- Dass Schuldenmachen schlecht ist, wusste man schon im Mittelalter. Aber vielleicht hat die Volkswirtschaftslehre seitdem auch dazugelernt.
Zu den Dauerbrennern der
europäischen Finanzkrise gehört die Forderung nach Eurobonds, also
nach gemeinsamen Staatsanleihen der Euro-Mitgliedstaaten. Schon seit
2008 sehen ihre Befürworter wie Jean-Claude Juncker (CSV/EVP) darin
das beste Mittel, um den Zinsdruck auf die Krisenstaaten zu
reduzieren und die gegenwärtige Misere schnell zu überwinden.
Umgekehrt fürchten ihre Gegner wie Angela Merkel (CDU/EVP) kaum
etwas mehr als die Vergemeinschaftung von Anleihen, da dies, so die Angst, die
eskalierende Verschuldung nur weiter antreiben und auch die bislang
stabilen Staaten mit in die Krise ziehen würde. Seit Merkel im
Sommer ankündigte, sie werde keine Eurobonds zulassen, „solange ich lebe“, ist die europaweite Debatte inzwischen weitgehend
zum Stillstand gelangt. Da sich allerdings die SPD (SPE) in den
letzten Monaten immer mal wieder für Eurobonds ausgesprochen hat, könnte sie durch die deutsche
Bundestagswahl 2013 wieder an Dynamik gewinnen.
Gemeint ist dabei mit
„Eurobonds“ in der Regel ein Konstrukt, in dem einzelne
Mitgliedstaaten (bis zu gewissen Grenzen und unter gewissen
Bedingungen) nationale Staatsanleihen herausgeben, für die im Fall
einer Staatspleite auch alle anderen Mitgliedstaaten haften.
Erstaunlich wenig wird hingegen über ein anderes Modell diskutiert,
das eigentlich aus der Perspektive föderaler Staatsorganisation
näherliegend ist und auch in der politischen Debatte schon früher
aufgeworfen wurde. Gemeint ist der Vorschlag einer Anleihe, die nicht
die Mitgliedstaaten, sondern die EU selbst begeben würde. Die
Einnahmen aus dieser Anleihe würden dann in den Haushalt der Union
fließen und könnten zum Beispiel verwendet werden, um nötige
Investitionen und Konjunkturmaßnahmen zu finanzieren, wenn
Mitgliedstaaten dazu aufgrund ihrer eigenen Überschuldung nicht mehr
in der Lage sind. Anders als bei Eurobonds würden also nicht die
nationalen Etats der Mitgliedstaaten gestützt, sondern das
gemeinsame EU-Budget durch Kredite ausgeweitet und damit die
Handlungsfähigkeit der Union bei der Krisenbekämpfung erhöht.
Erstmals wurde der
Vorschlag einer solchen Unionsanleihe im Jahr 2003 vom ehemaligen
Kommissionspräsidenten Jacques Delors (PS/SPE) vorgebracht; 2008 lag
dieses Modell auch Junckers ersten Vorschlägen zugrunde, bevor sich die Diskussion in
Richtung der heute gängigen Eurobond-Konstrukte verlagerte. Aber
wurde hier vielleicht ein guter Gedanke allzu schnell begraben? Der
neue EU-Eigenmittelbeschluss, der voraussichtlich 2013 parallel zum
neuen mehrjährigen Finanzrahmen verabschiedet werden soll, könnte
ein Anlass sein, noch einmal über diese Frage nachzudenken.
Warum (manche)
Schulden sinnvoll sind
Insbesondere
in Deutschland hat sich (nicht erst seit Ausbruch der Krise) in der
öffentlichen Diskussion die Vorstellung verbreitet, dass
Staatsschulden immer auf Kosten künftiger Generationen gingen und
deshalb in allen Ländern eine strenge verfassungsrechtliche Regelung
existieren sollte, die die Aufnahme neuer Schulden möglichst
komplett verbietet. An diesem Maßstab gemessen scheint das
derzeitige europäische System zunächst einmal optimal zu sein: Da
es keine europäischen Anleihen gibt, kann die EU (von wenigen
Ausnahmen abgesehen) auch keine Schulden aufnehmen und beendet ihr
Haushaltsjahr theoretisch immer mit einer schwarzen Null. Durch die
Einführung von Unionsanleihen hingegen würde sich das ändern –
kann man das also überhaupt wollen?
