18 Januar 2024

Wer wird Mitglied der nächsten EU-Kommission? Ein Blick auf die nationalen Debatten vor der Europawahl

Von Manuel Müller

In der neuen Kommission könnte es deutlich mehr EVP-Mitglieder geben als bisher.

Zuletzt gab es in der Kommission nahezu Geschlechterparität. Wie das Verhältnis in Zukunft aussieht, ist noch weitgehend offen.

Es ist Europawahljahr – und das bedeutet nicht nur, dass im Juni das Europäische Parlament neu zusammengesetzt wird, sondern auch eine neue Europäische Kommission im Herbst. Wie in parlamentarischen Demokratien üblich, wird die Kommission vom Europäischen Parlament gewählt (Art. 17 (7) (3) EUV). Anders als in parlamentarischen Demokratien üblich, liegt das Vorschlagsrecht dafür allerdings beim Rat, der seinerseits die Liste der Kommissionsmitglieder „im Einvernehmen mit dem gewählten [Kommissions-]Präsidenten“ und „auf der Grundlage der Vorschläge der Mitgliedstaaten“ annimmt (Art. 17 (7) (2) EUV).

Vorschläge der Regierungen

In der Praxis bedeutet das, dass jede der nationalen Regierungen der Mitgliedstaaten ein Kommissionsmitglied vorschlägt, aber das Parlament ein Veto gegen diese Vorschläge einlegen kann – und das auch tatsächlich immer wieder tut. Lehnen die Abgeordneten eine Kommissar:in ab, wird deren Ersatz dann allerdings ebenfalls von der jeweiligen nationalen Regierung vorgeschlagen. Ein zaghafter Versuch des Parlaments, einen eigenen Namensvorschlag ins Spiel zu bringen, blieb 2014 erfolglos.

Etwas mehr Einfluss kann die Präsident:in ausüben, da diese auch für die „interne Organisation“ der Kommission zuständig ist – insbesondere die Ressortverteilung zwischen den verschiedenen Mitgliedern. Regierungen, die der von ihnen vorgeschlagenen Kommissar:in ein attraktives Tätigkeitsfeld sichern wollen, tun deshalb gut daran, sich im Vorfeld mit der Präsident:in abzusprechen.

Sowohl 2014 als auch 2019 forderte die Präsident:in die Regierungen auf, nicht nur einen, sondern mehrere Bewerber:innen vorzuschlagen, und dabei insbesondere auch auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis zu achten. Dem kamen allerdings nur wenige Mitgliedstaaten nach. Bis heute sind in der Kommission deshalb mehr Männer als Frauen vertreten, auch wenn sich das Verhältnis im Lauf der Zeit etwas verbessert hat.

Die Kommission ist parteipolitisch immer bunt

Die starke Rolle der nationalen Regierungen bei der Ernennung der Kommission beeinflusst auch deren parteipolitische Zusammensetzung. In parlamentarischen Demokratien spiegelt die Regierung typischerweise die Parlamentsmehrheit wider, während Oppositionsparteien nicht darin vertreten sind. Die Europäische Kommission hingegen ist parteipolitisch grundsätzlich „bunt“ und reflektiert in etwa die Zusammensetzung der mitgliedstaatlichen Regierungen zum Zeitpunkt ihrer Ernennung.

Allerdings ist die Kommission parteipolitisch auch nicht einfach eine Kopie des Europäischen Rates. Zwar ist es in vielen Mitgliedstaaten üblich, dass die stärkste Regierungspartei auch das Kommissionsmitglied stellt. In anderen Ländern gilt der Kommissionsposten aber auch als Verhandlungsmasse bei der nationalen Koalitionsbildung, wodurch auch kleinere Parteien zum Zug kommen können. Und manche nationalen Regierungen sind sogar bereit, Angehörige von Oppositionsparteien als Kommissionsmitglied vorzuschlagen, wenn sie sich dadurch einen größeren Einfluss für ihr Land erhoffen. Die genaue Zusammensetzung der Kommission ist deshalb immer von der spezifischen Situation in jedem einzelnen Mitgliedstaat abhängig.

