27 August 2012

Worauf warten wir eigentlich, wenn wir auf den Troika-Bericht warten?

Manche Leute denken bei Troika an eine Süßigkeit.
Kaum aus der Sommerpause zurückgekehrt, befinden sich die Euro-Retter schon wieder mitten im Chaos. Zwar verhalten sich die Märkte zurzeit (noch) erstaunlich gelassen, dafür aber tat sich eine Hand voll Populisten in den deutschen Regierungsparteien FDP (ELDR) und CSU (EVP) mit Forderungen nach einem raschen griechischen Euro-Austritt hervor. Nachdem FDP-Parteichef und Vizekanzler Philipp Rösler sich als „mehr als skeptisch“ gegenüber einem Verbleib des Landes in der Währungsunion geäußert hatte, legte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt an diesem Wochenende nach und schlug 2013 als Austrittsdatum vor.

Das Perfide an solchen Äußerungen ist, dass sie selbsterfüllend wirken können: Griechenland muss im Rahmen der EU-verordneten Sparmaßnahmen derzeit umfangreiche Privatisierungsmaßnahmen durchführen und sucht deshalb händeringend nach Investoren. Doch warum sollte jemand jetzt Euros in Griechenland investieren, wenn er dafür in wenigen Monaten vielleicht nur noch Drachmen zurückbekommt? Wenn aber die Investoren ausbleiben, wird auch die Privatisierung nicht die erhofften Gewinne bringen – wodurch Griechenland seine Sparvorgaben nicht erfüllen könnte und die übrigen Euro-Staaten einen Grund hätten, die Auszahlung weiterer Hilfskredite zu verweigern. Ob die Rettung des Landes erfolgreich ist, hängt wesentlich von den kollektiven Erwartungen ab, die von Schwadroneuren wie Rösler und Dobrindt mit geprägt werden.

Da das auch die seriöseren Mitglieder der Bundesregierung wissen, bemühen sich Politiker aller Koalitionsparteien nun um Schadensbegrenzung. Besonders hilfreich wäre dabei natürlich ein eindeutiges Bekenntnis von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU/EVP), in dem sie garantiert, alles Notwendige zu tun, um einen griechischen Staatsbankrott und Euro-Austritt zu verhindern. Dies wäre – für Griechenland und für den Rest der Eurozone – mit einiger Sicherheit die finanziell beste Lösung. Für einen solch entschlossenen Schritt fehlt Merkel jedoch der politische Mut, und wahrscheinlich auch der politische Wille. Darum haben sie, ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU/EVP) und ihr Außenminister Guido Westerwelle (FDP/ELDR) sich auf eine andere Strategie verlegt: Jegliche Entscheidung über den Verbleib Griechenlands in der Währungsunion soll nun von dem Bericht der „Troika“ abhängen, die derzeit überprüft, welche Fortschritte Griechenland mit seinen Sparmaßnahmen bisher gemacht hat. Und nun wird es interessant

Die Aufgaben der Troika

Die „Troika“ ist wohl eines der skurrilsten Gebilde, die in der Euro-Krise entstanden sind. Sie setzt sich zusammen aus der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds – also drei sehr unterschiedlichen Institutionen, von denen lediglich die Kommission demokratisch legitimiert ist, während die beiden anderen eigentlich nur ein technokratisches, auf währungspolitische Fragen begrenztes Mandat besitzen. Der IWF ist noch nicht einmal ein EU-Organ und nur deshalb beteiligt, weil er selbst im Rahmen des Rettungsprogramms ein wichtiger Kreditgeber Griechenlands ist. Die EZB schließlich hat eine völlig eigene Rolle, schon da sie (wenigstens potenziell) die Krise auch im Alleingang beenden könnte.

