- Der deutsche Oppositionsführer Frank-Walter Steinmeier (SPD/SPE) konnte gestern keinen sehr überzeugenden Deal präsentieren.
Es kommt in diesen
Zeiten, in denen die nationalen Regierungen die Steuerung der
Anti-Krisen-Politik an sich reißen, nicht häufig vor, dass eine
nationale Opposition bedeutenden Einfluss auf die weitere Entwicklung
der Europäischen Union nehmen kann. In Deutschland bot sich der SPD
(SPE) und den Grünen (EGP) diese Woche eine solche Chance: Da die
Bundesregierung für die Ratifikation des Fiskalpakts und des
Europäischen Stabilitätsmechanismus eine Zweidrittelmehrheit im
Bundestag benötigt, war sie auf die Zustimmung mindestens einer der
Oppositionsparteien angewiesen. Dass diese die neuen Maßnahmen
vollständig zum Scheitern bringen würden, galt dabei von Anfang an
als ausgeschlossen – aber immerhin konnten sie Bedingungen stellen
und damit für ein ausgewogeneres Krisenbekämpfungspaket sorgen.
Nachdem gestern die Details des Kompromisses verkündet wurden,
lässt sich sagen: Sie sind damit weitgehend gescheitert.
Keine Goldene Regel
Für jeden, der nicht an
die allein seligmachende Wirkung des radikalen Sparens glaubt, ist
der Fiskalpakt derzeit die größte Herausforderung der Europäischen
Union. Nicht nur, dass er für sich allein keine Lösung der
Euro-Krise bietet: Mit seiner strikten Schuldenbremse versucht er
zudem der künftigen Wirtschaftspolitik aller Mitgliedstaaten eine
austeritätspolitische Schlagseite zu geben, die auch mittel- und
langfristig die öffentlichen Investitionen und damit das ökonomische
Wachstum der Euro-Staaten abwürgen wird. Die Austeritätskritiker
müssen deshalb nicht nur ein einmaliges Konjunkturprogramm, sondern eine verfassungspolitische Korrektur durchsetzen.
Die
einfachste Art, diese austeritäre Schieflage des Fiskalpakts zu
überwinden, bestünde in der Einführung der sogenannten Goldenen Regel, wie sie der italienische
Ministerpräsident Mario Monti (parteilos) vor einiger Zeit
vorgeschlagen hat: Demnach sollen nur staatliche Konsumausgaben auf
Pump verboten werden, nicht aber öffentliche Investitionen. Diese
Option, für die sich vor einigen Jahren auch der deutsche
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung ausgesprochen hat, würde eine unkontrollierte
Entwicklung der Staatsdefizite verhindern, trotzdem aber Raum für
notwendige staatliche Maßnahmen lassen. Zudem wäre sie wohl mit dem
Wortlaut des Fiskalpakts vereinbar und damit ohne allzu großen
rechtlichen Aufwand zu verwirklichen.
Wie
Carsten Schneider, haushaltspolitischer Sprecher der Fraktion, auf seiner Webseite schreibt, war
die SPD vor einigen Jahren, als die Schuldenbremse im deutschen
Grundgesetz beschlossen wurde, der Goldenen Regel gar nicht
abgeneigt. In
den Verhandlungen, die Bundesregierung und Opposition jetzt über den
Fiskalpakt führten, kam dieser Lösungsansatz jedoch überhaupt
nicht vor. Falls die deutsche Opposition das Ausmaß der
austeritätspolitischen Schlagseite in der künftigen europäischen
Finanzverfassung überhaupt erkannt hat, dann scheint sie jedenfalls
nicht willens oder nicht fähig, etwas dagegen zu tun.
Kein
Schuldentilgungsfonds
Wenn
in den Verhandlungen das langfristige verfassungspolitische Problem
keine Rolle spielte, dann war doch wenigstens zu hoffen, dass sie
wenigstens eine überzeugende Lösung für die derzeitige Euro-Krise
bieten würden. Tatsächlich traten SPD und Grüne mit einem
Vorschlag hierfür an: dem Schuldentilgungsfonds, in dem die
Euro-Länder einen Teil ihrer bestehenden Staatsschulden
vergemeinschaften sollten. Dabei sollte jeder Mitgliedstaat seine in
den Fonds ausgelagerten Schulden am Ende selbst abbezahlen –
allerdings mit einem so langen Zeitplan, dass der akute
Refinanzierungsdruck gelindert und das Vertrauen der Finanzmärkte
wiederhergestellt würde.
