14 März 2024

Wie man ein gemeinsames Europawahlrecht ohne Einstimmigkeit im Rat einführt

Von Clemens Hoffmann
Plenum des Europäischen Parlaments
Viele Versuche, das EU-Wahlrecht zu verbessern, sind an nationalen Vetos gescheitert. Doch das „Tandemsystem“ könnte auch ohne Einstimmigkeit eingeführt werden.

Eine Reform des Europawahlrechts ist lange überfällig, um endlich die nationale Fragmentierung und fehlende Gleichwertigkeit aller Stimmen zu überwinden. Ein Reformansatz, der diese Probleme angeht, ist das „Tandemsystem“, das von Friedrich Pukelsheim und Jo Leinen entwickelt wurde. Nach diesem System treten die europäischen Parteien über ihre nationalen Mitgliedsparteien bei den Europawahlen gegeneinander an und ein Ausgleichsmechanismus sorgt dafür, dass trotz bestehend bleibender nationaler Sitzkontingente der Sitzanteil jeder europäischen Partei ihrem europaweiten Stimmenanteil entspricht.

In der Form, wie Pukelsheim und Leinen das Tandemsystem vorgeschlagen haben, wäre aber vermutlich von einigen Mitgliedstaaten großer Widerstand zu erwarten. Das macht es schwierig, das System durch eine Reform des EU-Direktwahlakts einzuführen, bei der nach Art. 223 AEUV jeder Mitgliedstaat ein Vetorecht hat. Schon eine weit weniger weitgehende Wahlreform, die 2022 vom Europäischen Parlament vorgeschlagen wurde, scheiterte an der fehlenden Einstimmigkeit im Rat. Allerdings ließe sich das Tandemsystem so modifizieren, dass nationale Vetos umgangen werden können. Wie das geht, möchte ich im Folgenden darstellen.

Verstärkte Zusammenarbeit bei der Wahlrechtsreform?

Da nie ein einheitliches Europawahlrecht eingeführt wurde, ist es Aufgabe der Mitgliedstaaten, sich je ein eigenes Europawahlrecht zu geben. Ihre nationalen Gestaltungsspielräume begrenzen de facto die Einstimmigkeitserfordernis für Reformen auf EU-Ebene auf zwei Punkte:

  1. Veränderungen bei den Sitzkontingenten der Mitgliedstaaten im Europäischen Parlament, inklusive der Schaffung neuer Sitze für transnationale Listen (geregelt in einem Beschluss des Europäischen Rates) und
  2. gemeinsame Wahlgrundsätze, die die nationalen Europawahlrechte erfüllen müssen, zum Beispiel die Nutzung eines Verhältniswahlsystems (geregelt im EU-Direktwahlakt).

Dies beachtend könnte eine Staatengruppe auch allein voranschreiten, um Reformen beim EU-Wahlrecht umzusetzen. Zum einen könnte sie ihre nationalen Europawahlrechte mittels eines zwischenstaatlichen Vertrags stärker koordinieren und verzahnen. Mit einer qualifizierten Mehrheit im Rat könnte sie zum anderen auch den Mechanismus der verstärkten Zusammenarbeit nutzen.

Wie kann eine solcher Reformansatz aussehen?

Vor der Ausgestaltung eines gemeinsamen Wahlrechts muss bestimmt werden, welche Ziele mit der Reform erreicht werden sollen. Die momentane nationale Zersplitterung der Europawahlen führt zu zwei Problemen:

  • Zum einen beteiligen sich die Wähler:innen an der Wahl primär auf Basis ihrer nationalen Staatsbürgerschaft und nicht ihrer EU-Bürgerschaft. Der Einfluss ihrer Stimmen endet an der Grenze des eigenen Mitgliedslandes. Dies mindert das integrative Potential der Europawahlen.
  • Zum anderen gibt es derzeit keine Wahlgleichheit auf europäischer Ebene. Eine Stimme in einem kleinen Mitgliedstaat zählt deutlich mehr als eine Stimme in einem großen Mitgliedsland. Dies ist auf die „degressiv proportionale“ Sitzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten zurückzuführen, die im EU-Vertrag vorgeschrieben ist.

Das „Tandemsystem“ für die europäische Sitzverteilung

Das „Tandemsystem“ von Friedrich Pukelsheim und Jo Leinen löst diese Probleme. Es stellt das gesamteuropäische Wahlergebnis in den Vordergrund, ohne die bisherigen Sitzkontingente der Mitgliedstaaten anfassen zu müssen. Dafür bilden jeweils die nationalen Mitgliedsparteien einer europäischen Partei eine Listenverbindung. Diese Listenverbindungen treten dann bei der Europawahl gegeneinander an. Jede EU-Bürger:in kreuzt auf dem Wahlzettel die nationale Parteiliste und damit auch die europäische Partei an, die sie präferiert. Mit allen europaweit abgegebenen Stimmen wird die Sitzverteilung auf die europäischen Parteien bestimmt. Erhält eine Partei europaweit 20% der Stimmen, so soll sie auch 20% der Sitze im Europäischen Parlament bekommen.

Nachdem die europäische Sitzverteilung bestimmt wurde, ermittelt der Ausgleichmechanismus in drei Schritten die nationalen Sitzverteilungen:

  1. In einem ersten, vorläufigen Schritt werden die Sitze den nationalen Parteien auf Basis der nationalen Wahlergebnisse zugeteilt, so wie im heutigen System.
  2. Erhält dabei eine europäische Listenverbindung aufgrund von Verzerrungen im Wahlrecht (z.B. aufgrund der degressiven Proportionalität) x Prozent Sitze mehr, als ihr bei direkt-proportionaler Verteilung zustehen, so werden ihr in jedem Mitgliedsland x Prozent der Sitze entzogen. Analog erhält sie x Prozent mehr Sitze je Land, sollten ihr diese europaweit fehlen.
  3. Wenn jetzt in einem Land y Prozent weniger Sitze verteilt worden sind, als dessen Sitzkontingent umfasst, so werden jeder Partei in dem Land y Prozent mehr Sitze gegeben. Analog gilt wieder der umgekehrte Fall.

Schritte 2 und 3 werden wiederholt, bis sowohl die europäische Sitzverteilung als auch die Sitzkontingente der Mitgliedstaaten richtig abgebildet werden.

Damit werden faktisch die Sitzkontingente zu einer Quote, die das Parlament als Ganzes zu erfüllen hat. Die europäischen Parteien sind dagegen weiterhin verstärkt über die Mitgliedsparteien vertreten, die in ihrem jeweiligen Land besonders gut abgeschnitten haben. Nationale Wahlergebnisse werden nur noch annähernd wiedergegeben, da die korrekte Abbildung des europäischen Wählerwillens Priorität hat.

Ein „partielles Tandemsystem“ mit Opt-out-Möglichkeit

Pukelsheim und Leinen gehen in ihren Publikationen zum Tandemsystem stets davon aus, dass alle Mitgliedstaaten sich daran beteiligen. Das wäre allerdings nicht zwingend notwendig. Tatsächlich könnte der Ausgleichsmechanismus so modifiziert werden, dass einigen Mitgliedstaaten ein Opt-out gewährt wird. Das Ergebnis wäre dann ein „partielles Tandemsystem“, in dem eine Gruppe von Mitgliedstaaten allein gewährleistet, dass die Sitzverteilung der europäischen Parteien im Europäischen Parlament auch deren europaweiter Stimmverteilung entspricht.

In diesen Opt-out-Staaten würde die Europawahl dann wie bisher stattfinden, und ihre nationale Sitzverteilung würde sich allein nach dem jeweiligen nationalen Wahlergebnis richten.  Dennoch beteiligen sich auch die EU-Bürger:innen aus den Opt-out-Staaten indirekt am partiellen Tandemsystem, denn die dortigen nationalen Parteien wären Teil der Listenverbindungen ihrer europäischen Parteifamilien. Die für sie abgegebenen Stimmen zählen für das Gesamtergebnis und die an sie verteilten Sitze sind beim Ausgleich zu berücksichtigen. Würde der Ausgleichsmechanismus die Opt-out-Staaten ignorieren, wäre die Gleichwertigkeit aller Stimmen europaweit nicht gegeben.

