- Alexis Tsipras will weniger sparen und die Hilfspakete neu verhandlen. Seine alternativen Optionen kämen die Eurozone noch teurer zu stehen.
Wenn ein Land zu hohe Schulden hat, dann kann es damit auf
unterschiedliche Weise umgehen. Es kann seine Zentralbank dazu
bringen, die Geldmenge zu erhöhen, sodass die Schulden sich in der
Inflation auflösen. Es kann die Steuern erhöhen, um damit die
Zinsen zu bedienen, und eine wirtschaftliche Depression in Kauf
nehmen. Oder es kann Hilfe von außen bekommen. Im Fall Griechenlands
war die erste Möglichkeit versperrt, da die Europäische Zentralbank
auf die Preisstabilität verpflichtet ist. Hilfe von außen (etwa in
Form von Eurobonds oder einem EU-Finanzausgleich) blieb aus: Als die
privaten Gläubiger der griechischen Regierung kein Geld mehr leihen
wollten, gewährten die übrigen Euro-Mitgliedstaaten dem Land zwar
Rettungskredite, aber eben nur Kredite,
deren Zinsen das Land nun ebenfalls bedienen muss.
Was
blieb, war der Weg der harten Austerität: so lange die Steuern zu
erhöhen und die Staatsausgaben zu senken, bis die Schuldenkrise
überwunden ist, auch wenn die Wirtschaft dadurch weiter abstürzt
und die Menschen verelenden. Es gibt einige historische Beispiele
dafür, dass eine solche Strategie auch bei enormen Schuldenbergen
funktioniert hat – aber immer nur dann, wenn es eine
Regierungselite gab, die ihre Entscheidungen unabhängig vom Leid der
einfachen Bevölkerung treffen konnte. In einer Demokratie klappt das
für gewöhnlich nicht: Wenn das Wirtschaftswachstum ausbleibt, zieht
die Bevölkerung irgendwann die Reißleine und es kommt zum
Staatsbankrott. Wie es aussieht, hat Griechenland diesen Punkt
beinahe erreicht. Aber muss das auch den Austritt aus der Eurozone
bedeuten?
Nachverhandeln
oder Staatsbankrott
Die
vergangenen Wahlen in Griechenland haben extremistische Parteien am
linken und rechten Rand gestärkt, darunter auch offene Gegner der
Demokratie. Die wichtigsten Wahlsieger jedoch, das Parteienbündnis
Syriza, ist politisch mit der deutschen Linkspartei (ohne
SED-Vergangenheit) oder dem linken Flügel der Grünen vergleichbar;
die wichtigste Einzelpartei der Syriza, Synaspismos, gehört der
Europäischen Linken an. Sie ist radikaler als die
sozialdemokratische PASOK (SPE), aber im Gegensatz zur
altkommunistischen KKE ist sie nicht auf Revolution, sondern auf
demokratisch beschlossene Reformen aus. Und wenn sich der Syriza-Vorsitzende
Alexis Tsipras zuletzt der Teilnahme an einer großen Koalition mit
PASOK und ND (EVP) verweigerte, dann wohl nicht aus
Verantwortungslosigkeit, sondern aus Kalkül: Bei der Neuwahl dürfte
Syriza noch einmal dazugewinnen, nach der
PASOK auch die ND überholen und als stärkste Fraktion vermutlich
den Premierminister stellen. Man muss das nicht sympathisch finden, aber jedenfalls hätte sie damit eindrucksvoll die
Unterstützung der Bevölkerung für ihr Programm unter Beweis
gestellt: die Sparmaßnahmen zu lockern und mit den übrigen
Mitgliedstaaten der Eurozone über neue Hilfen zu verhandeln.
Nun
hat die deutsche Bundesregierung bereits angekündigt, dass sie in
diesem Fall hart bleiben würde. Beendet die griechische Regierung
daraufhin einseitig das Sparprogramm, würden die übrigen
Euro-Staaten die Auszahlung der nächsten Tranche der Rettungskredite
verweigern. Daraufhin könnte Griechenland seine laufenden Zinsen
nicht mehr bedienen – und zum ersten Mal wäre ein EU-Mitgliedstaat
bankrott. Aber was wären die Folgen?
