07 Juni 2012

Die Sache mit der Bankenunion

Vielleicht gelingt es Michel Barnier ja doch noch, Angela Merkel zu überzeugen.
Seit ein paar Tagen ist das Europa-Vokabular um einen neuen Begriff reicher geworden. Die EU, so wissen wir jetzt, muss nicht nur eine Wirtschafts-, Währungs- und politische Union sein, sondern auch eine „Bankenunion“. Gemeint ist damit im Wesentlichen eine gemeinsame Bankenaufsicht (die es bislang nur in Ansätzen gibt) plus ein gemeinsamer Einlagensicherungsfonds. Die Europäische Kommission hat gerade einige vorsichtige Vorschläge dafür präsentiert.

In Deutschland stößt das alles auf wenig Begeisterung: Der Bundesverband deutscher Banken nennt die gemeinsame Einlagensicherung einen „Irrweg“, die Bundesbank spielt bei der Abgabe von Kompetenzen an die Europäische Bankaufsichtsbehörde auf Zeit. Aber der eigentliche Skandal ist, dass die Pläne nicht noch deutlich weitergehen. Denn in einem gemeinsamen Binnenmarkt mit freiem Kapitalverkehr verzerren nationale Bankensysteme den grenzüberschreitenden Wettbewerb.

Die Einlagensicherung ist ein Wettbewerbsfaktor

Zweck eines Einlagensicherungssystems ist es zunächst, Bankkunden zu schützen. Damit bei einer Bankenpleite nicht auch all die Kleinsparer in den Ruin gestürzt werden, die dort ihr Vermögen angelegt haben, gibt es in jedem Land Fonds, die diese Einlagen bis zu einer bestimmen Höhe garantieren (nach der bisherigen EU-Richtlinie mindestens 100.000 Euro, wobei einzelne Länder darüber hinausgehen). Zugleich stabilisiert der Fonds damit aber auch das Bankensystem insgesamt: Wenn Kunden fürchten müssten, dass bei einer Pleite auch ihre Ersparnisse verloren sind, würden sie sehr viel nervöser auf schlechte Nachrichten über die Bonität ihrer jeweiligen Banken reagieren. Sobald das Gerücht umgeht, dass eine Bank möglicherweise Konkurs anmelden muss, würde jeder, der dort sein Vermögen angelegt hat, das Geld sofort abheben und zu einem sichereren Institut bringen. Das aber würde die gefährdete Bank erst recht in den Abgrund stoßen – selbst wenn der Konkurs vielleicht noch abwendbar gewesen wäre. Durch die Einlagensicherungsfonds werden solche Effekte verhindert und damit Bankenpleiten, die gravierende Auswirkungen auf die Volkswirtschaft insgesamt haben können, in der Regel schon im Voraus abgewendet.

Da die Einlagensicherungsfonds mit dem Geld der Banken selbst finanziert werden, müssen diese per Gesetz zu einer Beteiligung daran gezwungen werden und sind darüber in normalen Zeiten nicht allzu begeistert. In einer Finanzkrise, in der viele Institute mit Liquiditätsproblemen kämpfen, ändert sich das jedoch: Zu einer soliden Einlagensicherung zu gehören, wird für die Bank dann plötzlich zum Wettbewerbsvorteil, da es das Vertrauen der Anleger stärkt. Die Stabilität eines Einlagensicherungssystems hängt dabei insbesondere auch von der Zahl seiner Mitglieder ab: Je mehr Banken einander stützen, auf desto mehr Schultern wird das Risiko einer Pleite verteilt. Bei einem System nationaler Einlagensicherungssysteme haben Banken aus großen Mitgliedstaaten (bzw. aus Staaten mit vielen anderen Banken) deshalb einen strukturellen Vorteil gegenüber dem Rest.

Wettbewerbsverzerrung in der Krise

Diese Wettbewerbsverzerrung mag im Alltag nicht ständig sichtbar sein, da große Bankenkrisen ohnehin recht selten vorkommen. Es ist jedoch keine vier Jahre her, dass die Eurozone diese Effekte geradezu lehrbuchartig beobachten konnte – nämlich im Zuge der Panik, die auf die Lehman-Pleite im September 2008 folgte. Da die irischen Finanzinstitute damals als besonders gefährdet galten, kündete die irische Regierung an, sie werde zwei Jahre lang für sämtliche Einlagen bei den großen Banken des Landes einstehen. Diese Maßnahme bedeutete eine massive Verstärkung des nationalen Sicherungssystems: Die Einlagen der irischen Banken waren nun nicht mehr nur durch die anderen irischen Banken, sondern auch durch den irischen Steuerzahler garantiert. Das verschaffte ihnen einen plötzlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihrer europäischen Konkurrenz, und für vier Tage sah es so aus, als hätte Irland sein Problem unter Kontrolle. Dann aber reagierte die deutsche Bundesregierung mit einer ebensolchen Ankündigung für die deutschen Banken. Und weil die Einlagen in Irland nun nur durch die Steuern der 4,5 Millionen Iren, die in Deutschland aber durch die der 80 Millionen Deutschen garantiert wurden, drehte sich der Wettbewerbsvorteil plötzlich um: In den folgenden Monaten setzte eine Kapitalflucht aus Irland (und den südeuropäischen Ländern) in Richtung Deutschland ein, und weil die irische Regierung nun mit der Bankenrettung Ernst machen musste, verwandelte sich die Finanzkrise in ein Staatsschuldenproblem. Die Folgen sind bekannt.