Voraussetzungen

Das (partielle) Tandemsystem kann nur funktionieren, wenn die europäischen Parteien mitspielen, denn der Ausgleichsmechanismus ist auf die klare Zuordnung nationaler Parteien zu Listenverbindungen angewiesen. So ist es grundsätzlich möglich, dass eine nationale Partei mehr Sitze bekommen könnte, wenn sie nicht Teil der Listenverbindung wird. Auch kann eine europäische Partei einen unfairen Vorteil erlangen, wenn ihre Listenverbindung nur die Mitgliedsparteien aus den reformwilligen Staaten umfasst. Gegen diese Probleme können jedoch Regelungen erlassen werden:

  • Alle Mitgliedsparteien einer registrierten europäischen Partei gehören zwingend zu einer Listenverbindung. Es sollte aber auch die Möglichkeit geben, dass europäische Parteien Nichtmitglieder in ihre Listenverbindung einladen, dass zwei oder mehrere europäische Parteien mit einer gemeinsamen Listenverbindung antreten oder dass eine Parteienfamilie, die nicht als europäische Partei registriert ist, eine Listenverbindung bildet.
  • Die Bildung der Listenverbindungen bringt nationale Parteien mit ähnlichen Werten und Zielen zusammen und nimmt damit vorweg, was bisher erst bei der Bildung der Fraktionen passiert. Als zusätzlicher Anreiz sollte daher auch der Zugang zum Fraktionsstatus an das gemeinsame Antreten als Listenverbindung geknüpft werden. Auch die Wahlkampferstattung und Parteienfinanzierung sollten sich am europäischen Ergebnis orientieren.
  • Alle nationalen Parteien ohne europäische Parteizugehörigkeit bilden eine gemeinsame technische Listenverbindung. Dies soll ein Anreiz sein, damit auch diese nationalen Einzelparteien sich einer europäischen Parteienfamilie anschließen oder eine neue europäische Partei gründen, welche dann eine eigene Listenverbindung registrieren kann.
  • Eine Listenverbindung darf nicht zum überwiegenden Anteil (z.B. 70%) Stimmen aus nur einem einzigen Mitgliedsland erhalten haben, andernfalls wird sie der technischen Listenverbindung zugerechnet.

Der Ausgleichsmechanismus beseitigt die im bisherigen Wahlrecht entstehenden Über- und Unterhänge. Sollte aber eine Listenverbindung (fast) ausschließlich in Opt-out-Staaten antreten, so kann der Ausgleich unter Umständen nur unvollständig erfolgen. Es sollten daher so wenig Staaten wie möglich ein Opt-out erhalten.

Was, wenn 2019 das partielle Tandemsystem gegolten hätte?

Im folgenden Beispiel soll gezeigt werden, welche Sitzverteilung sich bei der Europawahl 2019 mit dem partiellen Tandemsystem ergeben hätte. Dabei wird angenommen, dass sich nur die sechs EG-Gründungsländer sowie Polen, Spanien und Portugal an dem partiellen Tandemsystem beteiligen würden. Außerdem sind für die Berechnung noch einige zusätzliche Annahmen nötig, die unter der Tabelle aufgelistet sind.

Das partielle Tandemsystem unterscheidet nicht zwischen Mandaten, die über das nationale Ergebnis gewonnen wurden, und solchen, die nur Ausgleichsmandate sind. Dennoch lässt sich nachträglich eine ungefähre Differenzierung bestimmen, indem man betrachtet, um wie viele Sitze das nationale Sitzkontingent der am System beteiligten Länder verringert werden muss, bis eine rein national bestimmte Sitzverteilung sich als Teil der Tandemsitzverteilung ergibt. Der andere Teil der Sitze der betreffenden Länder sind entsprechend Ausgleichsmandate. Dabei werden in der Tabelle nur die Parteien außerhalb der technischen Listenverbindung berücksichtigt. Eine solche differenzierte Betrachtung vereinfacht auch den Vergleich mit einem System, in dem der Verhältnisausgleich mittels transnationaler Listen umgesetzt wird.



EVP SPE RE ID EGP EKR Linke EFA APEU techn.
Liste
AT nationale Sitze 7 5 1 3 3




BE* nationale Sitze 2 3 3 2 3
1 3

Ausgleich


1 1
1 1

BG nationale Sitze 7 4 3 1
1


1
HR nationale Sitze 4 3 1





4
CY nationale Sitze 2 1



2

1
CZ nationale Sitze 5
6 2
4 1

3
DK nationale Sitze 1 3 6 1 2
1


EE nationale Sitze 1 2 3 1





FI nationale Sitze 4 2 3 2 2
1


FR* nationale Sitze 6 4 19 18 10
7


Ausgleich
1
7 4
7
2
DE* nationale Sitze 24 13 6 9 17
5
1
Ausgleich
4 1 6 8
1
1
EL nationale Sitze 9 2


1 7

2
HU nationale Sitze 13 5 2





1
IE nationale Sitze 5
2
2



4
IT* nationale Sitze 6 15
22
4


7
Ausgleich
3 2 12 2
2
1
LV nationale Sitze 2 2


2


2
LT nationale Sitze 2 2 2





5
LU* nationale Sitze 1 1 1
1




Ausgleich



1 1



MT nationale Sitze 2 4







NL* nationale Sitze 4 6 7 1 3


1 3
Ausgleich
1
1 2




PL* nationale Sitze 18 4


26


2
Ausgleich 1 1







PT* nationale Sitze 6 8 1


4
1
Ausgleich





1


RO nationale Sitze 14 10 9






SK nationale Sitze 4 3 3

2


2
SI nationale Sitze 4 2 2






ES* nationale Sitze 10 17 8

3 5 3

Ausgleich
5 1


2 4 1
SE national seats 6 5 3
3 3 1


gesamt nationale Sitze 169 126 91 62 46 46 29 6 3 37
Ausgleich 1 15 4 27 18 1 14 5 5
gesamt 170 141 95 89 64 47 43 11 8 37
alt gesamt 184 131 95 73 47 51 33 12 3 73


EVP SPE RE ID EGP EKR Linke EFA APEU techn.
Liste
Länder, die in der Beispielrechnung am partiellen Tandemsystem teilnehmen, sind mit einem Asterisk (*) markiert. Die Zeile „alt gesamt“ stellt die tatsächliche Sitzverteilung von 2019 dar (bezogen auf die Parteien in den hypothetischen Listenverbindungen) und verdeutlicht damit, wie sich das Kräfteverhältnis durch das Tandemsystem verschoben hätte. Datengrundlage sind die Wikipedia-Seiten zur Europawahl 2019. Annahmen für die Berechnung: 1. Die europaweite Sitzverteilung wird nach der d’Hondt-Methode bestimmt, da die meisten Mitgliedsländer diese Methode momentan nutzen. 2. Grundsätzlich tritt jede europäische Parteienfamilie mit einer eigenen Listenverbindung an. Ausnahmen: ALDE, EDP sowie die französische Partei LREM bilden eine gemeinsame Listenverbindung (Renew Europe, RE); EL und die Parteienallianz „Now the People“ bilden eine gemeinsame Listenverbindung (Linke). 3. Für Listenverbindungen gilt eine europäische Sperrklausel von 1% (2019 rund 1,8 Mio. Stimmen europaweit). Da der europäische Direktwahlakt eine maximale nationale Sperrhürde von 5% vorgibt, werden bei der Sitzvergabe aber auch nationale Parteien berücksichtigt, die in ihrem Land mehr als 5% der Stimmen bekommen haben, auch wenn ihre Listenverbindung an der Sperrhürde gescheitert ist. – Es gibt einen Online-Rechner, um andere Annahmen auszuprobieren. Der Zugang dazu ist auf Anfrage beim Autor erhältlich.

In der realen Sitzverteilung von 2019 waren SPE, EGP, Linke und ID im Vergleich zu ihrer europaweiten Stimmenzahl unterrepräsentiert. Diese vier Parteien hätten also mit einem Tandemsystem zusätzliche Sitze gewonnen. Wie sich diese Ausgleichsmandate auf die Mitgliedsländer verteilen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zu einem Ausgleich zwischen zwei europäischen Parteien kann es nur in Ländern kommen, in denen beide Parteien vertreten sind. Die ID-Partei konzentriert sich stark auf Deutschland, Frankreich und Italien, weshalb der Ausgleich dort passiert und nicht in Polen, wo sie nicht vertreten ist. SPE, EGP und Linke haben in mehr Staaten Mitgliedsparteien, sodass der Ausgleich sich breiter verteilen kann.

In Ländern, in denen viele europäische Parteien aktiv sind, werden tendenziell mehr Sitze umverteilt, da es hier mehr umkämpfte Sitze gibt. In Luxemburg fehlten beispielsweise den Grünen nur 2,2 Prozentpunkte für den zweiten Sitz; der Ausgleichmechanismus des Tandemsystems spricht ihnen diesen zu, weil so nur eine minimale Verzerrung der Sitzverteilung entsteht. In Italien wird auch das im Parlament vertretene Parteienspektrum größer, weil mit dem Tandemsystem weniger Parteien an der nationalen Sperrhürde scheitern; somit werden auch mehr italienische Wähler:innen im Parlament vertreten.