Die Antwort lautet Ja,
denn die Vorstellung, dass Staatsschulden an sich ein Übel wären,
ist ökonomisch schlicht falsch. Eine gute Erklärung dafür bietet
der deutsche Sachverständigenrat zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Gutachten aus dem Jahr 2007. Zum einen ist die Staatsverschuldung ein
notwendiges Puffer, um kurzfristige Konjunkturschwankungen
auszugleichen. Zum anderen sind öffentliche Schulden auch
langfristig nützlich, wenn sie dazu dienen, öffentliche
Investitionen zu tätigen, die dazu beitragen, das künftige
Bruttoinlandsprodukt zu erhöhen. Entsprechend besagt die „goldene
Regel der Finanzpolitik“ (über die ich in diesem Blog an anderer Stelle schon ausführlicher geschrieben habe), dass die
öffentliche Hand durchaus Kredite aufnehmen sollte – aber eben nur
zur Finanzierung von Investitions-, nicht von Konsumausgaben.
Gleiches gilt
selbstverständlich auch für die Europäische Union. Während
EU-Anleihen zur Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik sicher
keine gute Idee wären, könnten zahlreiche Infrastrukturausgaben,
wie sie etwa die Regionalfonds leisten, durchaus kreditfinanziert
werden. Und natürlich ließen sich dadurch in einer Rezession
europäische Konjunkturmaßnahmen (sagen wir: ein europäisches
Kurzarbeitergeld) finanzieren – vorausgesetzt, die EU baut die
dadurch angehäuften Schulden im nächsten Aufschwung wieder ab.
Ordnungspolitische Vorteile gegenüber
Eurobonds
Für die Stabilität der
Eurozone würde dies entscheidende Vorteile bringen. Bekanntlich ist
die zentrale Schwäche der europäischen Währungsunion ihre
Unfähigkeit, auf asymmetrische Schocks zu reagieren, bei denen manche Mitgliedstaaten härter
betroffen sind als andere: Angesichts der vereinheitlichten
Wechselkurs- und Geldpolitik können solche Krisenländer die
Rezession nur durch höhere Staatsausgaben bekämpfen. Dies
allerdings führt rasch zu einer Eskalation des nationalen
Schuldenstands, wodurch die Bonität des Landes in Gefahr gerät und
die Staaten für ihre Anleihen immer höhere Zinsen zahlen müssen –
siehe Portugal, Irland oder Spanien. Für die EU als Ganzes wäre es
hingegen kein Problem, die entsprechenden Konjunkturausgaben zu
finanzieren, denn gerade bei einem asymmetrischen Schock gibt es ja
immer auch Mitgliedstaaten, die sich weiterhin in einer
wirtschaftlich guten Lage befinden. Die Bonität von Unionsanleihen
würde deshalb bei einer asymmetrischen Krise nicht gefährdet, so
wie auch die Bonität der USA nicht darunter leidet, wenn einzelne
ihrer Staaten in die Rezession geraten.
