Bei
der Bundestagswahl im kommenden September wählen die Deutschen nicht
nur ihre nationalen Abgeordneten, sondern auch ihre Vertreter in den
intergouvernementalen EU-Organen. Welche Alternativen stehen dabei
zur Auswahl? In einer Sommerserie vergleicht dieses Blog die
europapolitischen Vorschläge in den Wahlprogrammen der
Bundestagsparteien – CDU/CSU
(EVP), SPD
(SPE), FDP
(ALDE), Grüne
(EGP) und Linke
(EL). Heute: Klima und Energie. (Zum
Anfang der Serie.)
Europäische
Klimaziele
Ein
Musterbeispiel für ein politisches Problem, das nur noch auf
überstaatlicher Ebene gelöst werden kann werden, ist der
Klimaschutz. In kaum einem anderen Bereich hat die EU ihre
Aktivitäten in den letzten fünfzehn Jahren so stark erweitert: 1996
setzte sich der Ministerrat erstmals eine Begrenzung der Erderwärmung
zum Ziel. 2000 präsentierte die Europäische Kommission erstmals ein
Klimaschutzprogramm zur Umsetzung des Kyoto-Protokolls. 2005 trat das
EU-Emissionshandelssystem
in Kraft. Und seit 2010 ist mit Connie Hedegaard (KF/EVP) ein
Mitglied der Europäischen Kommission eigens für
Klimaschutz zuständig.
2008 formulierte die EU zudem die sogenannten 20-20-20-Ziele, die sie mit ihrer
Klimapolitik in den nächsten Jahren erreichen will. Im Einzelnen sollen in der EU bis 2020
● die CO2-Emissionen um 20 Prozent niedriger sein als im Jahr 1990,
● die Energieeffizienz um 20
Prozent erhöht werden,
● die erneuerbaren Energien 20
Prozent des gesamten Energieverbrauchs ausmachen.
Allerdings mehren sich in letzter
Zeit die Stimmen, die diese Werte für zu wenig ambitioniert halten.
Schon 2011 schlug die Kommission deshalb einen neuen
„Klimaschutz-Fahrplan“
vor, der vorsieht, den CO2-Ausstoß
bis 2020 um 25%, bis 2030 um 40%, bis 2040 um 60% und bis 2050 um 80%
zu senken.
Diese Vorschläge, die derzeit zwischen den EU-Institutionen diskutiert werden, finden in Deutschland durchaus Anklang – jedenfalls bei
den Parteien, die sich in ihren Wahlprogrammen überhaupt dazu
äußern. CDU/CSU, SPD und Grüne würden gern sogar noch weiter
gehen und die europaweiten CO2-Emissionen
bis 2020 um 30% verringern; die Grünen sogar um 45% bis 2030.
Außerdem sind alle drei Parteien dafür, dass Deutschland („als
Hochtechnologieland“ mit „größeren technischen Möglichkeiten“,
wie die CDU/CSU formuliert) dabei mit einem größeren Beitrag
vorangehen soll. Als nationale Marke nennt die CDU/CSU 40% bis 2020,
die SPD setzt die Zeitreihe mit 60% bis 2030 und „mindestens 80
Prozent bis 2040“ fort. Grundsätzlich herrscht hier also große
Einigkeit. Nur FDP und Linke erwähnen in ihren Programmen keine
neuen Klimaziele.
Emissionshandel
Als
wichtigstes Instrument, um den CO2-Ausstoß
zu senken, gilt den meisten Parteien nach wie vor das europäische
Emissionshandelssystem. Allerdings krankte dieses in den letzten
Jahren an einigen Schwierigkeiten: Seit
2008 stürzte der Preis für die Emissionsrechte nämlich von fast 30
auf unter 5 Euro pro Tonne ab, sodass Unternehmen inzwischen
kaum noch Anreize haben, in die Vermeidung von CO2
zu investieren. Ursache dafür war vor allem, dass während der
Eurokrise die europäische Industrie schrumpfte und damit auch der
CO2-Ausstoß
zurückging. Allerdings ist schon jetzt klar, dass diese Entwicklung
nicht dauerhaft sein wird: Wenn die Konjunktur wieder anzieht, werden
ohne Klimaschutz-Investitionen auch die Emissionen wieder steigen.