Im Vergleich mit der tatsächlichen Sitzverteilung 2019 hätte die EVP als einzige große Partei mit dem Tandemsystem weniger Sitze erhalten. Das lag am besseren Abschneiden in kleinen als in großen Mitgliedstaaten. Ihre Mitgliedsparteien in Polen und Spanien erreichen mittlerweile in nationalen Umfragen aber wieder bessere Werte, sodass für die EVP der Sitzverlust durch das Tandemsystem heute geringer ausfallen würde bzw. auch für sie ein Sitzzugewinn möglich wäre.

Die Debatte wird weitergehen

Momentan dominieren transnationale Listen die Debatte einer europäischen Wahlrechtsreform. Für sie hat sich das Europäische Parlament 2022 ausgesprochen. Der Widerstand im Rat scheint aber wieder unüberwindlich groß. Es ist daher sinnvoll, auch über Alternativen laut nachzudenken.

Die Jungen Europäischen Föderalist:innen (JEF) Deutschland haben deshalb 2023 das partielle Tandemsystem in ihre Beschlusslage aufgenommen. Es fungiert als Plan B, sollte der Ministerrat transnationale Listen dauerhaft ablehnen. Tandemsystem und transnationale Listen schließen einander auch nicht aus. Das partielle Tandemsystem gibt Reformbefürworter:innen einen neuen Trumpf auf die Hand, und zeigt, dass die Reformgegner:innen nicht allein die Spielregeln bestimmen.

Bilder: EP-Plenum: European External Action Service [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr; Porträt Clemens Hoffmann: privat [alle Rechte vorbehalten].

How to introduce a common European electoral law without unanimity in the Council

By Clemens Hoffmann
Plenary of the European Parliament
Many attempts to improve the EU electoral law have failed due to national vetoes. But the “tandem system” could also be introduced without unanimity.

A reform of the European electoral law is long overdue in order to finally overcome national fragmentation and the lack of transnational electoral equality. One reform approach that addresses these problems is the “tandem system” developed by Friedrich Pukelsheim and Jo Leinen. Under this system, the European parties compete against each other in the European elections via their national member parties and a levelling mechanism ensures that each European party’s seat share corresponds to its Europe-wide vote share, despite the fact that member states’ seat quotas remain in place.

However, Pukelsheim and Leinen’s tandem system is likely to be opposed by some member states. This makes it difficult to introduce the system through a reform of the EU direct elections act, in which each member state has a right of veto under Art. 223 TFEU. Even a far less far-reaching electoral reform that was proposed by the European Parliament in 2022 failed due to a lack of unanimity in the Council. However, the tandem system could be modified in a way that would allow national vetoes to be bypassed. Let me explain how.

Enhanced cooperation on electoral law reform?

Since a unified European electoral system has never been introduced, it is up to each member state to adopt its own European elections law. Their national authority thus de facto limits the unanimity requirement for reforms at EU level to two points:

  1. changes to the national seat quotas within the European Parliament, including the creation of new seats for transnational lists (regulated in a European Council decision) and
  2. the common electoral principles that national European elections laws must respect, such as the use of proportional representation (regulated in the EU Direct Elections Act).

Taking this into account, a group of states could proceed on its own to implement reforms to EU electoral law. On the one hand, they could coordinate and dovetail their national European electoral laws more closely through an intergovernmental treaty. On the other hand, with a qualified majority in the Council, they could also utilise the mechanism of enhanced cooperation.

What could such a reform approach look like?

Before designing a common electoral law, it must be determined which objectives are to be achieved with the reform. The current national fragmentation of European elections leads to two problems:

  • Firstly, voters participate in the election primarily on the basis of their national citizenship and not their EU citizenship. The impact of their votes ends at the border of their own member state. This reduces the integrative potential of European elections.
  • Secondly, there is currently no electoral equality at European level. A vote in a small member state counts significantly more than a vote in a large member state. This is due to the “degressively proportional” apportionment of seats to the member states, which is prescribed in the EU Treaty.

The “tandem system” for the distribution of European seats

The “tandem system” by Friedrich Pukelsheim and Jo Leinen solves these problems. It emphasises the pan-European election result without having to touch the existing seat apportionment to the member states. For the tandem system, the national member parties of a European party form connected electoral lists. These list coalitions then compete against each other in the European elections. Each EU citizen marks the national party list and thus also the European party that they prefer on the ballot paper. The distribution of seats among the European parties is determined by the proportion of all votes cast across Europe. If a party receives 20% of the votes across Europe, it should also receive 20% of the seats in the European Parliament.

Once the EU-wide seat distribution has been determined, the levelling mechanism calculates the distribution of seats for each member states in three steps:

  1. In a first, preliminary step, seats are allocated to national parties based on the national election results, as they are today.
  2. If, due to distortions in the electoral law (e.g. due to degressive proportionality), a European list coalition has received x per cent more seats than it is entitled to under direct-proportional distribution, its number of seats is reduced by x per cent in each member state. Similarly, if a party lacks seats in comparison to its EU-wide seat entitlement, it receives an additional x per cent more seats per country.
  3. If now y per cent fewer seats have been allocated in a member state than corresponds to its seat quota, the seat number of each party in that country is increased by y per cent. Vice versa, if to many seats have been allocated in a member state, the seat number of each party is reduced by y per cent.

Steps 2 and 3 are repeated until both the EU-wide seat distribution and the seat apportionment to the member states are correctly reflected.

This effectively turns the seat apportionment into a quota that the Parliament has to fulfil as a whole. The European parties, on the other hand, are still represented mostly by the national member parties that have performed particularly well in their respective countries. National election results are only approximated, as the correct representation of the will of the European electorate takes priority.

A “partial tandem system” with an opt-out option

In their publications on the tandem system, Pukelsheim and Leinen always assume that all member states will participate. However, this is not strictly necessary. In fact, the levelling mechanism could be modified in such a way that some member states are granted an opt-out. The result would then be a “partial tandem system”, in which a group of member states alone would ensure that the seat share of each European party in the European Parliament corresponds to its EU-wide vote share.

In the opt-out states, the European elections would then take place as today, and their distribution of seats among its national parties would be based solely on the respective national election results. Nevertheless, EU citizens from the opt-out states would also participate indirectly in the partial tandem system, as the national parties there would be part of the list coalitions of their European party families. The votes cast in their favour would count for the European result and the seats allocated to them would be accounted for in the levelling mechanism. If the levelling mechanism were to ignore the opt-out states, all votes would not be counted equally across Europe.

Prerequisites

The (partial) tandem system can only work if the European parties play along, as the levelling mechanism depends on a clear allocation of national parties to list coalitions. Under certain circumstances, it is possible that a national party could gain more seats if it is not part of the list coalition. Similarly, a European party might also gain an unfair advantage if its list coalition only includes member parties from the opt-in states. However, rules can be adopted to address these problems:

  • All member parties of a registered European party mandatorily belong to one list coalition. However, it should also be possible for European parties to invite non-members to join their list coalition, for two or more European parties to stand as a joint list coalition, or for a party family that is not registered as a European party to form a list coalition.
  • The formation of list coalitions brings together national parties with similar values and objectives, thus anticipating what has so far only happened when the political groups were formed. As an additional incentive, access to group status in the European Parliament should therefore be linked to running a joint candidacy as a list coalition. Public election campaign refunding and party financing should also be based on the European result.
  • All national parties without a European party affiliation form a joint “technical list coalition”. This should be an incentive for these individual national parties to join a European party family or to found a new European party, which can then register its own list coalition.
  • A list coalition must not receive the majority of votes (e.g. 70%) from only one member state, otherwise it will automatically be included in the technical list coalition.

The levelling mechanism eliminates the over- and underhang seats that exist in the current electoral system. However, if a list coalition runs (almost) exclusively in opt-out states, the levelling may not be complete. As few states as possible should therefore be given an opt-out.

What if a partial tandem system had been in place in 2019?

The following example shows what the distribution of seats would have been in the 2019 European elections with the partial tandem system. It is assumed that only the six EC founding countries as well as Poland, Spain and Portugal would participate in the partial tandem system. The calculation also requires some additional assumptions, which are listed below the table.

The partial tandem system does not differentiate between seats won via the national result and those that are only levelling mandates. Nevertheless, an approximate differentiation can be determined retrospectively by considering by how many seats the national seat quota of opt-in countries must be reduced until a purely nationally determined seat distribution results as part of the tandem seat distribution. The other part of the seats of the countries concerned are correspondingly “levelling seats”. Only the parties outside the technical list coalition are taken into account for this differentiation. Such a differentiated view also simplifies the comparison with a system in which proportional representation at the EU level is implemented by means of transnational lists.



