28 Juli 2015

Wahl des UN-Generalsekretärs: Wer ist für ein besseres Verfahren?

Die Debatte, wie der nächste UN-Generalsekretär gewählt werden soll, ist in vollem Gange. Wo stehen die Mitgliedstaaten?
Noch gut ein Jahr, dann ist es wieder einmal so weit – 2016 wird der neue UN-Generalsekretär gewählt. Es ist das höchstrangige Amt, das die Weltgemeinschaft zu vergeben hat, und zugleich eines mit sehr besonderem Charakter: Es verbindet geringe formale Macht mit einem enormen politischen Einfluss. Umso wichtiger für seine Ausgestaltung ist die Persönlichkeit des Amtsträgers selbst. Während einige frühere Generalsekretäre wie Dag Hammarskjöld (1953-61) oder Kofi Annan (1997-2006) wichtige weltpolitische Veränderungen anstießen, blieben andere wie Kurt Waldheim (1972-81) oder Ban Ki-moon (seit 2007) eher passiv und farblos. Bei der Wahl im kommenden Jahr geht es also nicht nur darum, wer künftig den Beamtenapparat am East River leitet, sondern auch darum, welche Rolle die UNO in den nächsten Jahren spielt.

Forderungen nach einem besseren Wahlverfahren

Wie aber findet man den besten UN-Chef? Bislang lief das Verfahren stets so, dass der UN-Sicherheitsrat einen Kandidaten nominierte, der dann von der Generalversammlung mit Zweidrittelmehrheit ernannt wurde. Für den Nominierungsprozess selbst gibt es jedoch keine formellen Regeln – außer dass die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder (USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien) dabei ein Vetorecht haben. Das Verfahren ist also nicht nur überaus intransparent, sondern ballt auch sehr viel Macht bei sehr wenigen Staaten.

Da das für den Rest der Welt natürlich frustrierend ist und auch die Legitimität des Generalsekretärs selbst beschädigt, wurden zuletzt immer wieder Forderungen nach einem neuen Ernennungsverfahren laut, über die ich bereits in einem früheren Artikel auf diesem Blog berichtet habe. Vorgeschlagen wurden unter anderem:

● ein klarer Zeitplan und eine öffentliche Bekanntgabe der Kandidaten, die sich auf das Amt bewerben,
● öffentliche Anhörungen der Kandidaten vor der Generalversammlung und dem Sicherheitsrat,
● die Nominierung von zwei oder mehr Kandidaten durch den Sicherheitsrat, sodass die Generalversammlung eine Auswahl zwischen ihnen treffen kann,
● die Begrenzung der Amtszeit des Generalsekretärs auf eine Wahlperiode, um ihn von den Mitgliedstaaten unabhängiger zu machen.

Darüber hinaus gibt es auch noch spezifischere Wünsche an das Profil des neuen Generalsekretärs. Zum einen ist die Forderung weit verbreitet, dass nach acht Männern nun erstmals auch eine Frau für das Amt ernannt wird. Zum anderen ist es in den Vereinten Nationen üblich, dass wichtige Posten zwischen den verschiedenen Weltregionen rotieren – und da Osteuropa als einzige regionale Gruppe noch niemals den Generalsekretär gestellt hat, wäre nun ein osteuropäischer Kandidat an der Reihe. Welche Namen dabei in Frage kämen, habe ich hier ebenfalls schon in einem früheren Artikel behandelt.

Von der Zivilgesellschaft zu den offiziellen UN-Gremien

Träger diese Reformforderungen waren zunächst vor allem zivilgesellschaftliche Akteure. So wurde die Debatte über das Wahlverfahren vor allem durch die Kampagne 1for7billion vorangetrieben, hinter der insbesondere das World Federalist Movement, die britische United Nations Association UK, das Netzwerk Avaaz sowie das New Yorker Büro der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung stehen. Daneben machen sich auch The Elders, eine einst von Nelson Mandela ins Leben gerufene und nun von Kofi Annan geleitete Gruppe ehemaliger Spitzenpolitiker, für ganz ähnliche Reformen stark. Für die Ernennung einer weiblichen Generalsekretärin schließlich gibt es eine eigenständige Campaign to Elect a Woman UNSG.