Ein ganz ähnlicher
Mechanismus liegt auch den gängigen Eurobonds-Vorschlägen zugrunde:
Auch diese sollen Schuldenkrisen bei asymmetrischen Schocks
verhindern, indem sie die Bonität aller Mitgliedstaaten
vergemeinschaften. Der wesentliche Unterschied liegt jedoch in der
Frage, wer über die Verwendung der Finanzmittel bestimmt, die durch
die Anleihen aufgetrieben werden: Im Falle der Eurobonds wären dies
die einzelnen Mitgliedstaaten, bei einer Unionsanleihe hingegen die
EU als Ganzes. Eurobonds wären deshalb immer mit einem moral
hazard verbunden, also einem
Missbrauchsrisiko, das sich daraus ergäbe, dass ein Land allein über
die Verwendung von Krediten entscheiden würde, für die alle übrigen
Mitgliedstaaten mit haften. Bei Unionsanleihen hingegen würde dies
vermieden: Ob eine bestimmte Investition oder Konjunkturmaßnahme
sinnvoll ist oder nicht, würden in diesem Fall nicht die nationalen
Regierungen und Parlamente der Krisenländer entscheiden, sondern die
europäischen Haushaltsorgane, also das Europäische Parlament und
der Ministerrat.
Demokratische Vorteile gegenüber
dem ESM
In
der Wirklichkeit nun hat sich der Europäische Rat in den letzten
Monaten bekanntlich weder für Eurobonds noch für Unionsanleihen
entschieden, sondern für ein drittes Modell der
Schuldenvergemeinschaftung: den Europäischen Stabilitätsmechanismus
(ESM). Wie ich bereits vor einigen Monaten geschrieben habe, erfüllt
dieser in gewisser Weise die Aufgabe eines europäischen Schattenhaushalts. Und tatsächlich
zeigen sich in seiner Funktionsweise gewisse Parallelen zu dem Modell
der Unionsanleihen: Insbesondere begibt der ESM (auf der Grundlage
seines Stammkapitals von 700 Milliarden Euro) eigene Anleihen, um mit
dem dadurch eingenommenen Geld notwendige Staatsausgaben in
Krisenländern zu finanzieren. Diese Finanzierung erfolgt allerdings
nicht direkt, sondern über die nationalen Haushalte der betroffenen
Staaten, an die der ESM Kredite vergibt. Im Gegenzug müssen die
Krisenländer zur Vermeidung von moral hazard in sogenannte memoranda of understanding einwilligen, die ihnen strikte Reformprogramme vorschreiben – womit
sie de facto einen Großteil ihrer wirtschaftspolitischen Souveränität
an den ESM abgeben.
Auch
der ESM hat jedoch wesentliche Nachteile, die eine direkte
Finanzierung von Konjunkturmaßnahmen über Unionsanleihen nicht
hätte. Dies betrifft vor allem die demokratische Legitimation:
Während über den Haushalt der EU das Europäische Parlament sowie
der Ministerrat gemeinsam entscheiden, setzen sich die wichtigsten
Gremien des ESM allein aus den nationalen Regierungen zusammen. Auch
wenn zahlreiche Länder (darunter Deutschland) eine verpflichtende
Zustimmung des nationalen Parlaments zu allen ESM-Entscheidungen
vorsehen, können die Abgeordneten hier kaum Gestaltungsmacht ausüben. Welche wirtschaftspolitischen
Strategien der ESM in den Krisenländern verfolgt, wird in erster
Linie von den Regierungen ausgehandelt – und ist deshalb stark von
den diplomatischen Machtverhältnissen zwischen den Mitgliedstaaten
abhängig.
Dies
wiederum führt zu einem zweiten Nachteil des ESM: der geringen
sozialen Akzeptanz, auf die seine Politik in den Krisenstaaten stößt.
Seine memoranda of understanding gelten
oft als ein Mittel der Fremdherrschaft, da sie der nationalen
Haushaltspolitik kaum Spielräume lassen – und die Bürger zugleich
so gut wie keine Möglichkeit haben, durch politische Wahlen auf die
Inhalte der memoranda Einfluss zu nehmen. Eine Finanzierung über Unionsanleihen und den EU-Haushalt würde hier einen doppelten Vorteil bieten: Zum einen würde sich das
Problem eines moral hazard hier von Anfang an nicht stellen, sodass auch keine so gravierenden Eingriffe in die nationalen Haushaltspolitiken notwendig wären. Und
zum anderen hätten alle Bürger die Möglichkeit, durch ihre Stimme
bei der Europawahl die Entwicklung der europäischen Haushaltspolitik
unmittelbar zu beeinflussen, denn schließlich hat das Europäische
Parlament hier ein Mitentscheidungsrecht. Egal, ob man zuletzt
Austerität oder Keynesianismus wählt – die Legitimität
wirtschaftspolitischer Entscheidungen ist immer höher, wenn die Bürger selbst dabei mitreden durften.