EPP PES RE ID EGP ECR Left EFA APEU
technical
list
AT national seats 7 5 1 3 3
BE* national seats 2 3 3 2 3
1 3
levelling seats
1 1
1 1
BG national seats 7 4 3 1
1 1
HR national seats 4 3 1
4
CY national seats 2 1
2
1
CZ national seats 5
6 2
4 1
3
DK national seats 1 3 6 1 2
1

EE national seats 1 2 3 1
FI national seats 4 2 3 2 2
1
FR* national seats 6 4 19 18 10
7
levelling seats
1
7 4
7
2
DE* national seats 24 13 6 9 17
5
1
levelling seats
4 1 6 8
1
1
EL national seats 9 2
1 7
2
HU national seats 13 5 2
1
IE national seats 5
2
2
4
IT* national seats 6 15
22
4
7
levelling seats
3 2 12 2
2
1
LV national seats 2 2
2
2
LT national seats 2 2 2
5
LU* national seats 1 1 1
1

levelling seats
1 1
MT national seats 2 4
NL* national seats 4 6 7 1 3
1 3
levelling seats
1
1 2
PL* national seats 18 4
26
2
levelling seats 1 1

PT* national seats 6 8 14
1
levelling seats
1
RO national seats 14 10 9
SK national seats 4 3 3
2
2
SI national seats 4 2 2
ES* national seats 10 17 8
3 5 3
levelling seats
5 1 2 4 1
SE national seats 6 5 3
3 3 1
Total national seats 169 126 91 62 46 46 29 6 3 37
levelling seats 1 15 4 27 18 1 14 5 5
total seats 170 141 95 89 64 47 43 11 8 37
Old total 184 131 95 73 47 51 33 12 3 73


EPP PES RE ID EGP ECR Left EFA APEU
technical
list
Countries that participate in the partial tandem system in the calculation example are marked with an asterisk (*). The “Old total” row shows the actual distribution of seats in 2019 (for each of the hypothetical list coalitions) and thus illustrates how the balance of power would have shifted as a result of the tandem system. Data base: Wikipedia pages on the 2019 European elections. Assumptions for the calculation: 1. The European distribution of seats is determined according to the d’Hondt method, which is currently used by most member states. 2. In principle, each European party family runs with its own list coalition. Exceptions: ALDE, EDP and the French party LREM form a joint list coalition (Renew Europe, RE); EL and the party alliance “Now the People” form a joint list coalition (Left). 3. A European threshold of 1% applies to list coalitions (around 1.8 million votes across Europe in 2019). However, as the EU Direct Elections Act stipulates a maximum national threshold of 5%, national parties that received more than 5% of the vote in their country are also taken into account when allocating seats, even if their list coalition failed to meet the threshold. – Access to an online calculator that allows to experiment with other assumptions is available on request from the author.

In the actual seat distribution of 2019, the PES, EGP, Left and ID were under-represented compared to their EU-wide vote totals. These four parties would therefore have won additional seats with a tandem system. How these levelling seats are distributed among the member states depends on various factors. Levelling between two European parties can only occur in countries where both parties are represented. The ID party is strongly focussed on Germany, France, and Italy, which is why the levelling would have happened there and not in Poland, where it is not represented. The PES, EGP and Left have member parties in more countries, so the levelling could have been spread more widely.

In countries where many European parties are active, more seats tend to be redistributed, as there are more contested seats. In Luxembourg, for example, the Greens were only 2.2 percentage points short of the second seat; the levelling mechanism of the tandem system awards them this seat because that only minimally distorts the distribution of seats. In Italy, the range of parties represented in Parliament would have increased because with the tandem system fewer parties would have failed to meet the national threshold, meaning that more Italian voters would have been represented in Parliament.

Compared to the actual 2019 seat distribution, the EPP would have been the only major party to receive fewer seats with the tandem system. This was because it performed better in smaller than in larger member states. By today, however, the EPP member parties in Poland and Spain have recovered in the national polls, meaning that the EPP overall would lose less, or even gain, seats with the tandem system.

The debate will continue

Transnational lists are currently dominating the debate on European electoral law reform. The European Parliament has spoken out in favour of them in 2022. However, resistance in the Council once again seems insurmountable, and it makes sense to think out loud about alternatives.

The Young European Federalists (JEF) Germany have therefore passed a resolution on the partial tandem system in 2023. It acts as a plan B should the Council of Ministers permanently reject transnational lists. The tandem system and transnational lists are also not mutually exclusive. The partial tandem system gives reform supporters a new option and shows that the opponents of reform are not the only ones who determine the rules of the game.

Pictures: EP plenary: European External Action Service [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr; portrait Clemens Hoffmann: private [all rights reserved].

06 März 2024

EU to go: Abschotten oder Anwerben – das europäische Migrationsdilemma

In der Podcastserie „EU to go – Der Podcast für Europapolitik“ präsentiert das Jacques Delors Centre kompakte Hintergründe zur Europapolitik. Einmal im Monat analysieren Moderatorin Thu Nguyen und ihre Gäste in 20 bis 30 Minuten ein aktuelles Thema.

„EU to go – Der Podcast für Europapolitik“ erscheint hier im Rahmen einer Kooperation mit dem Jacques Delors Centre. Er ist auch auf der Homepage des Jacques Delors Centre selbst sowie auf allen bekannten Podcast-Kanälen zu finden.

Im Dezember 2023 einigten sich Rat und Europäisches Parlament nach sieben Jahren auf die zentralen Punkte der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Die Einigung gilt als großer Schritt in der europäischen Migrationspolitik. Die EU setzt damit auf Abschottung, die Pläne stoßen auf Kritik – sowohl aus humanitärer Sicht als auch mit Hinblick auf den Fachkräftemangel in Europa. Denn die EU braucht dringend Fachkräfte aus dem Ausland und versucht mit immer mehr Initiativen, diese anzuwerben.

Über das Dilemma der europäischen Migrationspolitik zwischen Abschotten und Anwerben spricht Thu Nguyen in dieser Folge mit Judith Kohlenberger, Migrationsforscherin am Institut für Sozialpolitik der Wirtschaftsuniversität Wien und Associate Policy Fellow am Jacques Delors Centre, und Lucas Rasche, Experte für Migration, Flucht und Menschenrechte bei Misereor. Wie praxistauglich ist die geplante GEAS-Reform? Warum sind Ideen zur Auslagerung von Asylverfahren in Drittländer problematisch? Wie attraktiv sind EU-Mitgliedstaaten tatsächlich für qualifizierte Fachkräfte? Und welchen Einfluss hat die aktuelle Anti-Migrations-Rhetorik in der politischen Debatte auf die bevorstehenden Europawahlen?

29 Februar 2024

Wenn an diesem Sonntag Europawahl wäre (Februar 2024): EVP baut Vorsprung aus, Aufstieg der Rechten verlangsamt sich

Von Manuel Müller


Linke G/EFA S&D RE EVP EKR ID fʼlos Sonst.
EP heute3772140102178685949
Jan. 2433451418616975894339
Feb. 2435481358517678853642
dynamisch3748137891838210143
Basis-Szenario,
Stand: 26.2.2024.

 
Dynamisches Szenario,
Stand: 26.2.2024.

Es ist Parteitagszeit in der EU: In diesen Tagen und Wochen treffen sich die europäischen Parteien, um ihre Europawahlprogramme zu verabschieden und ihre Spitzenkandidat:innen zu nominieren. Den Anfang machten Anfang Februar die Grünen mit Terry Reintke und Bas Eickhout, vor wenigen Tagen zog die Linke mit Walter Baier nach. Als Nächstes folgen an diesem Wochenende die Sozialdemokrat:innen und Mitte nächster Woche die Europäische Volkspartei, bei denen Nicolas Schmit und Ursula von der Leyen als jeweils einzige Bewerber:in schon als Spitzenkandidat:in feststehen. Spannend wird es bei den Liberalen, die ihre Spitzenkandidatenfrage wohl erst Ende März klären. Die beiden Rechtsparteien EKR und ID treten ohne EU-weite Spitzenkandidat:innen an.

EVP im Dreijahreshoch

Während die Parteien sich für den Wahlkampf fit machen, zeichnet sich in den Umfragen eine klare Startaufstellung ab. Im Basisszenario der Sitzprojektion klettert Ursula von der Leyens EVP auf 176 Sitze (+7 gegenüber der letzten Projektion von Anfang Januar), ihren besten Wert seit drei Jahren. Da zugleich die Sozialdemokrat:innen verlieren (135 Sitze / –⁠6), steigt der Vorsprung der EVP auf 41 Sitze. Im dynamischen Szenario, das mögliche Fraktionsein- und -übertritte nach der Wahl mit berücksichtigt, fällt er noch etwas größer aus und erreicht mit 46 Sitzen ebenfalls den höchsten Wert seit drei Jahren.