Seit einigen Monaten hat die Debatte jedoch den Raum des bloßen zivilgesellschaftlichen Aktivismus verlassen und auch die offiziellen Gremien der Vereinten Nationen erreicht. So diskutierte im März und April die Ad Hoc Working Group on the revitalization of the work of the General Assembly (eine Arbeitsgruppe der Generalversammlung) in mehreren Sitzungen über das Wahlverfahren des Generalsekretärs. Und am vergangenen Mittwoch erreichte sie schließlich erstmals auch den UN-Sicherheitsrat.

Machtverschiebung vom Sicherheitsrat zur Generalversammlung

Dass die Debatte auf diese Weise den politischen Raum erreicht, zwingt die nationalen Regierungen dazu, sich zu positionieren, und ermöglicht dadurch auch der Öffentlichkeit ein klareres Bild. Wie stehen die einzelnen UN-Mitgliedstaaten zu den Vorschlägen für ein transparenteres und inklusiveres Wahlverfahren des Generalsekretärs? Welche Länder und Ländergruppen nehmen bei der Reform eine Führungsrolle ein, welche bremsen?

Auf dem Blog Global Memo, das die Ernennungsverfahren von UN-Spitzenbeamten in den Blick nimmt, findet sich seit einigen Tagen eine detaillierte Übersicht über die Positionen sämtlicher nationalen Regierungen, die bereits zu dem Thema Stellung bezogen haben. (Update: Inzwischen findet sich eine ähnliche Übersicht auch auf der Website von 1for7billion selbst.) Generell ist der Frontverlauf dabei klar: Die Reformvorschläge für das Wahlverfahren des Generalsekretärs würden vor allem den Spielraum der Vetomächte im Sicherheitsrat reduzieren und einen Teil seiner politischen Macht auf die Generalversammlung verlagern. Wenig überraschend geht die größte Unterstützung für die Reform deshalb von den Regierungen kleinerer und mittlerer Mitgliedstaaten aus, die am stärksten durch die Machtkonzentration bei den Großmächten benachteiligt sind.

ACT-Gruppe: mehr Transparenz im Verfahren

Eine Führungsrolle übernimmt dabei die sogenannte ACT-Gruppe, die 2013 auf Initiative der Schweizer Regierung gegründet wurde und derzeit 27 kleine und mittelgroße Staaten auf verschiedenen Kontinenten (allerdings fast zur Hälfte aus Europa) umfasst. Ihr Ziel ist eine Reform der Arbeitsweise des UN-Sicherheitsrats, um mehr Transparenz zu schaffen und die Ausübung von Vetorechten zu reduzieren. Entsprechend steht der Name der Gruppe als Kürzel für Accountability, Coherence, Transparency“ – Verantwortlichkeit, Kohärenz, Transparenz.

Was die Wahl des UN-Generalsekretärs betrifft, unterstützt die ACT-Gruppe zentrale Forderungen der 1for7billion-Kampagne. Anfang Juni veröffentlichte sie einen Vorschlag, in dem sie sich unter anderem für ein nachvollziehbares Nominierungsverfahren mit festen Fristen, einer öffentlichen Vorstellung der Kandidaten vor der Generalversammlung sowie informellen, nicht-öffentlichen Anhörungen im Sicherheitsrat einsetzt.

Die Blockfreien: Auswahl für die Generalversammlung

Ebenfalls eine prominente Rolle spielt zudem die Bewegung der blockfreien Staaten. Dieses im Kalten Krieg entstandene Bündnis umfasst Entwicklungs- und Schwellenländer in fast ganz Afrika, Süd- und Südostasien sowie große Teile Lateinamerikas. Insgesamt gehören ihm 120 Mitglieder an, fast zwei Drittel der gesamten Vereinten Nationen.