Option
1: Bankrott ohne Euro-Austritt
Für
Griechenland würde ein Bankrott paradoxerweise zunächst einmal eine
Intensivierung der Sparpolitik bedeuten: Wenn der Staat keine Kredite
mehr erhält, kann er für seine laufenden Kosten nur noch so viel
Geld ausgeben, wie er auch tatsächlich an Steuern einnimmt –
Griechenland müsste also auf einen Schlag einen ausgeglichenen
Primärhaushalt erreichen, was auch unter sehr viel besseren
Umständen keine einfache Aufgabe wäre. Der Vorteil eines
Staatsbankrotts wäre hingegen, dass wenigstens die bestehende
Zinslast mit einem Schlag abgeschüttelt wäre; dem Land würde sich
die Chance auf einen Neuanfang bieten. Auch wenn es zu weiteren
Kürzungen der öffentlichen Ausgaben käme, würde die griechische
Öffentlichkeit eine Zukunftsperspektive zurückgewinnen. Und auch
politisch könnte die Regierung vermutlich zunächst mit einem
gewissen Rückenwind rechnen, wenn sie auf eine Rhetorik der
nationalen Selbstbehauptung gegenüber dem Diktat der Finanzmärkte
setzt.
Den
finanziellen Preis für die griechische Pleite hingegen würden vor
allem die übrigen Mitgliedstaaten der Eurozone bezahlen. Durch die
Rettungskredite der vergangenen Jahre wurden diese zu den wichtigsten
Gläubigern Griechenlands, während zugleich viele private Gläubiger
ihre griechischen Anleihen an die Europäische Zentralbank verkaufen
konnten. Nicht zuletzt deshalb ist die Eurozone heute besser für
einen griechischen Bankrott gewappnet als vor drei Jahren: Die
Kreditausfälle würden zwar die nationalen Staatshaushalte belasten,
aber die Auswirkungen auf das Bankensystem wären geringer als etwa
nach der Lehman-Pleite.
Ein
Risiko bliebe die Ansteckungsgefahr für andere Mitgliedstaaten. Wenn
Griechenland den Bankrott erklärt, könnten die Investoren fürchten,
dass Spanien, Irland oder Portugal das bald ebenfalls tun, und
deshalb höhere Zinsaufschläge von diesen Ländern verlangen. Es
käme deshalb darauf an, die Ausnahmesituation Griechenlands
glaubwürdig zu machen: dass die griechische Schuldenlast weit
drückender ist als die der anderen Länder und die Regierungen der
übrigen Mitgliedstaaten deshalb entschlossen sind, ihre Kredite auch
weiterhin zu bedienen. Ob diese Überzeugungsarbeit gelingen würde,
ist im Moment kaum zu sagen – während sich die Gerüchte über
Neuwahlen in Griechenland bestätigten, stieg die Risikoprämie für
spanische Staatsanleihen jedenfalls auf ein neues Rekordhoch.
Option
2: Bankrott mit Euro-Austritt
Doch
die öffentliche Debatte darüber,
was bei einem Wahlsieg der Syriza passieren könnte, beschränkt sich
nicht auf einen griechischen Staatsbankrott. Vielmehr war das
Schlagwort der letzten Tage „Grexit“
– eine Verballhornung für Greek exit,
der griechische Austritt aus der Währungsunion. Aber müsste es dazu
kommen?
Rein
rechtlich gibt es jedenfalls keinen zwingenden Grund, warum
Griechenland bei einer Staatspleite auch die Eurozone verlassen
sollte. Im Gegenteil: Einen Austritt aus der Währungsunion sehen die
EU-Verträge bislang überhaupt nicht vor, er müsste durch einen
separaten Vertrag neu vereinbart werden. Auch Syriza hat erklärt,
den Euro als Währung behalten zu wollen, womit sie sich nach
Umfragen im Einklang mit der großen Mehrheit der Griechen befindet.
Wenn überhaupt, so müssten es also ökonomische Gründe sein, die
Griechenland bei einem Staatsbankrott den Ausstieg nahelegen – oder politischer Druck der anderen Mitgliedstaaten.
Die
unmittelbare Konsequenz einer Wiedereinführung der Drachme wäre
eine schnelle und massive Abwertung gegenüber dem Euro. In der Folge
würde die griechische Exportwirtschaft wieder wettbewerbsfähiger,
was vor allem den Tourismus betrifft: Durch den Wechselkurs würde
Urlaub in Griechenland billiger, sodass mehr Gäste aus anderen
EU-Ländern kämen; dadurch würden sehr schnell Arbeitsplätze auch
für Geringqualifizierte entstehen und vermutlich ein Wachstumssprung
ausgelöst.