Insgesamt
also entspricht die Idee des Schuldentilgungsfonds einer Art
„Eurobonds auf Zeit“. Sicherlich hat sie einige Schwächen: Zum einen würde
der Fonds Spanien kaum nützen, dessen Schuldenproblem nicht im
staatlichen, sondern im privaten Sektor liegt; zum anderen böte er
keine dauerhaften Transfermechanismen, sodass die Währungsunion beim
nächsten asymmetrischen Schock wieder in dieselbe Krise schlittern
würde wie zuletzt. Immerhin jedoch bestehen gute Chancen, dass die
aktuellen Probleme durch den Schuldentilgungsfonds eine gewisse
Entlastung erfahren würden. Zusammen mit anderen Wachstumsmaßnahmen
wäre er ein plausibler Schritt in Richtung Krisenlösung.
Bei
den Verhandlungen mit der Regierung jedoch ließ die Opposition den
Schuldentilgungsfonds zuletzt fallen. Auch wenn vor allem die Grünen
sich zuvor sehr für die Idee stark gemacht hatten, setzte sich
zuletzt die ablehnende Haltung der CDU/CSU (EVP) und FDP (ELDR)
durch.
Aber
immerhin eine Finanztransaktionssteuer
Was
bei den Verhandlungen tatsächlich beschlossen wurde, war die
Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer, also einer
Abgabe auf jegliche Geschäfte mit Aktien, Anleihen, Devisen und
anderen Finanzprodukten. Dass sich SPD und Grüne ausgerechnet
hierauf versteiften, ist wohl kein Zufall: Schließlich handelt es
sich dabei um die in Deutschland populärste Idee im
Forderungskatalog der Opposition. Ihr einziger Nachteil liegt darin,
dass niemand so recht sagen kann, wozu sie eigentlich gut sein soll.
Denn
von den Befürwortern einer Finanztransaktionssteuer werden in der
Regel zwei Argumente angeführt, die beide wenig überzeugend sind:
Einerseits sollen dadurch die Banken als angebliche Hauptverursacher
der Krise an den Kosten für ihre Bekämpfung beteiligt werden,
andererseits soll durch die Verteuerung von Spekulationsgeschäften
die Bildung wirtschaftlicher Blasen verhindert werden. Doch das erste
dieser beiden Ziele wäre auch auf sehr viel effizientere Weise
möglich gewesen: etwa indem man direkt die Steuern auf Bankengewinne
erhöht – oder auch durch die vom Internationalen Währungsfonds
befürwortete „Stabilitätsabgabe“, die nicht alle Bankgeschäfte
gleich behandeln, sondern je nach deren Risikograd mehr oder weniger
hoch ausfallen würde.
Was
jedoch die Verhinderung einer wirtschaftlichen Überhitzung betrifft,
so ist die Transaktionssteuer ebenfalls ein reichlich ungeeignetes
Instrument: Sie verteuert zwar Finanzgeschäfte und bremst damit die
ökonomische Dynamik, doch die großen Immobilienblasen, die am
Anfang der jüngsten Finanzkrise standen, hätte sie mit Sicherheit
nicht verhindert. Denn bis zu ihrem Platzen ermöglichte die Blase
enorme Spekulationsgewinne im zwei-, teilweise dreistelligen
Prozentbereich – und keine Bank hätte sich von diesen Geschäften
von einer Transaktionssteuer in Höhe von 0,1 oder 0,01 Prozent, wie
sie jetzt geplant ist, abhalten lassen.
Der
einzige Bereich, auf den die Transaktionssteuer tatsächlich
Auswirkungen haben könnte, ist deshalb der sogenannte
Hochfrequenzhandel:
computerbasierte Geschäfte, bei denen Gewinne durch sehr viele im
Millisekundentakt getätigte Einzeltransaktionen mit jeweils
niedrigen Margen erzielt werden. Auch wenn die ökonomische Theorie
seine genauen Auswirkungen noch nicht durchdrungen hat, gilt dieser
automatisierte Handel gemeinhin als destabilisierender Faktor auf dem
Finanzmarkt, und es ist wohl richtig, ihn durch die
Transaktionssteuer einzudämmen.
