- Wenn eines von diesen sechs Monaten in Erinnerung bleiben wird, dann ihre Provokationen. Der EU-Mainstream sah am Kopfende des Tisches einen Troll in Form des ungarischen Ministerpräsidenten.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán machte kein Geheimnis aus
seinem Wunsch nach einer Präsidentschaft, die noch lange Zeit im Gedächtnis
bleiben würde. Dies wird wohl der Fall sein, doch woran wir uns in einigen
Jahren erinnern werden, sind kaum ihre Policy-Errungenschaften. Vielmehr wird
man an diese Präsidentschaft wegen ihres unorthodoxen Verständnisses ihrer
Rolle denken, symbolisiert durch eine „diplomatische“ Tour, die keine
greifbaren Ergebnisse brachte.
Die ungarische Regierung nutzte die Aufmerksamkeit und symbolische Macht,
die mit der Präsidentschaft einhergeht, um den europäischen Mainstream zu
provozieren, um Zeichen gegenüber ihren internationalen ideologischen Partnern
zu setzen und um den ungarischen Ministerpräsidenten als erfolgreiche und
weltweit respektierte Führungspersönlichkeit zu präsentieren zu versuchen. Für
die Zukunft müssen die EU-Institutionen Wege finden, wie sie die Kosten für
das, was im Wesentlichen Trolling war, erhöhen können, um störende Akteure künftig
davon abzuschrecken.
Wachsende Isolierung
In den letzten Jahren hat sich die Regierung Orbán zunehmend isoliert; ihre
Möglichkeiten, eigene Interessen innerhalb der EU durchzusetzen, haben sich auf
ein Minimum reduziert. Der Grund dafür liegt im Zustand der Rechtsstaatlichkeit
in Ungarn, in der systemischen Korruption und der kremlfreundlichen Ausrichtung
der Regierung. Die meisten Staats- und Regierungschef:innen der
EU-Mitgliedstaaten und die EU-Institutionen selbst sind zunehmend kritisch mit
der politischen Führung des Orbán-Regimes und betonen dessen Unvereinbarkeit
mit grundlegenden europäischen Werten. Weiter gelitten hat Ungarns Ruf durch
seine hartnäckige „Blockadestrategie“, die oft zu Verzögerungen bei EU-Entscheidungen
geführt hat.
Im Voraus war sogar über eine mögliche Einschränkung des ungarischen
Ratsvorsitzes diskutiert worden, wozu es dann jedoch letztendlich nicht kam.
Allerdings kündigten mehrere Mitglieder – insbesondere die baltischen und
einige nordische Länder – zusammen mit der Europäischen Kommission einen teilweisen Boykott der informellen
Ratstagungen an.
Diese angespannte Atmosphäre warf einen Schatten auf die gesamte sechsmonatige
Amtszeit.
Zwei der wichtigsten Folgen waren die Absage des Besuchs der Kommission in
Ungarn zu Beginn der Präsidentschaft sowie die Verschiebung der Präsentation
des ungarischen Präsidentschaftsprogramms vor dem Europäischen Parlament auf
Oktober – als sich die Präsidentschaft bereits im vierten Monat befand. Während
der Debatte selbst konfrontierte die Präsidentin der Europäischen Kommission,
Ursula von der Leyen, Orbán in einer beispiellos scharfen Weise.
Ein Troll am Kopf des Tisches
Über diese Spannungen hinaus heizte die Regierung Orbán die Konflikte auch
dadurch weiter an, dass sie ihre Position bewusst dazu nutzte, um den
EU-Mainstream herauszufordern und zu trollen (d. h. zu stören und zu
provozieren), ihr eigenes politisches Gewicht zu erhöhen und große politische
Botschaften zu verbreiten – obwohl die Rolle der Ratspräsidentschaft in erster
Linie für die Koordinierung zwischen den EU-Institutionen gedacht ist und innerhalb
des vom Trio der aufeinanderfolgenden Ratspräsidentschaften vorgegebenen
Rahmens erfolgen soll. Im Gegensatz zu dieser traditionellen Funktion startete
die Orbán-Regierung ihre Präsidentschaft unter dem Motto „Make Europe Great Again“, in offener Anspielung auf Donald Trumps
inzwischen berüchtigten Wahlkampfslogan. Der EU-Mainstream sah einen Troll in
Form des ungarischen Ministerpräsidenten am Kopfende des Tisches.
