17 Mai 2012

Staatsbankrott mit und ohne Euro-Austritt: Die griechischen Optionen und ihr Preis

Alexis Tsipras will weniger sparen und die Hilfspakete neu verhandlen. Seine alternativen Optionen kämen die Eurozone noch teurer zu stehen.
Wenn ein Land zu hohe Schulden hat, dann kann es damit auf unterschiedliche Weise umgehen. Es kann seine Zentralbank dazu bringen, die Geldmenge zu erhöhen, sodass die Schulden sich in der Inflation auflösen. Es kann die Steuern erhöhen, um damit die Zinsen zu bedienen, und eine wirtschaftliche Depression in Kauf nehmen. Oder es kann Hilfe von außen bekommen. Im Fall Griechenlands war die erste Möglichkeit versperrt, da die Europäische Zentralbank auf die Preisstabilität verpflichtet ist. Hilfe von außen (etwa in Form von Eurobonds oder einem EU-Finanzausgleich) blieb aus: Als die privaten Gläubiger der griechischen Regierung kein Geld mehr leihen wollten, gewährten die übrigen Euro-Mitgliedstaaten dem Land zwar Rettungskredite, aber eben nur Kredite, deren Zinsen das Land nun ebenfalls bedienen muss.

Was blieb, war der Weg der harten Austerität: so lange die Steuern zu erhöhen und die Staatsausgaben zu senken, bis die Schuldenkrise überwunden ist, auch wenn die Wirtschaft dadurch weiter abstürzt und die Menschen verelenden. Es gibt einige historische Beispiele dafür, dass eine solche Strategie auch bei enormen Schuldenbergen funktioniert hat – aber immer nur dann, wenn es eine Regierungselite gab, die ihre Entscheidungen unabhängig vom Leid der einfachen Bevölkerung treffen konnte. In einer Demokratie klappt das für gewöhnlich nicht: Wenn das Wirtschaftswachstum ausbleibt, zieht die Bevölkerung irgendwann die Reißleine und es kommt zum Staatsbankrott. Wie es aussieht, hat Griechenland diesen Punkt beinahe erreicht. Aber muss das auch den Austritt aus der Eurozone bedeuten?

Nachverhandeln oder Staatsbankrott

Die vergangenen Wahlen in Griechenland haben extremistische Parteien am linken und rechten Rand gestärkt, darunter auch offene Gegner der Demokratie. Die wichtigsten Wahlsieger jedoch, das Parteienbündnis Syriza, ist politisch mit der deutschen Linkspartei (ohne SED-Vergangenheit) oder dem linken Flügel der Grünen vergleichbar; die wichtigste Einzelpartei der Syriza, Synaspismos, gehört der Europäischen Linken an. Sie ist radikaler als die sozialdemokratische PASOK (SPE), aber im Gegensatz zur altkommunistischen KKE ist sie nicht auf Revolution, sondern auf demokratisch beschlossene Reformen aus. Und wenn sich der Syriza-Vorsitzende Alexis Tsipras zuletzt der Teilnahme an einer großen Koalition mit PASOK und ND (EVP) verweigerte, dann wohl nicht aus Verantwortungslosigkeit, sondern aus Kalkül: Bei der Neuwahl dürfte Syriza noch einmal dazugewinnen, nach der PASOK auch die ND überholen und als stärkste Fraktion vermutlich den Premierminister stellen. Man muss das nicht sympathisch finden, aber jedenfalls hätte sie damit eindrucksvoll die Unterstützung der Bevölkerung für ihr Programm unter Beweis gestellt: die Sparmaßnahmen zu lockern und mit den übrigen Mitgliedstaaten der Eurozone über neue Hilfen zu verhandeln.

Nun hat die deutsche Bundesregierung bereits angekündigt, dass sie in diesem Fall hart bleiben würde. Beendet die griechische Regierung daraufhin einseitig das Sparprogramm, würden die übrigen Euro-Staaten die Auszahlung der nächsten Tranche der Rettungskredite verweigern. Daraufhin könnte Griechenland seine laufenden Zinsen nicht mehr bedienen – und zum ersten Mal wäre ein EU-Mitgliedstaat bankrott. Aber was wären die Folgen?

