Sagen Sie uns nicht, dass der Rat in fünf Jahren […] im Licht der gemachten Erfahrungen, falls notwendig, einen Vertrag vorschlagen wird, um die Union zu konsolidieren. Sagen Sie lieber, dass es hier keine Erfahrungen zu machen gibt, dass für die, die verstehen wollen, in dieser Angelegenheit bereits alles bekannt ist, aber dass Sie Ihr Möglichstes tun werden, um […] dem Parlament die notwendige [Zeit] zu geben, um das Projekt eines Grundgesetzes für die Europäische Union vorzubereiten und es den Mitgliedstaaten zur Ratifikation vorzulegen.
Altiero Spinelli, 19. November 1981
Wie gelingt eine europäische Vertragsreform? Darüber wurde heute vor genau vierzig Jahren im Europäischen Parlament diskutiert.
Anlass dafür war eine gemeinsame Initiative, die die Außenminister von Deutschland und Italien, Hans-Dietrich Genscher und Emilio Colombo präsentiert hatten, um die seit mehreren Jahren anhaltende Krise der Europäischen Gemeinschaften zu überwinden. Zunächst ohne die bestehenden Verträge zu verändern, sollten sich die Staats- und Regierungschefs mit einer „Europäischen Akte“ zu dem Ziel einer intensivierten politischen Zusammenarbeit bekennen. Fünf Jahre später sollte dann im Licht der gesammelten Erfahrungen über eine mögliche Vertragsreform beraten werden.
Die Spinelli-Initiative
Gleichzeitig war aber auch das Europäische Parlament aktiv geworden: Im Juli 1981 hatte es mit großer Mehrheit eine Resolution angenommen, nach der ein neu einzusetzender „Ausschuss für institutionelle Fragen“ (der heutige AFCO) eigene Vorschläge für eine Vertragsreform unterbreiten sollte. Berichterstatter für dieses Projekt wurde der 74-Jährige Altiero Spinelli – einst antifaschistischer Widerstandskämpfer, dann treibende Kraft in der Union Europäischer Föderalisten, Mitglied der Europäischen Kommission und seit 1976 parteiloser Europaabgeordneter auf der Liste der italienischen Kommunistischen Partei.
Spinellis Ansatz: Nicht eine Regierungskonferenz der Mitgliedstaaten, sondern die Abgeordneten selbst sollten eine europäische Verfassung ausarbeiten – und dann direkt den nationalen Parlamenten zur Ratifikation vorlegen. Als am 19. November 1981 die beiden Außenminister ihre Initiative im Europäischen Parlament vorstellten, hielt er ihnen seine Überzeugung entgegen: Nicht durch Diplomatie, sondern nur durch überstaatlichen Parlamentarismus seien Fortschritte bei der europäischen Integration zu erwarten.
Der Wortlaut der Rede und ein von mir verfasster Essay über ihre Hintergründe sind auf dem Themenportal Europäische Geschichte von Clio-online zu finden.
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Heute vor dreißig Jahren: Die turbulenten Wochen vor Maastricht
Und heute vor dreißig Jahren? Im November 1991 fieberten die Europäischen Gemeinschaften auf den Gipfel hin, der Anfang Dezember in Maastricht stattfinden sollte. Während die Staats- und Regierungschefs in bilateralen Vortreffen Allianzen schmiedeten und nach möglichen Kompromissen suchten, wetterte in Großbritannien die ein Jahr zuvor zurückgetretene Premierministerin Margaret Thatcher (Cons./ED) gegen ihren Nachfolger John Major (Cons./ED) und forderte ein nationales Referendum über die Ergebnisse des Gipfels.
Aber auch unter Proeuropäer:innen war die Frustration kurz vor Maastricht groß. Kommissionspräsident Jacques Delors (PS/BSPEG) schimpfte über die geplante Einstimmigkeit in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, und das Europäische Parlament spielte öffentlich mit der Idee, seine Zustimmung der Reform zu verweigern. Währenddessen liefen die deutschen Medien Sturm gegen das „Opfer der D-Mark“, und der spanische Regierungschef Felipe González (PSOE/BSPEG) drohte mit einem Veto, wenn die Währungsunion nicht von einem „Konvergenzfonds“ begleitet sein würde, der Finanztransfers an die ärmeren Mitgliedstaaten sicherstellen sollte.
Für alle, die die Ereignisse der turbulenten Wochen vor Maastricht tagesaktuell mitverfolgen wollen, gibt es hier einen „historischen Liveblog“ auf Twitter.
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Und warum der Vertrag von Maastricht zwar zu einer Konstitutionalisierung des europäischen politischen Systems, aber nicht zu einem Verfassungsmoment in der europäischen Öffentlichkeit führte, lässt sich in meiner Dissertation nachlesen, die Anfang dieses Jahres erschienen ist.
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