Diese Wahrnehmung änderte sich – wenn auch nur vorübergehend – während des
Gipfeltreffens der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) und des
informellen Rates in Budapest Anfang November, unbestreitbar die eigentlichen Rampenlicht-Momente
Orbáns. Nur zwei Tage zuvor war Trump wiedergewählt worden und die deutsche
Regierung zusammengebrochen. Zwar war ungewiss, ob alle eingeladenen Staats-
und Regierungschef:innen teilnehmen würden, doch letztlich ließ kein Einzige:r von
ihnen die Gelegenheit aus, inmitten der sich rasch verändernden geopolitischen
Landschaft Gespräche zu führen. Während des Ratsvorsitzes war dies die einzige
Gelegenheit, bei der Orbán eine große versöhnliche Geste machte, indem er erklärte, dass trotz der politischen Schlachten in Brüssel
jede:r die ungarische Gastfreundschaft in Budapest genießen solle.
Die „Friedensmission“ brachte den Frieden keinen Schritt näher
Doch Konfliktvermeidung war nicht das Merkmal dieser Präsidentschaft. Ein
Paradebeispiel für die „Troll“-Politik bot gleich die erste Woche der
ungarischen Ratspräsidentschaft, als Orbán zu einer diplomatischen Reise
aufbrach und in rascher Folge Wolodymyr Selenskyj, Wladimir Putin, Xi Jinping
und den damaligen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump besuchte. Offizielles
Ziel der Treffen war die Förderung des Friedens, doch in Wirklichkeit ging es
dem ungarischen Ministerpräsidenten darum, sein eigenes politisches Gewicht zu
erhöhen. Er wollte sich sowohl innenpolitisch als auch international als
bedeutende politische Figur präsentieren, den europäischen Mainstream
provozieren und Zeichen für seine internationalen ideologischen Partner setzen.
Die so genannte Friedensmission – die die Regierung Orbán auf bilateraler
Basis organisierte, aber gezielt mit der EU-Präsidentschaft in Verbindung
brachte – löste scharfe Reaktionen aus. EU-Spitzenpolitiker:innen kritisierten
Orbán dafür, dass er so tat, als würde er im Namen der EU einen
Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine aushandeln. Zwar wurde dies
in den offiziellen Mitteilungen der Regierung nie ausdrücklich behauptet; doch indem
die Regierung das Logo des Ratsvorsitzes an prominenter Stelle verwendete, erweckte
sie den eindeutig falschen Eindruck, dass Ungarn ein Mandat der EU habe. Putin
sprach Orbán sogar als den rotierenden EU-Präsidenten an, was Orbán nicht
korrigierte.
Die diplomatische Reise brachte keine greifbaren Ergebnisse; die ungarische
Seite konnte nur die Tatsache, dass die Treffen stattfanden, und die leere
Forderung nach Frieden präsentieren. Nützlich war die Reise aber sicherlich, um
die Bedeutung Orbáns sowohl international als auch innenpolitisch größer
erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich ist. Die provokative Mission war auch
eine Geste gegenüber – und damit eine offene Investition in tiefere politische
Beziehungen zu – Donald Trump, der in seinem Wahlkampf versprach, nach seiner
Wahl den Krieg innerhalb von 24 Stunden zu beenden. Unter diesem politischen Gesichtspunkt –
der Wegbereitung für Trump – kann die diplomatische Reise als persönlicher
Erfolg für Orbán gewertet werden.
Weitere außenpolitische Spannungen
Eine weitere Quelle außenpolitischer Spannungen war, dass Orbán nach der georgischen Parlamentswahl im Oktober der neuen prorussischen Führung als Erster gratulierte und das Land noch
vor Bekanntgabe der offiziellen Wahlergebnisse besuchte. Obwohl diese Reise
nicht mehr das Logo der EU-Präsidentschaft trug, war der diplomatische Skandal
unvermeidlich, da die Wahlen Beobachter:innen zufolge nicht fair waren und die
meisten EU-Mitgliedstaaten das Ergebnis nicht anerkannten. Danach war niemand
mehr überrascht, als die ungarische Regierung ihr Veto gegen Sanktionen gegen
bestimmte georgische Polizeibeamte einlegte, die an gewaltsamen Aktionen gegen
Demonstrant:innen beteiligt gewesen waren.