Bei einheitlicher Abstimmungsweise könnten die Blockfreien also die UN-Generalversammlung dominieren, während sie im Sicherheitsrat derzeit nur eine Minderheit der Mitglieder stellen. Dementsprechend legen sie noch mehr als die ACT-Gruppe Wert darauf, die eigentliche Entscheidung in die Generalversammlung zu verlagern, und fordern, der Sicherheitsrat solle mehrere Kandidaten nominieren, unter denen die Generalversammlung eine Auswahl treffen kann.

Gruppen für eine Frau und für Osteuropa

Darüber hinaus gibt es noch die Group of Friends in favor of a Woman for Secretary-General of the United Nations, in der sich 42 Regierungen für eine weibliche Kandidatin stark machen. Die Gruppe wurde von Kolumbien initiiert und umfasst neben zahlreichen lateinamerikanischen Staaten auch einige ökonomische und demografische Schwergewichte wie Deutschland, Japan oder Pakistan. Kein Mitglied der Gruppe, aber ebenfalls ausdrücklich für die Ernennung einer weiblichen Kandidatin sind zudem Frankreich und Großbritannien.

Und natürlich ist auch die osteuropäische Regionalgruppe aktiv, die Ende 2014 das Amt sehr entschieden für sich reklamierte. Unterstützung findet sie dabei unter anderem bei Brasilien und Deutschland. Und auch die ACT-Gruppe, die blockfreien Staaten und verschiedene andere Regierungen sprechen sich generell dafür aus, bei der Ernennung auf Geschlechtergleichheit zu achten und das Prinzip der regionalen Rotation beizubehalten – was dafür spräche, für die Nachfolge von Ban Ki-moon eine Frau aus Osteuropa zu wählen.

Die fünf Vetomächte

Wie aber positionieren sich die fünf Vetomächte im UN-Sicherheitsrat, die das Ernennungsverfahren des Generalsekretärs bisher dominiert haben? Wie zu erwarten ist, hält sich die Begeisterung über die Reformvorschläge hier in engen Grenzen. Bemerkenswert aufgeschlossen zeigt sich nur die britische Regierung, die ein transparentes Verfahren mit öffentlichen Anhörungen und einem klaren Zeitplan unterstützt und damit recht nahe an der ACT-Gruppe steht. Auch das regionale Rotationsprinzip möchte Großbritannien beenden: Wenn die Osteuropäer das Amt haben wollten, liege es an ihnen selbst, den „besten Kandidaten“ dafür zu präsentieren.

Allerdings ist Großbritannien dagegen, der Generalversammlung mehrere Kandidaten vorzuschlagen, wie es die blockfreien Staaten fordern: Die eigentliche Entscheidung soll nach wie vor im Sicherheitsrat erfolgen. Eine ähnlich defensive Haltung nimmt auch Frankreich ein, das offenbar befürchtet, die Nominierung mehrerer Kandidaten könnte zu Konflikten zwischen den Regionalgruppen in der Generalversammlung führen.

Mehr oder weniger offen ablehnend positionieren sich schließlich die drei übrigen Vetomächte China, Russland und USA. Vor allem für die beiden Letzteren gehen schon die Forderungen nach öffentlichen Anhörungen oder einem festen Zeitplan für die Ernennung des Generalsekretärs zu weit. Stattdessen beharren sie auf dem Status quo, der ihnen selbst den größten Einfluss auf die Kandidatenauswahl gibt.

Vetomächte können nicht allein gegen den Rest der Welt agieren

Und wie geht es nun weiter? Die Erfahrung mit früheren UN-Reformvorschlägen lässt wenig Optimismus zu: Am Ende verteidigen meist die Vetomächte ihre Interessen. Allerdings braucht der Generalsekretär für seine Wahl eben auch eine Zweidrittelmehrheit in der Generalversammlung. Völlig ignorieren können die USA und Russland die anderen Mitgliedstaaten also nicht. Falls der Sicherheitsrat zuletzt tatsächlich nur einen einzelnen Kandidaten nominiert und das womöglich auch noch ein Mann ist, könnte dieser an den Stimmen der Blockfreien scheitern.