Hingegen hat sich der Aufstieg der Rechtsaußenparteien zuletzt etwas abgeschwächt. Gegenüber der Januar-Projektion müssen sowohl EKR als auch ID im dynamischen Szenario Federn lassen. Beide Fraktionen wären allerdings weiterhin deutlich stärker als bei der letzten Europawahl 2019. Ein umgekehrtes Bild ergibt sich für Grüne und Linke, die sich in den letzten Wochen etwas erholen konnten, wobei aber vor allem die Grünen auf einem deutlich niedrigeren Niveau verharren als 2019. Alles in allem zeichnet sich für das nächste Europäische Parlament deshalb weiterhin ein starker Rechtsruck ab.

Breit gestreute Zugewinne

Wirft man einen genaueren Blick auf die Entwicklung der Umfragen, wird deutlich, dass der Aufschwung der EVP in den letzten Wochen nicht nur auf einzelne große Mitgliedsparteien zurückzuführen ist. Vielmehr legt die EVP in mehreren Mitgliedstaaten zu – von Estland und Polen bis zu Portugal und Slowenien. In einigen großen Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Griechenland stagniert die EVP hingegen oder verliert sogar leicht.

Diese geografisch breit gestreuten Zugewinne lassen sich für die EVP positiv als ein europaweites Momentum interpretieren. Angesichts der im Einzelnen oft nur sehr geringen Zuwächse könnte es sich in einigen Fällen allerdings auch um normale Schwankungen in den Umfragewerten handelt, die lediglich zufällig in mehreren Ländern gleichzeitig zugunsten der EVP ausgefallen sind. Erst die nächste Sitzprojektion wird deshalb zeigen, ob die EVP ihr starkes aktuelles Niveau wirklich halten kann.

S&D fällt zurück

Umgekehrt schneidet die sozialdemokratische S&D-Fraktion in der aktuellen Sitzprojektion in mehreren Ländern etwas schwächer ab als im Januar. Die Sozialdemokrat:innen verlieren unter anderem in Rumänien, Belgien und Portugal; in Slowenien würden sie nun überhaupt keinen Sitz mehr gewinnen. Leichte Zugewinne können sie hingegen in Italien und Lettland verzeichnen. Auch hier fallen die Veränderungen allerdings in den meisten betroffenen Ländern nur gering aus, sodass es sich auch um vorübergehende Schwankungen in den Umfragen handeln könnte.

So oder so: Zum Wahlkampfauftakt könnte es für Ursula von der Leyens Kandidatur um eine zweite Amtszeit kaum günstiger aussehen. Dass eine Fraktion in weniger als vier Monaten einen Vorsprung von über 40 Sitzen aufholt, ist in dieser Europawahl-Sitzprojektion, die seit 2014 regelmäßig erstellt wird, noch niemals vorgekommen. Um doch noch stärkste Fraktion zu werden, wäre die S&D deshalb darauf angewiesen, dass die Umfragen systematisch falsch liegen (wofür es keine Anhaltspunkte gibt) – oder auf einen wirklich spektakulären Wahlkampf. Man darf gespannt sein, was die Partei um Nicolas Schmit in dieser Hinsicht in den nächsten Wochen bieten wird.

Liberalen drohen Verluste

Die liberale Fraktion Renew Europe, traditionell die drittstärkste Kraft im Parlament, konnte ihren seit etwa anderthalb Jahren anhaltenden Sinkflug in den Umfragen zuletzt etwas bremsen. Unter anderem in Frankreich, Rumänien und Slowenien fallen RE-Mitgliedsparteien zwar weiter zurück, doch wird dies durch Zugewinne etwa in Dänemark, Lettland oder der Slowakei wieder ausgeglichen. Unter dem Strich kommen die Liberalen deshalb auf weitgehend unveränderte 87 Sitze (–1).

Im Vergleich zum aktuellen Parlament wären das allerdings immer noch schmerzhafte Verluste für die RE. Während EVP und S&D ihre derzeitige Abgeordnetenzahl weitgehend halten oder sogar leicht verbessern könnten, drohen die Liberalen – die 2019 ihr bestes Europawahl-Ergebnis aller Zeiten erzielt hatten – rund ein Zehntel ihrer Sitze zu verlieren.

Wie gut mobilisieren die Grünen?

Noch düsterer sind die Perspektiven weiter links im politischen Spektrum: Hier hatten die europäischen Grünen 2019 ebenfalls eine Rekordzahl an Sitzen erreicht, von denen nun jedoch rund ein Drittel verloren gehen könnte. Im Vergleich zu Januar legen die Grünen in der Projektion allerdings leicht zu und kommen nun auf 48 Sitze (+3). Das liegt zum Teil an etwas verbesserten Umfragewerten in Deutschland, zum Teil am Beitritt zweier neuer Mitgliedsparteien (der kroatischen Možemo und der litauischen DSVL) zur Europäischen Grünen Partei.

Hoffen können die Grünen außerdem auf ihre traditionell hohe Mobilisierung bei Europawahlen. Während die allgemeine Beteiligung bei Europawahlen in aller Regel niedriger ausfällt als bei nationalen Wahlen, schneiden die Grünen mit ihrer mehrheitlich recht hoch gebildeten und an europapolitischen Fragen interessierten Wählerschaft hier oft besser ab als andere Parteien. Da viele nationale Umfragen mit Blick auf das nationale, nicht das Europäische Parlament erhoben werden, berechnen sie diesen Mobilisierungsfaktor nicht ein – was dazu führt, dass die auf diesen Umfragen basierende Projektion das tatsächliche Ergebnis der Grünen unterschätzt.

Wie stark der Mobilisierungsfaktor tatsächlich ausfallen wird, ist allerdings fraglich. Zum einen fließen in die aktuelle Projektion für einige Länder bereits Umfragedaten ein, die spezifisch für die Europawahl erhoben wurden. Zum anderen hat die Europawahl in der öffentlichen Wahrnehmung allgemein an Bedeutung gewonnen, sodass diesmal auch die Beteiligung unter den Wähler:innen anderer Parteien höher ausfallen könnte. Und dass die Grünen 2019 ihre Umfragewerte deutlich übertrafen, lag auch an der besonderen Dynamik eines von den transnationalen Fridays-for-Future-Protesten befeuerten Klimawahlkampfs. Für 2024 ist etwas Vergleichbares – wenigstens bis jetzt – noch nicht in Sicht.

Linke weitgehend stabil

Ebenfalls nur wenig zulegen konnte zuletzt auch die Linksfraktion, die nun auf 35 Sitze kommt (+2 gegenüber Januar). Leichten Zugewinnen in Frankreich, den Niederlanden und Belgien stehen Verluste in Portugal gegenüber.

Insgesamt würde die Linksfraktion damit in etwa ihre Sitzzahl im aktuellen Europäischen Parlament halten. Allerdings ist die Linke in Sachen Mobilisierung das genaue Gegenteil der Grünen: Die Linksparteien schneiden bei der Europawahl traditionell etwas schlechter ab als bei nationalen Wahlen und werden in den nationalen Umfragen deshalb oft überschätzt. Auch hier ist aber natürlich unklar, wie stark dieser Effekt in diesem Jahr ausfallen wird.

Rechte verlieren Momentum

Die großen Gewinner dieser Europawahl könnten die Rechtsaußenfraktionen EKR und ID sein, die den Umfragen nach beide deutlich gegenüber dem aktuellen Parlament hinzugewinnen werden. In den letzten Wochen hat sich ihr Momentum allerdings spürbar abgeschwächt.

Unter den EKR-Mitgliedsparteien fällt insbesondere die polnische PiS nach ihrer nationalen Wahlniederlage im vergangenen Herbst weiter zurück. Dass die Fraktion als Ganzes im Basisszenario der Projektion dennoch gegenüber Januar zulegen kann (78 Sitze / +3), liegt nur an einem prominenten Neuzugang: Die bisher fraktionslose französische Rechtsaußenpartei Reconquête, die bei der Europawahl mit sechs Sitzen rechnen kann, schloss sich Anfang Februar der EKR an. Im dynamischen Szenario der Projektion war dieser Fraktionsbeitritt schon zuvor mit einberechnet, sodass die EKR hier im Vergleich zu Januar leicht verliert.

Anti-AfD-Demos zeigen Erfolge – Rechte dennoch stark wie nie

Noch deutlicher schwächelte in den letzten Wochen die ID-Fraktion, die nun nur noch 85 Sitze erreichen würde (–⁠4). Das geht zum größten Teil auf das Konto der deutschen AfD: Seit im Januar deutschlandweit hunderttausende Demonstrant:innen gegen die Partei auf die Straße gingen, hat sie auch in Umfragen stark an Zustimmung verloren. Auch in Italien und Estland schnitten ID-Mitgliedsparteien zuletzt etwas schlechter ab. Die niederländische PVV um Geert Wilders erfährt hingegen seit ihrem Sieg bei der nationalen Parlamentswahl Ende 2023 einen Höhenflug, und auch die portugiesische Chega konnte kurz vor der nationalen Parlamentswahl am kommenden 10. März zulegen.

