- Mario Draghi will den Euro retten, aber nicht ganz alleine. Schließlich gibt es dafür auch gewählte Politiker.
In der wilden
Achterbahnfahrt der Eurokrise übernahm in den letzten zehn Tagen die
Europäische Zentralbank das Steuer. Mitte der vorvergangenen Woche
kündigte deren Präsident Mario Draghi an, die EZB werde „alles
Erforderliche tun, um den Euro zu retten – und glauben Sie mir, es
wird ausreichen“. Die Anleger interpretierten das als eine
Ankündigung, dass die Zentralbank das zuletzt ruhende Programm zum
Aufkauf von Staatsanleihen der Krisenstaaten wiederaufnehmen würde,
und reagierten euphorisch: Die europäischen Aktienkurse und der
Euro-Wechselkurs stiegen kräftig an. Diesen Donnerstag nun beschloss
der EZB-Rat in der Tat die Wiederaufnahme des Aufkaufprogramms. In
seiner Presseerklärung jedoch formulierte Draghi Bedingungen dafür: Die EZB werde nur von solchen
Staaten Anleihen kaufen, die auch an einen der Rettungsfonds EFSF
oder ESM einen Hilfsantrag stellen und sich gegebenenfalls deren
wirtschaftspolitischen Vorgaben unterwerfen. Die spanischen
Staatsanleihen, die europäischen Aktienmärkte und der Eurokurs
reagierten umgehend mit einer schroffen Talfahrt – ehe sie sich am
Freitag, als sich die Aufregung gelegt hatte, wieder nach oben
drehten.
Nebenbei kam es noch zu
einer ungewohnt offenen Kritik Draghis an dem Chef der deutschen
Bundesbank, Jens Weidmann, der als Einziger im EZB-Rat nicht für die
Wiederaufnahme des Programms gestimmt hatte. Und der Generalsekretär
der bayrischen CSU (EVP), Alexander Dobrindt, unterstellte Draghi, aufgrund seiner nationalen Herkunft als Italiener
voreingenommen zu sein, was so ziemlich das härteste politische Foul
ist, das man gegenüber dem Repräsentanten einer supranationalen
europäischen Institution begehen kann.
Was aber hinter der
ganzen Aufregung steht, ist ein Streit darüber, welche Rolle die
Europäische Zentralbank in der künftigen Funktionsweise der
Währungsunion und bei der Lösung der Eurokrise spielen soll. Dabei
gibt es im Wesentlichen drei Möglichkeiten.
Das Problem
Das
strukturelle Ausgangsproblem der Eurokrise besteht darin, dass die
Währungsunion keine Mechanismen bereithält, um asymmetrische
Wirtschaftsschocks aufzufangen, bei denen manche Mitgliedstaaten
stärker getroffen werden als andere. Kommt es, wie zu Beginn der
jetzigen Krise, zu solch einem asymmetrischen Schock im
Finanzbereich, so setzt sich in den betroffenen Ländern eine
Teufelsspirale zwischen Banken- und Staatsverschuldung in Gang. Dabei
können sich sogar Negativ-Blasen bilden, in denen die Staatsanleihen
der Krisenstaaten eigentlich schon unterbewertet sind, die Anleger
sie jedoch weiterhin nicht kaufen wollen, weil sie davon ausgehen,
dass die Kurse erst einmal weiterhin sinken werden – was dann zur
selbsterfüllenden Prophezeiung wird.
Die
einzige Chance, diese Spirale ohne Staatsbankrott zu durchbrechen,
besteht darin, glaubwürdig äußere Hilfe bereitzustellen:
Irgendjemand muss beginnen, als lender of last resort wieder
Anleihen der Krisenstaaten zu kaufen (oder ihnen anderweitig Geld zur
Verfügung zu stellen). Dadurch wird der Abwärtstrend gestoppt,
sodass auch die übrigen Anleger wieder an steigende Kurse glauben
und Anleihen zu kaufen beginnen. Gelingt dies, so entstehen dem
lender of last resort nicht einmal Verluste, da er die
Anleihen später gewinnbringend wieder verkaufen kann. Voraussetzung
dafür ist jedoch, dass sein Einschreiten in der Krise auch wirklich
glaubwürdig ist – und das kann es nur dann sein, wenn ihm
wenigstens potenziell unbegrenzte Finanzmittel zur Verfügung stehen.
