Am
vergangenen Donnerstag hat das Europäische Parlament überraschend
beschlossen, die für den 14. März geplante Plenardebatte zum
Duff-Bericht über die Reform des Europawahlrechts von der
Tagesordnung zu setzen. Damit ist nun unklar, ob überhaupt noch in
dieser Legislaturperiode über den darin enthaltenen Vorschlag
entschieden wird, das Parlament um 25 Abgeordnete zu erweitern, die
auf gesamteuropäischen Listen gewählt werden sollen. Doch die Idee
ist in der Welt und wird früher oder später auf die europäische
Agenda zurückkehren. Was ist davon zu halten? Teil 3 einer Serie (zu
Teil
1).
Nationale
Sekundärwahlen
Wer
vor der Europawahl 2009 durch Deutschland fuhr, dem bot sich eine
eigentümliche Plakatlandschaft. Die Grünen (EGP) machten Wahlkampf gegen die Atomenergie, ungeachtet der Tatsache,
dass die EU in dieser Frage gar nicht zuständig ist. Die SPD (SPE) warnte, nur Finanzhaie würden die FDP (ELDR) wählen –
obwohl in der vorangegangenen Legislaturperiode die Sozialdemokraten
im Europaparlament bei gut drei Vierteln aller Abstimmungen mit den Liberalen übereingestimmt hatten,
öfter als mit jeder anderen Fraktion. Die CDU (EVP) warb mit dem Gesicht Angela Merkels
und dem Spruch „Wir in Europa“, wobei das Personalpronomen in den
deutschen Nationalfarben unterlegt war: Und falls irgendjemand diese Botschaft noch nicht
verstanden hatte, stellte Generalsekretär
Ronald Pofalla bei der Kampagnenvorstellung
klar,
dass es darum gehe, „Deutschland eine starke Stimme in Europa“ zu
geben und „deutschen Positionen zur Mehrheit zu verhelfen“. Auch
die FDP (ELDR) trat mit dem Slogan „Für Deutschland in Europa“
an – als könnte man sein Kreuzchen auf dem Wahlzettel bei
einem Land setzen statt bei einer Partei. Und wenig überraschend
erklärte die CSU (EVP) unter einem Porträt von
Ministerpräsident Horst Seehofer, nur wer sie wähle, verschaffe „Bayern eine eigene Stimme in Europa“.
Wer
im Wahlkampf hingegen nicht auftauchte, waren die europäischen
Spitzenpolitiker. Weder José Manuel Durão
Barroso (PSD/EVP), der für seine Wiederwahl als Kommissionspräsident
kandidierte, noch der damalige SPE-Vorsitzende Poul Nyrup Rasmussen,
noch der liberale Fraktionschef Graham Watson (LibDem/ELDR), der angekündigt
hatte, Präsident des Europaparlaments werden zu wollen, traten in
der deutschen Öffentlichkeit auf, um ihre politischen Standpunkte
zu vertreten. Entsprechend spielten europapolitische Themen im
deutschen
Wahlkampf 2009 so gut wie keine Rolle, und am Ende wurden die Wahlen zu dem, was sie seit geraumer Zeit in fast allen
EU-Mitgliedstaaten sind: nationale Sekundärwahlen, ein Stimmungstest
für die nationale Regierung und Opposition, bei dem sich die Medien
herzlich wenig für das gesamteuropäische Endergebnis
interessierten, sondern in erster Linie für die Prognosen, die sich daraus für die
nächsten nationalen Parlamentswahlen ableiten ließen.
Vergebliches
Streben nach europäischer Öffentlichkeit
Und
warum auch nicht? Die nationale Fragmentierung der Europawahlen, mit
festen Sitzkontingenten für jeden Mitgliedstaat und jeweils eigenen
nationalen Wahlgesetzen, Listen und Spitzenkandidaten, ist kaum
geeignet, eine europäische Öffentlichkeit herzustellen. Worum es
bei den Europawahlen eigentlich geht, ist die Machtverteilung
zwischen den großen europäischen Parteien im Europaparlament:
zwischen der christdemokratischen EVP, der sozialdemokratischen SPE,
der liberalen ELDR, der grünen EGP. Doch auf den Wahlzetteln stehen
überall in Europa nur die Namen nationaler Parteien – und natürlich finden sich deshalb
auch auf den Wahlplakaten nur diese wieder.
