10 Oktober 2022

Auf der Bremse: Was die Wahlsiege rechter Parteien in Schweden und Italien für die EU-Klimapolitik bedeuten

Von Peter Jelinek
Jimmie Åkesson
Jimmie Åkesson will Schweden an die erste Stelle setzen, Giorgia Meloni Italien. Dem EU-Klimaschutz wird das nicht guttun.

Die Bekämpfung von Dürre und Gewässerverschmutzung, die Schaffung einer Produktionskette für erneuerbare Energien, neue Netze und Speicher – das Wahlprogramm der neuen italienischen Regierungspartei Fratelli d’Italia (FdI/EKR) unter Giorgia Meloni liest sich durchaus progressiv. Nach der extremen Dürre in diesem Jahr scheinen die Antworten einleuchtend, wo also liegt der Haken für den Klimaschutz in der Europäischen Union? Bei Italy first. Der Umwelthistoriker Nils Franke im SPIEGEL-Interview beschrieb dies vor Kurzem so: Meloni „wird dem, was für Italien gut ist und was die Europäische Union in diesem Sinne finanziert, zustimmen. Bei den anderen Dingen wird sie sich dagegenstemmen.“

Dies lässt erahnen: Zusammen mit anderen rechten Fraktionen im Europäischen Parlament und Rat ziehen für den Green Deal und damit die Klimapolitik der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen düstere Zeiten auf. Zwei Gründe wieso.

Green Deal ja, aber …

Fit for 55. Was klingt wie ein Fitnessprogramm für werdende Renter:innen, ist die Basis für die EU-Klimaziele bis 2030. Bis dahin sollen die Emissionen im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent sinken. Diese neue Zielmarke betrifft alle Bereiche unserer Gesellschaft. Wie unsere Autos angetrieben werden, wie schnell wir die erneuerbaren Energien ausbauen oder wie intensiv wir unsere Häuser dämmen, um Energie zu sparen. Diese Zielmarke ist einer von zwei wichtigen Meilensteinen des Green Deals. Der andere ist, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen.

Bereits im Sommer 2021 stellte die Europäische Kommission ihren Klimapfad für 2030 vor. Seitdem haben Rat und Parlament erst untereinander intern verhandelt und jetzt miteinander. In den sogenannten Trilogverhandlungen sitzen Rat, Parlament und Kommission zusammen und versuchen sich auf die Mechanismen zu einigen, die uns auf einen klimaneutralen Kurs ausrichten sollen. Der Green Deal ist das größte Klimapaket Europas, wenn nicht sogar der Welt, und der finale Verhandlungsmarathon findet genau jetzt statt.

Rechtspopulistische Wahlerfolge in Schweden und Italien

Doch seit dem Sommer 2021 ist viel passiert. Zum einen stieg nach der Corona-Pandemie die weltweite Nachfrage nach Kohle, Öl und Gas. Zum anderen führte Putins Angriffskrieg auf die Ukraine zu einem Lieferstopp billiger fossiler Ressourcen. Die Folge war eine steigende Inflation, die in der Eurozone mittlerweile 10 Prozent erreicht hat.

Im Wahlkampf vor der schwedischen Parlamentswahl im September spielte das eine Rolle: Die anziehenden Preise wurden, zusammen mit der Bedrohung aus Russland und dem Thema Migration und der EU-Skepsis, zum Magnet für die Rechten. Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD/EKR) wurden zur stärksten Partei innerhalb des bürgerlich-konservativen Lagers, das nun die neue Mehrheit bildet. Ein Paukenschlag für das Land und die EU. Kaum stand das Ergebnis fest, kündigte SD-Chef Jimmie Åkesson an, es sei nun „Zeit, Schweden an die erste Stelle zu setzen“.

Genau zwei Wochen später ging Italien an die Urnen. Auch hier war der Wahlkampf hitzig. Ein Debakel für die bisherige Regierungskonstellation bahnte sich im Vorfeld an. Das von den FdI angeführtes Rechtsbündnis, das auch Lega (ID) und Forza Italia (FI/EVP) umfasste, gewann die Wahl. Und die FdI-Vorsitzende Giorgia Meloni kündigte an: „Zuerst Italien und die Italiener!“

Die nationale Wende wird auch die EU-Klimapolitik treffen

Für die europäische Klimapolitik verheißt diese nationale Wende in zwei wirtschaftlich starken, traditionell pro-europäischen Ländern nichts Gutes. Die beiden neuen Regierungen werden den Green Deal als Pfand für ihre Italy-first- und Sweden-first-Strategie gut einzusetzen wissen. Denn beide Parteichefs, Åkesson und Meloni, relativieren zwar die Klimakrise nicht, wollen die Klimaziele aber nicht erhöhen.

Als Präsidentin der rechts-konservativen Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) tritt Meloni klimapolitisch auf die Bremse. Sie befürchtet eine Überforderung der Menschen und Wirtschaft und geht damit Hand in Hand mit Polens Regierungspartei. Auch Åkesson, dessen Partei ebenfalls den EKR angehört, wird keinen Turbo für den Klimaschutz zünden. So sind die SD die einzige Partei im schwedischen Parlament, die sich 2017 nicht am neuen nationalen Klimagesetz beteiligten und nicht hinter dem damals gegründeten unabhängigen schwedischen Klimarat stehen, der die Gesamtpolitik der Regierung auf die Klimaverträglichkeit prüft.