Zugleich würden durch die plötzliche Abwertung allerdings auch Importe schlagartig teurer. Dies würde nicht nur die allgemeinen Lebenshaltungskosten stark erhöhen: Zu den griechischen Importgütern zählen insbesondere auch Medikamente, die sich viele Bürger nun nur noch schwer leisten könnten (während der bankrotte Staat vermutlich zugleich Kürzungen im öffentlichen Gesundheitssystem vornehmen müsste). Außerdem könnte bei einer so plötzlichen Preissteigerung die griechische Zentralbank Schwierigkeiten haben, die Inflation unter Kontrolle zu halten – sodass die Drachme im schlimmsten Fall in eine Abwertungsspirale geriete.
Zugleich würden durch die plötzliche Abwertung allerdings auch Importe schlagartig teurer. Dies würde nicht nur die allgemeinen Lebenshaltungskosten stark erhöhen: Zu den griechischen Importgütern zählen insbesondere auch Medikamente, die sich viele Bürger nun nur noch schwer leisten könnten (während der bankrotte Staat vermutlich zugleich Kürzungen im öffentlichen Gesundheitssystem vornehmen müsste). Außerdem könnte bei einer so plötzlichen Preissteigerung die griechische Zentralbank Schwierigkeiten haben, die Inflation unter Kontrolle zu halten – sodass die Drachme im schlimmsten Fall in eine Abwertungsspirale geriete.
Ausfall
transnationaler Kredite
Für
den Rest der Eurozone jedoch würde vor allem ein weiterer Effekt
spürbar werden: der massive Ausfall transnationaler Privatkredite.
Ein griechisches Unternehmen, das sich von einer deutschen Bank Geld
geliehen hat, müsste diesen Kredit in Euro bedienen; seine Einnahmen
aber wären nun in Drachmen und deshalb nach der Abwertung sehr viel
weniger wert. Durch den Ausstieg aus der Währungsunion wäre also
nicht nur der griechische Staat, sondern auch zahlreiche
Privatunternehmen zahlungsunfähig. (In der Praxis wären vermutlich
vor allem die griechischen Banken betroffen, da diese sich bei
anderen Banken der Eurozone Geld geliehen haben, um es an griechische
realwirtschaftliche Unternehmer weiterzugeben.) Dadurch würde das
Finanzsystem sehr viel stärker in Mitleidenschaft gezogen als durch
die Staatspleite allein; aller Wahrscheinlichkeit nach kämen die übrigen Mitgliedstaaten nicht um
ein neues großes Bankenrettungspaket herum.
Und
auch die Ansteckungsgefahr würde noch einmal enorm erhöht: Die
Banken würden sich natürlich fragen, welches Land als Nächstes den
Austritt aus der Eurozone erklärt – und dann nicht nur von der
Regierung, sondern auch von Banken und Privatunternehmen dieses
Landes höhere Risikoaufschläge bei der Kreditvergabe verlangen.
Eine solche Kreditklemme wiederum würde die wirtschaftliche Erholung
in Ländern wie Spanien oder Italien weiter verkomplizieren. Es gäbe
eine neue Kapitalflucht nach Deutschland, die Krise käme an ihren
Ausgangspunkt zurück.
Fazit
In der verzweifelten Lage, in der sich das Land derzeit befindet, sind für Griechenland sowohl der Staatsbankrott als auch der
Austritt aus der Eurozone mit großen Risiken, aber auch mit gewissen
Chancen verbunden. Für den Rest der
Währungsunion ist die Rechnung dagegen eindeutiger: Schon eine Staatspleite ohne Euro-Austritt ginge vor allem
auf Kosten der übrigen Mitgliedstaaten, auch wenn sich ihre
Auswirkungen auf die Privatwirtschaft vermutlich
unter Kontrolle halten ließen. Die Wiedereinführung der Drachme
aber würde den anderen Ländern nicht nur keinerlei Gewinn
bringen; er wäre zudem mit immensen Gefahren für das gesamte
europäische Bankensystem verbunden.
In einer solchen Situation erscheint es schier aberwitzig,
wenn deutsche Medien und Politiker Griechenland in
diesen Tagen geradezu zu einem Euro-Austritt ermuntern. Es ist die
Währungsunion selbst, die ein Interesse daran hat, dass die
griechische Krise so glimpflich wie möglich abläuft, und die deshalb
notfalls auch bereit sein sollte, dafür zu bezahlen. Denn noch ist
nicht einmal der griechische Staatsbankrott unvermeidlich – die
Syriza jedenfalls hat sich noch nicht für diesen Weg entschieden, sondern ist zu Verhandlungen bereit.
Bild: By Joanna, derivative work: Lapost [CC-BY-2.0], via Wikimedia Commons.
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