Aufgabe der Troika ist es, die Reformfortschritte Griechenlands und anderer Empängerstaaten von Rettungskrediten zu beobachten. Da die Finanzhilfen nur gegen bestimmte Konditionen, vor allem Spar- und Privatisierungsmaßnahmen sowie Strukturreformen, erteilt wurden, dient die Troika in erster Linie einer Überwachungsfunktion. Hierfür besucht sie regelmäßig die betroffenen Länder, schreibt Berichte und gibt Empfehlungen an die Kreditgeber, also die übrigen Euro-Mitgliedstaaten (und den IWF, der aber, wie gesagt, selbst mit von der Partie ist). In ihrem Griechenland-Bericht von Oktober 2011 etwa stellte sie fest, dass das Land viele, aber nicht alle Zusagen erfüllt hatte und dass die wirtschaftliche Situation aufgrund der Rezession schlimmer als erwartet war. Außerdem empfahl sie, die nächste Tranche der vereinbarten Kredite freizugeben.

Auflösung der politischen Verantwortung

Das Problematische an dieser Situation ist das Auseinanderklaffen von faktischem Einfluss und formeller Entscheidung. Da die Rettungskredite formell nicht von der EU, sondern von den einzelnen Euro-Mitgliedstaaten stammen, kann der Beschluss über ihre Verlängerung jeweils nur von den nationalen Parlamenten getroffen werden. Da es jedoch sinnlos wäre, wenn jedes Parlament hier einzeln agieren würde, haben die nationalen Abgeordneten die Entscheidung faktisch an ihre Regierungen im Europäischen Rat delegiert. Doch auch diesen fehlt noch die Möglichkeit, sich ein eigenes genaues Bild von der Lage in Griechenland zu machen, sodass sie sich auf die Empfehlungen der Troika verlassen müssen.

Damit aber löst sich die Verantwortung im politischen System auf: Unter der Behauptung, die Interessen seiner Wähler schützen zu wollen, kann jeder nationale Hinterbänkler damit drohen, alle Entscheidungen zum Kippen zu bringen. Umgekehrt kann sich selbst die Chefin der mächtigsten europäischen Regierung um eine eindeutige Positionierung drücken – und auch der Kommission fehlt die politische Macht, offen zu erklären, welche Lösung sie anstrebt. Letztlich entfällt die Chance einer politischen Willensbildung: Wie auch immer die Entscheidung am Ende aussieht, es wird den Wählern kaum möglich sein, sie einem bestimmten politischen Akteur zuzuschreiben.

Auch die Troika drückt sich

Nun ließe sich einwenden, dass die Troika mit der Überwachung vereinbarter Maßnahmen ja nur einer rein „technischen“ Aufgabe nachgeht – wie ein Sachverständiger, der vor Gericht ein Gutachten abgibt, aber kein Urteil fällt. Doch dieser Vergleich hinkt, denn die Einschätzung der griechischen Situation ist immer auch von wirtschaftspolitischen Überzeugungen abhängig. Zwar ist es offensichtlich, dass die bisherigen Sparmaßnahmen nicht gefruchtet haben. Aber liegt das daran, dass Griechenland noch nicht genug getan hat? Oder ist an der ausbleibenden Haushaltskonsolidierung vielmehr das dramatische Schrumpfen der griechischen Wirtschaft schuld, sodass die griechische Regierung nur vernünftig und verantwortungsvoll handelte, wenn sie die Austeritätspolitik nicht noch weiter trieb?

Diese Einschätzung ist eine politische Frage und kann nicht allein von Experten vorgenommen werden. Liest man die Berichte und sonstigen Stellungnahmen der Troika, dann entsteht der Eindruck, dass auch deren Mitglieder sich dieses Problems bewusst sind. Bislang jedenfalls bemühten sich Kommission, EZB und IWF, möglichst allen Seiten gerecht zu werden: So wurden die Fortschritte Griechenlands ebenso betont wie die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen – und die Freigabe weiterer Kredite immer dann empfohlen, wenn im Europäischen Rat ohnehin der politische Wille dazu vorhanden war. Diesmal aber ist die Sache anders. Durch die unruhige Stimmung in Deutschland kommt dem Troika-Bericht inzwischen echte Bedeutung zu: Kritisiert er die griechische Regierung allzu sehr, so hätten die Hardliner den notwendigen Vorwand, das Land durch die Verweigerung neuer Kredite in den Bankrott zu treiben. Ist er hingegen zu großzügig, so sähen sich Kommission und EZB ziemlich sicher erneut populistischen Angriffen ausgesetzt, von dem Druck der deutschen Bundesregierung ganz abgesehen.