In
den vergangenen Monaten wurde deshalb heftig über eine Reform
des europäischen Emissionshandels diskutiert. Im Mittelpunkt stand
dabei das sogenannte „Backloading“, durch das die Emissionsrechte
vorübergehend verknappt und erst nach der Eurokrise wieder
ausgeweitet werden sollen. Ein entsprechender Vorschlag der
Kommission wurde vom Europäischen Parlament im April 2013 erst knapp
abgelehnt, dann im Juli 2013 doch
noch angenommen. Die deutsche Bundesregierung ihrerseits war über
diesen Vorschlag gespalten: Während sich Umweltminister Peter Altmaier
(CDU/EVP) für das Backloading aussprach, war
Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP/ALDE) dagegen. Die
endgültige Entscheidung steht
noch aus.
In ihren Wahlprogrammen unterstützen alle deutschen Parteien eine
Reform des europäischen Emissionshandels. Allerdings legen sich
dabei weder CDU/CSU noch SPD fest, welche Maßnahmen sie dafür
anstreben. Konkreter sind die Grünen, die „eine
Verknappung der Verschmutzungsrechte, höhere Standards und einen
Mindestpreis für CO2“
vorschlagen. Bis darüber eine gesamteuropäische Einigung erzielt
wird, soll dieser Mindestpreis wenigstens auf nationaler Ebene
verankert werden. Die FDP wiederum betont, dass sie auf den
Emissionshandel „hohes Gewicht“ legt und diesen auf keinen Fall
durch eine CO2-Steuer
ersetzen will (was allerdings auch keine andere Partei vorschlägt).
Zudem will sie das Handelssystem auf „den
gesamten Verkehrs- und Wärmesektor“, einschließlich den
Luftverkehr, ausweiten sowie „intensivere Verhandlungen“ führen,
„um den EU-Emissionshandel mit bestehenden und geplanten
Handelssystemen zum Beispiel in Nordamerika, Korea und Australien zu
vernetzen“.
Am unklarsten äußert sich in dieser Frage die Linke. Diese findet die bisherige Bilanz des
Emissionshandels „verheerend“
und will „stattdessen ein Kohleausstiegsgesetz durchsetzen, das
ein Verbot für den Neubau von
Kohlekraftwerken und für den Neuaufschluss von Braunkohletagebauen
vorsieht“. Ob dieses Verbot europaweit oder nur national gelten
soll, lässt die Partei jedoch offen. An einer anderen Stelle des
Programms schlägt die Partei außerdem vor, „[u]nberechtige
Industrierabatte“ im Emissionshandel abzuschaffen – was zumindest
dafür spricht, dass auch die Linke das System wenigstens nicht ganz
aufgeben will.
Energieeffizienz: Top-Runner-Ansatz
Für
das zweite der drei 20-20-20-Ziele, die Steigerung der
Energieeffizienz, spielt vor allem die EU-Ökodesign-Richtlinie
eine wichtige Rolle, in der für mehrere energierelevante
Produktgruppen bestimmte Verbrauchsstandards festgelegt sind. Durch
eine schrittweise Verschärfung dieser Standards sollen nach und nach
Produkte mit höherem Energieverbrauch vom Markt gedrängt und durch
effizientere Geräte ersetzt werden. Das bekannteste Beispiel dafür
ist das (seinerzeit heftig umstrittene) Glühbirnenverbot,
das 2009 beschlossen wurde und 2012 in Kraft trat.