Die Übersicht

Aber wer wird nun in der neuen Kommission vertreten sein? Wirklich fest steht dabei natürlich noch kaum etwas: Bis die Kommission im Sommer wirklich ernannt wird, kann noch einiges passieren. In einigen Ländern finden bis dahin sogar noch nationale Wahlen statt, sodass noch nicht einmal klar ist, welche Regierung überhaupt den Vorschlag machen wird. In vielen anderen Mitgliedstaaten hingegen hat die Debatte über das nächste „eigene“ Kommissionsmitglied bereits begonnen. In einigen Fällen wurden bereits erste Namen bekannt, in anderen steht wenigstens fest, welche Partei den Vorschlag machen wird.

Die folgende Tabelle bietet einen Überblick über die möglichen Kandidat:innen und über die nationalen Konstellationen, die den Vorschlag beeinflussen werden. In Fällen, in denen noch keine neuen Namen kursieren, zeigt die Tabelle das bisherige Kommissionsmitglied des Landes in grauer Schrift, sofern dessen Partei weiterhin an der nationalen Regierung beteiligt und eine weitere Amtszeit möglich ist. Andernfalls steht die Angabe „NN“.

Wenn neue Informationen bekannt werden, wird diese Tabelle künftig weiter überarbeitet werden. Die regelmäßig aktualisierte Tabelle finden Sie unter diesem Link.


Land Name Nationale
Regierung
Erläuterung
DE Ursula von der Leyen
CDU/EVP
NN
Grüne/EGP
SPD (SPE),
Grüne (EGP),
FDP (ALDE)
Falls von der Leyen als EVP-Spitzenkandidatin antritt und im Europäischen Parlament eine Mehrheit gewinnt, würde die Bundesregierung ihre Wiederwahl zur Kommissionspräsidentin unterstützen, auch wenn ihre Partei auf nationaler Ebene inzwischen in der Opposition ist. Andernfalls nominieren laut Koalitionsvertrag die Grünen das deutsche Kommissionsmitglied.
FR Thierry Breton
parteilos (RE/ALDE-nah)
RE (ALDE-nah),
HOR (ALDE-nah),
MoDem (EDP)
Als stärkste Regierungspartei wird RE (ALDE-nah) auch das Kommissionsmitglied vorschlagen.
IT Francesco Lollobrigida
FdI/EKR
Raffaele Fitto
FdI/EKR
Luca Zaia
Lega/ID
Antonio Tajani
FI/EVP
FdI (EKR),
Lega (ID),
FI (EVP)
Die größte Regierungspartei FdI (EKR) plant offenbar Agrarminister Lollobrigida als Kommissionsmitglied vorzuschlagen – der selbst jedoch lieber in Rom bleiben würde. Europaminister Fitto hätte Interesse an dem Posten, doch Regierungschefin Giorgia Meloni will ihn nicht gehen lassen. Frühere Medienberichte sahen den venezianischen Regionalpräsidenten Zaia als Favoriten für den Kommissionsposten, der aber nach eigenen Angaben sein derzeitiges Amt behalten will. Außenminister und Ex-Kommissar Tajani wäre wohl interessiert, kann aber als Chef der kleinsten Koalitionspartei keinen Anspruch auf das Amt erheben.
ES Teresa Ribera
PSOE/SPE
PSOE (SPE),
Sumar (EL, EGP)
Umweltministerin Ribera gilt als Favoritin für die Nachfolge von Josep Borrell, der 2024 als Kommissionsmitglied aufhört.
PL Rafał Trzaskowski
PO/EVP
PO (EVP),
PSL (EVP),
PL2050 (ALDE-nah),
L (SPE-nah)
Wen die polnische Regierung vorschlagen wird, ist noch unklar. Als mögliche Option gilt der Warschauer Bürgermeister Trzaskowski, der aber wohl auch gerne bei der polnischen Präsidentschaftswahl 2025 antreten würde.
RO Adina-Ioana Vălean
PNL/EVP
PSD (SPE),
PNL (EVP)
 