Andernfalls werden die übrigen Anleger befürchten, dass der lender
of last resort zuletzt selbst überfordert ist, und kein
Vertrauen in seine Rettungsaktion fassen.
Option 1: Die
Zentralbanklösung
Und
an dieser Stelle kommt die Zentralbank ins Spiel: Da sie in der Lage
ist, selbst Geld zu schaffen, ist ihr finanzieller Spielraum
definitionsgemäß unbegrenzt. Würde sich die EZB also zu einem
beherzten Eingreifen aufraffen, so könnte sie die südeuropäische
Schuldenkrise quasi schlagartig beenden – und vermutlich war es
das, was die Anleger aus Draghis Äußerungen vor zehn Tagen
heraushörten.
Tatsächlich
sind Aktionen, bei denen Zentralbanken im großen Stil Anleihen ihrer
eigenen Staaten kaufen, außerhalb der Eurozone vollkommen üblich.
Allein in den letzten Monaten intervenierten die Bank of England, die amerikanische Federal Reserve und die japanische Zentralbank, um die Kurse nationaler Staatsanleihen zu stützen
und dadurch auch die Konjunktur zu fördern. Die EZB hingegen kaufte
Anleihen der Krisenländer bisher nur in recht bescheidenem Umfang
und immer nur, um in Zeiten höchster Not vorübergehend Abhilfe zu
schaffen. Diese Zurückhaltung wurde (vor allem außerhalb Deutschlands) oft
kritisiert, hat jedoch einige recht gute Gründe:
●
Das erste Problem der EZB besteht
darin, dass die Käufe von Staatsanleihen potenziell die Inflation
anheizen können: Um in der Krise glaubwürdig zu intervenieren, muss
sie bereit sein, neues Geld zu schöpfen, sodass sich die Geldmenge
insgesamt erhöht. Nun werden die Gefahren, die von der Inflation
ausgehen, in den meisten Ländern der Welt weit weniger gravierend
eingeschätzt als in der deutschen Öffentlichkeit. Außer Frage
steht jedoch, dass unter normalen Umständen eine moderate und
stabile Preissteigerungsrate für das Wirtschaftswachstum am besten
ist – und dass diese am besten erreicht werden kann, wenn sich die
Zentralbank ausschließlich auf diese Aufgabe konzentriert.
Entsprechend ist in Art. 127 AEUV die Preisstabilität als das „vorrangige Ziel“ der
EZB definiert (anders als etwa bei der amerikanischen Fed, die außer
der Inflationskontrolle auch die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und
niedrige langfristige Zinsen zur Aufgabe hat).
●
Zweitens ergibt sich ein
demokratisches Problem: Die EZB besitzt eine sehr weitgehende
politische Unabhängigkeit, die sich gerade dadurch rechtfertigen
lässt, dass sie sich ausschließlich auf das eher „technische“
Ziel der Preisstabilität konzentrieren soll. Der Aufkauf von
Staatsanleihen einzelner Mitgliedstaaten hat jedoch deutlich darüber
hinausgehende Umverteilungswirkungen, die besser von einem gewählten
Organ beschlossen werden sollten.
●
Und drittens beinhaltet ein Ankauf
von Staatsanleihen durch die Zentralbank jeweils auch ein
Moral-Hazard-Problem:
Außer den systembedingten, nicht von einzelnen Mitgliedstaaten
verschuldeten Krisen kann es schließlich auch vorkommen, dass ein
Land durch eigene finanzpolitische Nachlässigkeit in Bedrängnis
gerät. Wenn auch in diesen Fällen die EZB Staatsanleihen aufkauft,
ist der Anreiz für die Mitgliedstaaten gering, selbst Vorsorge zu
treffen. Hilfe in der Krise sollte deshalb immer zumindest mit der
Möglichkeit zu Reformauflagen verbunden sein, die die EZB –
wiederum mangels politischer Legitimation – allein nicht stellen
kann.