Doch auch wenn die beiden Rechtsfraktionen in der Projektion seit Januar nicht weiter dazugewonnen haben, wäre eine Entwarnung vor der Europawahl nicht angebracht. Nach wie vor lassen die Umfragen erwarten, dass die Fraktionen rechts der EVP im Europäischen Parlament künftig so stark sein werden wie noch niemals zuvor.

Etliche Newcomer-Parteien

Wenig Veränderungen gab es seit Januar unter den fraktionslosen Parteien. Nur aufgrund des EKR-Beitritts der französischen Reconquête fallen diese in der Projektion deutlich zurück und kämen nun auf 36 Sitze (–⁠7).

Deutlich mehr Bewegung fand hingegen bei den „sonstigen“ Parteien statt – also jenen Parteien, die derzeit nicht im Europäischen Parlament vertreten sind und auch keiner europäischen Partei angehören, sodass sie keiner Fraktion eindeutig zugeordnet werden können (42 Sitze / +3). Etliche Parteien erscheinen nun neu im Tableau:

  • In Deutschland erscheint das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das sich im Januar von der Linken abgespalten hat, nun erstmals in den Umfragen. Mit erwarteten fünf Sitzen zählt das BSW zu den stärksten Newcomern, aber die Suche nach Partnern im Europäischen Parlament könnte sich als schwierig erweisen; ein Beitritt zur Linksfraktion erscheint angesichts des Zerwürfnisses mit der deutschen Linken unwahrscheinlich. Denkbar ist, dass das BSW eine eigene Fraktion zu gründen versucht. Wenn das scheitert, könnte die Partei zuletzt aber auch einfach fraktionslos bleiben.
  • In Rumänien könnte die rechtspopulistische SOS România erstmals Sitze im Parlament gewinnen. Die Partei vertritt einen irredentistischen Nationalismus und fordert unter anderem die Rückgabe ehemals rumänischer Territorien, die heute zur Ukraine gehören. Im Europäischen Parlament will sie sich der ID-Fraktion anschließen.
  • Aus Ungarn könnte die rechtsextreme MHM ins Parlament einziehen. Die ebenfalls anti-ukrainische MHM unterhält Kontakte zu anderen europäischen Parteien, die entweder dem rechten Rand der ID angehören oder rechts von dieser angesiedelt sind. Pläne, mit diesen Parteien eine eigene Fraktion zu gründen, werden jedoch aller Voraussicht nach scheitern. Die MHM wird deshalb wohl fraktionslos bleiben.
  • Ebenfalls fraktionslos bleiben dürfte die ungarische Satirepartei MKKP.
  • In Lettland könnte die rechtspopulistische LPV erstmals einen Sitz gewinnen. Die Partei hat sich dezidiert gegen die russische Regierung und für einen ukrainischen EU-Beitritt ausgesprochen, was einen Beitritt zur EKR plausibel erscheinen lässt.

Einige andere „sonstige“ Parteien verloren zuletzt hingegen an Zustimmung. So rutschte insbesondere die neue niederländische Mitte-rechts-Partei NSC nach ihrem Rückzug aus den nationalen Koalitionsverhandlungen deutlich ab. Auch einige neue rechtspopulistische Parteien wie die dänischen DD fielen in den Umfragen zurück. Einige Parteien schließlich haben in dne letzten Wochen die „Sonstige“-Spalte verlassen, da sie sich einer europäischen Partei oder Parlamentsfraktion angeschlossen haben. Dazu gehören die bulgarische Văzrashdane (ID) sowie die kroatische Možemo und die litauische DSVL (beide Grüne/EFA).

Fidesz auf Fraktionssuche

Das dynamische Szenario der Sitzprojektion ordnet auch die übrigen „sonstigen“ Parteien jeweils einer der bestehenden Fraktionen zu und berücksichtigt auch mögliche, aber noch nicht sichere Fraktionswechsel anderer nationaler Parteien. Das dadurch entstehende Bild ist im Einzelnen recht unsicher; in der Gesamtschau kann es jedoch näher an der wirklichen Sitzverteilung nach der Europawahl liegen als das Basisszenario.

Eine Schlüsselfrage ist dabei, welcher Fraktion sich die bislang fraktionslose ungarische Regierungspartei Fidesz um Viktor Orbán zuwenden wird. Orbán selbst strebt einen EKR-Beitritt an und wird dabei von der polnischen PiS unterstützt. Mehrere andere EKR-Mitgliedsparteien – etwa die tschechische ODS oder die schwedischen Sverigedemokraterna – fürchten jedoch, dass die Fidesz die ukrainefreundliche Linie der Fraktion unterlaufen würde, und drohen sogar mit einem Austritt. Die italienische Regierungspartei FdI um Giorgia Meloni, die die EKR dominiert, will die Entscheidung deshalb auf die Zeit nach der Europawahl verschieben.

Im Zweifel dürfte Meloni die strategische Annäherung der EKR an die EVP allerdings wichtiger sein als die zusätzlichen Sitze, die Fidesz zu bieten hat. Plausibler erscheint deshalb, dass Fidesz letztlich in der ID-Fraktion landet, die sich dafür bereits offen gezeigt hat. Wenn die ID darüber hinaus auch alle kleineren russlandfreundlichen Rechtsparteien zusammenführt, die zum ersten Mal Sitze gewinnen werden, könnte sie zur drittstärksten Fraktion im Parlament anwachsen.

Bündnisoptionen: Viel spricht für die Große Koalition

Mit Blick auf mögliche Bündnisoptionen im neuen Parlament zeigt die aktuelle Projektion ein ähnliches Bild wie im Januar: Eine Mitte-links-Allianz aus S&D, RE, Grünen und Linken, die heute noch eine Mehrheit im Parlament hat, wäre davon künftig weit entfernt. Aber auch ein Mitte-rechts-Bündnis aus EVP, RE und EKR hätte knapp keine eigene Mehrheit und wäre deshalb immer auf Abweichler:innen aus anderen Fraktionen oder fraktionslose Abgeordnete angewiesen. Ein Rechtsbündnis aus EVP, EKR und ID könnte eine Mehrheit erreichen, widerspräche aber der traditionellen „Brandmauer“-Linie der EVP gegenüber autoritären und integrationsfeindlichen Parteien.

Vieles spricht deshalb dafür, dass im nächsten Parlament die „Große Koalition der Mitte“ noch weiter an Bedeutung gewinnt – also die Zusammenarbeit zwischen EVP und S&D, der sich dann je nach Thema RE, Grüne und/oder Teile der EKR anschließen. Trotz des Aufschwungs der extremen Rechten wäre das Parlament also weiterhin arbeitsfähig. Dennoch dürfte sich der Rechtsruck auch in politischen Entscheidungen bemerkbar machen: Zum einen verliert die S&D ohne die alternative Mitte-links-Mehrheit einen wichtigen Hebel, um die EVP unter Druck zu setzen. Zum anderen könnte die EVP künftig verstärkt auf die EKR als Mehrheitsbeschaffer setzen und auf diese Weise die Grünen und den linken Flügel von S&D und RE zu umgehen versuchen.

Ob es wirklich dazu kommt, bleibt aber natürlich den europäischen Wähler:innen überlassen. Die hier vorgestellte Sitzprojektion ist nur eine Momentaufnahme der politischen Stimmung. Bis zur Europawahl bleiben noch ziemlich genau 100 Tage.

Die Übersicht

Die folgende Tabelle schlüsselt die Sitzverteilung der Projektion nach nationalen Einzelparteien auf. Die Tabelle folgt dem Basisszenario, in dem die nationalen Parteien jeweils ihrer aktuellen Fraktion (bzw. der Fraktion ihrer europäischen Dachpartei) zugeordnet sind. Parteien, die weder im Parlament vertreten sind noch einer europäischen Partei angehören, verbleiben in der Spalte „Sonstige“.

Das dynamische Szenario der Sitzprojektion baut auf dem Basisszenario auf, ordnet jedoch auch alle „sonstigen Parteien“ jeweils den Fraktionen zu, denen diese plausiblerweise am nächsten stehen. Zudem bezieht das dynamische Szenario auch mögliche künftige Fraktionswechsel einzelner nationaler Parteien ein, die schon jetzt im Parlament vertreten sind. In der Tabelle sind die Veränderungen im dynamischen Szenario gegenüber dem Basisszenario durch farbige Schrift und durch Hinweise im Mouseover-Text gekennzeichnet.

