Bei
der Bundestagswahl im kommenden September wählen die Deutschen nicht
nur ihre nationalen Abgeordneten, sondern auch ihre Vertreter in den
intergouvernementalen EU-Organen. Welche Alternativen stehen dabei
zur Auswahl? In einer Sommerserie vergleicht dieses Blog die
europapolitischen Vorschläge in den Wahlprogrammen der
Bundestagsparteien – CDU/CSU
(EVP), SPD
(SPE), FDP
(ALDE), Grüne
(EGP) und Linke
(EL). Heute: Außen- und Sicherheitspolitik. (Zum
Anfang der Serie.)
Syrien und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
- Sollte einer der Sitze im Weltsicherheitsrat künftig für die EU reserviert sein? Im Bundestag könnte man damit gut leben.
Dass
Bundestagswahlen über die Außenpolitik entschieden werden, ist
ausgesprochen selten, und auch der zu erwartende
amerikanisch-französische Angriff auf Syrien dürfte da keine
Ausnahme sein: Zu einig sind sich alle deutschen Parteien, dass
Baschar al-Asad zwar ein übler Diktator ist, aber ein
völkerrechtlich
höchst zweifelhafter Militärschlag auch keine Lösung. Außerdem
hat keine von ihnen ein klares Alternativkonzept anzubieten, was sich
im Wahlkampf ebenfalls nicht gut macht.
Doch selbst wenn der Syrien-Krieg für die Wahl zuletzt nur eine
untergeordnete Rolle spielen wird, verweist er doch auf einige
strukturelle Probleme, die uns auch in den nächsten Jahren noch
beschäftigen werden. Zum einen zeigt er wieder einmal, wie leicht
der UN-Sicherheitsrat durch das Vetorecht eines der fünf ständigen
Mitglieder blockiert werden kann, und wirft damit die Frage auf, ob
die Weltgemeinschaft nicht noch andere Mittel braucht, um angesichts
grausamer Kriegsverbrechen ihrer
Schutzverantwortung gerecht zu werden. Zum anderen wurde auch die
Europäische Union einmal mehr mit ihrer außenpolitischen
Hilflosigkeit konfrontiert. Wie bereits vor dem Irakkrieg 2003 und
dem Libyenkrieg 2011 sind die Mitgliedstaaten weit von einer
gemeinsamen Position entfernt: Die Koalitionen der Interventionisten
und der Kriegsgegner wechseln zwar immer wieder, verlaufen aber stets
quer durch die EU. Und da die Gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik (GASP) dem Einstimmigkeitsprinzip unterliegt,
dürften bei den heutigen
Krisengesprächen in Vilnius wieder einmal nicht viel mehr als
Gemeinplätze herauskommen.
Europäischer
Auswärtiger Dienst
Aber auch abseits der großen Krisen wird schon seit längerem über eine
institutionelle
Reform der europäischen Außenpolitik diskutiert. Erst 2009 war
mit dem Vertrag von Lissabon das Amt der EU-Außenbeauftragten
(derzeit Catherine Ashton, Labour/SPE) deutlich aufgewertet worden;
die Außenbeauftragte ist heute zugleich Vizepräsidentin der
Europäischen Kommission und Vorsitzende im Außenministerrat.
Außerdem ist ihr der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) mit rund
3500 Diplomaten unterstellt, der seine Arbeit 2011 aufnahm. Er sollte
die EU in die Lage versetzen, in der Welt mit einer einzigen Stimme
zu sprechen, und mittelfristig vielleicht sogar den Mitgliedstaaten
erlauben, eigene Auslandsvertretungen einzusparen. Seine bisherige
Erfolgsbilanz ist allerdings eher mager: Da die Mitgliedstaaten nicht
auf eine eigene nationale Außenpolitik verzichten wollen, gibt es
nun an vielen Stellen Mehrfachstrukturen, und die verbesserte
Koordination ist bis heute eher eine Zukunftshoffnung als eine
Realität.
Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass sich auch die deutschen
Bundestagsparteien in ihren Wahlprogrammen mit der GASP beschäftigen.
