Staaten sehr
unterschiedlich aus. In Deutschland etwa ist die Arbeitslosigkeit im
letzten Jahr sogar leicht gesunken und liegt nun bei knapp über
5 Prozent (sodass einige Politiker schon
von Vollbeschäftigung träumen). Umso schlimmer ist die Lage in
Spanien oder Griechenland, beide mit einer Quote von über
25 Prozent. Besonders fatal ist die Lage bei den
Unter-25-Jährigen: Die Jugendarbeitslosigkeit liegt europaweit bei
23,3, in Spanien und Griechenland aber über 55 Prozent.
Die
Europäische Union – und damit auch die nächste deutsche
Bundesregierung – steht deshalb nicht nur vor der Herausforderung,
die europäische Wirtschaft allgemein wieder in Fahrt zu bringen und
Wachstum und Beschäftigung zu schaffen. Darüber hinaus stellt sich
auch die Frage, wie mit den großen ökonomischen Ungleichgewichten
zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten umzugehen ist. Denn dass sich
die verschiedenen Länder der Eurozone so stark auseinander
entwickelt haben, ist wenigstens zum Teil eine Folge davon, dass es automatische interregionale
Stabilisatoren, die innerhalb von Nationalstaaten derartige Disparitäten
verhindern, auf europäischer Ebene nicht gibt. Doch was dafür zu tun ist,
ist nicht nur zwischen
der deutschen und französischen Regierung, sondern auch unter
den deutschen Parteien umstritten.
Bessere
wirtschaftliche Koordinierung
Grundsätzlich
besteht im Bundestag zwar ein Konsens darüber, dass die
Wirtschaftspolitik der verschiedenen Euro-Länder besser aufeinander
abgestimmt werden soll. Doch schon
bei der genauen Zielsetzung zeigen sich feine Unterschiede: So
fordert die SPD in ihrem Wahlprogramm eine „europäische
Wachstumsstrategie“, während CDU/CSU und FDP vor allem davon
sprechen, dass durch eine verstärkte Koordinierung die
„Wettbewerbsfähigkeit“ der Mitgliedstaaten erhöht werden soll.
Die Grünen wollen einen „europäischen
Green New Deal“, der Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellt.
Und der Linken geht es hauptsächlich darum, „dass der heute
vorherrschende Wettbewerb durch Steuer-, Sozial- und Lohndumping
unterbunden wird“.
Auch
bei der Wahl der Mittel sind sich die Parteien nicht ganz einig:
Formell liegt die Zuständigkeit für die meisten
wirtschaftspolitischen Entscheidungen bislang bei den nationalen
Parlamenten; die Europäische Kommission gibt im Rahmen des
„europäischen Semesters“ lediglich länderspezifische
Empfehlungen
ab, die jedoch unverbindlich sind und von den Mitgliedstaaten oft
genug nicht eingehalten werden. Die meisten Parteien wollen dem
irgendwie abhelfen, ohne jedoch besonders klare Konzepte
vorzuschlagen. Geht es nach der CDU/CSU,
sollen sich künftig die einzelnen Mitgliedstaaten in individuellen
Vereinbarungen mit der Europäischen Kommission auf bestimmte
Maßnahmen verpflichten.
Die SPD hingegen fordert eine „parlamentarisch kontrollierte
Wirtschaftsregierung“, in der „Europäisches Parlament und
nationale Parlamente weiter gestärkt werden“ – ohne allerdings
zu erklären, wie genau.
Die
Grünen wiederum setzen vor allem auf den Währungskommissar, der
künftig direkt vom Europäischen Parlament gewählt werden und den
Vorsitz in der Eurogruppe und dem Finanzministerrat ausüben soll.
Unklar bleibt dabei allerdings, wie weit sein Einfluss auf die
nationale Wirtschaftspolitik reichen soll: Etwas kryptisch heißt es
im Wahlprogramm nur, der Währungskommissar solle „keine
Gesetze ohne Zustimmung des Europäischen Parlaments erlassen
dürfen“.
