07 September 2013

Die Bundestagswahl und Europa (10): Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee

Bei der Bundestagswahl im kommenden September wählen die Deutschen nicht nur ihre nationalen Abgeordneten, sondern auch ihre Vertreter in den intergouvernementalen EU-Organen. Welche Alternativen stehen dabei zur Auswahl? In einer Sommerserie vergleicht dieses Blog die europapolitischen Vorschläge in den Wahlprogrammen der Bundestagsparteien – CDU/CSU (EVP), SPD (SPE), FDP (ALDE), Grüne (EGP) und Linke (EL). Heute: Außen- und Sicherheitspolitik. (Zum Anfang der Serie.)

Syrien und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
Sollte einer der Sitze im Weltsicherheitsrat künftig für die EU reserviert sein? Im Bundestag könnte man damit gut leben.

Dass Bundestagswahlen über die Außenpolitik entschieden werden, ist ausgesprochen selten, und auch der zu erwartende amerikanisch-französische Angriff auf Syrien dürfte da keine Ausnahme sein: Zu einig sind sich alle deutschen Parteien, dass Baschar al-Asad zwar ein übler Diktator ist, aber ein völkerrechtlich höchst zweifelhafter Militärschlag auch keine Lösung. Außerdem hat keine von ihnen ein klares Alternativkonzept anzubieten, was sich im Wahlkampf ebenfalls nicht gut macht.

Doch selbst wenn der Syrien-Krieg für die Wahl zuletzt nur eine untergeordnete Rolle spielen wird, verweist er doch auf einige strukturelle Probleme, die uns auch in den nächsten Jahren noch beschäftigen werden. Zum einen zeigt er wieder einmal, wie leicht der UN-Sicherheitsrat durch das Vetorecht eines der fünf ständigen Mitglieder blockiert werden kann, und wirft damit die Frage auf, ob die Weltgemeinschaft nicht noch andere Mittel braucht, um angesichts grausamer Kriegsverbrechen ihrer Schutzverantwortung gerecht zu werden. Zum anderen wurde auch die Europäische Union einmal mehr mit ihrer außenpolitischen Hilflosigkeit konfrontiert. Wie bereits vor dem Irakkrieg 2003 und dem Libyenkrieg 2011 sind die Mitgliedstaaten weit von einer gemeinsamen Position entfernt: Die Koalitionen der Interventionisten und der Kriegsgegner wechseln zwar immer wieder, verlaufen aber stets quer durch die EU. Und da die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) dem Einstimmigkeitsprinzip unterliegt, dürften bei den heutigen Krisengesprächen in Vilnius wieder einmal nicht viel mehr als Gemeinplätze herauskommen.

Europäischer Auswärtiger Dienst

Aber auch abseits der großen Krisen wird schon seit längerem über eine institutionelle Reform der europäischen Außenpolitik diskutiert. Erst 2009 war mit dem Vertrag von Lissabon das Amt der EU-Außenbeauftragten (derzeit Catherine Ashton, Labour/SPE) deutlich aufgewertet worden; die Außenbeauftragte ist heute zugleich Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und Vorsitzende im Außenministerrat. Außerdem ist ihr der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) mit rund 3500 Diplomaten unterstellt, der seine Arbeit 2011 aufnahm. Er sollte die EU in die Lage versetzen, in der Welt mit einer einzigen Stimme zu sprechen, und mittelfristig vielleicht sogar den Mitgliedstaaten erlauben, eigene Auslandsvertretungen einzusparen. Seine bisherige Erfolgsbilanz ist allerdings eher mager: Da die Mitgliedstaaten nicht auf eine eigene nationale Außenpolitik verzichten wollen, gibt es nun an vielen Stellen Mehrfachstrukturen, und die verbesserte Koordination ist bis heute eher eine Zukunftshoffnung als eine Realität.

Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass sich auch die deutschen Bundestagsparteien in ihren Wahlprogrammen mit der GASP beschäftigen. In der Grundrichtung sind sich die meisten von ihnen recht einig: mehr Europa. Die CDU/CSU will eine „abgestimmte und zugleich handlungsfähige Außen- und Sicherheitspolitik“, die SPD eine „zukunftsfähige, noch stärker vergemeinschaftete, gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“, die Grünen eine „starke gemeinsame europäische Außen- und Menschenrechtspolitik“. Institutionell spricht die CDU/CSU dabei von einem stärkeren Außenbeauftragten, die Grünen von einem stärkeren EAD. Ob sie im Gegenzug auch das deutsche Auswärtige Amt entmachten und beispielsweise deutsche Botschaften in Drittländern schließen wollen, sagen die Parteien allerdings nicht.

Zivile und militärische Mittel

Wenn es um die Frage geht, worauf die europäische Außenpolitik ihren Schwerpunkt setzen soll, zeigen sich größere Unterschiede zwischen den Parteien. An einem Extrem steht dabei die Linke, derzufolge sich die EU „weder an […] Kriegen beteiligen noch diese direkt oder indirekt unterstützen“ soll und die auch eine „Beteiligung deutscher Soldaten an Einsätzen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik […] sowie an EU-Battlegroups und EU-Interventionsstreitkräften“ ablehnt. (Womit die Partei erstaunlicherweise offenlässt, ob sie denn Einsätze nicht-deutscher Soldaten im GASP-Rahmen unterstützen würde – auch diese müssen wegen des Einstimmigkeitsprinzips im Rat ja von der deutschen Regierung mit bewilligt werden.) Zudem lehnt die Linke auch den „zivil-militärischen Europäischen Auswärtigen Dienst“ ab. Stattdessen fordert sie den „Aufbau eines europäischen Zivilen Friedensdienstes“, der offenbar nichtstaatlich organisiert, aber von der EU finanziert sein soll.

Ebenfalls eher auf nicht-militärische Mittel setzen die Grünen, die in der europäischen Außenpolitik die „Menschenrechte ins Zentrum rücken“ wollen und ein „EU-Friedensinstitut“ sowie „eine Stärkung der Krisenprävention im Europäischen Auswärtigen Dienst“ fordern. Anders als die Linke lehnen die Grünen die EU-Verteidigungspolitik jedoch nicht rundheraus ab. Ähnliches gilt für die SPD, die eine „eigenständige europäische Friedenspolitik“ will und dabei „vor allem auf politische Mittel und Diplomatie, auf Handel, gerechte Entwicklung und zivile Krisenprävention“ setzt, aber sich zugleich auch „zu einer weiteren Europäisierung der Streitkräfte im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Verteidigungsplanung“ bekennt.

Für die CDU/CSU wiederum braucht die EU eine „strategische Diskussion, was sie mit zivilen Mitteln und militärischen Einsätzen erreichen kann und will“. Dabei sollen zivile Mittel zwar „Vorrang“ haben, aber auch „mit den militärischen Fähigkeiten verzahnt werden“. Allerdings will die CDU/CSU den geografischen Rahmen europäischer Militäraktionen begrenzen. „[G]emeinsame europäische Einsätze zur Wahrung und Stärkung der Sicherheit Europas“ sollen „vorrangig in unserer geographischen Nachbarschaft“ durchgeführt werden, wogegen „Einsätze jenseits dieser Nachbarschaft […] vermehrt regionalen Partnern und Organisationen übertragen werden, […] die von Europäischer Union und NATO entsprechend unterstützt und vorbereitet werden sollten“. Das FDP-Programm schließlich beschäftigt sich mit den zivilen Bereichen der GASP überhaupt nicht und fordert lediglich eine „vertiefte Integration in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union“. Dafür will die Partei vermehrt auf Ständige Strukturierte Zusammenarbeiten zurückgreifen, an denen sich nur manche, nicht alle Mitgliedstaaten beteiligen.