Inzwischen sind die Rettungsschirme von 2008 längst wieder zusammengefaltet, aber das Problem bleibt erhalten. Derzeit ist es insbesondere Spanien, dessen Bankensektor so angeschlagen ist, dass die bestehenden nationalen Sicherungssysteme schlicht nicht ausreichen, um das Vertrauen der Anleger wiederherzustellen. Die aktuelle Debatte wurde dann auch durch die drohende Pleite des Instituts Bankia ausgelöst, das vom spanischen Staat mit zweistelligen Milliardenbeträgen gerettet werden musste – und damit dessen eigene Liquidität in Bedrohung brachte.

Nun wird für dieses akute Problem jeder Plan einer europäischen „Bankenunion“ zu spät kommen (sodass darüber nachgedacht wird, vorläufig den bestehenden Rettungsschirm EFSF umzufunktionieren). Dass die Euro-Staaten bis heute Probleme mit ihren Banken haben, macht aber offensichtlich, dass in einem integrierten Binnenmarkt mit freiem Kapitalverkehr die Sicherungsmechanismen nicht rein national sein dürfen. Andernfalls wird in jeder ernsten Finanzkrise eine Kapitalflucht aus den schwächeren in die stärkeren Länder stattfinden – nicht weil die Banken dort besser gewirtschaftet hätten, sondern einfach weil sie durch das dichtere Sicherungsnetz geschützt sind. Das aber hat denselben Effekt wie ein nationales Kartell und verstößt damit gegen das Prinzip des freien grenzüberschreitenden Wettbewerbs.

Der Kommissionsvorschlag und seine Gegner

Der zuletzt vorgestellte Vorschlag von Binnenmarktkommissar Michel Barnier (UMP/EVP) bietet einige sehr vorsichtige Lösungsansätze für diese Probleme. Erstens soll es in Zukunft keine staatlichen Hilfen für Banken mehr geben, sondern Krisenfonds, die von den Banken selbst finanziert werden und mit denen konkursgefährdete Institute notfalls saniert oder abgewickelt werden. Zweitens sollen die nationalen Einlagensicherungssysteme vereinheitlicht werden, um in der Krise „Sicherungswettläufe“ zu verhindern (allerdings haben die deutschen Sparkassen für sich einige Ausnahmen durchgedrückt). Und drittens sollten, so der ursprüngliche Plan, die verschiedenen nationalen Einlagensicherungs- und Abwicklungsfonds europaweit miteinander verbunden werden – sodass im Notfall die deutschen Banken nicht nur füreinander, sondern auch für die Banken in Irland, Spanien oder Italien einspringen sollten.

Es ist kaum verwunderlich, dass der deutsche Bankenverband sich über diese Idee nicht besonders freute. Wer verzichtet schon gern auf die Vorteile eines nationalen Kartells? Als einigermaßen plausibles Argument führt der Verband deshalb an, dass die Bankenaufsicht weiterhin hauptsächlich national erfolgt: Da die Pleite einer Bank auch durch ein Versagen der nationalen Aufsichtsbehörden verschuldet sein könnte, dürfe man ihre Kosten nicht gesamteuropäisch verteilen. Die logische Schlussfolgerung wäre deshalb eigentlich eine Kompetenzstärkung der europäischen Bankenaufsicht, wie sie erst kürzlich von EZB-Chef Mario Draghi gefordert wurde. Das aber ginge natürlich mit einer Schwächung der nationalen Kontrollbehörden einher, weshalb die deutsche Bundesbank alle möglichen technischen Vorbehalte vorbringt und ein einheitliches Aufsichtssystem erst „am Ende eines langen Weges“ sehen will.

Und die deutsche Bundesregierung? Nun, die tat, was ihre nationale Bankenlobby von ihr erwartete, und machte sich erfolgreich daran, die Vorschläge der Kommission abzuschwächen. Nicht zuletzt deshalb blieb der Barnier-Plan an einer entscheidenden Stelle unvollständig: Die Einlagensicherungsfonds werden auch künftig rein national bleiben. Und für die neuen nationalen Abwicklungsfonds soll es lediglich eine Klausel geben, die sie in Notfällen zu wechselseitigen Krediten verpflichtet, wobei auch das noch im Ministerrat gestrichen werden könnte. Selbst Optimisten sprechen deshalb allenfalls von dem „Embryo“ eines gemeinsamen europäischen Systems. Die pessimistische taz sagt es kürzer: „Die viel beschworene Bankenunion bleibt außen vor.“

Fazit

In der Euro-Krise gibt es viele Fragen, über die man unterschiedlicher Meinung sein kann. Eurobonds zum Beispiel haben Vor- und Nachteile, der Fiskalpakt hat Vor- und Nachteile, und sogar ein griechischer Austritt aus der Währungsunion hat (wenige) Vor- und (viele) Nachteile. Eine starke europäische Bankenaufsicht und ein gemeinsames Einlagensicherungssystem dagegen sollten in einem Binnenmarkt mit freiem Kapitalverkehr eine Selbstverständlichkeit sein – etwas, worum man sich schon vor Jahren hätte kümmern müssen. Sollte Deutschland sich hier schon wieder auf die Bremse stellen, dann gäbe es dafür wohl vor allem einen Grund: dass es weiterhin die Gewinne abschöpfen will, die seine Banken in der Krise aus der Wettbewerbsverzerrung ziehen. Ein solcher nationaler Protektionismus aber wäre jenseits von allem, was europapolitisch noch akzeptabel ist.

Wollen wir hoffen, dass von dem Gipfel des Europäischen Rates in drei Wochen ein anderes Signal ausgeht!

Bild: By European People's Party (EPP Congress Warsaw) [CC-BY-2.0], via Wikimedia Commons.

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