Da es keine gesamteuropäischen Wahlumfragen gibt, basiert die Projektion auf aggregierten nationalen Umfragen und Wahlergebnissen aus allen Mitgliedstaaten. Wie die Datengrundlage für die Länder im Einzelnen aussieht, ist im Kleingedruckten unter den Tabellen erläutert. Mehr Informationen zu den europäischen Parteien und zu den Fraktionen im Europäischen Parlament gibt es hier.


Linke G/EFA S&D RE EVP EKR ID fʼlos Sonst.
EP heute3772140102178685949
Jan. 2433451418616975894339
Feb. 2435481358517678853642
dynamisch3748137891838210143

Linke G/EFA S&D RE EVP EKR ID fʼlos Sonst.
DE 3 Linke 13 Grüne
1 Piraten
1 ÖDP
1 Volt
14 SPD 5 FDP
3 FW
29 Union
1 Familie

17 AfD 2 Partei 5 BSW
1 Tier
FR 7 LFI
8 EELV 9 PS 17 Ens 7 LR 6 Rec 27 RN

IT

17 PD 6 Az-+EU 7 FI
1 SVP
24 FdI 7 Lega 14 M5S
ES 2 Sumar
1 Pod
1 Bildu
4 Sumar
1 ERC
19 PSOE 1 PNV 25 PP 6 Vox
1 Junts

PL

5 Lewica 3 PL2050
19 KO
3 KP
18 PiS

5 Konf
RO

12 PSD 4 USR 7 PNL
1 PMP
7 AUR

2 SOS
NL 1 SP
3 GL 3 PvdA 4 VVD
2 D66
1 CDA
13 PVV
2 NSC
2 BBB
BE 3 PTB 1 Groen
1 Ecolo
2 Vooruit
2 PS
1 O-VLD
2 MR
1 CD&V
1 LE
1 CSP
3 N-VA 4 VB

CZ
3 Piráti

9 ANO 1 STAN
1 TOP09
1 KDU-ČSL
3 ODS 3 SPD

EL 3 Syriza
3 PASOK
8 ND 1 EL
3 KKE 1 PE
1 NIKI
1 Spart
HU

5 DK
1 MM 1 KDNP

11 Fidesz 2 MHM
1 MKKP
PT 1 BE

7 PS 1 IL 7 PSD
5 CH

SE 2 V 1 MP 8 S 1 C
4 M 5 SD


AT
2 Grüne 5 SPÖ 2 Neos 5 ÖVP
6 FPÖ

BG

2 BSP 3 DPS 5 GERB

2 V
4 PP-DB
1 ITN
DK 1 Enhl. 3 SF 4 S 2 V
1 M
1 K


2 LA
1 DD
SK


4 PS 1 OĽANO
1 D
1 KDH
1 SASKA
4 Smer
3 Hlas
FI 1 Vas 1 Vihreät 4 SDP 2 Kesk 4 Kok 3 PS


IE 6 SF

3 FF 4 FG


1 SD
HR
1 Možemo 3 SDP
6 HDZ


1 Most
1 DP
LT
1 LVŽS
1 DSVL
3 LSDP 1 LRLS
1 LP
2 TS-LKD

1 DP 1 LRP
LV
1 Prog 1 SDPS 1 LA 2 JV
1 NA

1 LRA
1 LPV
1 S!
SI 1 Levica

2 GS 5 SDS
1 NSi




EE

1 SDE 1 RE
1 KE
3 Isamaa
1 EKRE

CY 2 AKEL
1 DIKO

2 DISY


1 ELAM
LU

2 LSAP 1 DP 3 CSV



MT

3 PL
3 PN




Verlauf (Basisszenario)


Linke G/EFA S&D RE EVP EKR ID fʼlos Sonst.
26.02.2024 35 48 135 85 176 78 85 36 42
08.01.2024 33 45 141 86 169 75 89 43 39
06.11.2023 43 43 137 90 170 78 76 38 45
11.09.2023 42+1 46 144+3 90+1 157+5 77 72+2 36+1 41+2
17.07.2023 41 48 136 94 160 79 70 36 41
22.05.2023 49 50 137 92 162 79 67 33 36
27.03.2023 44 42 137 94 162 78 68 38 42
01.02.2023 50 42 135 96 168 78 65 37 34
06.12.2022 51 44 136 93 166 79 64 37 35
12.10.2022 52 42 127 100 169 79 63 35 38
20.08.2022 52 47 134 98 170 75 63 27 39
22.06.2022 54 44 133 101 165 77 64 31 36
25.04.2022 59 39 139 97 157 78 64 38 34
01.03.2022 53 36 139 98 158 78 62 45 36
04.01.2022 51 39 142 99 165 73 62 34 40
08.11.2021 50 42 144 96 155 75 72 36 35
13.09.2021 54 42 141 98 160 70 75 33 32
21.07.2021 52 45 133 97 167 71 74 31 35
24.05.2021 50 50 125 95 167 74 73 33 38
29.03.2021 52 46 136 96 164 71 73 34 33
02.02.2021 52 45 135 94 184 70 71 21 33
09.12.2020 52 47 136 93 188 67 73 20 29
12.10.2020 51 49 127 96 193 67 71 21 30
14.08.2020 50 53 145 88 196 65 64 20 24
25.06.2020 48 55 143 91 203 64 63 20 18
26.04.2020 47 53 151 88 202 66 66 19 13
10.03.2020 51 58 138 88 188 67 82 21 12
09.01.2020 49 58 135 93 186 65 82 24 13
23.11.2019 48 57 138 99 181 62 82 22 16
23.09.2019 49 61 139 108 175 56 82 24 11
30.07.2019 47 64 138 108 180 57 82 22 7
Wahl 2019 40 68 148 97 187 62 76 27

Die Zeile „Wahl 2019“ kennzeichnet die Sitzverteilung zum 2. Juli 2019, dem Zeitpunkt der Konstituierung des Europäischen Parlaments nach der Europawahl im Mai 2019.
Angegeben sind jeweils die Werte im Basisszenario ohne das Vereinigte Königreich. Bis September 2023 basiert die Sitzprojektion auf 705 Sitzen, danach auf 720 Sitzen. Bei den Angaben für September 2023 ist der Übergang durch hochgestellte Zahlen markiert.
Eine Übersicht der Werte mit dem Vereinigten Königreich für die Zeit bis Januar 2020 ist hier zu finden. Eine Übersicht älterer Projektionen aus der Wahlperiode 2014-2019 gibt es hier.

Die vollen Namen der Fraktionen und der nationalen Einzelparteien erscheinen als Mouseover-Text, wenn der Mauszeiger eine kurze Zeit regungslos auf der Bezeichnung in der Tabelle gehalten wird. Sofern eine Partei im dynamischen Szenario einer anderen Fraktion zugeordnet ist als im Basisszenario, ist dies ebenfalls im Mouseover-Text gekennzeichnet.

Fraktionszuordnung

Basisszenario: Für die Projektion werden Parteien, die bereits im Europäischen Parlament vertreten sind, jeweils ihrer derzeitigen Fraktion zugerechnet, es sei denn, sie haben ausdrücklich ihren Entschluss zu einem Fraktionswechsel nach der nächsten Europawahl erklärt. Nationale Parteien, die derzeit nicht im Europäischen Parlament vertreten sind, aber einer europäischen Partei angehören, werden der Fraktion der entsprechenden europäischen Partei zugeordnet. In Fällen, bei denen sich die Mitglieder einer nationalen Liste nach der Wahl voraussichtlich auf mehrere Fraktionen aufteilen werden, wird jeweils die am plausibelsten scheinende Verteilung zugrundegelegt. Parteien, bei denen die Zuordnung zu einer bestimmten Fraktion unklar ist, werden im Basisszenario als „Sonstige“ eingeordnet.

Für die Bildung einer eigenständigen Fraktion sind nach der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments mindestens 23 Abgeordnete aus mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten erforderlich. Gruppierungen, die diese Bedingungen nach der Projektion derzeit nicht erfüllen würde, sind mit einem Asterisk (*) gekennzeichnet. Sie müssten gegebenenfalls nach der Europawahl zusätzliche Abgeordnete für sich gewinnen, um sich als Fraktion konstituieren zu können.

Dynamisches Szenario: Im dynamischen Szenario werden alle „sonstigen“ Parteien einer schon bestehenden Fraktion (oder der Gruppe der Fraktionslosen) zugeordnet. Außerdem werden gegebenenfalls Fraktionsübertritte von bereits im Parlament vertretenen Parteien berücksichtigt, die politisch plausibel erscheinen, auch wenn sie noch nicht öffentlich angekündigt wurden. Um diese Veränderungen gegenüber dem Basisszenario deutlich zu machen, sind Parteien, die im dynamischen Szenario einer anderen Fraktion zugeordnet werden, in der Tabelle mit der Farbe dieser Fraktion gekennzeichnet; zudem erscheint der Name der möglichen künftigen Fraktion im Mouseover-Text. Die Zuordnungen im dynamischen Szenario basieren teils auf einer subjektiven Einschätzung der politischen Ausrichtung und Strategie der Parteien und können daher im Einzelnen recht unsicher sein. In der Gesamtschau kann das dynamische Szenario jedoch näher an der wirklichen Sitzverteilung nach der nächsten Europawahl liegen als das Basisszenario.