Zudem können auf die Dauer auch die Großmächte kein Interesse daran haben, in solchen zentralen institutionellen Fragen gegen den kompletten Rest der Welt zu agieren. Sie delegitimieren damit ja nicht nur die Vereinten Nationen als Organisation, sondern machen auch sich selbst unbeliebt. Weiterhin dürfte deshalb viel davon abhängen, wie viel Druck gerade die mittelgroßen Industrie- und Schwellenländer aufbauen, auf deren diplomatische Unterstützung die Vetomächte in anderen wichtigen weltpolitischen Verfahren angewiesen sind.

Die großen EU-Länder wie Deutschland bleiben passiv

Tatsächlich sind einige wichtige Schwellenländer wie Indien oder Südafrika ohnehin führende Mitglieder in der Blockfreien-Bewegung; andere wie Chile und Saudi-Arabien gehören auch der ACT-Gruppe an. Mehrere größere aufstrebende Staaten sind zudem auch auf eigene Faust besonders aktiv: So wollen Indonesien und Mexiko das Vetorecht im Sicherheitsrat abschaffen, wenn dieser über die Nominierung von Amtsträgern abstimmt, und Brasilien macht sich dafür stark, die Amtszeit des Generalsekretär auf eine Wahlperiode zu begrenzen.

Umso enttäuschender ist freilich, wie wenig die EU-Mitgliedstaaten ihren diplomatischen Einfluss in dieser Sache bislang zur Geltung bringen – sieht man einmal von zehn kleineren Ländern (darunter Österreich) ab, die in der ACT-Gruppe aktiv sind. Die größeren Staaten hingegen blieben bis auf Großbritannien und Frankreich bislang völlig passiv: Die deutsche Bundesregierung etwa unterstützt zwar die Kandidatur einer osteuropäischen Frau, bezieht aber keinerlei Stellung zur Reform des Verfahrens.

Woher kommt die deutsche Gleichgültigkeit?

Woher kommt diese Gleichgültigkeit? Ein Grund mag sein, dass Deutschland nach wie vor anstrebt, eines Tages selbst einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu übernehmen – was ohne die Unterstützung der USA und Russlands nicht möglich sein wird. Gerade im Vergleich mit Großbritannien ist die Bundesregierung in dieser Frage aber auch kaum Druck aus der Öffentlichkeit ausgesetzt: Zum einen berichten englischsprachige Medien wie der Guardian deutlich häufiger als deutsche über das Ernennungsverfahren des UN-Generalsekretärs. Zum anderen ist in Großbritannien auch die Zivilgesellschaft aktiver: Während die United Nations Association UK zu den Initiatoren der 1for7billion-Kampagne gehört, findet man auf der Homepage ihres deutschen Pendants, der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN), nicht einmal Informationen zu dem Thema.

Und damit kehrt die Debatte aus den offiziellen Gremien der Vereinten Nationen zuletzt wieder zu uns Bürgern zurück. 2016 wird der neue UN-Generalsekretär gewählt, das höchstrangige Amt, das die Weltgemeinschaft zu vergeben hat, und die halbe Welt ruft nach einer institutionellen Reform, um die Entscheidung darüber transparenter und inklusiver zu machen. Es liegt an uns selbst zu entscheiden, ob wir das wichtig finden.

2 Kommentare:

  1. Das Verfahren zur Wahl des UN-Generalsekretärs ist einerseits natürlich wenig demokratisch und noch weniger transparent. Dabei handelt es sich aber nur um ein Symptom. Die eigentliche Lösung für sehr viele Probleme der Vereinten Nationen liegt doch in einer Reform des Sicherheitsrates. Deswegen verfolgt die ACT-Gruppe eigentlich den richtigen Ansatz. Grundsätzlich sprechen sich ja auch fast alle Regierungen für eine Reform aus (Deutschland war hier unter Schröder besonders aktiv), nur auf die tatsächliche Umsetzung konnte man sich nicht einigen. Solange dies so bleibt und der Sicherheitsrat, die Welt von vor 60 Jahren repräsentiert und sich dabei oftmals noch selbst blockiert, solange werden auch die anderen Institutionen der UN - nicht zuletzt der Generalsekretär und die Vollversammlung - regelmäßig beschädigt.

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  2. Frau Natalia Gherman aus Moldawien wird eine gute Kandidatin sein.

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