18 April 2015

Wer wird UN-Generalsekretär?

Weiblich, mit UN-Erfahrung und aus Osteuropa: Irina Bokova passt ins Profil.
Ende 2016 werden zwei der wichtigsten Ämter in der Weltpolitik neu besetzt: das des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika und das des Generalsekretärs der Vereinten Nationen. Die potenziellen Nachfolger von Barack Obama bringen sich gerade in Stellung: Während auf Seiten der Demokraten Hillary Clinton als nahezu unvermeidlich gilt, gibt es bei den Republikanern einen ganzen Strauß an möglichen Interessenten. Und die Nachfolge-Kandidaten von Ban Ki-Moon? Nun, auch hier nimmt die Debatte allmählich an Fahrt auf – auch wenn die Medien ihr bislang weitaus weniger Aufmerksamkeit schenken als dem Wahlkampf in den USA.

Doch während das Wahlverfahren in den USA bereits bis in viele Details feststeht, ist jenes in den Vereinten Nationen derzeit noch Gegenstand politischer Diskussionen, über die ich auf diesem Blog vor einem knappen halben Jahr bereits ausführlicher geschrieben habe. Nach Art. 97 UN-Charta wird der Generalsekretär „auf Empfehlung des Sicherheitsrats von der Generalversammlung ernannt“. In der Praxis schlägt der Sicherheitsrat jedoch stets nur einen einzigen Namen vor, der von der Generalversammlung dann lediglich bestätigt wird. Und da die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats – die USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien – dabei ein Vetorecht haben, sind es letztlich meist nur diese fünf, die die Entscheidung unter sich ausmachen.

In letzter Zeit regt sich allerdings ein gewisser Widerstand gegen dieses Verfahren. Mit der Kampagne One for Seven Billion setzt sich eine Gruppe von zivilgesellschaftlichen Organisationen (darunter das World Federalist Movement und die United Nations Association UK) eine inklusivere und transparentere Auswahlprozedur ein. Als eine ihrer Schlüsselforderungen soll der Sicherheitsrat der Generalversammlung nicht nur einen, sondern mehrere Kandidaten präsentieren. Um die Unabhängigkeit des Generalsekretärs zu gewährleisten, soll außerdem seine Amtszeit von fünf auf sieben Jahre verlängert und zugleich die Möglichkeit einer Wiederwahl abgeschafft werden.

Nur Russland und die USA blockieren

Im vergangenen Februar übernahmen auch The Elders (eine renommierte Gruppe ehemaliger Spitzenpolitiker, die 2007 von dem früheren südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela gegründet wurde und inzwischen von Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan geleitet wird) diese Forderungen in einem Politikpapier zur UN-Reform. Anfang März erreichten sie schließlich auch eine formelle Ebene: Bei einer Sitzung der Ad Hoc Working Group on the revitalization of the work of the General Assembly, einer Arbeitsgruppe der UN-Generalversammlung, sprachen sich zahlreiche Mitgliedstaaten für Reformen entlang dieser Vorschläge aus.

Auch beim nächsten Treffen der Arbeitsgruppe am 27. April wird das Ernennungsverfahren des Generalsekretärs wieder Thema sein. Schon das ist ohne Zweifel ein Erfolg der Kampagne One for Seven Billion und ein schönes Zeichen dafür, dass auch zivilgesellschaftliche Organisationen durchaus eine Chance haben, sich in den Vereinten Nationen Gehör zu verschaffen. Ob sich die Befürworter der Reform letztlich durchsetzen können, ist aber offen. Zwar lehnten in der Arbeitsgruppensitzung im März nur zwei Mitgliedstaaten die Vorschläge explizit ab. Doch dabei handelte es sich ausgerechnet um Russland und die USA, die beide im Sicherheitsrat ein Vetorecht besitzen. Im weiteren Verlauf dürfte es deshalb vor allem darauf ankommen, wie viel diplomatischen Druck die übrigen Mitgliedstaaten aufbringen können und wollen, um die beiden Blockademächte zum Einlenken zu bringen.

Das Profil des nächsten Generalsekretärs

Neben diesen Vorschlägen von One for Seven Billion und den Elders, die auf eine Reform des Wahlverfahrens insgesamt abzielen, zirkulieren aber auch noch weitere, konkretere Forderungen, wie das Profil des nächsten UN-Generalsekretärs aussehen sollte. Immer wieder ist etwa der Wunsch zu hören, dass nach acht Männern nun endlich auch einmal eine Frau das Amt übernehmen sollte.

