Bei
der Bundestagswahl im kommenden September wählen die Deutschen nicht
nur ihre nationalen Abgeordneten, sondern auch ihre Vertreter in den
intergouvernementalen EU-Organen. Welche Alternativen stehen dabei
zur Auswahl? In einer Sommerserie vergleicht dieses Blog die
europapolitischen Vorschläge in den Wahlprogrammen der
Bundestagsparteien – CDU/CSU
(EVP), SPD
(SPE), FDP
(ALDE), Grüne
(EGP) und Linke
(EL). Heute: Vergemeinschaftung von Staatsanleihen. (Zum
Anfang der Serie.)
Die
große Frage der Eurokrise
Es
ist die große Frage der Eurokrise: Was tun, wenn Länder sich nicht
mehr selbst finanzieren können, weil die Anleger auf dem Finanzmarkt
einen unmittelbaren Staatsbankrott befürchten? Als vor über zwanzig
Jahren im Vertrag von Maastricht die rechtlichen Grundlagen für die
europäische Währungsunion gelegt wurden, setzte man noch auf
finanzpolitische
Abschreckung: Eine strikte Nichtbeistandsklausel sollte
garantieren, dass jedes Mitgliedsland auf sich selbst angewiesen zu
einer „guten“ Wirtschafts- und Haushaltspolitik gezwungen würde.
In der Krise zeigten sich jedoch die Schwächen dieser Logik: Nicht
nur kam die Kapitalflucht aus Südeuropa so plötzlich, dass die
einzelnen Länder kaum eine Möglichkeit hatten, darauf zu reagieren.
Auch die von der Krise weniger betroffenen Staaten mussten erkennen,
dass ein unkontrollierter Staatsbankrott in einem Land Domino-Effekte
auch in vielen anderen auslösen konnte.
In
der Not entstanden deshalb die europäischen „Rettungsschirme“,
von denen der wichtigste der ESM ist. Doch war auch dieser immer
umstritten: Während die einen den Bruch mit dem
Nichtbeistandsprinzip kritisierten, war der ESM anderen (darunter
auch mir) zu klein und seine Funktionsweise zu schwerfällig. Am
Ende waren es deshalb wohl auch weniger die Kredite aus dem
„Rettungsschirm“ als die Ankündigung der Europäischen
Zentralbank, notfalls massiv
Staatsanleihen von Krisenländern aufzukaufen, welche eine
weitere Eskalation der Eurokrise fürs Erste verhinderte. Doch auch
die Interventionen der EZB sind in der Politik unbeliebt, denn
eigentlich verbieten die EU-Verträge, dass sich Staaten mit
Zentralbankgeld finanzieren. Die EZB begründet ihr Vorgehen deshalb
auch strikt geldpolitisch, was man mehr oder weniger überzeugend
finden kann.
Eine
langfristig tragfähige Lösung, wie Staatsanleihen in der Eurozone
künftig gestaltet sein sollen, ist jedenfalls noch nicht gefunden.
Und so steht ein Vorschlag, über den schon kurz nach Ausbruch der
Krise diskutiert wurde, bis heute im Raum: Eurobonds. Sollten die
Euro-Länder künftig gemeinsame Anleihen herausgeben, wie es das Europäische Parlament fordert? Oder sollte
wenigstens für die schon bestehenden Anleihen ein gemeinsam
garantierter Altschuldentilgungsfonds eingerichtet werden, wie ihn
der deutsche „Sachverständigenrat zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ vor
anderthalb Jahren vorgeschlagen hat?
Rhetorische
Einigkeit
Blickt man in die Wahlprogramme der deutschen Parteien, so stellt man zunächst einen erstaunlichen rhetorischen Konsens fest. So heißt es bei der CDU/CSU:
Bei der FDP:Wir bekennen uns zur Solidarität mit unseren europäischen Nachbarn. Allerdings: Wer Hilfe braucht, muss mit eigenen Leistungen dazu beitragen, die Probleme zu lösen.
Solidarität verlangt auch Solidität. […] Länder, die ohne zeitweise Unterstützung nicht auskommen, müssen die mit den Partnern verhandelten Verpflichtungen einhalten.
Und
bei der SPD:
Solidarität ist wichtig, […] darf aber keine Einbahnstraße sein, sondern muss an Anstrengungen der Krisenstaaten für tragfähige Haushalte geknüpft sein.
Über
die Prinzipien scheint also weitgehend Einigkeit zu bestehen. Bei den
Vorstellungen über die Umsetzung dieser Prinzipien in die Realität zeigen sich indessen gravierende Unterschiede zwischen
den Parteien.