Keine
Vorschläge machen schließlich FDP und Linke. Während die FDP sich
überhaupt nicht dazu äußert, wie eine bessere
wirtschaftspolitische Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten
verwirklicht werden soll, stellt sich die Linke lediglich gegen die
„Einschränkung der
Rechte der nationalen Parlamente“ sowie gegen den Plan, „die
EU-Kommission zu einem sanktionsbewehrten Kontrollinstrument […] zu
machen“. Wie genau die Linke dann ihr eigenes Ziel einer
europaweiten Abstimmung von „Wirtschafts-, Fiskal-, Steuer-,
Sozial- und Arbeitsmarktpolitiken“ durchsetzen will, bleibt offen.
Förderung
von Wachstum und Beschäftigung
Etwas klarer, aber nicht weniger disparat sind die Vorschläge, was konkret
getan werden könnte, um das Wachstum in der Eurozone wieder
anzukurbeln. Für CDU/CSU und FDP lautet das Zauberwort
„Strukturreformen“; beide Parteien würden dafür vor allem das
in Deutschland erfolgreiche duale System bei der Berufsausbildung
gerne in andere Staaten exportieren. CDU/CSU und SPD wollen den
Mittelstand stärken, indem sie Bürokratie abbauen, Verwaltungswege
verkürzen und bei EU-Verordnungen Ausnahmeregelungen für kleine und
mittlere Unternehmen einführen; außerdem wollen beide Parteien
europaweit mehr Geld für Bildung und Forschung ausgeben.
Investitionen in Zukunftstechnologien werden in den Wahlprogrammen
von CDU/CSU und Grünen genannt. Außerdem wollen diese beiden
Parteien durch eine leichtere Anrechnung von Bildungsabschlüssen und
Sozialansprüchen die Integration des Europäischen Arbeitsmarkts
fördern. (Allerdings will die CDU/CSU gleichzeitig auch „Eingriffe
durch europäisches Recht auf die betriebliche Altersvorsorge […]
verhindern“, was zumindest die Anrechnung von Rentenansprüchen
erschweren dürfte.) Die FDP möchte eine „Europäische
Privatgesellschaft, also die Europa-GmbH“ einführen und damit dem
„exportstarken deutschen Mittelstand“ helfen. Die Linke ist für
„steigende Löhne und sozial-ökologische Investitionsprogramme“.
Insbesondere
die drei Oppositionsparteien wollen zudem die Mittel der EU
aufstocken, um daraus gesamteuropäische Investitionsprogramme zu
finanzieren. So plant die SPD eine „Aufwertung der Europäischen
Investitionsbank“ sowie einen „Europäischen Investitions- und
Aufbaufonds“, der europaweit Programme zur „Förderung eines
nachhaltigen und tragfähigen Wachstums, zur Stärkung der
Binnennachfrage sowie zur Förderung von gerecht entlohnter
Beschäftigung“ durchführen soll. Die Grünen wollen „einen
gestärkten Haushalt, der den wachsenden Aufgaben der Union Rechnung
trägt“. Die Linke wiederum spricht von einem
„Investitionsprogramm, das vor allem auf Entwicklung im Bereich
öffentlicher und sozialer Dienstleistungen und sozial-ökologische
Konversion setzt“ und zitiert den vom Deutschen Gewerkschaftsbund
geforderten „Marshall-Plan für Europa“.
Besonderes
Augenmerk legen alle Programme auf die grassierende
Jugendarbeitslosigkeit und die „Jugendgarantie“,
die die EU vor wenigen Wochen vereinbart hat. Die meisten Parteien sind sich
in dieser Frage völlig einig: CDU/CSU, SPD,
Grüne und Linke sind dafür, dass Sofortmaßnahmen zur
Jugendbeschäftigung aus dem EU-Etat finanziert werden. Unzufrieden
ist nur die FDP:
Staatlich finanzierte Beschäftigungsprogramme, wie die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene „Jugendgarantie“, halten wir für ordnungspolitisch falsch.
Abbau
wirtschaftlicher Ungleichgewichte
Uneinig
sind sich die Parteien schließlich auch, wie mit den
Ungleichgewichten zwischen den Ländern der Eurozone umzugehen ist.