Option 1: Bankrott ohne Euro-Austritt

Für Griechenland würde ein Bankrott paradoxerweise zunächst einmal eine Intensivierung der Sparpolitik bedeuten: Wenn der Staat keine Kredite mehr erhält, kann er für seine laufenden Kosten nur noch so viel Geld ausgeben, wie er auch tatsächlich an Steuern einnimmt – Griechenland müsste also auf einen Schlag einen ausgeglichenen Primärhaushalt erreichen, was auch unter sehr viel besseren Umständen keine einfache Aufgabe wäre. Der Vorteil eines Staatsbankrotts wäre hingegen, dass wenigstens die bestehende Zinslast mit einem Schlag abgeschüttelt wäre; dem Land würde sich die Chance auf einen Neuanfang bieten. Auch wenn es zu weiteren Kürzungen der öffentlichen Ausgaben käme, würde die griechische Öffentlichkeit eine Zukunftsperspektive zurückgewinnen. Und auch politisch könnte die Regierung vermutlich zunächst mit einem gewissen Rückenwind rechnen, wenn sie auf eine Rhetorik der nationalen Selbstbehauptung gegenüber dem Diktat der Finanzmärkte setzt.

Den finanziellen Preis für die griechische Pleite hingegen würden vor allem die übrigen Mitgliedstaaten der Eurozone bezahlen. Durch die Rettungskredite der vergangenen Jahre wurden diese zu den wichtigsten Gläubigern Griechenlands, während zugleich viele private Gläubiger ihre griechischen Anleihen an die Europäische Zentralbank verkaufen konnten. Nicht zuletzt deshalb ist die Eurozone heute besser für einen griechischen Bankrott gewappnet als vor drei Jahren: Die Kreditausfälle würden zwar die nationalen Staatshaushalte belasten, aber die Auswirkungen auf das Bankensystem wären geringer als etwa nach der Lehman-Pleite.

Ein Risiko bliebe die Ansteckungsgefahr für andere Mitgliedstaaten. Wenn Griechenland den Bankrott erklärt, könnten die Investoren fürchten, dass Spanien, Irland oder Portugal das bald ebenfalls tun, und deshalb höhere Zinsaufschläge von diesen Ländern verlangen. Es käme deshalb darauf an, die Ausnahmesituation Griechenlands glaubwürdig zu machen: dass die griechische Schuldenlast weit drückender ist als die der anderen Länder und die Regierungen der übrigen Mitgliedstaaten deshalb entschlossen sind, ihre Kredite auch weiterhin zu bedienen. Ob diese Überzeugungsarbeit gelingen würde, ist im Moment kaum zu sagen – während sich die Gerüchte über Neuwahlen in Griechenland bestätigten, stieg die Risikoprämie für spanische Staatsanleihen jedenfalls auf ein neues Rekordhoch.

Option 2: Bankrott mit Euro-Austritt

Doch die öffentliche Debatte darüber, was bei einem Wahlsieg der Syriza passieren könnte, beschränkt sich nicht auf einen griechischen Staatsbankrott. Vielmehr war das Schlagwort der letzten Tage „Grexit“ – eine Verballhornung für Greek exit, der griechische Austritt aus der Währungsunion. Aber müsste es dazu kommen?

Rein rechtlich gibt es jedenfalls keinen zwingenden Grund, warum Griechenland bei einer Staatspleite auch die Eurozone verlassen sollte. Im Gegenteil: Einen Austritt aus der Währungsunion sehen die EU-Verträge bislang überhaupt nicht vor, er müsste durch einen separaten Vertrag neu vereinbart werden. Auch Syriza hat erklärt, den Euro als Währung behalten zu wollen, womit sie sich nach Umfragen im Einklang mit der großen Mehrheit der Griechen befindet. Wenn überhaupt, so müssten es also ökonomische Gründe sein, die Griechenland bei einem Staatsbankrott den Ausstieg nahelegen – oder politischer Druck der anderen Mitgliedstaaten.