Im Dezember versuchte die Regierung, sich ähnlich wie zu Beginn der
Präsidentschaft in diplomatischem Glanz zu sonnen, was ihr diesmal jedoch trotz
der Wahl Donald Trumps weitaus weniger gut gelang. Obwohl es nicht zu einem persönlichen
Treffen zwischen Orbán und Trump kam, fand zwischen ihren Teams sichtlich aktive
Kommunikation statt. Zudem führte Orbán ein Telefongespräch mit Putin und hatte
Gelegenheit, Selenskyj in Brüssel zu treffen. Die ungarische Seite versuchte
erneut, diese bilateralen Verhandlungen als „Friedensmission“ darzustellen,
doch hatten sie einen weniger öffentlichkeitswirksamen Charakter, und auch das
Logo der Präsidentschaft wurde diesmal nicht missbraucht.
Bis zum Ende des Jahres wurden die Ambitionen des ungarischen
Ministerpräsidenten deutlich zurückhaltender. So behauptete Orbán wiederholt,
er habe sich für einen weihnachtlichen Waffenstillstand sowie einen
Gefangenenaustausch in der Ukraine eingesetzt. Auf der Abschlusspressekonferenz
des Europäischen Rates in Brüssel am 19. Dezember erklärte er jedoch
unerwartet, dass er diese Themen als bloße Ziele formuliert habe und
Friedensverhandlungen eine Aufgabe „der großen Jungs“ seien. In Wirklichkeit kam es zu keinem
Waffenstillstand; vielmehr wurde Kyjiw über Weihnachten (wie schon nach Orbáns
Reise im Juli) schwer bombardiert. Ein Gefangenenaustausch fand zwar statt, kam
aber eher durch saudische Vermittlung als durch eine ungarische Initiative
zustande.
Zentrale inhaltliche Ergebnisse
Auch wenn die ungarische Regierung in der Öffentlichkeit genügend Konflikte
für ein griechisches Drama austrug, arbeitete der Verwaltungsapparat hinter den
Kulissen fleißig und bescheiden und bemühte sich, die Ratsvorsitz-Rolle des
„ehrlichen Maklers“ auszufüllen. Zweifellos führte die ungarische Ratspräsidentschaft
auch zu einigen wichtigen inhaltlichen Ergebnissen – auch wenn sie bei diesen selbst nicht
immer die führende Rolle spielte.
Die ungarische Präsidentschaft hatte ursprünglich sieben Prioritäten festgelegt: Wettbewerbsfähigkeit, Landwirtschaftspolitik,
Erweiterung, Verteidigungspolitik, Migration, Kohäsionspolitik und Demografie.
In den ersten drei Bereichen wurden erhebliche Fortschritte erzielt, wenn auch
in unterschiedlichem Ausmaß.
Budapest-Erklärung zur Wettbewerbsfähigkeit der EU
Die Wettbewerbsfähigkeit war ein zentrales Thema der ungarischen
Ratspräsidentschaft, bei dem die Orbán-Regierung den europäischen Diskurs
wirklich gestalten wollte. Bereits vor Beginn des Ratsvorsitzes betonte die
Regierung wiederholt, dass die Wettbewerbsfähigkeit der EU aufgrund hoher
Energiepreise, mangelnder Investitionen und der Wettbewerbsvorteile der USA und
Chinas gestärkt werden müsse. In diesem Zusammenhang verabschiedeten die
Mitgliedstaaten die Budapest-Erklärung, die die Wettbewerbsfähigkeit der EU voranbringen
soll.
Das Erfolgsnarrativ des Ratsvorsitzes wird allerdings dadurch relativiert,
dass die EU in mehreren dieser Bereiche bereits zuvor konkrete Vorschläge oder
Rechtsvorschriften vorgelegt hatte. Die Grundlagen des Plans zur
Wettbewerbsfähigkeit hatten ein Jahr zuvor die beiden ehemaligen italienischen
Premierminister Enrico Letta und Mario Draghi mit ihren jeweiligen Berichten
zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der EU gelegt. Zudem wurde auch das Konzept der „Konnektivität“ entgegen den starken Wünschen des ungarischen Ministerpräsidenten nicht in
das Dokument aufgenommen – was nicht überrascht, da Europa Chinas Expansion
weitaus zurückhaltender sieht als Ungarn.
