Seit ein paar Tagen ist
das Europa-Vokabular um einen neuen Begriff reicher geworden. Die EU,
so wissen wir jetzt, muss nicht nur eine Wirtschafts-, Währungs- und
politische Union sein, sondern auch eine „Bankenunion“. Gemeint
ist damit im Wesentlichen eine gemeinsame Bankenaufsicht (die es
bislang nur in Ansätzen gibt) plus ein gemeinsamer
Einlagensicherungsfonds. Die Europäische Kommission hat gerade
einige vorsichtige Vorschläge dafür präsentiert.
In
Deutschland stößt das alles auf
wenig Begeisterung: Der Bundesverband deutscher Banken nennt die gemeinsame Einlagensicherung einen „Irrweg“, die Bundesbank spielt bei der Abgabe von Kompetenzen an die Europäische Bankaufsichtsbehörde auf Zeit. Aber der eigentliche Skandal ist, dass die
Pläne nicht noch deutlich weitergehen. Denn in einem gemeinsamen
Binnenmarkt mit freiem Kapitalverkehr verzerren nationale Bankensysteme den grenzüberschreitenden
Wettbewerb.
Die
Einlagensicherung ist ein Wettbewerbsfaktor
Zweck
eines Einlagensicherungssystems ist es zunächst, Bankkunden zu
schützen. Damit bei einer Bankenpleite nicht auch all die
Kleinsparer in den Ruin gestürzt werden, die dort ihr Vermögen
angelegt haben, gibt es in jedem Land Fonds, die diese Einlagen bis
zu einer bestimmen Höhe garantieren (nach der bisherigen EU-Richtlinie
mindestens 100.000 Euro, wobei einzelne Länder darüber hinausgehen). Zugleich stabilisiert der Fonds damit
aber auch das Bankensystem insgesamt: Wenn Kunden fürchten müssten,
dass bei einer Pleite auch ihre Ersparnisse verloren sind, würden
sie sehr viel nervöser auf schlechte Nachrichten über die Bonität
ihrer jeweiligen Banken reagieren. Sobald das Gerücht umgeht, dass
eine Bank möglicherweise Konkurs anmelden muss, würde jeder, der
dort sein Vermögen angelegt hat, das Geld sofort abheben und zu
einem sichereren Institut bringen. Das aber würde die gefährdete
Bank erst recht in den Abgrund stoßen – selbst wenn der Konkurs
vielleicht noch abwendbar gewesen wäre. Durch die
Einlagensicherungsfonds werden solche Effekte verhindert und damit
Bankenpleiten, die gravierende Auswirkungen auf die Volkswirtschaft
insgesamt haben können, in der Regel schon im Voraus abgewendet.
Da
die Einlagensicherungsfonds mit dem Geld der Banken selbst finanziert werden,
müssen diese per Gesetz zu einer
Beteiligung daran gezwungen werden und sind darüber in normalen Zeiten nicht allzu begeistert. In einer Finanzkrise, in der
viele Institute mit Liquiditätsproblemen kämpfen, ändert
sich das jedoch: Zu einer soliden Einlagensicherung zu gehören,
wird für die Bank
dann plötzlich zum Wettbewerbsvorteil, da es das Vertrauen der Anleger stärkt. Die Stabilität eines
Einlagensicherungssystems hängt dabei insbesondere auch von der Zahl seiner Mitglieder ab: Je mehr Banken einander stützen, auf desto mehr Schultern wird das
Risiko einer Pleite verteilt. Bei einem System nationaler
Einlagensicherungssysteme haben Banken aus großen Mitgliedstaaten
(bzw. aus Staaten mit vielen anderen Banken) deshalb einen
strukturellen Vorteil gegenüber dem Rest.
Wettbewerbsverzerrung
in der Krise
Diese
Wettbewerbsverzerrung mag im Alltag nicht ständig sichtbar sein, da
große Bankenkrisen ohnehin recht selten vorkommen. Es ist jedoch
keine vier Jahre her, dass die Eurozone diese Effekte geradezu
lehrbuchartig beobachten konnte – nämlich im Zuge der Panik, die
auf die Lehman-Pleite im September 2008 folgte. Da die irischen
Finanzinstitute damals als besonders gefährdet galten, kündete
die irische Regierung an,
sie werde zwei Jahre lang für sämtliche Einlagen bei den großen Banken
des Landes einstehen. Diese Maßnahme bedeutete eine massive Verstärkung des nationalen
Sicherungssystems: Die Einlagen der irischen Banken waren nun nicht
mehr nur durch die anderen irischen Banken, sondern auch durch den
irischen Steuerzahler garantiert. Das verschaffte ihnen einen
plötzlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihrer europäischen Konkurrenz, und für vier Tage sah es so aus, als hätte Irland sein
Problem unter Kontrolle. Dann aber reagierte die deutsche
Bundesregierung mit einer ebensolchen
Ankündigung für die deutschen Banken. Und weil die Einlagen in
Irland nun nur durch die Steuern der 4,5 Millionen Iren, die in
Deutschland aber durch die der 80 Millionen Deutschen garantiert
wurden, drehte sich der Wettbewerbsvorteil plötzlich um: In
den folgenden Monaten setzte eine Kapitalflucht aus Irland (und den
südeuropäischen Ländern) in Richtung Deutschland ein, und weil die irische Regierung nun mit der Bankenrettung Ernst machen musste, verwandelte sich die Finanzkrise in ein Staatsschuldenproblem.
Die Folgen sind bekannt.
