Die zwischenstaatlichen Transfers in der Europäischen Gemeinschaft, die es ab den 1970er Jahren gab, waren zunächst teils ein ungewolltes Ergebnis der Gemeinsamen Agrarpolitik, teils ein Zeichen europäischer Solidarität, um die strukturschwachen Regionen im Europäischen Binnenmarkt besonders zu fördern (siehe hier). Mit der Einführung des Euro gewannen sie jedoch noch eine zusätzliche Bedeutung: die makroökonomische Stabilisierung der Wirtschafts- und Währungsunion.
Hintergrund hierfür ist die unterschiedlich schnelle Produktivitätssteigerung der EU-Mitgliedstaaten. Die daraus entstehenden Ungleichgewichte konnten zuvor durch die Wechselkursentwicklung ausgeglichen werden: Produktivere Staaten werteten auf, weniger produktive werteten ab. Mit der Währungsunion entfiel dieser Mechanismus, sodass für eine Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit andere Wege gefunden werden mussten. In Frage kam eine flexible Anpassung der Löhne (die sogenannte „innere Abwertung“ durch Lohnsenkung in den weniger produktiven Staaten), die jedoch auf den Widerstand der Gewerkschaften in den betreffenden Ländern stieß – ebenso wie umgekehrt eine überproportionale Lohnsteigerung in den produktiveren Staaten an den dortigen Arbeitgeberverbänden scheiterte. Auch die Arbeitsmigration, durch die vermehrt Menschen aus Regionen mit niedrigerer Produktivität in Regionen mit höherer Produktivität abwandern, stößt in der vielsprachigen EU auf größere Hindernisse als in anderen Binnenmärkten. Der Delorsplan, in dem die Präsidenten der zwölf nationalen Zentralbanken der damaligen EG unter Leitung des Kommissionspräsidenten Jacques Delors 1989 die Bedingungen zur Einführung einer Einheitswährung präsentierten, insistierte deshalb wieder und wieder auf der Notwendigkeit, die bestehenden Strukturfonds zu erweitern, um damit Investitionen in den ärmeren Regionen zu erleichtern und eine Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit zu sichern (Volltext hier):
If sufficient consideration were not given to regional imbalances, the economic union would be faced with grave economic and political risks. For this reason particular attention would have to be paid to an effective Community policy aimed at narrowing regional and structural disparities and promoting a balanced development throughout the Community. In this context the regional dimension of other Community policies would have to be taken into account.
[…] Historical experience suggests […] that in the absence of countervailing policies, the overall impact on peripheral regions could be negative. […] The economic and monetary union would have to encourage and guide structural adjustment which would help poorer regions to catch up with the wealthier ones. […] Depending upon the speed of progress, such policies might have to be strengthened further after 1993 in the process of creating economic and monetary union. […]
Wage flexibility and labour mobility are necessary to eliminate differences in competitiveness in different regions and countries of the Community. Otherwise there could be relatively large declines in output and employment in areas with lower productivity. In order to reduce adjustment burdens temporarily, it might be necessary in certain circumstances to provide financing flows through official channels. Such financial support would be additional to what might come from spontaneous capital flows or external borrowing and should be granted on terms and conditions that would prompt the recipient to intensify its adjustment efforts.
Tatsächlich wurde die Regional- und Strukturpolitik der EU nach dem Beschluss der Währungsunion im Vertrag von Maastricht 1992 stark ausgebaut. Dennoch blieb sie weit hinter den finanziellen Mitteln zurück, die auf nationaler Ebene zur Förderung strukturschwacher Regionen umverteilt werden – etwa der Länderfinanzausgleich und der Solidarpakt II zur Finanzierung des „Aufbaus Ost“ in Deutschland. Zudem traten durch die Osterweiterung 2004 mehrere neue Mitgliedstaaten der Union bei, die wirtschaftlich auf noch deutlich schwächeren Füßen standen als die Länder, die bis dahin die Hauptempfänger des Regionalfonds gewesen waren. Dennoch machten sich die von den Verfassern des Delorsplans gefürchteten regionalen Ungleichgewichte in den ersten Jahren der Währungsunion kaum bemerkbar. Im Gegenteil, die wirtschaftlich schwächeren Länder der Eurozone erfuhren einen regelrechten Boom, der sich vor allem in massiven Zuflüssen privaten Kapitals zeigte. Die Staaten gingen mit diesen Kapitalzuflüssen unterschiedlich um; insbesondere Spanien und Irland nutzten sie, um mithilfe von Haushaltsüberschüssen die Staatsverschuldung zu reduzieren (eine Tatsache, die in der politischen Debatte in Deutschland leider allzu oft übersehen wird, wo man die Ursachen für die Euro-Krise oft allein auf die angeblich übermäßigen Defizite der betroffenen Länder schiebt). Was allerdings ausblieb, war eine Angleichung der Produktivität: Ein großer Teil des zugeflossenen Kapitals sammelte sich in Immobilienblasen, während die Ausgaben für Forschung und Entwicklung unterdurchschnittlich blieben.
… bis dann im Jahr 2008 ausgehend von der Subprime-Krise in den USA die Immobilienblasen platzten, die Investoren massiv Kapital aus den strukturschwachen Ländern der Eurozone abzogen und sich die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Währungsunion mit aller Macht bemerkbar machten. Auf den Peripherie-Boom der Jahre zuvor folgte nun der Absturz: Der Versuch der betroffenen Staaten, mit nationalen Banken-Rettungsschirmen und Konjunkturprogrammen ihre Wirtschaft zu stabilisieren, ließ die Staatsverschuldung in die Höhe schnellen und löste die Staatsschuldenkrise aus. Umgekehrt sanken die Zinsen für deutsche Bundesanleihen auf ein historisches Minimum. Woran es der Eurozone in diesem Moment fehlte, war offenkundig ein Mechanismus, um den Schock der globalen Finanzkrise zu verarbeiten. Der „Stabilitätsunion“ fehlte es an automatischen Stabilisatoren – mehr dazu ein andermal.
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