Damit
dieser Mechanismus dauerhaft Anreize zu einer weiteren
Effizienzsteigerung setzt, müssen die Verbrauchsstandards allerdings
regelmäßig verschärft werden. Bislang erfolgt dies etwa alle drei
bis sechs Jahre durch eine Revision der entsprechenden
Durchführungsverordnungen. Das genaue
Verfahren dafür ist allerdings recht aufwendig und lässt
bislang auch noch einigen Spielraum für politisch motivierte
Ausnahmeklauseln. SPD, Grüne und Linke setzen sich in ihren
Wahlprogrammen deshalb für die Einführung einer sogenannten
„Top-Runner-Regelung“
ein, wie sie derzeit zum Beispiel in Japan existiert. Dabei soll für
jedes Produkt der jeweils höchste Effizienzgrad, der von irgendeinem
Unternehmen erreicht wird, nach einer bestimmten Frist automatisch
zum allgemeinverbindlichen Standard werden. CDU/CSU und FDP äußern
sich zu diesem Vorschlag nicht.
Darüber
hinaus machen Grüne und Linke noch konkrete Vorschläge für die
Verbrauchsvorgaben von Neuwagen: Diese sollen bis 2025 nur noch
maximal 60 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen dürfen (was
etwa einen Verbrauch von zwei Litern entspricht). Auch hierzu findet
sich in den Wahlprogrammen der übrigen Parteien nichts.
Erneuerbare
Energien
Am
schwierigsten auf europäischer Ebene umzusetzen dürfte das dritte
der 20-20-20-Ziele sein: die Ausweitung der erneuerbaren Energien auf
20% des Gesamtverbrauchs. Nach Art. 192
AEU-Vertrag können nämlich „Maßnahmen,
welche die Wahl eines Mitgliedstaats zwischen verschiedenen
Energiequellen […] erheblich berühren“, nur einstimmig
beschlossen werden. Ein europaweites Verbot fossiler oder nuklearer
Energie hat deshalb nur wenig Erfolgsaussichten, da es in jedem Fall
auf das Veto irgendeiner Regierung stoßen würde. Allerdings
ermöglicht Art. 194
AEU-Vertrag immerhin, positive Anreize bei der „Entwicklung
neuer und erneuerbarer Energiequellen“ zu setzen. Außerdem kann
die EU Maßnahmen zu einer besseren Verknüpfung der Energienetze
durchführen. Dies würde die Versorgungssicherheit erhöhen und
damit eines der Probleme erneuerbarer Energien, die größeren
Schwankungen bei der Produktion, ausgleichen.
Wenig überraschend sprechen sich
alle deutschen Parteien (bis auf die Linke, die sich zu diesem Thema
nicht äußert) dafür aus, genau diese Ziele anzugehen. Am
zurückhaltendsten ist hierbei die CDU/CSU, die sich „für einen
europäischen Energie-Binnenmarkt“ ausspricht und dazu „genügend
und vor allem leistungsfähige Grenzkuppelstellen zwischen den
einzelnen Ländern“ fordert. Fast wortgleich ist auch die SPD für
„mehr grenzüberschreitende Kuppelstellen, um ein leistungsfähiges
europäisches Stromnetz zu schaffen“. Darüber hinaus setzen sich
die Sozialdemokraten dafür ein, „europäische
Speichermöglichkeiten, etwa Wasserspeicher in Skandinavien und den
Alpen“ zu fördern.
Die
FDP wiederum fordert einen „garantierten
Mindestanteil Erneuerbarer Energien im gesamten Binnenmarkt“, was
sie durch die „Einführung eines europäischen Fördermodells“
erreichen will. (Wie das genau aussehen soll, beschreibt ein
Beschluss
des Parteipräsidiums von 2012.) Außerdem unterstützt die FDP
das Desertec-Projekt,
mit dem die EU große Mengen Solar- und Windenergie aus Nordafrika
importieren will. Die umfangreichsten Pläne zur Förderung
erneuerbarer Energien haben schließlich die Grünen, die gleich mit
einem neuen Vertrag eine eigene „Europäische Gemeinschaft für
Erneuerbare Energien (ERENE)“ gründen wollen. Diese soll
„Finanzierungsinstrumente zum Aufbau einer schlagkräftigen
Erneuerbare-Energien-Industrie“ bieten und eine „wettbewerbsfähige
Solarindustrie als industriellen Schwerpunkt in der EU“ etablieren.