Inzwischen
sind die Rettungsschirme von 2008 längst wieder
zusammengefaltet, aber das Problem bleibt erhalten. Derzeit ist es
insbesondere Spanien, dessen Bankensektor so angeschlagen ist, dass
die bestehenden nationalen Sicherungssysteme schlicht nicht
ausreichen, um das Vertrauen der Anleger wiederherzustellen. Die
aktuelle Debatte wurde dann auch durch die drohende Pleite des
Instituts Bankia ausgelöst, das vom spanischen Staat mit
zweistelligen Milliardenbeträgen gerettet werden musste – und
damit dessen eigene Liquidität in Bedrohung brachte.
Nun
wird für dieses akute Problem jeder Plan einer europäischen
„Bankenunion“ zu spät kommen (sodass darüber nachgedacht wird,
vorläufig den bestehenden Rettungsschirm EFSF umzufunktionieren).
Dass die Euro-Staaten bis heute Probleme mit ihren Banken haben,
macht aber offensichtlich, dass in einem integrierten Binnenmarkt mit
freiem Kapitalverkehr die Sicherungsmechanismen nicht rein national
sein dürfen. Andernfalls wird in jeder ernsten Finanzkrise eine
Kapitalflucht aus den schwächeren in die stärkeren Länder
stattfinden – nicht weil die Banken dort besser gewirtschaftet
hätten, sondern einfach weil sie durch das dichtere
Sicherungsnetz geschützt sind. Das aber hat denselben Effekt wie
ein nationales Kartell und verstößt damit gegen das Prinzip des
freien grenzüberschreitenden Wettbewerbs.
Der
Kommissionsvorschlag und seine Gegner
Der
zuletzt vorgestellte Vorschlag von Binnenmarktkommissar Michel Barnier (UMP/EVP) bietet
einige sehr vorsichtige Lösungsansätze für diese Probleme. Erstens
soll es in Zukunft keine staatlichen Hilfen für Banken mehr geben,
sondern Krisenfonds, die von den Banken selbst finanziert werden und
mit denen konkursgefährdete Institute notfalls saniert oder
abgewickelt werden. Zweitens sollen die nationalen
Einlagensicherungssysteme vereinheitlicht werden, um in der Krise
„Sicherungswettläufe“ zu verhindern (allerdings haben die
deutschen Sparkassen für sich einige Ausnahmen durchgedrückt). Und
drittens sollten, so der ursprüngliche Plan, die verschiedenen
nationalen Einlagensicherungs- und Abwicklungsfonds europaweit
miteinander verbunden werden – sodass im Notfall die deutschen
Banken nicht nur füreinander, sondern auch für die Banken in
Irland, Spanien oder Italien einspringen sollten.
Es
ist kaum verwunderlich, dass der deutsche Bankenverband sich über
diese Idee nicht besonders freute. Wer verzichtet schon gern auf die
Vorteile eines nationalen Kartells? Als einigermaßen plausibles
Argument führt der Verband deshalb an,
dass die Bankenaufsicht weiterhin hauptsächlich national erfolgt: Da
die Pleite einer Bank auch durch ein Versagen der nationalen
Aufsichtsbehörden verschuldet sein könnte, dürfe man ihre Kosten
nicht gesamteuropäisch verteilen. Die logische Schlussfolgerung wäre deshalb eigentlich eine Kompetenzstärkung der europäischen Bankenaufsicht, wie sie erst kürzlich von EZB-Chef Mario Draghi gefordert wurde. Das aber ginge natürlich mit einer Schwächung der nationalen Kontrollbehörden einher, weshalb die deutsche Bundesbank alle möglichen technischen Vorbehalte vorbringt und
ein einheitliches Aufsichtssystem erst „am Ende eines langen Weges“ sehen will.
Und
die deutsche Bundesregierung? Nun, die tat, was ihre nationale
Bankenlobby von ihr erwartete, und machte sich erfolgreich daran, die
Vorschläge der Kommission abzuschwächen. Nicht zuletzt deshalb blieb der
Barnier-Plan an einer entscheidenden Stelle unvollständig: Die
Einlagensicherungsfonds werden auch künftig rein national bleiben. Und für die neuen nationalen Abwicklungsfonds soll es lediglich eine
Klausel geben, die sie in Notfällen zu wechselseitigen Krediten
verpflichtet, wobei auch das noch im Ministerrat gestrichen werden
könnte. Selbst Optimisten sprechen deshalb allenfalls von dem
„Embryo“ eines gemeinsamen europäischen Systems. Die pessimistische taz sagt
es kürzer: „Die viel beschworene Bankenunion bleibt außen vor.“
Fazit
In
der Euro-Krise gibt es viele Fragen, über die man unterschiedlicher
Meinung sein kann. Eurobonds zum Beispiel haben Vor- und Nachteile,
der Fiskalpakt hat Vor- und Nachteile, und sogar ein griechischer
Austritt aus der Währungsunion hat (wenige) Vor- und (viele)
Nachteile. Eine starke europäische Bankenaufsicht und ein
gemeinsames Einlagensicherungssystem dagegen sollten in einem
Binnenmarkt mit freiem Kapitalverkehr eine Selbstverständlichkeit
sein – etwas, worum man sich schon vor Jahren hätte kümmern
müssen. Sollte Deutschland sich hier schon wieder auf die Bremse
stellen, dann gäbe es dafür wohl vor allem einen Grund: dass es
weiterhin die Gewinne abschöpfen will, die seine Banken in der Krise
aus der Wettbewerbsverzerrung ziehen. Ein solcher nationaler Protektionismus aber wäre jenseits von allem, was
europapolitisch noch akzeptabel ist.
Wollen wir hoffen, dass von dem Gipfel des Europäischen Rates in drei Wochen ein anderes Signal ausgeht!
Wollen wir hoffen, dass von dem Gipfel des Europäischen Rates in drei Wochen ein anderes Signal ausgeht!
Bild: By European People's Party (EPP Congress Warsaw) [CC-BY-2.0], via Wikimedia Commons.
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