Rot-Grün:
Schuldentilgungsfonds und Eurobonds
Klar für den Altschuldentilgungsfonds sprechen sich die Sozialdemokraten aus. Nachdem „durch den Fiskalpakt und andere europäische Kontrollmechanismen strenge und wirkungsvolle Auflagen für die nationale Haushaltsdisziplin aufgestellt worden sind“, so heißt es bei der SPD, sei nun auch eine gemeinsame Haftung für Staatsanleihen möglich. Dabei soll der Tilgungsfonds mit einem „verbindlichen Schuldenabbau- und Reformplan“ für jeden Mitgliedstaat einhergehen. Eurobonds, wie sie der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück noch vor einigen Jahren forderte, kommen in dem Programm hingegen nicht vor.
Anders
die Grünen: Auch diese fordern vor allem einen
„Schuldentilgungspakt, der auf dem vom Sachverständigenrat der
Bundesregierung vorgeschlagenen Schuldentilgungsfonds basiert“. Ihr
Ziel bleiben jedoch
Eurobonds, „auch wenn sie nicht von heute auf morgen
realisierbar sind“. Mit „strengen Auflagen“ versehen, seien
diese die beste Möglichkeit, „der Vertrauens- und
Finanzierungskrise in der Eurozone ein Ende zu setzen“.
Schwarz-Gelb: Striktes Nichtbeistandsprinzip
Keine Veränderung des Status quo möchte dagegen die CDU/CSU, die sich in ihrem Programm gegen eine „Schuldenunion“ ausspricht. Vor allem fürchtet die Partei, dass ein Euro-Staat dadurch „auf Kosten seiner Nachbarn weiter Schulden machen und sich vor unbequemen Reformanstrengungen drücken“ könnte. Auf die Tatsache, dass der vor wenigen Monaten in Kraft getretene Fiskalpakt den Mitgliedstaaten die Aufnahme neuer Schulden weitgehend verbietet, geht die CDU/CSU allerdings nicht ein. Implizit scheint sie daher bereits vorwegzunehmen, dass der Fiskalpakt in der Praxis ohne Wirkung bleiben wird.
Noch härter ist schließlich die Linie der FDP: Diese lehnt nicht nur
Eurobonds und den Altschuldentilgungsfonds „aus
politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Gründen“ ab. Auch der ESM soll ihrer Meinung nach „auslaufen“, sobald „eine
funktionierende Stabilitätsunion mit effektiven Sanktionen bei
übermäßiger Staatsverschuldung besteht“. Ziel ist hier also die
Rückkehr zur Abschreckungslogik – in der Hoffnung, dass diese in
Zukunft besser funktioniert als das letzte Mal. Rechtlich allerdings
gilt der ESM-Vertrag auf unbegrenzte Zeit. Seine Beendigung wäre
deshalb nur mit Zustimmung aller übrigen Mitgliedstaaten möglich,
die in dieser Frage reichlich unwahrscheinlich ist.
ESM
mit Banklizenz
Außer über Eurobonds wurde auf europäischer Ebene auch darüber diskutiert, dem ESM eine Banklizenz zu erteilen. Hintergrund für diesen Vorschlag ist, dass seine derzeitigen Mittel nicht ausreichen würden, falls große Mitgliedstaaten wie Spanien oder Italien gerettet werden müssten. Durch die Banklizenz soll der ESM die Möglichkeit erhalten, sich direkt bei der Europäischen Zentralbank zu refinanzieren, sodass ihm praktisch unbegrenzte Mittel zur Verfügung stünden. Die Idee wurde vor etwa einem Jahr von Ländern wie Frankreich und Italien unterstützt, von der deutschen Bundesregierung jedoch abgelehnt – wenige Tage bevor die EZB ihr eigenes Aufkaufprogramm für Staatsanleihen aus Krisenländern ankündigte.
In
den Wahlprogrammen der Grünen und Linken wird der Vorschlag nun
wieder aufgegriffen, wenn auch in etwas verkleideter Form. So wollen
die Grünen den ESM „in
einen Europäischen Währungsfonds (EWF) umbauen und so zu einem
wirklichen Krisenreaktionsinstrument machen“. Dieser EWF soll „der
demokratischen Kontrolle durch das Europäische Parlament
unterliegen“ – worin er sich sonst vom alten ESM unterscheiden
würde, verrät das Programm allerdings nicht. Nur ein
Parteibeschluss
von 2012 zeigt, dass den Grünen dabei vor allem eine Möglichkeit
zur Refinanzierung bei der Europäischen Zentralbank vorschwebt. An
die Mitgliedstaaten soll der EWF „[k]lare Bedingungen für die
Teilnahme, insbesondere in Hinblick auf die Haushaltskonsolidierung“
stellen;
allerdings sollen diese Bedingungen „sozial ausgewogen sein“.
Unverblümter
ist in dieser Frage die Linke, derzufolge die EZB „die Staaten in
der Eurozone in einem festgelegten Rahmen direkt finanzieren“ soll.