Integration der westlichen Balkanstaaten
Bedeutende Energie setzte der ungarische Ratsvorsitz für die Beschleunigung
der Integration der westlichen Balkanstaaten ein und erzielte dabei auch beachtliche
Erfolge. Die Beitrittsprozesse von drei Ländern der Region erreichten wichtige
Meilensteine: Mit Albanien fanden zwei Regierungskonferenzen statt, auf denen
die ersten beiden Cluster von Verhandlungskapiteln eröffnet wurden; Montenegro
schloss einen Cluster ab, und Serbien erhielt grünes Licht für die Ausarbeitung
seiner Position zur Eröffnung des Clusters Wettbewerbsfähigkeit. Letzteres gilt
als besonders wichtiger Erfolg, da sich vor der ungarischen Ratspräsidentschaft
14 Länder dagegen ausgesprochen hatten, diesen Prozess voranzutreiben.
Folglich haben diese drei Länder nun Zieldaten für den Abschluss ihrer
Beitrittsverhandlungen: Montenegro strebt Ende 2026 an, Albanien und Serbien
Ende 2027. In Bezug auf Nordmazedonien, Bosnien und Herzegowina, die Ukraine
und Moldau wurden jedoch keine wesentlichen Fortschritte erzielt.
Voller Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens
Die Erfolge bei der Westbalkan-Erweiterung sind noch weniger greifbar als
die Tatsache, dass seit Anfang 2025 die Grenzkontrollen an den EU-Binnengrenzen zu
Rumänien und Bulgarien entfallen sind. Die ungarische Regierung wertet dies als ihren
eigenen Erfolg, obwohl der Schlüssel zur Lösung bei der österreichischen
Regierung lag. Die innenpolitischen Entwicklungen in Österreich im Jahr 2024
ermöglichten es dem Land, sein bisheriges Veto aufzuheben – was bereits vor dem
ungarischen Ratsvorsitz erwartet worden war.
Immerhin aber nutzte Ungarn die Gelegenheit geschickt und gab die
Entscheidung nach einem Minister-Treffen mit Bulgarien, Rumänien und Österreich
bekannt. Beide Länder waren bereits seit dem 31. März 2024 Teil des
Schengen-Raums für den Luft- und Seeverkehr, die Erweiterung der Landgrenze
trat am 1. Januar 2025 in Kraft.
Weitere Ergebnisse der Präsidentschaft
Eine wichtige Errungenschaft am Ende des Ratsvorsitzes war die Annahme einer
Entschließung des Rates über die
Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) für die Zeit nach 2027. Dieses Thema stand bereits auf den Tagesordnungen
der vorangegangenen Ratspräsidentschaften, ein Konsens war jedoch immer am Widerstand
der rumänischen Regierung gescheitert. Im Dezember stimmte Bukarest schließlich
dem Dokument zu, das dann von den Mitgliedstaaten ohne Aussprache angenommen
wurde.
Entgegen den Plänen des Ratsvorsitzes gelang es den Mitgliedstaaten nicht,
einen gemeinsamen Standpunkt zu mehreren anderen wichtigen Themen zu erreichen,
darunter das Europäische Programm für die Verteidigungsindustrie (EDIP), das
Dossier zur Bekämpfung des sexuellen Kindesmissbrauchs im Online-Raum (CSA),
das europäische Pharmadossier und das Patentpaket.
Zwei weitere wichtige, die Ukraine betreffende Beschlüsse wurden gegen Ende
der Ratspräsidentschaft gefasst, obwohl sie nicht zu den ungarischen Prioritäten
gehörten: das 15. Sanktionspaket gegen Russland und eine Einigung über den G7-Kreditrahmen für die
Ukraine, der durch eingefrorene russische Vermögenswerte finanziert wird. Die ungarische Regierung setzte
allerdings durch, dass mehrere russische Politiker:innen und Persönlichkeiten
des öffentlichen Lebens, darunter Patriarch Kirill, von der Sanktionsliste gestrichen
wurden, und enthielt sich bei der Abstimmung über das Kreditpaket zusammen mit
Malta der Stimme.
Obwohl die ungarische Regierung versuchte, diese Themen nicht zu sehr in
den Vordergrund zu rücken, hob Präsidentin von der Leyen auf der Abschlusspressekonferenz
des ungarischen Ratsvorsitzes im Dezember die Verabschiedung des
Sanktionspakets ausdrücklich als größte Errungenschaft des ungarischen
Ratsvorsitzes hervor.