Nicht nur Deutschland lehnt deshalb den unbegrenzten Ankauf
von Staatsanleihen durch die EZB ab. Auch die Zentralbank selbst weigerte
sich bisher, die Krisenlösung eigenständig herbeizuführen, und
verteidigte diese Position auch etwa gegenüber der spanischen
Regierung unter Mariano Rajoy (PP/EVP). Stattdessen forderte die EZB
immer wieder, dass die Politik die Verantwortung übernehmen sollte.
Option
2: Die politische Lösung
Für
eine solche politische Lösung gäbe es verschiedene Möglichkeiten.
Die eleganteste Lösung wäre in meinen Augen eine vollständige
Fiskalunion, bei der der größte Teil der öffentlichen Einnahmen
und Ausgaben in Europa nicht mehr über die nationalen Haushalte,
sondern über das Budget der EU läuft (etwa durch die Einrichtung
einer gesamteuropäischen Sozialversicherung). Dadurch würden die
nationalen Haushalte insgesamt an wirtschaftlicher Relevanz
verlieren, asymmetrische Schocks würden unwahrscheinlicher und
gegebenenfalls der Bankrott einzelner Länder leichter zu verdauen.
Da
sich die nationalen Staats- und Regierungschefs jedoch zu einer
solchen Fiskalunion kaum aufraffen werden, werden die nationalen
Haushalte wohl auch weiterhin im Mittelpunkt der europäischen
Finanzpolitik stehen. Entsprechend ist es auch bei dieser Option
nötig, dass ein europäischer lender
of last resort
einspringt, um in einer Krise die Anleihen der betroffenen
Mitgliedstaaten zu stabilisieren –
nur eben nicht mit Zentralbank-, sondern mit Steuergeld.
Genau
dies ist der Sinn der europäischen „Rettungsschirme“ EFSF und
ESM. Diese unterliegen der politischen Kontrolle der Regierungen der
Mitgliedstaaten und werden von diesen mit Kapital ausgestattet. Damit
werden die wichtigsten Probleme der Zentralbanklösung vermieden: Da
das Kapital von EFSF und ESM aus Steuergeldern finanziert ist, wirken
sich ihre Hilfen nicht auf die Inflation aus. Auch die demokratische
Kontrolle des ESM ist angesichts der fehlenden Beteiligung des Europäischen Parlaments zwar nicht wirklich zufriedenstellend, aber immerhin besser als die der
Europäischen Zentralbank. Und anders als die EZB hat der ESM die
Möglichkeit, Krisenstaaten, die seine Hilfe in Anspruch nehmen,
Reformprogramme zu diktieren, was die Gefahr eines Moral
Hazard deutlich
reduziert.
Doch
die Rettungsschirme haben einen anderen, gravierenden Nachteil: Ihr
Kapital ist schlicht zu klein. Die EFSF kann maximal 440, der ESM
maximal 500 Milliarden Euro verleihen, was für eine Rettung Spaniens
oder Italiens viel zu wenig wäre. Damit fehlt es ihnen an der
Glaubwürdigkeit, die ein lender
of last resort
benötigt, wenn seine Aktionen effektiv sein sollen.
Die
nächstliegende Möglichkeit, um dem abzuhelfen, wäre eine
unbegrenzte Nachschusspflicht der Mitgliedstaaten für das
ESM-Kapital. Der ESM hätte dann die Möglichkeit, Interventionen in
beliebiger Höhe durchzuführen, für die die europäischen
Steuerzahler aufkommen müssten. Faktisch käme das also einem europäischen Besteuerungsrecht gleich, womit der Rettungsschirm sich noch weiter zum EU-Schattenhaushalt entwickeln würde. Dafür allerdings ist das
demokratische Fundament des ESM dann doch etwas schwach – ganz
davon abgesehen, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht eine solche EU-Steuer ziemlich sicher für
grundgesetzwidrig halten würde.
Option
3: Die gemischte Lösung
Was
deshalb zuletzt wiederholt vorgeschlagen wurde, ist eine gemischte Lösung:
nämlich dem ESM eine Banklizenz zu erteilen, durch die er (entsprechend Art. 123 Abs. 2 AEUV) die
Möglichkeit bekäme, sich von der Europäischen Zentralbank Geld zu
leihen. Gegen die Hinterlegung der von ihm gekauften Staatsanleihen
erhielte er einen EZB-Kredit, von dem er weitere Staatsanleihen
kaufen könnte. Anders als bei der Zentralbanklösung würde also
nicht die EZB selbst, sondern der ESM als Krisenretter auftreten –
durch die Banklizenz hätte er aber Zugriff auf die unbegrenzten
Finanzmittel, die sonst nur der Zentralbank zur Verfügung stehen.