In der Grundrichtung sind sich die meisten von ihnen recht
einig: mehr Europa. Die CDU/CSU will eine „abgestimmte
und zugleich handlungsfähige Außen- und Sicherheitspolitik“, die
SPD eine „zukunftsfähige, noch
stärker vergemeinschaftete, gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik“, die Grünen eine „starke gemeinsame
europäische Außen- und Menschenrechtspolitik“.
Institutionell spricht die CDU/CSU dabei von einem stärkeren
Außenbeauftragten, die Grünen von einem stärkeren EAD. Ob sie im
Gegenzug auch das deutsche Auswärtige Amt entmachten und
beispielsweise deutsche Botschaften in Drittländern schließen
wollen, sagen die Parteien allerdings nicht.
Zivile
und militärische Mittel
Wenn
es um die Frage geht, worauf die europäische Außenpolitik ihren
Schwerpunkt setzen soll, zeigen sich größere Unterschiede zwischen
den Parteien. An einem Extrem steht dabei die Linke, derzufolge sich
die EU „weder an […] Kriegen
beteiligen noch diese direkt oder indirekt unterstützen“ soll und
die auch eine „Beteiligung
deutscher Soldaten an Einsätzen im Rahmen der Gemeinsamen Außen-
und Sicherheitspolitik […] sowie an EU-Battlegroups und
EU-Interventionsstreitkräften“ ablehnt. (Womit die Partei
erstaunlicherweise offenlässt, ob sie denn Einsätze nicht-deutscher
Soldaten im GASP-Rahmen unterstützen würde – auch diese müssen
wegen des Einstimmigkeitsprinzips im Rat ja von der deutschen
Regierung mit bewilligt werden.) Zudem
lehnt die Linke auch den „zivil-militärischen Europäischen
Auswärtigen Dienst“ ab. Stattdessen fordert sie den „Aufbau eines
europäischen Zivilen Friedensdienstes“, der offenbar
nichtstaatlich organisiert, aber von der EU finanziert sein soll.
Ebenfalls
eher auf nicht-militärische Mittel setzen die Grünen, die in der
europäischen Außenpolitik
die „Menschenrechte
ins Zentrum rücken“ wollen und ein „EU-Friedensinstitut“
sowie „eine
Stärkung der Krisenprävention im Europäischen Auswärtigen Dienst“
fordern. Anders als die Linke lehnen die Grünen die
EU-Verteidigungspolitik jedoch
nicht rundheraus ab. Ähnliches gilt für die SPD, die eine
„eigenständige europäische Friedenspolitik“ will und dabei „vor
allem auf politische Mittel und Diplomatie, auf Handel, gerechte
Entwicklung und zivile Krisenprävention“ setzt, aber sich zugleich
auch „zu einer weiteren Europäisierung der Streitkräfte im Rahmen
einer gemeinsamen europäischen Verteidigungsplanung“ bekennt.
Für die CDU/CSU wiederum braucht die EU eine „strategische Diskussion, was sie
mit zivilen Mitteln und militärischen Einsätzen erreichen kann und
will“. Dabei sollen zivile Mittel zwar „Vorrang“ haben, aber
auch „mit den militärischen Fähigkeiten verzahnt werden“.
Allerdings will die CDU/CSU den geografischen Rahmen europäischer
Militäraktionen begrenzen. „[G]emeinsame europäische Einsätze
zur Wahrung und Stärkung der Sicherheit Europas“ sollen „vorrangig
in unserer geographischen Nachbarschaft“ durchgeführt werden,
wogegen „Einsätze jenseits dieser Nachbarschaft […] vermehrt
regionalen Partnern und Organisationen übertragen werden, […] die
von Europäischer Union und NATO entsprechend unterstützt und
vorbereitet werden sollten“. Das FDP-Programm schließlich
beschäftigt sich mit den zivilen Bereichen der GASP überhaupt nicht
und fordert lediglich eine „vertiefte
Integration in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der
Europäischen Union“. Dafür will die Partei vermehrt auf Ständige
Strukturierte Zusammenarbeiten zurückgreifen, an denen sich nur
manche, nicht alle Mitgliedstaaten beteiligen.