Nur
hat das nichts mit den Ursachen der Euro-Krise zu tun und bietet auch
keinerlei Ansatz zu ihrer Überwindung. Was die
Finanztransaktionssteuer und den Fiskalpakt thematisch miteinander
verbindet, ist, dass es in beiden Fällen um Geld geht. Aber viel
mehr dann auch nicht.
Alles
bleibt dem Europäischen Rat überlassen
Hat
die deutsche Opposition also versagt? Wenn man freundlich zu ihr sein
will, dann kann man vielleicht sagen, dass sie ihr Bestes gegeben
hat. Auf jeden Fall aber hat sie sich in den Verhandlungen mit der
Bundesregierung von einer sehr nationalen Logik leiten lassen und
sich mehr auf diejenigen Vorschläge konzentriert, die bei der
deutschen Wählerschaft gut ankommen – nicht auf diejenigen, die
tatsächlich erforderlich wären, um die Euro-Krise zu überwinden
und eine austeritäre Schieflage der europäischen Finanzverfassung
zu verhindern.
Dennoch
bedeutet das natürlich nicht, dass diese Ideen nun gescheitert
wären. Am Ende muss die Einigung darüber ohnehin auf
gesamteuropäischer Ebene erzielt werden: das heißt im Europäischen
Rat, der sich in einer Woche zu seinem nächsten regulären Gipfel
versammeln wird. Sowohl die Europäische Kommission als auch die
Regierungschefs von Frankreich, Spanien und Italien werden dort auf
entschlossene Schritte zur Krisenbekämpfung pochen, und es ist nicht
ausgeschlossen, dass die Goldene Regel oder der Schuldentilgungsfonds
zuletzt doch noch beschlossen werden. Auf nationaler Ebene aber haben
SPD und Grüne der sparwütigen Bundesregierung erst einmal den
Rücken gestärkt und damit eine hervorragende Gelegenheit verpasst,
ihren eigenen Beitrag zu einer dauerhaften Krisenlösung zu leisten.
Und
die Linke geht nach Karlsruhe
Die
Krone aber setzte dem Fass die dritte deutsche Oppositionspartei auf:
die Linke (EL), die sich gar nicht erst auf Verhandlungen einließ
und im Bundestag als Einzige geschlossen gegen Fiskalpakt und
Stabilitätsmechanismus stimmen wird. Kaum war die Einigung zwischen
den übrigen Parteien bekannt geworden, kündigte sie eine Klage vor
dem Bundesverfassungsgericht an. Doch während einiges an der
inhaltlichen Kritik, die die Linke gegen den Fiskalpakt vorbringt,
durchaus berechtigt ist, suchte sie sich für die Verfassungsklage
das schlechteste aller möglichen Argumente aus: Wie Wolfgang Nešković, der Justiziar der Fraktion, erklärte,
würde durch den Fiskalpakt und den ESM die Budgethoheit des
Bundestags delegiert – und die deutsche Politik damit zukünftig
„fremdbestimmt“.
Nun
ist es allgemein bekannt, dass man in Karlsruhe kaum mit ökonomischen
Argumenten, dafür aber seit einiger Zeit recht gut mit dem
Schlagwort der nationalen Souveränität punkten kann. Aber, liebe
Linke: „fremdbestimmt“? Und das von einer Partei, die für sich
in Anspruch nimmt, der politischen Strömung anzugehören, die im 19.
Jahrhundert den Internationalismus erfunden hat? Wann endlich werden
wir uns daran gewöhnt haben, dass Brüssel nicht die Hauptstadt
eines fernen Imperiums ist und dass wir für das europäische Recht
selbst verantwortlich sind – als Bürger der Europäischen Union
und vertreten durch unsere europäischen und nationalen Abgeordneten?
Die
letzten beiden Tage jedenfalls waren keine Sternstunde der deutschen
Europapolitik. Hoffen wir, dass die nächste Woche besser wird.
Bild: By Kuebi = Armin Kübelbeck [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons.
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