Durch „umfassende europäische Investitionen zur energetischen
Nutzung von Sonne und Wind“ sollen besonders die „von der
Eurokrise stark betroffenen südeuropäischen Regionen“
profitieren. Außerdem sollen auch die Nachbarstaaten der EU, vor
allem die Beitrittskandidaten, besser in die gemeinsame
Energiepolitik eingebunden werden.
Atomenergie
Bemerkenswert
wenig haben die meisten Parteien bei der ersten Bundestagswahl nach
dem Fukushima-Unglück übrigens zur Kernenergie zu sagen. Dies
dürfte daran liegen, dass der Atomausstieg in Deutschland
beschlossene Sache ist, während er europaweit wegen der erwähnten
nationalen Vetorechte auf absehbare Zeit kaum durchzusetzen sein
wird. Allerdings erlaubt der Vertrag
über die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) in Art. 30,
per Mehrheitsbeschluss Mindeststandards für den Gesundheitsschutz
festzulegen – was, wie eine Richtlinie
von 2009 verdeutlicht, recht weit auszulegen ist. Im Juni 2013
schlug der EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU/EVP) deshalb
die Einführung
verpflichtender regelmäßiger Stresstests für europäische
Kernkraftwerke vor. Dieser Forderung schließt sich die CDU/CSU in
ihrem Wahlprogramm an.
Auch hier sind es allerdings die Grünen, die die weitestgehenden Wünsche äußern. Ohne näher auf die beschränkten Kompetenzen der EU in diesem Bereich einzugehen, fordert die Partei nicht nur für
alle europäischen Kernkraftwerke „verbindliche Sicherheitsstandards auf dem Stand von Wissenschaft
und Technik“, sondern will sich darüber hinaus auch „für einen EU-weiten Atomausstieg einsetzen“. Den Euratom-Vertrag würden die Grünen am liebsten ganz abschaffen – oder, solange
es dafür „keine Mehrheit“ gibt, wenigstens in den EU-Vertrag
integrieren, damit künftig das Europäische Parlament bei Entscheidungen der Euratom ein Mitspracherecht bekommt.
Auch die europäische Finanzierung des internationalen Kernfusions-Forschungsreaktors
ITER wollen die Grünen beenden.
Fazit
Europäischer
Klimaschutz und Energiewende nehmen für alle deutschen Parteien
einen recht hohen Stellenwert ein, wobei die Grünen in der Regel die
weitestgehenden und detailliertesten Vorschläge machen. Einigkeit
besteht zwischen SPD, CDU/CSU und Grünen darüber, dass die
CO2-Ziele verschärft werden sollten, wofür alle Parteien
eine Wiederbelebung des Emissionshandelssystems fordern – mit teils
mehr, teils weniger konkreten Plänen. Bei der Energieeffizienz
setzen die drei Oppositionsparteien auf einen Top-Runner-Ansatz,
durch den die jeweils höchsten technischen Standards nach einer
bestimmten Frist allgemeinverbindlich werden sollen. Bei der
Förderung erneuerbarer Energien kommen die entschlossensten
Vorschläge von der FDP, die europaweite Mindestquoten einführen
will, und von den Grünen, die sich für umfassende europäische
Investitionen in die Wind- und Solarindustrie einsetzen.
Die Bundestagswahl und Europa – Überblick:
1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
8: Agrarpolitik, Lebensmittelsicherheit, Umwelt
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung
1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
8: Agrarpolitik, Lebensmittelsicherheit, Umwelt
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung
Bild: By Dirk Ingo Franke (Own work) [CC-BY-SA-2.0], via Wikimedia Commons.
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