12 September 2013

Die Bundestagswahl und Europa (11): Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten

Bei der Bundestagswahl im kommenden September wählen die Deutschen nicht nur ihre nationalen Abgeordneten, sondern auch ihre Vertreter in den intergouvernementalen EU-Organen. Welche Alternativen stehen dabei zur Auswahl? In einer Sommerserie vergleicht dieses Blog die europapolitischen Vorschläge in den Wahlprogrammen der Bundestagsparteien – CDU/CSU (EVP), SPD (SPE), FDP (ALDE), Grüne (EGP) und Linke (EL). Heute: Außenbeziehungen. (Zum Anfang der Serie.)

Außenbeziehungen der EU

Dass an diesem Brunnen in Togo statt der Flagge eines europäischen Einzelstaats die zwölf gelben Sterne der EU aufgemalt sind, finden nicht alle Entwicklungspolitiker gut.
In der letzten Folge dieser Serie ging es um die Institutionen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU: den Europäischen Auswärtigen Dienst, die Europäische Verteidigungsagentur und die (wenn es nach der Mehrzahl der deutschen Parteien geht) künftige Europa-Armee. Aber natürlich beschränken sich die außenpolitischen Aktivitäten nicht auf Diplomatie und Militäreinsätze. Auch in der Entwicklungszusammenarbeit spielt die Europäische Union seit jeher eine wichtige Rolle, und mit den USA verhandelt sie seit einigen Monaten über ein neues transatlantisches Freihandelsabkommen. Außerdem äußern sich die Bundestagsparteien in ihren Wahlprogrammen zu einer Reihe von einzelnen außenpolitischen Standpunkten, die von der „Zentralasien-Strategie“ bis zu den Sanktionen gegen Weißrussland reichen. Was sie dazu zu sagen haben, soll Thema der heutigen Folge sein.

Bilaterale und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit

Die Rolle der Europäischen Union in der Entwicklungszusammenarbeit geht bis auf die Römischen Verträge von 1957 zurück. War es damals noch die Idee, die wirtschaftlichen Beziehungen zu den Kolonien der Mitgliedstaaten zu pflegen, die sich gerade im Unabhängigkeitsprozess befanden, so ist sie heute global aktiv und hat „die Bekämpfung und auf längere Sicht die Beseitigung der Armut“ zum Ziel (Art. 208 AEUV). Recht offen ist dabei allerdings das Verhältnis zwischen den entwicklungspolitischen Aktivitäten der EU und denen ihrer einzelnen Mitgliedstaaten: Laut Vertrag sollen sie einander „ergänzen und verstärken“, was natürlich jede Menge Ausgestaltungsspielraum lässt.

In der Praxis nimmt die EU heute eine Mittelrolle zwischen der klassischen bilateralen Entwicklungshilfe einerseits und der multilateralen Zusammenarbeit andererseits ein. Ein häufiges Problem in der globalen Entwicklungspolitik ist die Vielzahl von Mittelgebern, die alle nur relativ wenig Geld zu verteilen haben und dafür jeweils ihre eigenen Bedingungen stellen – was für die Empfängerländer einen größeren Verwaltungsaufwand bedeutet und die Entwicklung einer kohärenten Gesamtstrategie erschwert. Häufig ist die multilaterale Zusammenarbeit unter der Verantwortung der Vereinten Nationen oder der Weltbank deshalb effizienter als eine rein bilaterale Entwicklungspolitik. Letztere ist allerdings bei den Geberstaaten oft populärer, da sie die internationale Sichtbarkeit des eigenen Landes erhöht und manchmal auch zu anderen außenpolitischen Zielen „mitgenutzt“ werden kann.

Europäischer Entwicklungsfonds

Die Tätigkeiten der EU zeigen Merkmale beider Arten von Entwicklungszusammenarbeit: Zum einen koordiniert sie die nationalen entwicklungspolitischen Aktivitäten ihrer Mitgliedstaaten; zum anderen unterhält sie mit dem Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) auch ein eigenes Hilfsinstrument, das jährlich derzeit rund 3,5 Milliarden Euro verteilt. Bemerkenswerterweise gehört dieser Fonds allerdings bis heute nicht zum regulären EU-Haushalt. Stattdessen wird er (sehr zum Ärger der Europäischen Kommission) aus Beiträgen finanziert, die die Mitgliedstaaten nach eigenem Ermessen festsetzen – und ist zugleich der einzige EU-Ausgabenposten, über den das Europäische Parlament keine Kontrolle hat.

Blickt man zurück auf die letzten Jahre, so zeigte sich in der Entwicklungspolitik der europäischen Staaten eine Tendenz in Richtung von weniger Multilateralismus. So hatte sich die derzeitige deutsche Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag 2009 explizit zum Ziel gesetzt, dass die bilateralen Leistungen künftig zwei Drittel des Gesamtbudgets der deutschen Entwicklungshilfe umfassen sollten. Infolgedessen ging der Anteil der Mittel, die Deutschland für die multilaterale und europäische Entwicklungspolitik zur Verfügung stellt, seit 2009 von über 40 Prozent auf rund 33 Prozent des gesamten deutschen Entwicklungshilfe-Etats zurück. Und im vergangenen Februar beschloss der EU-Ministerrat, das Budget des Europäischen Entwicklungsfonds im Zeitraum 2014-2020 einzufrieren, obwohl die Kommission zuvor eine deutliche Erhöhung der Mittel vorgeschlagen hatte.