NL NN
NN
geschäftsführend:
VVD (ALDE),
D66 (ALDE),
CDA (EVP),
CU (ECPB)
Nach der niederländischen Parlamentswahl im November 2023 ist die Regierung nur noch geschäftsführend im Amt. Das Kommissionsmitglied wird voraussichtlich erst nach der Bildung einer neuen Regierung vorgeschlagen. Eine weitere Amtszeit des derzeitigen Kommissionsmitglieds Wopke Hoekstra (CDA/EVP) ist möglich, sofern seine Partei dann weiterhin an der Regierung beteiligt ist oder Parteien ähnlicher Ausrichtung (z.B. NSC/EVP-nah oder BBB/EVP-nah) ihn unterstützen.
EL Margarítis Schinás
ND/EVP
ND (EVP) Als Regierungspartei wird ND (EVP) auch das Kommissionsmitglied vorschlagen.
BE NN
NN
Open VLD (ALDE),
MR (ALDE),
PS (SPE),
Vooruit (SPE),
CD&V (EVP),
Ecolo (EGP),
Groen (EGP)
Die nächste belgische Parlamentswahl findet am 9.6.2024, gleichzeitig mit der Europawahl, statt. Dass das derzeitige Kommissionsmitglied Didier Reynders (MR/ALDE) danach noch einmal nominiert wird, gilt als unwahrscheinlich. Reynders selbst will sich deshalb stattdessen als Generalsekretär des Europarats bewerben.
PT NN
NN
geschäftsführend:
PS (SPE)
Am 10.3.2024 wird das portugiesische Parlament neu gewählt. Die daraus hervorgehende Regierung wird das Kommissionsmitglied vorschlagen. Eine weitere Amtszeit des derzeitigen Kommissionsmitglieds Elisa Ferreira (PS/SPE) ist möglich, sofern ihre Partei dann weiterhin an der Regierung beteiligt ist.
CZ Marcel Kolaja
Piráti/PPEU
Jozef Síkela
STAN/EVP-nah
Danuše Nerudová
STAN/EVP-nah
Jiří Šedivý
parteilos
ODS (EKR),
TOP09 (EVP),
KDU-ČSL (EVP),
STAN (EVP-nah),
Piráti (PPEU)
Laut Koalitionsvertrag nominieren Piráti (PPEU) und STAN (EVP-nah) das Kommissionsmitglied. Die Piráti haben den Europaabgeordneten Kolaja vorgeschlagen. Auf der Seite von STAN gelten Industrieminister Síkela, Ex-Präsidentschaftskandidatin Nerudová sowie der Leiter der Europäischen Verteidigungsagentur, Šedivý, als mögliche Bewerber:innen.
HU NN
Fidesz/–
Fidesz (–),
KDNP (EVP)
Als stärkste Regierungspartei wird Fidesz (–) erneut das Kommissionsmitglied nominieren. Eine zweite Amtszeit des derzeitigen Kommissars Olivér Várhelyi würde jedoch wohl vom Europäischen Parlament abgelehnt.
SE Jessica Roswell
M/EVP
Carl Bildt
M/EVP
Tobias Billström
M/EVP
Johann Forssell
M/EVP
M (EVP),
KD (EVP),
L (ALDE)
Europaministerin Roswell gilt als Favoritin für den Kommissionsposten. Mögliche Alternativen wären Ex-Premierminister Bildt, Außenminister Billström oder Handelsminister Forssell.
AT Karoline Edtstadler
ÖVP/EVP
Alexander Schallenberg
ÖVP/EVP
ÖVP (EVP),
Grüne (EGP)
Europaministerin Edtstadler und Außenminister Schallenberg gelten als Favorit:innen für die Nachfolge von Johannes Hahn (ÖVP/EVP), der 2024 als Kommissionsmitglied aufhört.
BG Iliana Ivanova
GERB/EVP
GERB (EVP),
PP (ALDE-nah),
ZD (EGP)
Ivanova übernahm das Amt erst 2023 im Zuge einer nationalen Kabinettsumbildung und dürfte deshalb auch 2024 wieder vorgeschlagen werden.
DK Dan Jørgensen
S/SPE
Lars Løkke Rasmussen
M/ALDE-nah
S (SPE),
V (ALDE),
M (ALDE-nah)
Klimaminister Jørgensen (S/SPE) und Außenminister Løkke Rasmussen (M/ALDE-nah) gelten als mögliche Kandidaten.
FI NN
KOK/EVP
KOK (EVP),
PS (EKR),
SFP (ALDE),
KD (EVP)
Als stärkste Regierungspartei wird KOK (EVP) auch das Kommissionsmitglied vorschlagen.
SK Maroš Šefčovič
parteilos (Smer-nah)
Smer (–),
Hlas (–),
SNS (ID-nah)
 