Gemeinsame
Rüstung, Richtlinien für Rüstungsexporte
Mit einer besseren europäischen Zusammenarbeit in der
Verteidigungspolitik ist seit jeher die Hoffnung verbunden,
militärische Überkapazitäten abzubauen und Mittel für die Rüstung
einzusparen, weil nicht mehr jeder Mitgliedstaat sämtliche
Anschaffungen tätigen muss. Erst kürzlich wurde ein entsprechender Vorschlag von Spanien, Portugal und Italien als Sparmaßnahme ins Spiel gebracht. Und auch die meisten deutschen Parteien wollen die Rüstungskooperation weiter stärken. So fordert die CDU/CSU „gemeinsame
Rüstungsprojekte mit den Partnern in EU und NATO“ sowie „das
Zusammenlegen und gemeinsame Nutzen bisher nationaler militärischer
Fähigkeiten“. Die SPD möchte durch die europäische
Koordinierung „Spielräume für weitere Abrüstungsschritte“
schaffen, die Grünen „Streitkräfte in Europa integrieren und reduzieren“. Nicht
überzeugt von diesem Ansatz ist hingegen die Linke. Stattdessen will
diese „die EU-Rüstungsagentur abschaffen“ – womit
offenbar die Europäische
Verteidigungsagentur gemeint ist, die seit 2004 für die Koordination von
Rüstungsprojekten der Mitgliedstaaten zuständig ist.
Allerdings
produziert die EU-Rüstungsindustrie nicht nur für das Inland:
Nachdem die deutsche Bundesregierung in den letzten Jahren immer
wieder in Kritik geriet, bei Waffenlieferungen in Diktaturen allzu freizügig zu sein, sind
auch Rüstungsexporte ein Thema im Bundestagswahlkampf. Vor allem die
Oppositionsparteien fordern dazu strengere Regelungen, beziehen sich
in ihren Programmen allerdings meist nur auf nationale Gesetze. Eine
Ausnahme ist die Linke, die Rüstungsexporte
„EU-weit verbieten“ möchte. Die CDU/CSU wiederum will eine
„Angleichung der Rüstungsexportrichtlinien innerhalb der EU“ –
dabei aber nur an den „geltenden
strengen Richtlinien“ festhalten, also keine Verschärfung
der bestehenden Bestimmungen.
Europa-Armee
Für
die meisten deutschen Bundestagsparteien sind gemeinsame
Rüstungsprojekte allerdings noch nicht der Endpunkt der europäischen
Verteidigungsintegration: Vielmehr streben mit Ausnahme der Linken
alle Parteien den Aufbau einer europäischen Armee an, die direkt der
EU unterstellt wäre – auch wenn dieses Ziel erst „langfristig“
(so wortgleich CDU/CSU, SPD und FDP) verwirklicht werden soll.
Nicht nur die Syrien-Krise wirft dabei aber die Frage auf, wer
denn dann genau über den Einsatz dieser europäischen Armee
bestimmen würde. Bislang ist bekanntlich die deutsche Bundeswehr
eine „Parlamentsarmee“, die nur mit einem Mandat des Bundestags
tätig werden kann. Und auch in anderen Staaten wie Frankreich und
Großbritannien, wo bisher die Regierung meist allein über den
Einsatz der Armee verfügte, forderten
die Parlamente in den letzten Tagen aktiv ein Mitspracherecht ein.
Wie
also sähe das bei EU-Streitkräften aus? Sollte es beim
Einstimmigkeitsprinzip bleiben und für jeden Einsatz die Zustimmung
aller nationalen Parlamente erforderlich sein, so dürfte das in
einer permanenten Blockade enden. Die Antworten der Parteien auf
diese Frage bleiben meist eher vage: Die CDU/CSU äußert sich
überhaupt nicht dazu; SPD und FDP verlangen, dass die europäische
Armee „parlamentarisch“ kontrolliert sein müsste, gehen aber
nicht näher darauf ein. Lediglich die Grünen machen deutlich, dass
sie eine Kontrolle der EU-Streitkräfte „durch das Europäische
Parlament“ anstreben und damit offenbar auch das nationale
Vetorecht in der Verteidigungspolitik abschaffen wollen.
