14 Februar 2017

Wer wird Spitzenkandidat zur Europawahl 2019?

Jean-Claude Juncker hat für 2019 seinen Abschied angekündigt. Wer wird ihm nachfolgen?
Bis die nächste Europawahl stattfindet, dauert es noch fast zweieinhalb Jahre – eine sehr lange Zeit in der Politik, umso mehr, wenn eine Krise die nächste jagt. Eine Gewissheit aber gibt es schon jetzt: Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (CSV/EVP) wird 2019 nicht mehr dabei sein. In einem Interview im Deutschlandfunk erklärte er am Sonntag, er werde nicht noch einmal zu einem europäischen Wahlkampf antreten. Die Europäische Volkspartei, für die Juncker 2014 gewählt wurde, wird sich also nicht damit begnügen können, ihn für eine zweite Amtszeit vorzuschlagen, sondern muss für die nächste Europawahl nach einem neuen Kandidaten suchen.

Aus diesem Anlass soll hier heute ein wenig Spekulation erlaubt sein: Mit welchen Spitzenkandidaten könnten die europäischen Parteien 2019 zur Europawahl antreten? (Denn dass es wieder Spitzenkandidaten geben wird, davon können wir – bei allem Grummeln der nationalen Regierungen – wohl ausgehen.)

EVP: Manfred Weber

Die besten Aussichten, auch nach 2019 den Kommissionspräsidenten zu stellen, hat derzeit die Europäische Volkspartei. Auch wenn ihr Vorsprung vor den Sozialdemokraten in den letzten Jahren geschrumpft ist, würden die Christdemokraten nach den jüngsten Umfragen noch immer die stärkste Fraktion im Europäischen Parlament stellen – und erst recht, wenn Großbritannien bei der nächsten Wahl nicht mehr dabei sein sollte.

Manfred Weber.
Wer aber könnte für sie ins Rennen um die Kommissionspräsidentschaft gehen? Ein plausibler Kandidat wäre ohne Zweifel Manfred Weber (CSU/EVP). Als amtierender Fraktionsvorsitzender der EVP im Europäischen Parlament verfügt er nicht nur über ein europaweites Netzwerk. Bei der umkämpften Wahl des Parlamentspräsidenten vor einigen Wochen zeigte Weber auch sein politisches Geschick, als er durch ein Bündnis mit der liberalen ALDE-Fraktion dem EVP-Kandidaten Antonio Tajani den Sieg sicherte.

Darüber hinaus steht Weber der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU/EVP) nahe, die 2014 zu den wichtigsten Skeptikern gegenüber dem Spitzenkandidaten-Verfahren zähle. Sollte Merkel 2019 noch im Amt sein und sich dann hinter Weber stellen, könnte ihm das sowohl EVP-intern als auch später im Europäischen Rat einige Wege ebnen. Und schließlich scheint Weber auch an seinem öffentlichen Bild zu arbeiten: Im vergangenen Herbst machte er sich die populäre Idee zu eigen, jungen Menschen europaweit kostenlose Interrail-Tickets zu schenken.

EVP: Jyrki Katainen, Dalia Grybauskaitė, Michel Barnier

Jyrki Katainen.
Manches spricht also dafür, dass Weber gute Chancen hätte, wenn er sich 2019 um den Posten des Spitzenkandidaten bemüht. Aber natürlich dürften daran auch noch andere interessiert sein: Der damalige finnische Ministerpräsident Jyrki Katainen (Kok./EVP) beispielsweise wäre schon 2014 gerne Kommissionschef geworden. Allerdings spekulierte er damals darauf, dass das Spitzenkandidaten-Verfahren am Europäischen Rat scheitern würde, und hielt sich als Kompromisslösung bereit. Als sich Juncker dann doch durchsetzte, blieb Katainen nur das Amt des Kommissions-Vizepräsidenten für Wirtschaft. Aus diesem Fehler könnte er gelernt haben – und 2019 gleich die Spitzenkandidatur anstreben.