In den Mittelpunkt stellen die Wahlprogramme die deutschen
Exportüberschüsse, die in den Jahren vor der Krise immer weiter
gestiegen sind, während sich gleichzeitig die südeuropäischen
Staaten in einem Investitions- und Nachfrageboom befanden und immer
größere Leistungsbilanz-Defizite anhäuften. Was
lässt sich tun, um diese makroökonomischen Ungleichgewichte
auszubalancieren, die als eine der wichtigsten Ursachen der Eurokrise
gelten?
Für
die CDU/CSU ist das Problem gelöst, wenn nur alle Länder immer
weiter ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern: Ziel sei es, „die
Schwachen zu stärken und die Leistung der Besten zum Maßstab für
alle zu machen“. Auch die FDP sieht vor allem die anderen Staaten
in der Pflicht und lehnt „Beschränkungen
des deutschen Exports oder Sanktionen wegen unserer
Außenhandelsüberschüsse“ ab. Die drei Oppositionsparteien
hingegen sehen die makroökonomischen Ungleichgewichte als
gemeinsames Problem aller Mitgliedstaaten, zu dessen Lösung deshalb
auch die Überschussländer einen Beitrag leisten sollen. Grüne und
Linke nennen dazu auch gleich das Mittel ihrer Wahl: Notwendig sei
es, in den Überschussländern die Binnennachfrage zu stärken –
aktuell vor allem durch die Einführung eines Mindestlohns und
höherer Sozialleistungen in Deutschland.
Die
Einführung automatischer Stabilisatoren – etwa in Form
eines Konjunkturausgleichsfonds
oder einer europäischen
Arbeitslosenversicherung, wie ich sie in diesem Blog beschrieben
habe – wird hingegen in keinem der fünf Wahlprogramme
thematisiert. (Nur die SPD deutet eine Ablehnung der europäischen
Arbeitslosenversicherung an, wenn sie sich gegen eine
„Vereinheitlichung der bewährten nationalen Sozialsysteme“
ausspricht.) Das ist schade, da gerade die automatischen
Stabilisatoren besonders geeignet wären, um konjunkturelle
Ungleichgewichte gar nicht erst entstehen zu lassen. Aber da die
Parteien auf die Frage, wie die gemeinsame europäische
Wirtschaftspolitik institutionell ausgestaltet sein sollte, bislang
ohnehin nur eher diffuse Antworten haben, werden sie sich vielleicht
auch in diesem Punkt nach der Bundestagswahl noch bewegen.
Fazit
Dass
eine bessere wirtschaftliche Koordinierung zwischen den Euro-Staaten
notwendig ist, bestreitet keine der Bundestagsparteien – aber wie
sie genau aussehen soll, lassen sie weitgehend offen. Während die
CDU/CSU bilaterale Vereinbarungen zwischen der
Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten vorschlägt, wollen SPD
und Grüne das Europäische Parlament stärken; ihre genauen Pläne
bleiben jedoch vage. Um das Wachstum anzukurbeln, setzen CDU/CSU und
FDP vor allem auf Strukturreformen, während die Oppositionsparteien
die EU-Mittel aufstocken wollen, um daraus europäische
Investitionsprogramme zu finanzieren. Außerdem streben SPD, Grüne
und Linke in Deutschland höhere Löhne an, um dadurch die
Binnennachfrage zu stärken und die Leistungsbilanz-Ungleichgewichte
in der Eurozone abzubauen. Insgesamt zeichnen sich hier also einige
Unterschiede zwischen den Parteien ab. Allerdings ist die Debatte
auch auf gesamteuropäischer Ebene noch stark im Fluss – über
viele Vorschläge wird es wohl erst nach den Wahlen Klarheit geben.
Die Bundestagswahl und Europa – Überblick:
1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
8: Agrarpolitik, Lebensmittelsicherheit, Umwelt
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung
1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
8: Agrarpolitik, Lebensmittelsicherheit, Umwelt
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung
Bild: Chema Sanz [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.
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