Andere Überlegungen wiederum zielen auf die Vorerfahrungen ab, die ein UN-Generalsekretär mitbringen sollte. In der Vergangenheit wurde das Amt meistens von Politikern übernommen, die zuvor eine diplomatische Karriere gemacht hatten, in einigen Fällen waren sie nationaler Außenminister ihres Herkunftslandes gewesen. Nur mit Javier Pérez-Cuéllar 1981 und Kofi Annan 1996 wurden Kandidaten ernannt, die schon zuvor als Vize-Generalsekretär für die Weltorganisation gearbeitet hatten. Angesichts des großen Reformbedarfs in den UN-Strukturen könnte es sich nun lohnen, diesen Ansatz zu wiederholen und einen Kandidaten zu wählen, der die oft barocke und schwer zu durchschauende UN-Verwaltung bereits von innen heraus kennt.

Umgekehrt wäre es aber auch denkbar, stattdessen einen früheren nationalen Regierungschef zu ernennen, um so die Bedeutung des Amtes zu unterstreichen. Das UN-Sekretariat nähme damit eine ähnliche Entwicklung wie die Europäische Kommission, deren Präsidenten lange Zeit in der Regel ebenfalls nur eine Ministerkarriere hinter sich hatten – während seit Mitte der 1990er Jahre stets ein früherer Regierungschef zum Zuge kam.

Der Anspruch der Osteuropäer

Für die UN besteht die Welt aus fünf Regionen. Vier davon haben schon mindestens einmal den Generalsekretär gestellt.
Das Kriterium, dem unter den UN-Mitgliedstaaten wohl die größte Bedeutung zugeschrieben wird, ist jedoch die regionale Herkunft des nächsten Generalsekretärs. Obwohl die UN-Charta in Bezug auf die geografische Ausgewogenheit nur sehr vage Vorgaben macht, hat sich in der Praxis bei der Verteilung von Ämtern im Laufe der Zeit ein sehr weitreichender Regionalproporz herausgebildet. Zu diesem Zweck wird jeder Mitgliedstaat einer von fünf regionalen Gruppen zugerechnet, die beispielsweise jeweils eine feste Anzahl von Sitzen im UN-Sicherheitsrat haben und zwischen denen auch sonst die wichtigsten Positionen der Weltorganisation nach mehr oder weniger formalisierten Regeln rotieren.

Folgt man dieser Zuordnung, so waren unter den bisherigen Generalsekretären drei Westeuropäer, zwei Asiaten, zwei Afrikaner sowie ein Lateinamerikaner. Die einzige Regionalgruppe, die bislang noch nie zum Zuge kam, ist Osteuropa – und so braucht es wohl nicht zu verwundern, dass der Sprecher dieser Gruppe Ende 2014 in unmissverständlichen Worten den Anspruch erhob, nun sei „endlich die Zeit gekommen, dass ein Staatsangehöriger aus unserer Region mit der höchsten Position des UN-Sekretariats betraut wird“.

Die Ukraine-Krise

Diese Forderung macht die Suche nach einem Kandidaten freilich nicht unbedingt einfacher. Mit nur 23 Mitgliedstaaten ist Osteuropa die kleinste unter den Regionalgruppen, zugleich aber eine reichlich heterogene. In ihrer Zusammensetzung folgt sie nämlich noch den Bündnisstrukturen des Kalten Krieges: Es handelt sich genau um jene europäischen Staaten, die bis 1990 dem Ostblock angehörten bzw. kommunistisch regiert wurden – auch wenn deren politische Entwicklung seitdem grundverschiedene Wege genommen hat. Im Einzelnen sind elf dieser Staaten heute Mitglied der EU, fünf weitere sind die EU-Beitrittskandidaten (oder potenziellen Beitrittskandidaten) auf dem Westbalkan. Hinzu kommen die drei Kaukasus-Länder Georgien, Armenien und Aserbaidschan, die Republik Moldau, die Ukraine, Weißrussland und Russland.