Warum es keine
Unionsanleihen gibt
Viel
würde also für Unionsanleihen sprechen. Mehr noch: Vergleicht man
die EU mit anderen föderalen Systemen wie den USA oder der
Bundesrepublik Deutschland, wo Konjunkturschocks ebenfalls jeweils
durch den Haushalt der höchsten föderalen Ebene abgefedert werden,
so sind Unionsanleihen eigentlich die nächstliegende Lösung.
Dennoch kommen sie in der politischen Debatte kaum vor. Woran liegt
das?
Ein
Grund sind sicher die institutionellen Interessen der nationalen
Regierungen, ohne deren Zustimmung die Einführung von Unionsanleihen
nicht möglich wäre. Wenn die EU Kredite aufnehmen könnte, so würde
dies zu einer Ausweitung ihres Haushaltsvolumens führen und
letztlich den supranationalen Institutionen mehr finanziellen
Einfluss geben. Insbesondere das Europäische Parlament als
Haushaltsorgan würde dadurch an Macht gewinnen. Eine Konstruktion
wie der ESM hingegen bündelt lediglich die wirtschaftliche Macht der
Regierungen und ist für diese deshalb eher akzeptabel, auch wenn das
auf Kosten der demokratischen Qualität des europäischen politischen
Systems geht.
Noch
wichtiger jedoch ist ein anderer Grund: Wollte man nämlich unter den
jetzigen Bedingungen Unionsanleihen einführen, so wäre es
zweifelhaft, ob die Europäische Union auch nur ansatzweise an die
Bonität ihrer reichsten Mitgliedstaaten herankäme. Denn zum einen
ist der Haushalt der Union erschreckend klein – ihr jährlicher
Etat beträgt kaum ein Fünftel des Stammkapitals des ESM. Und zum
anderen hat das Europäische Parlament auch keine Möglichkeit,
dieses Budget kurzfristig auszuweiten, wie das nationale Parlamente
mithilfe von Steuererhöhungen tun könnten – denn die EU hat kein
eigenes Besteuerungsrecht, und die Höhe ihres Etats muss jeweils in
mühevollen Verhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament und
den nationalen Regierungen festgelegt werden. Erst vor wenigen Tagen
sind die entsprechenden Gespräche über den Nachtragshaushalt für 2013 geplatzt, da die
Regierungen sich einer Erhöhung des Etats um neun Milliarden Euro
widersetzten. Ernsthaft: Welcher Investor würde einer politischen
Institution Geld leihen wollen, die so einfach in die finanzielle
Handlungsunfähigkeit abgleitet?
Die
ordnungspolitisch und demokratisch beste Lösung für die Eurokrise
bestünde in der Einführung von Unionsanleihen, um daraus
Konjunkturmaßnahmen finanzieren zu können, mit denen sich asymmetrische Schocks abfedern lassen. Doch dafür müssten wir erst einmal den Haushalt der
Europäischen Union selbst reformieren, indem wir ihr ein eigenes
Besteuerungsrecht übertragen und zugleich die Mitspracherechte der
nationalen Regierungen in der europäischen Budgetpolitik
einschränken. Und wenn wir dafür ein neues deutsches Grundgesetz benötigen, dann soll es uns willkommen
sein: Besser als die halbherzigen bisherigen Lösungsansätze wäre es
allemal!
Bild: By Polylerus at en.wikipedia (Transferred from en.wikipedia) [Public domain], from Wikimedia Commons.
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