21 Oktober 2016

Weder Dämonisierung noch Normalisierung: Die Medien und der Rechtspopulismus

Guter Journalismus braucht Populisten nicht zu fürchten.
Für alle Kurzentschlossenen: Am morgigen Samstagabend, 22. Oktober, findet in Berlin eine öffentliche Podiumsdiskussion mit dem Titel Le Pen, Wilders, Farage: Wie sollen europäische Medien mit Rechtspopulismus umgehen? statt. Veranstalter ist der treffpunkteuropa, und diskutieren werden Andreas Bock von euro|topics, Chadi Bahouth von den Neuen Deutschen Medienmachern, Ralf Melzer von der Friedrich-Ebert-Stiftung und ich. Los geht es um 18 Uhr am Sitz der Jungen Europäischen Föderalisten in der Sophienstr. 28/29.

In Vorbereitung auf die Diskussion hier sieben Thesen zum Verhältnis zwischen Rechtspopulismus und Medien.

1. Rechtspopulismus entsteht nicht primär durch die Medien

Nicht nur in Europa, sondern auch in vielen anderen Industriestaaten sind Rechtspopulisten – genauer: Nationalpopulisten – derzeit erfolgreich. Diese Entwicklung hat im Kern erst einmal wenig mit den Medien zu tun und lässt sich am besten als eine Reaktion auf die Globalisierung verstehen: Seit den 1990er Jahren hat die grenzüberschreitende Verflechtung von Wirtschaft und Gesellschaft stark zugenommen, was sich nicht nur an gesteigerten Handelsströmen zeigt, sondern auch an Migrationsbewegungen und anderen Veränderungen, die sich im Alltagsleben der Menschen bemerkbar machen.

Diese Veränderungen erleben manche Menschen als Bereicherung, andere aber auch als Bedrohung. Die Globalisierung erzeugt also nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell Gewinner und Verlierer. An diese Globalisierungsverlierer richten sich die Nationalpopulisten – freilich weniger mit rationalen Argumenten, sondern mit einem vorurteilsbeladenen Diskurs, in dessen Mittelpunkt das Versprechen steht, durch die Ausgrenzung des Fremden den eigenen Lebensstil zu schützen.

2. Am besten helfen institutionelle Reformen

Dieses nationalpopulistische Potenzial wird noch verstärkt durch die unzureichende supranationale Demokratie. Wenn man die Globalisierung politisch gestalten will, ist das nur durch überstaatliche Politik möglich. Diese überstaatliche Politik findet derzeit jedoch oft in Institutionen statt, die keine oder nur sehr indirekte demokratische Legitimation besitzen.

Auch in der EU spielt das Fehlen einer demokratischen Opposition den Nationalpopulisten in die Hände. Da die Entscheidungsverfahren der EU faktisch eine permanente Zusammenarbeit der großen pro-europäischen Parteien notwendig machen, können Europagegner als einzige Alternative zu einer ansonsten „alternativlosen“ Politik auftreten. Dieses Problem der fehlenden Opposition hat auch eine mediale Dimension – schließlich geht es dabei nicht zuletzt um die Inszenierung von Parteiengegensätzen und politischen Handlungsoptionen.

Das Problem ist aber nur sehr begrenzt auf Ebene der Medien lösbar. Medien können versuchen, die existierenden Unterschiede zwischen den großen europäischen Parteien besser zu erläutern (und überhaupt die Existenz gesamteuropäischer Parteien besser in der öffentlichen Wahrnehmung zu verankern). Doch um wirklich eine lebhafte parteipolitische Debatte auf europäischer Ebene zu bekommen, müssen sich nicht die Medien ändern, sondern die EU.

3. Die Medienpluralisierung bietet auch Rechtspopulisten Raum

Es gibt aber auch einige reine Medieneffekte, die zur Ausbreitung rechtspopulistischer Ideen beitragen. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Internet, das die Kosten für die Veröffentlichung von Informationen drastisch gesenkt und dadurch das Medienangebot erweitert und pluralisiert hat. Das bietet einerseits zahlreiche Chancen, etwa für die Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit (auch dieses Blog hier würde ohne das Internet nicht existieren).

Andererseits gibt diese Pluralisierung des Medienangebots natürlich auch einen Raum zur Verbreitung von Halbwahrheiten, Unwahrheiten und Verschwörungstheorien. Nicht erst seit dem Brexit-Referendum und der Präsidentschaftskandidatur von Donald Trump sind die post-truth politics zu einem zentralen Schlagwort geworden. Medien wie Breitbart in den USA oder Politically Incorrect in Deutschland hätten als Zeitungen wohl kaum so schnell ein so großes Publikum gefunden, dass sich ihr Erscheinen finanziell rentiert hätte. Als Onlineportale waren ihre Startkosten hingegen deutlich geringer, und heute versorgen sie täglich hunderttausende Leser mit rechtspopulistischem Ideengut.

Bis heute ist das Internet, besonders die sozialen Medien, eine der wichtigsten Bühnen für Rechtspopulisten. Je mehr sich deren Aufschwung konsolidiert, desto einfacher wird es aber auch für gedruckte Medien, in diesem Milieu ein Publikum zu finden. So gibt es in Deutschland heute auch Zeitungen, Zeitschriften und Buchverlage, die genau diese Zielgruppe ansprechen.