Dabei
geben sich die großen europäischen Parteien durchaus Mühe damit,
für die Europawahlen einen gesamteuropäischen Rahmen zu
schaffen. So verabschiedete jede von ihnen vor der Wahl 2009 ein
europaweites Wahlprogramm – für das sich allerdings die Medien kaum interessierten. Und
weil seit dem Vertrag von Lissabon Art. 17 Abs. 7 EU-Vertrag
verlangt, dass bei der Ernennung des Kommissionspräsidenten das
Ergebnis der Europawahlen „berücksichtigt“
wird, hat die SPE bereits ein parteiinternes Verfahren beschlossen,
wie sie vor der nächsten Wahl 2014 einen gemeinsamen Spitzenkandidaten nominieren will. (Die EVP trat bereits 2009 mit der Ankündigung an, eine zweite
Amtszeit für Durão
Barroso zu unterstützen, allerdings erst nachdem sich auch der
Europäische Rat dafür ausgesprochen hatte.) Aber wie
wahlkampftauglich ist ein „gesamteuropäischer“
Spitzenkandidat, der am Ende doch nur in einem einzigen Mitgliedstaat
auf dem Wahlzettel steht?
Transnationale
Listen würden auch die Wahlbeteiligung steigern
Die
Einführung transnationaler Listen, wie vom Duff-Plan vorgesehen,
würde hier eine gravierende Änderung bringen. Sie würde bewirken,
dass auf Wahlzetteln (und Wahlplakaten) auch die Namen der
gesamteuropäischen Parteien erscheinen, und damit einer breiten
Öffentlichkeit erstmals die wirklichen Akteure im Europäischen
Parlament aufzeigen. Sie würde dazu führen, dass jede europäische
Partei mit einem Spitzenkandidaten antritt, der europaweit in jedem
Land gleichermaßen zur Wahl steht und entsprechend
Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann. Und da diese gesamteuropäischen
Spitzenkandidaten kaum mit nationalen Themen für sich werben
könnten, würden vermutlich auch die europapolitischen Programme der Parteien endlich eine größere Bedeutung im Wahlkampf gewinnen.
Damit
aber würden die Europawahlen aufhören, nur nationale Sekundärwahlen
zu sein. Stattdessen gäbe es die Chance, in der
Öffentlichkeit echte europapolitische Debatten zu führen; statt
einem Testlauf für die nationalen Parteien könnten die Wahlen zu
einer Gelegenheit werden, bei der die europäische Bevölkerung
Richtungsentscheidungen für die weitere Entwicklung der EU
trifft. Man braucht nicht viel Vorstellungskraft, um zu erkennen,
dass das auch zu einer steigenden Wahlbeteiligung führen würde. Und
das wiederum würde nicht nur dem Europaparlament nützen, das sich
bei künftigen institutionellen Konflikten etwa mit der Kommission
oder dem Rat darauf berufen könnte, eine Mehrheit der europäischen
Bevölkerung hinter sich zu haben – sondern auch der Demokratie
insgesamt, weil dadurch endlich klare öffentliche Meinungen zu den
wesentlichen Fragen der europäischen Politik erkennbar würden.
Aber
womöglich ist gerade das der Grund, weshalb große Teile der europäischen
Politiker die Neuerungen im Duff-Bericht ablehnen. Im nächsten Beitrag soll es um die Gegenargumente gehen, die in der Debatte
darüber zu hören waren.
Der Duff-Bericht – Überblick:
Teil 1: Auf zu einem neuen Europawahlrecht
Update: Abstimmung verschoben
Teil 2: Warum transnationale Listen?
Teil 3: Für mehr europäische Öffentlichkeit
Teil 4: Was spricht eigentlich gegen die Wahlrechtsreform?
Der Duff-Bericht – Überblick:
Teil 1: Auf zu einem neuen Europawahlrecht
Update: Abstimmung verschoben
Teil 2: Warum transnationale Listen?
Teil 3: Für mehr europäische Öffentlichkeit
Teil 4: Was spricht eigentlich gegen die Wahlrechtsreform?
Bild: By alexandernortrup [CC-BY-NC-SA 2.0], via Flickr.
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