Gegenüber
der Zentralbanklösung hätte diese Option den Vorteil, dass der ESM
einer etwas besseren demokratischen Kontrolle unterliegt und dass er
die Rettung der Krisenstaaten mit Reformauflagen verbinden kann. Was
allerdings bleibt, ist das Inflationsproblem: Ob nun die Zentralbank
selbst oder der ESM mit Zentralbankgeld die Staatsanleihen kauft –
es kommt so oder so zu einer Ausweitung der Geldmenge, die potenziell preistreibend wirken kann. Die EZB könnte damit, so scheint es,
einigermaßen leben; die meisten europäischen Regierungen sowieso.
Die deutsche Bundesregierung jedoch lehnt eine Banklizenz für den
ESM ab.
Draghis
Vorstoß
Damit
allerdings nähern wir uns allmählich dem Ende dessen, was
überhaupt noch möglich ist: Nach Stand der Dinge verweigert sich
die Regierung Merkel (CDU/EVP) jeder der drei Lösungsvarianten –
der Zentralbank- und der gemischten Option aus Furcht vor einer
möglichen Inflation, der politischen Option aus Sorge um die
nationale Souveränität. Und da zugleich aus dem Berliner Kanzleramt
auch keine
konstruktiven Alternativvorschläge kommen, wächst die Sorge,
dass die Währungsunion zuletzt doch noch zerbrechen könnte.
In
dieser Situation nun hat die EZB offenbar den Versuch unternommen,
einseitig eine Lösung herbeizuführen, die der dritten, gemischten
Option ähnelt. Denn genau darauf laufen die letzten Erklärungen
Mario Draghis faktisch hinaus: dass die EZB Anleihen von
Krisenstaaten kaufen wird, aber nur, wenn diese zuvor einen Antrag an
den Rettungsschirm stellen und sich dessen Vorgaben unterwerfen.
Anders als bei der Variante mit der ESM-Banklizenz würden die
Hilfskredite also direkt von der Zentralbank kommen. Indem diese
ihre Entscheidung über den Aufkauf von Staatsanleihen aber an einen Beschluss des ESM koppelt, liegt das
letzte Wort darüber, ob und zu welchen Bedingungen ein Land gerettet
wird, doch beim Rettungsschirm und damit in der Hand der nationalen Regierungen.
Dass
die Märkte auf diese Ankündigung (nach der Enttäuschung von
Donnerstag) letztlich positiv reagierten, ist nicht überraschend.
Draghis Vorstoß vereint zwar eine ganze Reihe von Nachteilen: das
Inflationsrisiko, die trotz allem nur mäßige Legitimation des ESM –
und vor allem die hohe Komplexität der ganzen Konstruktion, durch
die die meisten europäischen Bürger wohl kaum noch verstehen
werden, wer eigentlich welche Verantwortung bei der Rettung von
Krisenstaaten übernimmt. Immerhin aber zeichnet er einen gangbaren
Lösungsweg auf, und das ist mehr, als der Europäische Rat in bald
vier Jahren Dauerkrise erreicht hat.
Bild: By World Economic Forum [CC-BY-SA-2.0], via Wikimedia Commons.
Interesting post. The demand that states sign up for ESM/EFSF bailouts (e.g. come under European stewardship) is an expression of power and it is undemocratic. But I think we would all agree that the ECB is subject to intolerable contradictions between its mandate, the need to prevent the collapse of the EU economy, and the completely divergent demands on national governments. No matter what it does it will be harshly criticized by everyone and the ESM/EFSF deal may be what is needed to square the circle (e.g. moral hazard/saving the economy/appeasing the fiscal-monetary hawks). In that Draghi has proved I think pretty skillful. He's a champion of Eurocratic "subtlety" (as Krugman puts it).
AntwortenLöschen