Das Erstarken der Rechten ist auch im Parlament zu spüren

Diese Vorbehalte gegenüber dem Green Deal wird man in Brüssel merken – auch im Europäischen Parlament, in dem nach den Wahlen in Schweden und Italien der Jubel vor allem bei den EKR, aber auch in der zweiten Rechtsfraktion Identität und Demokratie (ID) groß war. Marine Le Pen, die Chefin der französischen ID-Mitgliedspartei Rassemblement National, beglückwünschte Meloni dafür, den „Drohungen einer antidemokratischen und arroganten Europäischen Union standgehalten“ zu haben. Klimapolitisch steht die rechtsextreme ID noch weiter außen als die EKR: Während Letztere den Green Deal mit einem kleinen „Ja“ und einem großen „Aber“ versehen, lehnt die ID ihn ganz grundsätzlich ab.

Und auch wenn die Mehrheitsverhältnisse im Europäischen Parlament von den nationalen Wahlentscheidungen in Schweden und Italien unberührt bleiben, ist die Macht der erstarkten Rechten indirekt überall zu spüren. Vor allem blicken die anderen Parteien mit wachsender Sorge auf steigende Energiepreise und die Inflation. Klimaschutz verkauft sich aktuell nicht gut, weil er die Preise für Kohle, Öl und Gas weiter nach oben treibt. Und der Ausbau der Erneuerbaren ist zwar noch gewollt, aber wird sich ziehen.

Abflauende Klimabegeisterung

Würde jetzt gewählt werden, wären die Rechten die großen Gewinner, die Grünen würden im Vergleich zur Europawahl 2019 deutlich verlieren. EKR und ID würden zur viert- bzw. fünftstärksten Fraktion. Wenn sie sich zusammenraufen würden, könnten sie einen neuen Block im Parlament bilden, der mit der sozialdemokratischen S&D-Fraktion gleichauf läge. Für die Europawahl 2024, nach zwei Wintern mit hohen Energiepreisen, würde das eine enorme Machtverschiebung im Parlament bedeuten. Das grüne Erbe der Kommissionspräsidentin könnte damit in Gefahr sein.

Aber schon heute ist die Klimabegeisterung abgeflaut. Abgeordnete nicht-rechter Parteien aus Schweden, Italien, Frankreich oder Polen müssen sich daheim immer öfter rechtfertigen, wieso sie für den Green Deal, Klimaschutz oder sozialpolitische Maßnahmen auf EU-Ebene sind. Die oftmals nationalen Blicke auf die heimische Presselandschaft könnten höhere Klima-Ambitionen einfrieren. Für die jetzt stattfindenden Verhandlungen über den EU-Emissionshandel oder das Aus des Verbrennermotors ab 2035 hat das Europäische Parlament zwar klare Positionen, aber diese könnten durch fehlende Standhaftigkeit in den nächsten Wochen und Monaten dahinschmelzen.

Die rechte Achse wächst – zum Schaden des Klimas

Im Europäischen Rat wächst derweil die rechte Achse bereits jetzt. Bislang sind es hier besonders der ungarische Premierminister Viktor Orbán (Fidesz/–) und sein polnischer Kollege Mateusz Morawiecki (PiS/EKR), die regelmäßig grüne Vorhaben angreifen und dabei ihre Macht zu nutzen wissen. So hat Polen etwa der Klimaneutralität bis 2050 bis heute formal nicht zugestimmt. Beim REPowerEU-Plan, der die Energieunabhängigkeit der EU von Russland sicherstellen soll, ließ Orbán seine Veto-Muskeln spielen. Beim Europäischen Klimaschutzgesetz musste die EU sich Polens Zustimmung mit dem sogenannten „Mechanismus für einen gerechten Übergang“ von klimaschädlicher zu klimafreundlicher Energie erkaufen, durch den vor allem Polen einen großen Anteil des Mechanismus bekommen soll.

Mit Schwedens und Italiens neuen rechten Regierungen wird dieses klimapolitisch skeptische Lager Zulauf gewinnen. Für den finalen Verhandlungsmarathon zum Fit-for-55-Paket wird es damit zum Herbst und Winter, wenn Einigungen zwischen dem Parlament und Rat erwartet werden, heikel. Bislang konnten Polen und Ungarn immer mit viel Geld besänftigt werden. Aber geht das auch mit Schweden und Italien? Die beiden Regierungen sitzen nicht so fest im Sattel der Macht und müssen sich daheim behaupten. Sie werden ihr Veto zu nutzen wissen, um ihren politischen Markenkern hervorzuheben: ein Europa der Nationalstaaten, das Brüssel in die Schranken weist. Oder klimapolitisch gesagt: Klima ja, aber die EU soll zahlen. Und frisches Geld ist in dieser Krisenzeit schwierig zu bekommen.

Peter Jelinek ist Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in der Grüne/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament für Michael Bloss.
Bilder: News Øresund - Johan Wessman [CC BY 3.0], via Flickr; Porträt Peter Jelinek: (c) Patrick Haermeyer.

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