Datengrundlage

Soweit verfügbar, wird bei der Sitzberechnung für jedes Land jeweils die jüngste Umfrage zu den Wahlabsichten für das Europäische Parlament herangezogen. Wo mehr als eine Umfrage erschienen ist, wird der Durchschnitt aller Umfragen aus den letzten zwei Wochen vor der jüngsten Umfrage berechnet, wobei jedoch von jedem einzelnen Umfrageinstitut nur die jeweils letzte Umfrage berücksichtigt wird. Stichtag für die Berücksichtigung einer Umfrage ist, soweit bekannt, jeweils der letzte Tag der Durchführung, andernfalls der Tag der Veröffentlichung.
Für Länder, in denen die letzte spezifische Europawahlumfrage mehr als zwei Wochen zurückliegt oder in den letzten zwei Wochen deutlich weniger Umfragen zur Europawahl als zur Wahl zum nationalen Parlament veröffentlicht wurden, wird stattdessen die jüngste verfügbare Umfrage für die Wahl zum nationalen Parlament bzw. der Durchschnitt aller Umfragen für das nationale oder das Europäische Parlament aus den letzten zwei Wochen vor der jüngsten verfügbaren Umfrage verwendet. Für Länder, in denen es keine aktuellen Umfragen für Parlamentswahlen gibt, wird stattdessen gegebenenfalls auf Umfragen zu Präsidentschaftswahlen zurückgegriffen, wobei die Umfragewerte der Präsidentschaftskandidat:innen jeweils den Parteien der Kandidat:innen zugeordnet werden (dies kann insbesondere Frankreich und Zypern betreffen). Für Mitgliedstaaten, für die sich überhaupt keine Umfragen finden lassen, wird auf die Ergebnisse der letzten nationalen Parlaments- oder Europawahl zurückgegriffen.
In der Regel werden die nationalen Umfragewerte der Parteien direkt auf die Gesamtzahl der Sitze des Landes umgerechnet. Für Länder, in denen die Wahl in regionalen Wahlkreisen ohne Verhältnisausgleich erfolgt (aktuell Belgien und Irland), werden regionale Umfragedaten genutzt, soweit diese verfügbar sind. Wo dies nicht der Fall ist, wird die Sitzzahl für jeden Wahlkreis einzeln berechnet, dabei aber jeweils die nationalen Gesamt-Umfragewerte herangezogen. Nationale Sperrklauseln werden, soweit vorhanden, in der Projektion berücksichtigt.
In Belgien entsprechen die Wahlkreise bei der Europawahl den Sprachgemeinschaft, während Umfragen üblicherweise auf Ebene der Regionen durchgeführt werden. Für die Projektion werden für die französischsprachige Gemeinschaft die Umfragedaten aus Wallonien, für die niederländischsprachige Gemeinschaft die Umfragedaten aus Flandern genutzt. Für die deutschsprachige Gemeinschaft wird das Ergebnis der letzten Europawahl herangezogen (1 Sitz für CSP).
In Ländern, in denen es üblich ist, dass mehrere Parteien als Wahlbündnis auf einer gemeinsamen Liste antreten, werden der Projektion plausibel erscheinende Listengemeinschaften zugrunde gelegt. In der Tabelle sind diese in der Regel unter der Bezeichnung des Wahlbündnisses oder der größten dazugehörigen Partei zusammengefasst. Manchmal gehören die Parteien eines Wahlbündnisses im Europäischen Parlament jedoch unterschiedlichen Fraktionen an. In diesem Fall werden die Parteien einzeln aufgeführt und eine Plausibilitätsannahme über die Verteilung der Sitze auf der gemeinsamen Liste getroffen. Dies betrifft folgende Parteien: Italien: SI (1., 3. Listenplatz) und EV (2., 4.); Spanien: ERC (1., 3.-4.), Bildu (2.) und BNG (5.); PNV (1.) und CC (2.); Polen: PL2050 (1., 3., 5. etc.), KP (2., 4., 6. etc.); Niederlande: GL (1., 3., 5. etc.) und PvdA (2., 4., 6. etc.); Ungarn: Fidesz (1.-6., ab 8.) und KDNP (7.); Slowakei: PS (1.) und D (2.). Bereits offiziell bestätigt wurden folgende gemeinsame Listen: Rumänien: USR (1.-2., 4.-5., 7.-9.), PMP (3.) und FD (6.); Tschechien: ODS (1.-2., 5., 8., 11., 14., 17., 20.), TOP09 (3., 6., 10., 12., 16., 18.) und KDU-ČSL (4., 7., 9., 13., 15., 19.). In Spanien wird für die Mitglieder des Parteienbündnisses Sumar angenommen, dass sie sich zu zwei Dritteln der Fraktion Grüne/EFA, zu einem Drittel der Linksfraktion anschließen.
Da es in Deutschland bei der Europawahl keine Sperrklausel gibt, können Parteien bereits mit weniger als 1 Prozent der Stimmen einen Sitz im Europäischen Parlament gewinnen. Da deutsche Umfrageinstitute für Kleinparteien jedoch in der Regel keine Werte ausweisen, wird in der Projektion jeweils das Ergebnis der letzten Europawahl herangezogen (je 2 Sitze für PARTEI und FW, je 1 Sitz für Tierschutzpartei, ödp, Piraten, Volt und Familienpartei). Falls eine Kleinpartei in aktuellen Umfragen einen besseren Wert erreicht als bei der letzten Europawahl, wird stattdessen dieser Umfragewert genutzt.
In Italien können Minderheitenparteien durch eine Sonderregelung auch mit nur recht wenigen Stimmen ins Parlament einziehen. In der Projektion wird die Südtiroler Volkspartei deshalb stets mit dem Ergebnis der letzten Europawahl (1 Sitz) geführt.

Die folgende Übersicht führt die Datengrundlage für die Mitgliedstaaten im Einzelnen auf. Die Daten beziehen sich auf den letzten Tag der Durchführung; falls dieser nicht bekannt ist, auf den Tag der Veröffentlichung der Umfragen:
Deutschland: nationale Umfragen, 20.-24.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Frankreich: Europawahl-Umfragen, 7.-15.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Italien: nationale Umfragen, 14.-26.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Spanien: nationale Umfragen, 21.-23.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Polen: nationale Umfragen, 11.-22.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Rumänien: Europawahl-Umfragen, 14.-20.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Niederlande: nationale Umfragen, 9.-12.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Belgien, niederländischsprachige Gemeinschaft: regionale Umfragen (Flandern) für die nationale Parlamentswahl, 8.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Belgien, französischsprachige Gemeinschaft: regionale Umfragen (Wallonien) für die nationale Parlamentswahl, 8.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Belgien, deutschsprachige Gemeinschaft: Ergebnis der Europawahl, 26.5.2019.
Tschechien: nationale Umfragen, 27.1.-2.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Griechenland: Europawahl-Umfragen, 7.-16.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Ungarn: nationale Umfragen, 9.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Portugal: nationale Umfragen, 12.-23.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Schweden: nationale Umfragen, 29.1.-11.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Österreich: Europawahl-Umfragen, 7.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Bulgarien: nationale Umfragen, 24.1.-4.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Dänemark: nationale Umfragen, 25.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Slowakei: nationale Umfragen, 12.-18.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Finnland: nationale Umfragen, 6.-16.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Irland: nationale Umfragen, 21.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Kroatien: nationale Umfragen, 20.-23.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Litauen: nationale Umfragen, 26.-29.1.2024, Quelle: Wikipedia.
Lettland: Europawahl-Umfragen, 14.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Slowenien: nationale Umfragen, 8.-14.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Estland: nationale Umfragen, 19.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Zypern: Europawahl-Umfragen, 16.2.2024, Quelle: Wikipedia.
Luxemburg: Ergebnisse der nationalen Parlamentswahl, 8.10.2023, Quelle: Wikipedia.
Malta: Europawahl-Umfragen, 5.2.2024, Quelle: Malta Today.

Bilder: alle Grafiken: Manuel Müller.
Korrekturhinweis, 1.3.2024: Eine frühere Fassung dieses Artikels ordnete die dänische LA im Basis- und dynamischen Szenario der RE-Fraktion zu. Tatsächlich ist die LA aber bislang nicht im Parlament vertreten und Mitglied keiner europäischen Partei. Zudem hat sie angekündigt, dass sie nach der Wahl einen Beitritt zur EVP anstrebt. Der Fehler wurde korrigiert.