Dalia Grybauskaitė.
Um die Skepsis einiger nationaler EVP-Regierungschefs gegenüber dem Spitzenkandidaten-Verfahren zu überwinden, könnte die Partei sich aber auch entscheiden, einen amtierenden nationalen Staats- oder Regierungschef als Spitzenkandidaten ins Rennen zu schicken. Allerdings könnten viele von diesen auch lieber an ihrem nationalen Amt festhalten als sich in einen unsicheren Wahlkampf auf europäischer Ebene zu begeben. Eine Ausnahme bildet die parteilose, der EVP nahestehende litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaitė: Deren nationale Amtszeit endet genau gleichzeitig mit der Europawahl 2019. Die EVP-Spitzenkandidatur könnte für sie die Krönung der politischen Karriere sein.

Michel Barnier.
In Frage käme schließlich auch Michel Barnier (LR/EVP), der sich bereits 2014 um die EVP-Spitzenkandidatur bewarb, bei einer Kampfabstimmung auf dem Nominierungsparteitag jedoch gegen Juncker verlor. Heute ist Barnier Chefunterhändler der EU-Kommission für die Brexit-Verhandlungen – ein profiliertes Amt, das ihm bei einem erfolgreichen Verlauf der Gespräche neue Sichtbarkeit verschaffen könnte.

SPE: Frans Timmermans

Außer der EVP hat nur eine Partei realistische Chancen, bei der Europawahl 2019 die stärkste Kraft zu werden und den Kommissionspräsidenten zu stellen: die Sozialdemokratische Partei Europas. 2014 hatte diese für die Ernennung ihres Spitzenkandidaten ein komplexes Vorwahl-System entwickelt, das dann aber nicht zum Tragen kam, weil es außer Martin Schulz (SPD/SPE) keinen weiteren Bewerber gab. 2019 könnte das anders sein. Denn in der SPE gibt es inzwischen einen unterschwelligen Richtungs- und Strategiekonflikt, der sich auch auf die Kandidatensuche auswirken könnte.

Frans Timmermans.
Ein naheliegender Bewerber wäre hier Frans Timmermans (PvdA/SPE). Der amtierende Erste Vizepräsident der Kommission machte schon 2014 starken Eindruck, als er bei seiner Anhörung im Europäischen Parlament fließend in fünf verschiedenen Sprachen antwortete. Als Junckers rechte Hand brächte er mehr einschlägige Erfahrung als irgendein anderer Kandidat für das Amt mit. Mit seiner Agenda für eine „bessere Rechtsetzung“ kann Timmermans auch bei gemäßigten Europaskeptikern punkten, die die Bürokratie für das Hauptproblem der EU halten. Und er steht für eine reibungslose Zusammenarbeit mit der EVP im Rahmen der informellen Großen Koalition, durch die der größte Teil der EU-Rechtsakte zustande kommt.

SPE: Gianni Pittella

Gianni Pittella.
Doch genau das könnte für Timmermans auch zum Problem werden, denn die Große Koalition genießt bei den europäischen Sozialdemokraten inzwischen nicht mehr allzu große Beliebtheit. Vielmehr ist die SPE seit Beginn der Eurokrise nach links gerückt und versucht durch Kritik an der Sparpolitik der EVP ihren Ruf als Partei der sozialen Gerechtigkeit zurückzugewinnen. Der wichtigste Wortführer dieser Polarisierungsstrategie ist der derzeitige Fraktionschef Gianni Pittella (PD/SPE), der im Dezember durch die öffentliche Aufkündigung der Großen Koalition auf sich aufmerksam machte. Falls es Pittella gelingt, diese Strategie bis zur Europawahl durchzuhalten, könnte er sich damit als möglicher Spitzenkandidat profilieren.

Aber natürlich sind auch für die SPE zweieinhalb Jahre eine lange Zeit, und es wird sich zeigen, wie sich der latente Richtungsstreit bis dahin weiterentwickelt. Zudem finden bis dahin auch noch einige nationale Wahlen statt, die das europäische Personaltableau beeinflussen könnten. Vor allem in Frankreich und Italien steht für die Sozialdemokraten viel auf dem Spiel, und es ist nicht auszuschließen, dass auch der ein oder andere amtierende oder ehemalige nationale Regierungschef sich bis 2019 noch der Europapolitik zuwendet.