Die Forderungen der Parteien

Vor der Bundestagswahl sprechen sich vor allem die Oppositionsparteien in ihren Wahlprogrammen dafür aus, diese Tendenz zu mehr Einzelstaatlichkeit in der Entwicklungspolitik zu stoppen. So fordern die Grünen eine „deutliche Stärkung der multilateralen Zusammenarbeit, um mit der EU und den VN mehr Wirkung für Entwicklung zu erzielen“ und sprechen sich dafür aus, die von der jetzigen Bundesregierung eingeführte „1/3:2/3-Quote“ aufzuheben. Und auch die SPD ist der Meinung, dass die EU „[b]esonders in der Entwicklungspolitik […] noch deutlicher als bisher einen integrierten gemeinsamen Ansatz verfolgen“ muss.

Zurückhaltender sind hingegen die Regierungsparteien. So will die CDU/CSU in der Entwicklungszusammenarbeit die „Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedstaaten und mit der EU-Kommission weiter verbessern“. Dabei soll die EU „da tätig werden, wo gesamteuropäisches Handeln Vorteile bietet“: Mehr als ein Gemeinplatz ist das nicht. Etwas widersprüchlich ist schließlich die FDP. Auch diese will die EU „in ihrer Rolle der Geberkoordinierung“ stärken und fordert zudem als einzige Partei ausdrücklich, den Europäischen Entwicklungsfonds in den regulären EU-Haushalt zu integrieren, „um die fehlende parlamentarische Kontrolle herzustellen“. Zugleich spricht sich die FDP aber auch gegen eine „Vergemeinschaftung der Entwicklungspolitik“ aus – und verlangt damit, dass letztlich doch die nationalen Regierungen in diesem Bereich das letzte Wort behalten.

Budgethilfe und andere entwicklungspolitische Maßnahmen

Neben der Frage, wie weit die EU sich überhaupt entwicklungspolitisch engagieren soll, ist auch das Ausmaß umstritten, in dem die europäischen Hilfsleistungen an bestimmte politische Bedingungen – etwa politische und wirtschaftliche Reformen in den Entwicklungsländern – geknüpft sein sollen. So spricht sich die FDP für eine „Reform der allgemeinen Budgethilfe“ aus und will die „Kriterien für Budgethilfe weiter verschärfen, um eine blinde Subventionierung von korrupten Regierungen zu verhindern“. Die Linke hingegen kritisiert genau diese Kriterien. In ihren Augen ist die „deutsche und europäische ‚Entwicklungshilfe‘ […] oftmals an erpresserische Strukturreformen geknüpft und untergräbt somit eigenständige Entwicklung“. Sie fordert deshalb Abkommen, „die tatsächlich eine Entwicklung ermöglichen und fördern, und zwar durch „gerechten, solidarischen Handel, kulturellen Austausch und technologische und wissenschaftliche Zusammenarbeit“ sowie einen „ehrlichen und solidarischen Wissenstransfer“.

Allerdings umfasst Entwicklungspolitik nicht nur finanzielle Hilfen, sondern auch handels-, umwelt- oder rechtspolitische Unterstützung. Hierzu haben vor allem die Grünen einen ganzen Strauß an Einzelvorschlägen: Wenn es nach ihnen geht, soll die EU Produkten aus Entwicklungsländern einen „diskriminierungsfreien Zugang zum europäischen Markt“ gewähren. Außerdem sollen „Opfer von schweren Menschenrechtsverletzungen, die [in Drittstaaten] von […] europäischen Unternehmen verursacht wurden“, in der EU eine Klagemöglichkeit bekommen, wobei die europäischen Mutterkonzerne für ihre Töchter in den Drittstaaten haften sollen. Des Weiteren sind die Grünen dafür, die „EU-Fischereiabkommen auf ökologische und soziale Auswirkungen zu überprüfen und neu zu verhandeln“ und wollen europäische „Fischereiaktivitäten vor den Küsten von Entwicklungsländern stark einschränken“. Und schließlich sollen in allen Investitions- und Handelsabkommen der EU mit Drittländern „umfassende Transparenz, verpflichtende menschenrechtliche, soziale und ökologische Folgeabschätzungen […], verbindliche […] Menschenrechts- und Umweltklauseln, die Anerkennung von Schutzinteressen schwächerer Länder, die Förderung lokalen und regionalen Handels und der Ausbau der Wertschöpfung in den Entwicklungsländern“ sichergestellt werden.

Transatlantische Freihandelszone

Nun schließt die EU solche Handelsverträge freilich nicht nur mit Entwicklungsländern ab: Zu den großen außenwirtschaftspolitischen Themen der nächsten Jahre zählt zweifellos auch das transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA, für das die Verhandlungen vor einem halben Jahr offiziell beschlossen wurden. Obwohl noch nicht ganz klar ist, welche Bedeutung dieses Projekt am Ende haben wird, widmen ihm fast alle Bundestagsparteien einige Worte in ihren Wahlprogrammen.