Die unmittelbare Konsequenz einer Wiedereinführung der Drachme wäre eine schnelle und massive Abwertung gegenüber dem Euro. In der Folge würde die griechische Exportwirtschaft wieder wettbewerbsfähiger, was vor allem den Tourismus betrifft: Durch den Wechselkurs würde Urlaub in Griechenland billiger, sodass mehr Gäste aus anderen EU-Ländern kämen; dadurch würden sehr schnell Arbeitsplätze auch für Geringqualifizierte entstehen und vermutlich ein Wachstumssprung ausgelöst.

Zugleich würden durch die plötzliche Abwertung allerdings auch Importe schlagartig teurer. Dies würde nicht nur die allgemeinen Lebenshaltungskosten stark erhöhen: Zu den griechischen Importgütern zählen insbesondere auch Medikamente, die sich viele Bürger nun nur noch schwer leisten könnten (während der bankrotte Staat vermutlich zugleich Kürzungen im öffentlichen Gesundheitssystem vornehmen müsste). Außerdem könnte bei einer so plötzlichen Preissteigerung die griechische Zentralbank Schwierigkeiten haben, die Inflation unter Kontrolle zu halten – sodass die Drachme im schlimmsten Fall in eine Abwertungsspirale geriete.

Ausfall transnationaler Kredite

Für den Rest der Eurozone jedoch würde vor allem ein weiterer Effekt spürbar werden: der massive Ausfall transnationaler Privatkredite. Ein griechisches Unternehmen, das sich von einer deutschen Bank Geld geliehen hat, müsste diesen Kredit in Euro bedienen; seine Einnahmen aber wären nun in Drachmen und deshalb nach der Abwertung sehr viel weniger wert. Durch den Ausstieg aus der Währungsunion wäre also nicht nur der griechische Staat, sondern auch zahlreiche Privatunternehmen zahlungsunfähig. (In der Praxis wären vermutlich vor allem die griechischen Banken betroffen, da diese sich bei anderen Banken der Eurozone Geld geliehen haben, um es an griechische realwirtschaftliche Unternehmer weiterzugeben.) Dadurch würde das Finanzsystem sehr viel stärker in Mitleidenschaft gezogen als durch die Staatspleite allein; aller Wahrscheinlichkeit nach kämen die übrigen Mitgliedstaaten nicht um ein neues großes Bankenrettungspaket herum.

Und auch die Ansteckungsgefahr würde noch einmal enorm erhöht: Die Banken würden sich natürlich fragen, welches Land als Nächstes den Austritt aus der Eurozone erklärt – und dann nicht nur von der Regierung, sondern auch von Banken und Privatunternehmen dieses Landes höhere Risikoaufschläge bei der Kreditvergabe verlangen. Eine solche Kreditklemme wiederum würde die wirtschaftliche Erholung in Ländern wie Spanien oder Italien weiter verkomplizieren. Es gäbe eine neue Kapitalflucht nach Deutschland, die Krise käme an ihren Ausgangspunkt zurück.

Fazit

In der verzweifelten Lage, in der sich das Land derzeit befindet, sind für Griechenland sowohl der Staatsbankrott als auch der Austritt aus der Eurozone mit großen Risiken, aber auch mit gewissen Chancen verbunden. Für den Rest der Währungsunion ist die Rechnung dagegen eindeutiger: Schon eine Staatspleite ohne Euro-Austritt ginge vor allem auf Kosten der übrigen Mitgliedstaaten, auch wenn sich ihre Auswirkungen auf die Privatwirtschaft vermutlich unter Kontrolle halten ließen. Die Wiedereinführung der Drachme aber würde den anderen Ländern nicht nur keinerlei Gewinn bringen; er wäre zudem mit immensen Gefahren für das gesamte europäische Bankensystem verbunden.

In einer solchen Situation erscheint es schier aberwitzig, wenn deutsche Medien und Politiker Griechenland in diesen Tagen geradezu zu einem Euro-Austritt ermuntern. Es ist die Währungsunion selbst, die ein Interesse daran hat, dass die griechische Krise so glimpflich wie möglich abläuft, und die deshalb notfalls auch bereit sein sollte, dafür zu bezahlen. Denn noch ist nicht einmal der griechische Staatsbankrott unvermeidlich – die Syriza jedenfalls hat sich noch nicht für diesen Weg entschieden, sondern ist zu Verhandlungen bereit.

Bild: By Joanna, derivative work: Lapost [CC-BY-2.0], via Wikimedia Commons.

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