ALDE: Guy Verhofstadt

Für die liberale ALDE ist die Ernennung eines Spitzenkandidaten eher eine symbolische Frage: Trotz der Zuwächse in ihren Umfragewerten in den letzten Jahren ist es kaum wahrscheinlich, dass ihr Kandidat tatsächlich eine Chance auf das Amt des Kommissionspräsidenten hat. Dennoch gab es vor der Europawahl 2014 ein veritables parteiinternes Tauziehen um den Posten. Dahinter steckte auch hier letztlich ein parteiinterner Richtungskonflikt: Während ein Teil der Liberalen sich als Speerspitze für eine Demokratisierung und Föderalisierung der EU versteht, betont ein anderer Teil die Idee der „nationalen Eigenverantwortung“ und stemmt sich gegen allzu viel transnationale Solidarität.

Guy Verhofstadt.
2014 wurden diese beiden parteiinternen Lager durch den Fraktionschef Guy Verhofstadt (Open-VLD/ALDE) und den damaligen Währungskommissar Olli Rehn (Kesk./ALDE) repräsentiert, wobei sich Verhofstadt letztlich durchsetzte. Dank leidenschaftlicher Wortwechsel etwa mit dem britischen Europaskeptiker Nigel Farage (UKIP/ADDE) oder dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras (Syriza/EL) wurde der liberale Fraktionsvorsitzende inzwischen zu einem der bekanntesten Politiker im Europäischen Parlament. Es ist deshalb durchaus wahrscheinlich, dass er auch 2019 noch einmal die Spitzenkandidatur anstreben wird.

ALDE: Sylvie Goulard, Margrethe Vestager, Andrus Ansip

Mit seiner exponierten Rolle hat sich Verhofstadt (der neben seinem Amt als Fraktionschef auch Berichterstatter für die Vorschläge des Parlaments zur EU-Vertragsreform sowie Beauftragter für die Brexit-Verhandlungen ist) allerdings nicht nur Freunde gemacht. Insbesondere sein Versuch, das nationalpopulistische Movimento Cinque Stelle (M5S/–) zum Übertritt in die ALDE-Fraktion zu bewegen, wurde zu einem persönlichen Debakel.

Sylvie Goulard.
Es könnte deshalb sein, dass Verhofstadt sogar innerhalb des föderalistischen Lagers Konkurrenz erwächst – etwa durch die Europaabgeordnete Sylvie Goulard. Deren nationale Partei, das französische MoDem, gehört zwar nicht der ALDE, sondern der Europäischen Demokratischen Partei an; doch ALDE und EDP bilden im Europäischen Parlament eine Fraktionsgemeinschaft, und die Unterstützung der EDP für Verhofstadt war 2014 mitentscheidend für dessen Sieg gegen Rehn. Ein wichtiger Faktor für Goulard könnte zudem ihre Nähe zu Emmanuel Macron werden, dem derzeitigen Überraschungsfavoriten für die französische Präsidentschaftswahl im Juni.

Margrethe Vestager.
Aber auch im nicht-föderalistischen Teil der ALDE dürfte wieder der ein oder andere Bewerber auf die Spitzenkandidaten-Position blicken. Ein Interesse wird etwa der linksliberalen Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager (RV/ALDE) nachgesagt, die in den letzten Jahren unter anderem durch ihr hartes Vorgehen gegen Großkonzerne wie Google, Gazprom oder Daimler einige Popularität gewonnen hat. Auch Andrus Ansip (RE/ALDE), früherer estnischer Premierminister und heute Vizepräsident der Kommission mit Zuständigkeit für den digitalen Binnenmarkt, ist in einer guten Ausgangsposition, falls er eine Kandidatur anstrebt.