Wie angespannt die politische Lage zwischen einigen dieser Länder derzeit ist, weiß jeder Zeitungsleser. In gleich drei von ihnen (Georgien, Moldau und der Ukraine) gibt es starke separatistische Bewegungen, die von Russland mit teils militärischen Mitteln unterstützt werden. 2014 führte die Annexion der Krim-Halbinsel dazu, dass die EU und die USA wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland verhängten, wobei besonders die östlichen EU-Staaten wie Polen oder die baltischen Länder sich für eine harte Linie einsetzten. Und natürlich haben viele osteuropäische Außenpolitiker im Laufe der letzten Jahre in der ein oder anderen Form zu diesen Auseinandersetzungen Stellung bezogen.

Bei der Ernennung des UN-Generalsekretärs aber haben sowohl die USA als auch Russland ein Vetorecht. Nötig ist deshalb ein Kandidat, der für beide Seiten akzeptabel ist – und der unabhängig genug sein müsste, um in einem Konflikt zu vermitteln, der sich in direkter geografischer Nähe seines Herkunftslandes abspielt.

Namen im Gespräch

Wer also käme für das Amt in Frage? Anderthalb Jahre vor der eigentlichen Wahl beinhaltet das Spektrum an möglichen Bewerbern natürlich alles, was die Gerüchteküche hergibt. Einige Namen allerdings sind immer wieder zu hören:

● Die Kandidatin, die die inoffiziellen Auswahlkriterien am besten erfüllt, dürfte derzeit die Bulgarin Irina Bokova sein, ehemalige Außenministerin ihres Landes und seit 2009 Generalsekretärin der UNESCO. Sie kann mit der Unterstützung ihrer nationalen Regierung rechnen, hat sowohl in Russland als auch in den USA studiert und hat es sich auch später mit keinem der beiden Länder verscherzt.

Ebenfalls auf die Unterstützung seiner nationalen Regierung rechnen kann der Slowene Danilo Türk, derzeit Vorsitzender der entwicklungspolitischen Organisation Global Fairness Initiative. Zudem bringt Türk umfassende politische Vorerfahrungen mit: Von 2000 bis 2005 arbeitete er unter Kofi Annan als Beigeordneter UN-Generalsekretär, von 2007 bis 2012 war er Staatspräsident seines Landes.

Bei anderen Kandidaten sind die Aussichten etwas unklarer. Interessiert ist offenbar auch der frühere serbische Außenminister Vuk Jeremić, derzeit Vorsitzender des Außenpolitik-Thinktanks CIRSD, dessen nationale Regierung seine Bewerbung derzeit allerdings nicht unterstützt. Und auch der frühere OSZE-Generalsekretär und derzeitige UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan, der Slowake Ján Kubiš, dürfte es nicht ganz einfach haben – mit Außenminister Miroslav Lajčák hat er einen Konkurrenten aus seinem eigenen Herkunftsland.

● Sollten sich die Osteuropäer am Ende doch nicht durchsetzen, gibt es zudem noch eine Reihe weiterer Kandidaten aus verschiedenen anderen Weltregionen. Immer wieder genannt werden etwa die Namen des Portugiesen António Guterres, früherer Premierminister seines Landes und seit 2005 Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, oder der Neuseeländerin Helen Clark, auch sie frühere Premierministerin und derzeit Leiterin des UN-Entwicklungsprogramms UNDP. Und natürlich noch viele, viele weitere, deren Kandidatur mal mehr, mal weniger ernsthaft ins Gespräch gebracht wird. Ein Überblick über sämtliche Spekulationen findet sich hier.

So oder so: Der Wettlauf um das höchste Amt, das die Vereinten Nationen zu vergeben haben, hat begonnen, und er ist kaum weniger spannend als derjenige um die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten von Amerika. Dass er so intransparent verläuft, dass die Medien sich bislang trotzdem kaum dafür interessieren, ist dabei nicht nur ein bedauerlicher Randaspekt – sondern die Ursache für ein erhebliches Legitimationsdefizit gegenüber uns Bürgern. Es ist der Weltorganisation nur zu wünschen, dass sie es in den nächsten anderthalb Jahren noch überwinden kann.

1 Kommentar:

  1. Ján Kubiš ist seit dem 24.2.2015 Leiter der UN-Mission und UN-Sonderbeauftragter im Irak. Da dieser Posten vom UN-Sicherheitsrat bestätigt werden muss, kann man diese Berufung möglicherweise als Unterstützung für seine Person werten.
    http://www.nytimes.com/aponline/2015/02/24/world/middleeast/ap-un-bc-united-nations-iraq-appointment.html

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