Gemeinsame Rüstung, Richtlinien für Rüstungsexporte

Mit einer besseren europäischen Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik ist seit jeher die Hoffnung verbunden, militärische Überkapazitäten abzubauen und Mittel für die Rüstung einzusparen, weil nicht mehr jeder Mitgliedstaat sämtliche Anschaffungen tätigen muss. Erst kürzlich wurde ein entsprechender Vorschlag von Spanien, Portugal und Italien als Sparmaßnahme ins Spiel gebracht. Und auch die meisten deutschen Parteien wollen die Rüstungskooperation weiter stärken. So fordert die CDU/CSU „gemeinsame Rüstungsprojekte mit den Partnern in EU und NATO“ sowie „das Zusammenlegen und gemeinsame Nutzen bisher nationaler militärischer Fähigkeiten“. Die SPD möchte durch die europäische Koordinierung „Spielräume für weitere Abrüstungsschritte“ schaffen, die Grünen „Streitkräfte in Europa integrieren und reduzieren“. Nicht überzeugt von diesem Ansatz ist hingegen die Linke. Stattdessen will diese „die EU-Rüstungsagentur abschaffen“ – womit offenbar die Europäische Verteidigungsagentur gemeint ist, die seit 2004 für die Koordination von Rüstungsprojekten der Mitgliedstaaten zuständig ist.

Allerdings produziert die EU-Rüstungsindustrie nicht nur für das Inland: Nachdem die deutsche Bundesregierung in den letzten Jahren immer wieder in Kritik geriet, bei Waffenlieferungen in Diktaturen allzu freizügig zu sein, sind auch Rüstungsexporte ein Thema im Bundestagswahlkampf. Vor allem die Oppositionsparteien fordern dazu strengere Regelungen, beziehen sich in ihren Programmen allerdings meist nur auf nationale Gesetze. Eine Ausnahme ist die Linke, die Rüstungsexporte „EU-weit verbieten“ möchte. Die CDU/CSU wiederum will eine „Angleichung der Rüstungsexportrichtlinien innerhalb der EU“ – dabei aber nur an den „geltenden strengen Richtlinien“ festhalten, also keine Verschärfung der bestehenden Bestimmungen.

Europa-Armee

Für die meisten deutschen Bundestagsparteien sind gemeinsame Rüstungsprojekte allerdings noch nicht der Endpunkt der europäischen Verteidigungsintegration: Vielmehr streben mit Ausnahme der Linken alle Parteien den Aufbau einer europäischen Armee an, die direkt der EU unterstellt wäre – auch wenn dieses Ziel erst „langfristig“ (so wortgleich CDU/CSU, SPD und FDP) verwirklicht werden soll.

Nicht nur die Syrien-Krise wirft dabei aber die Frage auf, wer denn dann genau über den Einsatz dieser europäischen Armee bestimmen würde. Bislang ist bekanntlich die deutsche Bundeswehr eine „Parlamentsarmee“, die nur mit einem Mandat des Bundestags tätig werden kann. Und auch in anderen Staaten wie Frankreich und Großbritannien, wo bisher die Regierung meist allein über den Einsatz der Armee verfügte, forderten die Parlamente in den letzten Tagen aktiv ein Mitspracherecht ein.

Wie also sähe das bei EU-Streitkräften aus? Sollte es beim Einstimmigkeitsprinzip bleiben und für jeden Einsatz die Zustimmung aller nationalen Parlamente erforderlich sein, so dürfte das in einer permanenten Blockade enden. Die Antworten der Parteien auf diese Frage bleiben meist eher vage: Die CDU/CSU äußert sich überhaupt nicht dazu; SPD und FDP verlangen, dass die europäische Armee „parlamentarisch“ kontrolliert sein müsste, gehen aber nicht näher darauf ein. Lediglich die Grünen machen deutlich, dass sie eine Kontrolle der EU-Streitkräfte „durch das Europäische Parlament“ anstreben und damit offenbar auch das nationale Vetorecht in der Verteidigungspolitik abschaffen wollen.