Und in noch einer anderen Frage gehen die Grünen weiter
als die anderen: Als einzige Partei können sie sich sogar
vorstellen, eines Tages auch den Vereinten Nationen „eigene ständige Truppen
zu unterstellen“. Tatsächlich sieht die UN-Charta
in ihren Artikeln 42-45 vor, dass der UN-Sicherheitsrat
unmittelbaren Zugriff auf bestimmte Kontingente der Mitgliedstaaten
haben sollte – eine Bestimmung, die allerdings niemals umgesetzt
wurde. Zu der Frage, wie eine parlamentarische Kontrolle auch auf globaler Ebene
sichergestellt werden könnte, findet sich im grünen Wahlprogrammm dann allerdings nichts mehr. Immerhin aber hat sich der Bundesvorstand der Partei 2010 schon einmal für die Gründung eines Weltparlaments ausgesprochen.
Sitz
im UN-Sicherheitsrat
Und weil wir schon beim UN-Sicherheitsrat sind: Mit der Europäisierung
der Außen- und Sicherheitspolitik geht natürlich auch die Frage
einher, wie die EU bei den Vereinten Nationen vertreten sein
soll. Bereits 1974 erhielt die Europäische Gemeinschaft einen Beobachterstatus bei der
UNO, 2011 wurde dieser um einige zusätzliche Rechte erweitert.
UN-Vollmitglieder sind aber weiterhin nur die einzelnen
Mitgliedstaaten. Deshalb können sich zum Beispiel auch nur diese,
nicht die EU als Ganze in den Sicherheitsrat wählen lassen – in
dem überdies mit Frankreich und Großbritannien zwei EU-Länder
einen ständigen Sitz samt Vetorecht haben.
CDU/CSU, FDP und Grüne wollen dies ändern und streben einen eigenen EU-Sitz
im Sicherheitsrat an, der wohl (was aber nur die Grünen ausdrücklich
sagen) an die Stelle der bisherigen nationalen Sitze der EU-Staaten
treten soll. Da das in absehbarer Zeit wohl weder in Frankreich noch
in Großbritannien auf Zustimmung stoßen wird, hat die CDU/CSU aber
auch noch eine Alternativlösung im Programm: „Auf dem Weg“ zum gemeinsamen EU-Sitz, so erklärt
sie bescheiden, sei auch „Deutschland bereit, mit der Übernahme eines ständigen Sicherheitsratssitzes
mehr Verantwortung zu übernehmen“.
Fazit
Wenigstens auf dem Papier erfreut sich ein besser koordinierter EU-Außenauftritt mit einem stärkeren
Europäischen Auswärtigen Dienst bei den meisten
deutschen Parteien großer Beliebtheit, und auch für die Zukunft
können sie sich von der Einrichtung einer Europa-Armee bis zu einem
europäischen Sitz im UN-Sicherheitsrat einiges vorstellen. Deutliche
Unterschiede zwischen den Parteien zeigen sich dabei vor allem in der
Gewichtung ziviler und militärischer Mittel: Während CDU/CSU und
FDP vor allem auf eine Verbesserung der militärischen Fähigkeiten der
EU abzielen, konzentrieren sich SPD und Grüne mehr auf
Krisenprävention und Menschenrechte. Auch sie sind allerdings dafür,
Rüstungspolitik künftig stärker auf europäischer statt auf
nationaler Ebene zu planen. Einen radikalpazifistischen Kurs schlägt
dagegen die Linke ein, für die sich die Außenpolitik der EU im
Wesentlichen auf ein Verbot von Rüstungsexporten beschränken
sollte.
Die Bundestagswahl und Europa – Überblick:
1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
8: Agrarpolitik, Lebensmittelsicherheit, Umwelt
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung
1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
8: Agrarpolitik, Lebensmittelsicherheit, Umwelt
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung
Bild: By Bernd Untiedt, Germany (Own work) [GFDL or CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons.
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