IE Mairead McGuinness
FG/EVP
Charlie McConalogue
FF/ALDE
FG (EVP),
FF (ALDE),
GP (EGP)
McGuiness strebt eine weitere Amtszeit als Kommissionsmitglied an, aber auch Agrarminister McConalogue ist an dem Posten interessiert.
HR Dubravka Šuica
HDZ/EVP
HDZ (EVP) Als Regierungspartei wird HDZ (EVP) auch das Kommissionsmitglied vorschlagen.
LT NN
NN
TS-LKD (EVP),
LRLS (ALDE)
Das nächste litauische Kommissionsmitglied ist noch offen. Premierministerin Ingrida Šimonytė hat für sich selbst einen Wechsel in die Kommission ausgeschlossen.
LV Valdis Dombrovskis
JV/EVP
Krišjānis Kariņš
JV/EVP
JV (EVP),
P (EGP),
ZZS (ALDE-nah)
Dombrovskis will Kommissionsmitglied bleiben, aber auch Ex-Premierminister Kariņš ist an dem Amt interessiert.
SI Tanja Fajon
SD/SPE
NN
GS/ALDE-nah
GS (ALDE-nah),
SD (SPE),
L (EL)
Außenministerin Fajon gilt als Anwärterin für das Amt der Hohen Vertreter:in. Als größte Regierungspartei könnte aber auch die GS (ALDE-nah) Anspruch auf den Kommissionsposten erheben.
EE Urmas Paet
RE/ALDE
RE (ALDE),
SDE (SPE),
E200 (ALDE-nah)
Laut Koalitionsvertrag nominiert RE (ALDE) das Kommissionsmitglied. Der Europaabgeordnete Paet ist für den Posten im Gespräch.
CY Stélla Kyriakídes
DISY/EVP
DISY (EVP),
DIKO (SPE-nah)
 
LU Christophe Hansen
CSV/EVP
Nicolas Schmit
LSAP/SPE
CSV (EVP),
DP (ALDE)
Die luxemburgische Regierung will offenbar den ehemaligen Europaabgeordneten Hansen als Kommissionsmitglied vorschlagen. Allerdings tritt der derzeitige EU-Arbeitskommissar Schmit als SPE-Spitzenkandidat an und hätte deshalb – selbst wenn er nicht Kommissionspräsident wird – gute Aussichten auf einen wichtigen Kommissionsposten, etwa als Vizepräsident. Für die Regierung könnte das ein Grund sein, ihn wieder vorzuschlagen, obwohl Schmits Partei inzwischen in der Opposition ist.
MT Chris Fearne
PL/SPE
PL (SPE) Die maltesische Regierung plant offenbar, Vizepremierminister Fearne als Kommissionsmitglied vorzuschlagen.

Bilder: Eigene Grafiken.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Kommentare sind hier herzlich willkommen und werden nach der Sichtung freigeschaltet. Auch wenn anonyme Kommentare technisch möglich sind, ist es für eine offene Diskussion hilfreich, wenn Sie Ihre Beiträge mit Ihrem Namen kennzeichnen. Um einen interessanten Gedankenaustausch zu ermöglichen, sollten sich Kommentare außerdem unmittelbar auf den Artikel beziehen und möglichst auf dessen Argumentation eingehen. Bitte haben Sie Verständnis, dass Meinungsäußerungen ohne einen klaren inhaltlichen Bezug zum Artikel hier in der Regel nicht veröffentlicht werden.