Besonders enthusiastisch ist dabei die FDP. Aus ihrer Sicht ist die transatlantische Freihandelszone geeignet, „um gemeinsame Wohlstandsgewinne zu erreichen und um weltweit deutlich zu machen, dass die beiden globalen Zentren demokratischer Marktwirtschaft eng kooperieren“. CDU/CSU und SPD begrüßen die Verhandlungen mit den USA ebenfalls, sind dabei jedoch etwas zurückhaltender: Die Christdemokraten wollen „darauf achten, dass die Stärken unserer Unternehmen und Märkte erhalten bleiben“; die Sozialdemokraten verlangen, dass in dem Abkommen „die jeweils fortschrittlichsten Regeln hinsichtlich ökonomischer, sozialer und ökologischer Standards, der Regulierung der Finanzmärkte und deren Transparenz zugrunde gelegt werden“. (Außerdem forderte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück nach der Veröffentlichung des Wahlprogramms als Reaktion auf den NSA-Skandal eine Unterbrechung der Verhandlungen über die Freihandelszone.)

Die Linke hingegen erwartet von der „neuerdings vielfach geforderten Freihandelszone zwischen der EU und den USA […] keine positive Entwicklung“. Stattdessen fürchtet sie „verschärfte Konkurrenz zwischen den jeweiligen Großunternehmen“, eine „unbeschränkte Einfuhr gentechnisch behandelter Produkte“, die „völkerrechtliche Zementierung von Niedrigstandards“ bei Finanzdienstleistungen und „dass die Daseinsvorsorge uneingeschränkt Gegenstand ungeregelter Weltmarktkonkurrenz wird“.

Sonstige Länder und Regionen

Außer diesen Themen, die alle Parteien beschäftigen, finden sich in den Wahlprogrammen oft noch weitere spezifische Vorschlägen, die jeweils die EU-Politik gegenüber einzelnen anderen Ländern oder Regionen betreffen. So will die SPD „die Asienpolitik der Europäischen Union auf eine breitere Grundlage als bisher stellen und in den letzten Jahren vernachlässigte Ansätze wie die EU-Zentralasienstrategie revitalisieren“. Den Grünen liegt daran, dass der „Staat Palästina […] zeitnah von Europa anerkannt und als Vollmitglied in die VN aufgenommen“ wird. Außerdem wollen sie die Europäische Nachbarschaftspolitik mit den Staaten in Nordafrika und Osteuropa ausweiten und setzen dabei auf „Erleichterungen bei der Visavergabe, dem Marktzugang und der Arbeitsmigration“ und auf mehr „Austausch in den Bereichen Bildung, Sport und Kultur“.

Die FDP wiederum blickt auf Weißrussland und fordert eine „europäisch abgestimmte Sanktionspolitik gegenüber dem Lukaschenko-Regime und verstärkte Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft“. Die Linke schließlich verlangt die „bedingungslose Aufhebung des ‚Gemeinsamen Standpunktes‘ der EU gegenüber Kuba“, in dem die EU die Demokratisierung des Landes zur Bedingung für eine Intensivierung der Zusammenarbeit macht. Tatsächlich setzt sich im Ministerrat vor allem die spanische Regierung schon seit einigen Jahren für eine Überarbeitung dieses Gemeinsamen Standpunkts ein, was bislang nicht zuletzt an Deutschland gescheitert ist.

Fazit

Nachdem die Bundesregierung in den letzten Jahren die deutschen Finanzmittel für die multilaterale Entwicklungshilfe deutlich reduziert hat, setzen sich nun vor allem SPD und Grüne für eine Stärkung der europäischen Entwicklungspolitik ein. CDU/CSU und FDP wünschen von der EU hingegen nur eine bessere Koordinierung. Immerhin ist die FDP aber bereit, dem Europäischen Parlament das seit langem geforderte Mitspracherecht über den Europäischen Entwicklungsfonds zu geben. Außerdem will die FDP die politischen Bedingungen für die Vergabe von Budgethilfe verschärfen – im Gegensatz zur Linken, die in dieser Konditionierung eher ein Entwicklungshindernis sieht.

Die transatlantische Freihandelszone mit den USA stößt bei den meisten Parteien grundsätzlich auf Zustimmung. Allerdings haben CDU/CSU, SPD und Grüne dabei jeweils gewisse Vorbehalte: Während sich die Christdemokraten um die europäischen Unternehmen sorgen, stehen bei SPD und Grünen soziale, ökologische und menschenrechtliche Standards im Vordergrund. Die Linke lehnt das Freihandelsabkommen als einzige Partei vollständig ab.

Die Bundestagswahl und Europa – Überblick:

1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
8: Agrarpolitik, Lebensmittelsicherheit, Umwelt
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung

Bild: By Erik Cleves Kristensen [CC BY-2.0], via Flickr.

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