Die Troika reagierte deshalb auf ihre neue Macht in bezeichnender Weise: Nachdem sie schon Anfang August die Veröffentlichung ihres jüngsten Berichts verschoben hatte, kündigte sie nun eine weitere Verzögerung bis Ende September oder Anfang Oktober an. Der Europäische Rat wird deshalb frühestens auf seinem Gipfel am 8. Oktober über dessen Ergebnisse sprechen können – anderthalb Monate also, in denen noch einiges passieren kann.

Die Entscheidung fällt nicht in Griechenland

Denn eigentlich, so scheint mir, wird die Frage der griechischen Zukunft innerhalb oder außerhalb der Eurozone ohnehin nicht von den Sparbemühungen des Landes selbst abhängig sein. Aus rein ökonomischer Perspektive ist es ziemlich offensichtlich, dass ein griechischer Austritt aus der Währungsunion alle Seiten nur teurer zu stehen käme – wenn es deshalb überhaupt dazu kommen sollte, dann allein aus politischen Gründen. Angesichts der Stimmung in großen Teilen der deutschen Regierungsparteien scheint es mir derzeit allerdings keineswegs mehr ausgeschlossen, dass sich auch Angela Merkel zuletzt auf die Seite derer schlägt, die „ein Exempel statuieren“ wollen. Und ohne die Unterstützung der Bundesregierung wird es den restlichen Euro-Mitgliedstaaten wohl nicht gelingen, Griechenland vor dem Staatsbankrott zu bewahren.

Die schlechteste Nachricht der letzten Tage dürfte deshalb gewesen sein, dass im deutschen Finanzministerium inzwischen offiziell eine Arbeitsgruppe daran arbeitet, Szenarien für einen griechischen Euro-Austritt vorzubereiten. Anscheinend ist die Bundesregierung inzwischen bereit, einen gewissen wirtschaftlichen Preis dafür zu bezahlen, um die Röslers und Dobrindts in der Koalition ruhigzustellen – jedenfalls solange dieser Preis einigermaßen kalkulierbar bleibt. Das Hauptrisiko einer solchen Strategie besteht jedoch in der Ansteckungsgefahr für Länder wie Italien, Spanien und Portugal: Wie erfolgreich sich ein Staat aus der Schuldenkrise befreien kann, ist, siehe oben, nicht zuletzt von kollektiven Erwartungen abhängig, und wenn die EU mit Griechenland einmal ein Land hat fallen lassen, werden die Investoren natürlich fürchten, dass sie das gegebenenfalls auch ein zweites Mal täte. Die Folgen einer massiven Kapitalflucht aus Italien oder Spanien aber wären unkalkulierbar. Selbst wenn Merkel dazu bereit ist, die Kosten eines griechischen Austritts aus der Währungsunion auf sich zu nehmen, wird sie diejenigen eines Staatsbankrotts dieser beiden Länder kaum schultern wollen. Entsprechend hat die Grexit-Arbeitsgruppe im deutschen Finanzministerium vor allem die Aufgabe, zu „überlegen, wie sich ein Dominoeffekt auf die anderen Euro-Staaten verhindern lässt“.

Ob Griechenland gerettet wird oder nicht, hängt davon ab, wie deutsche Beamte die wirtschaftliche Lage in Italien einschätzen. Kein Wunder, dass die Troika sich erst einmal noch etwas mehr Zeit ausbedungen hat.

Bild: By ChickenFalls (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons.

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