Und in noch einer anderen Frage gehen die Grünen weiter als die anderen: Als einzige Partei können sie sich sogar vorstellen, eines Tages auch den Vereinten Nationen „eigene ständige Truppen zu unterstellen“. Tatsächlich sieht die UN-Charta in ihren Artikeln 42-45 vor, dass der UN-Sicherheitsrat unmittelbaren Zugriff auf bestimmte Kontingente der Mitgliedstaaten haben sollte – eine Bestimmung, die allerdings niemals umgesetzt wurde. Zu der Frage, wie eine parlamentarische Kontrolle auch auf globaler Ebene sichergestellt werden könnte, findet sich im grünen Wahlprogrammm dann allerdings nichts mehr. Immerhin aber hat sich der Bundesvorstand der Partei 2010 schon einmal für die Gründung eines Weltparlaments ausgesprochen.

Sitz im UN-Sicherheitsrat

Und weil wir schon beim UN-Sicherheitsrat sind: Mit der Europäisierung der Außen- und Sicherheitspolitik geht natürlich auch die Frage einher, wie die EU bei den Vereinten Nationen vertreten sein soll. Bereits 1974 erhielt die Europäische Gemeinschaft einen Beobachterstatus bei der UNO, 2011 wurde dieser um einige zusätzliche Rechte erweitert. UN-Vollmitglieder sind aber weiterhin nur die einzelnen Mitgliedstaaten. Deshalb können sich zum Beispiel auch nur diese, nicht die EU als Ganze in den Sicherheitsrat wählen lassen – in dem überdies mit Frankreich und Großbritannien zwei EU-Länder einen ständigen Sitz samt Vetorecht haben.

CDU/CSU, FDP und Grüne wollen dies ändern und streben einen eigenen EU-Sitz im Sicherheitsrat an, der wohl (was aber nur die Grünen ausdrücklich sagen) an die Stelle der bisherigen nationalen Sitze der EU-Staaten treten soll. Da das in absehbarer Zeit wohl weder in Frankreich noch in Großbritannien auf Zustimmung stoßen wird, hat die CDU/CSU aber auch noch eine Alternativlösung im Programm: „Auf dem Weg“ zum gemeinsamen EU-Sitz, so erklärt sie bescheiden, sei auch „Deutschland bereit, mit der Übernahme eines ständigen Sicherheitsratssitzes mehr Verantwortung zu übernehmen“.

Fazit

Wenigstens auf dem Papier erfreut sich ein besser koordinierter EU-Außenauftritt mit einem stärkeren Europäischen Auswärtigen Dienst bei den meisten deutschen Parteien großer Beliebtheit, und auch für die Zukunft können sie sich von der Einrichtung einer Europa-Armee bis zu einem europäischen Sitz im UN-Sicherheitsrat einiges vorstellen. Deutliche Unterschiede zwischen den Parteien zeigen sich dabei vor allem in der Gewichtung ziviler und militärischer Mittel: Während CDU/CSU und FDP vor allem auf eine Verbesserung der militärischen Fähigkeiten der EU abzielen, konzentrieren sich SPD und Grüne mehr auf Krisenprävention und Menschenrechte. Auch sie sind allerdings dafür, Rüstungspolitik künftig stärker auf europäischer statt auf nationaler Ebene zu planen. Einen radikalpazifistischen Kurs schlägt dagegen die Linke ein, für die sich die Außenpolitik der EU im Wesentlichen auf ein Verbot von Rüstungsexporten beschränken sollte.

Die Bundestagswahl und Europa – Überblick:

1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
8: Agrarpolitik, Lebensmittelsicherheit, Umwelt
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung

Bild: By Bernd Untiedt, Germany (Own work) [GFDL or CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons.

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