EGP: Ska Keller, Philippe Lamberts, Ulrike Lunacek

Ska Keller.
Die Europäische Grüne Partei hatte 2014 von allen Parteien das aufwendigste Verfahren zur Wahl ihrer Spitzenkandidaten. In einer europaweiten Online-Vorwahl setzten sich Ska Keller (Grüne/EGP) und José Bové (EELV/EGP) gegen zwei weitere Bewerberinnen durch. Gleichzeitig waren die Grünen aber auch die Partei, die später am rücksichtslosesten mit ihren Spitzenkandidaten umging: Nach der Wahl erhielten zunächst weder Keller noch Bové ein bedeutendes Amt in der Fraktion. Erst vor wenigen Wochen – zur Halbzeit der Wahlperiode – wurde Keller doch noch Fraktionsvorsitzende und teilt sich dieses Amt nun mit Philippe Lamberts (Ecolo/EGP).

Ulrike Lunacek.
Ska Keller und Philippe Lamberts sind deshalb auch naheliegende Anwärter für die nächste grüne Spitzenkandidatur, mit der sie ihre Position an der Spitze der Fraktion weiter festigen könnten. Aber noch eine weitere Bewerberin steht bereits fest: Ulrike Lunacek (Grüne/EGP), derzeit Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, ist bislang die Einzige, die explizit erklärt hat, dass sie 2019 Spitzenkandidatin werden will, offiziell mit dem Ziel, nach der Europawahl Parlamentspräsidentin zu werden. Mit ihrer frühen Kandidatur-Erklärung erhöht Lunacek auch den Druck auf ihre eigene nationale Partei, die österreichischen Grünen: Die hatten sich 2014 noch der Teilnahme an der Online-Vorwahl verweigert.

EL: Jean-Luc Mélenchon, Pablo Iglesias, Gregor Gysi

Pablo Iglesias.
Und die Europäische Linke? Die ging 2014 mit Alexis Tsipras (Syriza/EL) als Spitzenmann in den Europawahlkampf. Allerdings kandidierte Tsipras überhaupt nicht für das Europäische Parlament und machte schon vor der Wahl keinen Hehl daraus, dass seine eigentliche Ambition auf nationaler Ebene lag – ein halbes Jahr später wurde er zum griechischen Ministerpräsidenten gewählt. Seine Rolle als europäischer Spitzenkandidat beschränkte sich darauf, als prominente Symbolfigur Aufmerksamkeit für die linken Positionen zu erzeugen.

Sollte die EL 2019 eine ähnliche Strategie verfolgen, könnten andere grenzüberschreitend bekannte Linke zum Zuge kommen: etwa der Franzose Jean-Luc Mélenchon (PG/EL) oder der Spanier Pablo Iglesias, dessen nationale Partei Podemos allerdings kein Mitglied der Europäischen Linken ist. Ein denkbarer Kandidat wäre schließlich auch Gregor Gysi (Linke/EL), der Ende 2016 Parteichef der Europäischen Linken wurde. Allerdings wird Gysi 2019 bereits 71 Jahre alt sein.

Die Senne, die durch Brüssel fließt, ist nur ein kleines Flüsschen – und trotzdem wird bis zur Europawahl 2019 noch einiges Wasser in ihr herunterfließen. Wie viele von den hier genannten Politikern dann tatsächlich an der Spitze ihrer Parteien stehen, wird die Zeit zeigen. Auf jeden Fall aber lohnt es sich, sie im Auge zu behalten. Denn die Dynamiken, die die Personalauswahl der europäischen Parteien bestimmen, prägen letztlich auch die europäische Politik.

Bilder: European Union 2014 - European Parliament [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr (Juncker); European Union 2014 - European Parliament [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr (Weber); European People's Party [CC BY 2.0], via Flickr (Katainen); Tomas Piliponis [CC BY 2.0], via Flickr (Grybauskaitė); European Patent Office [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr (Barnier); European Union 2015 - European Parliament [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr (Timmermans); European Union 2014 - European Parliament [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr (Pittella); European Union 2012 - European Parliament [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr (Verhofstadt); European Union 2016 - European Parliament [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr (Goulard); Kim Vadskaer [CC BY-NC 2.0], via Flickr (Vestager); www.stephan-roehl.de [CC BY-SA 2.0], via Flickr (Keller); Franz Johann Morgenbesser [CC BY-SA 2.0], via Flickr (Lunacek); GUE/NGL [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr (Iglesias).

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