Als „ersten Schritt“ fordert die Partei dafür „die Gründung
einer europäischen Bank für öffentliche Anleihen, die zu ihrer
Refinanzierung Zentralbankkredite aufnehmen kann“. Von Bedingungen
an die Mitgliedstaaten ist keine Rede.
Staateninsolvenzverfahren
Ein weiteres Phänomen in der Eurokrise war schließlich, dass es für den Fall einer Staatspleite bislang keine klaren Regeln gibt. Wo es, wie in Griechenland, zu einem Teil-Bankrott kam, wurden die Bedingungen für die Umschuldung jeweils ad hoc beschlossen. Unter den Anlegern sorgte dies für zusätzliche Unsicherheit, was die Zinsen auf die Staatsanleihen nach oben trieb – und zugleich die übrigen Mitgliedstaaten dazu zwang, in Notsituationen mit Hilfskrediten einzuspringen, um einen Panikausbruch zu verhindern.
Um
dieser Ungewissheit abzuhelfen, schlagen CDU/CSU, FDP und Grüne die
Einführung eines europäischen Staateninsolvenzverfahrens vor. Die
Idee dahinter ist, Staatspleiten etwas weniger katastrophal zu
machen, was vor allem aus Sicht der Regierungsparteien schlüssig
ist: Die Logik der Maastrichter Nichtbeistandsklausel funktioniert
nur, wenn ein Staatsbankrott tatsächlich eine realistische Option
und kein Weltuntergangsszenario ist. Ob das tatsächlich gelingen
kann, ist allerdings fraglich. Auch mit der schönsten
Insolvenzordnung wird der Staatsbankrott eines größeren
Mitgliedstaats wohl immer ein Ereignis bleiben, das die Eurozone als
Ganzes gefährdet.
Etwas
anders die Pläne der Grünen: Ihnen zufolge soll das
Staateninsolvenzverfahren „erst nach der Einführung von Eurobonds“
eingeführt werden und nur für „dann weiterhin mögliche national
garantierte Schuldentitel“ gelten – was, wenn auch der
Altschuldentilgungsfonds realisiert wird und die Schuldenbremse im
Fiskalpakt in Kraft bleibt, am Ende nicht allzu viele sein dürften.
Für die Grünen scheint das Staateninsolvenzverfahren deshalb eher
eine symbolische Geste zu sein. SPD und Linke äußern sich zu diesem
Thema nicht.
Fazit
Beim
Umgang mit den Staatsschulden in der Eurozone zeigen sich in
Deutschland große Unterschiede zwischen Regierung und Opposition.
Hauptforderung von SPD und Grünen für die Überwindung der Krise
ist ein Altschuldentilgungsfonds; die Grünen unterstützen darüber
hinaus auch Eurobonds sowie (zusammen mit der Linken) eine
Refinanzierung des ESM aus Zentralbankmitteln. CDU/CSU und FDP lehnen
hingegen jede Form gemeinsamer Haftung ebenso ab wie ein größeres
Engagement der EZB; die FDP würde sogar den ESM am liebsten wieder
abwickeln. Stattdessen setzen die Regierungsparteien auf eine
europäische Staateninsolvenzordnung, die das Nichtbeistandsprinzip
des Maastricht-Vertrags wieder glaubwürdig machen soll.
Dass die Diskussion über die Vergemeinschaftung von Staatsanleihen im Wahlkampf bislang trotz dieser Unterschiede keine zentrale Rolle gespielt hat, dürfte daran liegen, dass die meisten Vorschläge in diese Richtung in der deutschen Öffentlichkeit eher unbeliebt sind – und dass die Angst vor einem Staatsbankrott in der Eurozone seit dem Zypern-Debakel etwas zurückgegangen ist. Das könnte sich ändern, wenn sich, wie derzeit von vielen erwartet wird, die Krise im Herbst wieder zuspitzt. Die Bundestagswahl wird dann allerdings bereits vorüber sein.
Dass die Diskussion über die Vergemeinschaftung von Staatsanleihen im Wahlkampf bislang trotz dieser Unterschiede keine zentrale Rolle gespielt hat, dürfte daran liegen, dass die meisten Vorschläge in diese Richtung in der deutschen Öffentlichkeit eher unbeliebt sind – und dass die Angst vor einem Staatsbankrott in der Eurozone seit dem Zypern-Debakel etwas zurückgegangen ist. Das könnte sich ändern, wenn sich, wie derzeit von vielen erwartet wird, die Krise im Herbst wieder zuspitzt. Die Bundestagswahl wird dann allerdings bereits vorüber sein.
Die Bundestagswahl und Europa – Überblick:
1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
8: Agrarpolitik, Lebensmittelsicherheit, Umwelt
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung
1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
8: Agrarpolitik, Lebensmittelsicherheit, Umwelt
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung
Bild: dierk schaefer [CC BY 2.0], via Flickr.
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