Keine Freigabe von EU-Mitteln
Keine Fortschritte gab es allerdings bei dem für Ungarn wichtigsten Thema,
der Freigabe der eingefrorenen EU-Mittel. Die ungarische Regierung hätte den
Ratsvorsitz nutzen können, um Vertrauen wiederherzustellen, doch wie beschrieben
nutzte sie die erhöhte Aufmerksamkeit, um genau das Gegenteil zu tun.
Die ungarischen Universitäten – die unter Kontrolle von öffentlichen
Treuhandfonds unter dem Vorsitz regierungsnaher Personen gestellt wurden – erhalten
weiterhin keine EU-Mittel für die Teilnahme an den Programmen
Erasmus+ und Horizon Europe. Das Rechtsstaats-Versagen hat bereits zu einem Verlust von 1,04 Milliarden Euro geführt und stellt eine ernsthafte
Bedrohung für Ungarns Zugang zum 9,5 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds
dar, dessen Mittel Ende August 2026 auslaufen. Auch bei der Einführung
EU-konformer Asylregelungen wurden keine Fortschritte erzielt. Die tägliche
Geldstrafe, die Ungarn deshalb durch ein Urteil des Europäischen
Gerichtshofs auferlegt wurde, belief sich im Januar 2025 auf einen Gesamtbetrag von insgesamt 400
Millionen Euro. Dieser Betrag kann von allen ungarischen Zahlungsansprüchen
abgezogen werden.
Es ist unwahrscheinlich, dass die Regierung die Bedingungen für den Erhalt
der Mittel erfüllt. Der autoritäre Regierungsstil des Orbán-Regimes und die
systemische Korruption, die für die Aufrechterhaltung des politischen Systems essenziell
ist, sind nicht mit den Erwartungen der Europäischen Kommission und der
Mitgliedstaaten vereinbar.
Gegen die Troll-Politik
Auf seiner Jahresend-Pressekonferenz im Dezember erklärte Orbán offen, er habe keine bürokratische, sondern eine so genannte
politische Präsidentschaft führen wollen – und das hat er auch getan. Gleich zu
Beginn der Präsidentschaft gab er mit einer „diplomatischen“ Tour den Ton an,
und von da an waren die Veranstaltungen der Präsidentschaft durchweg von einem
provokanten Ton geprägt. Wenn es eines gibt, das von diesen sechs Monaten in
Erinnerung bleiben wird, dann dies. Der genaue Zeitpunkt des Beitritts
Rumäniens und Bulgariens zum Schengen-Raum oder die Meilensteine im
Erweiterungsprozess des westlichen Balkans werden demgegenüber bald in
Vergessenheit geraten.
Europaskeptische und EU-feindliche Rhetorik nehmen weiter zu, und
gleichgesinnte Akteur:innen gewinnen an Stärke. Die auf Provokation beruhende „Troll-Politik“
breitet sich aus und macht die EU anfälliger für externe Herausforderungen, ob
sie nun von den USA oder von Russland und China kommen. Die EU-Institutionen
müssen Wege finden, um die Kosten für Trolling zu erhöhen, damit es sich für
störende Akteur:innen weniger lohnt und sie letztlich mehr verlieren als
gewinnen. Es müssen institutionelle Mechanismen entwickelt werden, um solche
Akteur:innen zu umgehen und zu isolieren.
Doch dieser Wandel kann nicht nur auf die Verhandlungsräume begrenzt
bleiben. Solange viele Bürger:innen nur dann von der EU hören, wenn ihre
eigenen Politiker:innen sie kritisieren, wird die breite öffentliche Unterstützung
für die Werte der europäischen Integration auf wackligen Beinen stehen. Die
EU-Institutionen, insbesondere die Kommission, müssen als politisches
Gegengewicht fungieren und den europäischen Wähler:innen klare und konsistente
Gegenerzählungen bieten. Die Verantwortung dafür, störenden Akteur:innen,
Botschaften und Taktiken entgegenzuwirken, kann jedoch nicht mehr allein bei
der Kommission liegen. Auch die Mitgliedstaaten müssen sich engagieren und
ihren eigenen politischen Einfluss geltend machen.
Róbert László ist Spezialist für Wahlen bei Political Capital in Budapest. |
Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch als EPIN Council Presidency Report des European Policy Institutes Network. |
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Bilder: Viktor Orbán: European Union [license], via EU Council Newsroom; porträt Róbert László: privat [alle Rechte vorbehalten].
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