4. Nötig ist mehr Medienkompetenz der Leser

Eine besondere Rolle spielen gerade im Internet technische und soziale Filterblasen: Medienkonsumenten werden – durch Personalisierungsalgorithmen in der Google-Suche, vor allem aber durch die Empfehlungen ihres Social-Media-Freundeskreises – hauptsächlich auf solche Nachrichten und Meinungstexte aufmerksam gemacht, die den Ansichten entsprechen, die sie ohnehin bereits haben. Im Extremfall können Menschen dadurch in einer Vorstellungswelt leben, die sich nahezu ausschließlich aus nationalpopulistischen Medien speist und mit der Welt der Qualitätsmedien nichts mehr zu tun hat. Das Aufeinanderprallen dieser Vorstellungswelten äußert sich nicht zuletzt im Schlagwort der „Lügenpresse“.

Da die Qualitätsmedien selbst nur wenig Chancen haben, in die nationalpopulistische Filterblase einzudringen, können sie auch die gegen sie erhobenen „Lügenpresse“-Vorwürfe nur schlecht ausräumen. Die Hoffnung liegt hier vielmehr auf einer höheren Medienkompetenz der Konsumenten selbst, die in der Lage sein müssten, selbst die Qualität der ihnen gebotenen Informationen einzuschätzen. Die Vermittlung dieser Medienkompetenz kann wiederum nur eine Institution übernehmen, die (anders als die Medien) Zugang zu allen jungen Menschen im Land hat: die Schule.

5. Ausgrenzung ist keine Lösung mehr

Trotzdem bleibt für die Medien die Frage, welcher Umgang mit Rechtspopulisten angemessen ist. In Deutschland und anderswo wurden Rechtsaußenpositionen im öffentlichen politischen Diskurs traditionell ausgegrenzt: Politiker der NPD (AFF) wurden nicht in Talkshows eingeladen, Zeitungen ignorierten ihre Äußerungen und boten ihnen auch in Gastkommentaren keine Bühne.

Der Rechtspopulismus scheint heute jedoch zu stark geworden zu sein, um diese Ausgrenzungsstrategie weiter durchzuhalten. Im Gegenteil kann sie Populisten helfen, um sich einen Opfermythos zu schaffen, mit dem sie gerade Protestwähler ansprechen. Außerdem erschwert die Ausgrenzung die direkte Auseinandersetzung: Wenn Rechtspopulisten nicht zu Wort kommen, ist es auch schwerer, ihnen zu widersprechen und ihre argumentativen Fehlschlüsse aufzudecken.

6. Normalisierung ist eine Gefahr

Auf der anderen Seite besteht aber auch die Gefahr, dass nationalpopulistische Thesen gerade durch die mediale Normalisierung gesellschaftsfähig werden. So verfolgt der französische FN (BENF) unter Marine Le Pen gezielt eine Strategie der „Entdämonisierung“, die ein möglichst breites Publikum anzusprechen versucht. Und beim Brexit-Referendum zeigte sich, dass das häufige und laute Wiederholen von Unwahrheiten durchaus dazu führen kann, dass eine Mehrheit der Bevölkerung ihnen folgt.

Gerade in angelsächsischen Qualitätsmedien, die die Trennung von Nachricht und Meinung und die Neutralität der Berichterstattung traditionell sehr ernst nehmen, ist deshalb die false equivalence – die unangemessene Gleichbehandlung von Politikern aus dem gesamten Spektrum – zu einem wichtigen Thema geworden. Entgegen ihren früheren Gepflogenheiten sind Zeitungen wie die New York Times dazu übergegangen, bestimmte Aussagen von Donald Trump rundheraus als „Lüge“ zu bezeichnen.

7. Guter Journalismus braucht Populisten nicht zu fürchten

Letztlich aber scheint mir die Wahl zwischen Ausgrenzung und Normalisierung wenigstens für den Qualitätsjournalismus ein falsches Dilemma zu sein. Relevant wird die false equivalence vor allem dann, wenn Journalismus sich auf das bloße Wiedergeben oder Nicht-Wiedergeben von Verlautbarungen beschränkt – oder wenn sich die politische Debatte auf bloße Schlagworte reduziert und man nur noch darüber diskutiert, ob eine bestimmte Partei nun als „rechtspopulistisch“, „rechtsextrem“ oder „reaktionär“ und eine bestimmte Aussage nur als „Unwahrheit“ oder schon als „Lüge“ zu bezeichnen ist.

Ein Journalismus, der sein Thema tatsächlich durchdringt, braucht hingegen die Auseinandersetzung mit dem Populismus nicht zu fürchten. Er muss die Ansichten der Populisten weder verdammen noch sich zu ihrem Sprachrohr machen – sondern sie erklären, hinterfragen, problematisieren und kontextualisieren. Das ist, zugegeben, eine oft mühevolle Arbeit, gerade wenn man es mit rabulistischen Verschwörungstheoretikern zu tun hat. Aber genau in dieser Arbeit besteht nun einmal guter Journalismus: dass er dem besseren Argument eine Chance gibt, um sich durchzusetzen.

Bild: By Judy Van der Velden [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.

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