- Schon klar: Beppe Grillo mag den Euro nicht. Aber für die Europapolitik der neuen italienischen Regierung steht das nicht im Mittelpunkt.
Als
der Sprecher der Europäischen Kommission, Margaritis Schinas, das
Ergebnis der italienischen
Parlamentswahl am 4. März kommentieren sollte, war er erkennbar
um eine positive Grundhaltung bemüht. Allzu viel Optimistisches fiel
ihm jedoch nicht ein. „Wir
mögen Wahlen“, erklärte er schließlich. „Wir mögen die
Demokratie.“ Und tatsächlich: Dass bei der Wahl alles mit
demokratisch rechten Dingen zugegangen war, schien schon das Beste zu
sein, was sich aus europäischer Sicht darüber sagen ließ.
Immerhin
hatte gerade die Regierung des Sozialdemokraten Paolo Gentiloni
(PD/SPE) krachend ihre Mehrheit verloren – eine Regierung, die in
den letzten Jahren (trotz der ein oder anderen haushaltspolitischen
Reiberei mit der Kommission) regelmäßig zu der
integrationsfreundlichen Avantgarde im Europäischen Rat gezählt
hatte. Gentilonis Vor-Vorgänger Enrico Letta (PD/SPE) hatte 2013
sogar noch öffentlich das
„Recht, von den Vereinigten Staaten Europas zu träumen“
eingefordert. Und auch später hatte sich das Nettozahler-Land
Italien in allen Schlüsselfragen auf der proeuropäischen Seite
positioniert, ob es nun um das Spitzenkandidaten-Verfahren zur
Europawahl, um gesamteuropäische Wahllisten, den Aufbau einer
europäischen Armee, die Einführung eines EU-Finanzministers oder
eine europäische Arbeitslosenversicherung ging.
Koalition
zwischen Populisten und Rechtsextremen
Die
Wahlsieger am 4. März waren hingegen zwei Parteien, deren Haltung
gegenüber der Europäischen Union traditionell skeptisch bis
feindlich war: Das populistische Movimento Cinque Stelle
(„Fünf-Sterne-Bewegung“, M5S/–), einst von dem Komiker Beppe
Grillo gegründet und jetzt von Luigi Di Maio angeführt, das im
Europäischen Parlament eine gemeinsame Fraktion mit der britischen
UKIP bildet, wurde mit 32,7 Prozent der Stimmen stärkste Kraft. Und
die rechtsextreme Lega (L/BENF) um Matteo Salvini, einer der
wichtigsten Verbündeten des französischen Front National und der
österreichischen FPÖ, erzielte von allen Parteien die größten
Zugewinne und übertraf mit 17,3 Prozent deutlich die andere Partei
des Mitte-Rechts-Lagers, Silvio Berlusconis Forza Italia (FI/EVP).
Dabei
war es aus europäischer Sicht kaum ein Trost, dass das M5S und die
Rechtsparteien zuvor kaum ein gutes Haar aneinander gelassen hatten.
Tatsächlich kam es zu komplizierten Sondierungsgesprächen, in deren
Verlauf das M5S mal der Lega, mal dem PD Avancen machte, jede
mögliche Koalitionskombination zu irgendeinem Zeitpunkt für
unmöglich erklärt wurde und vorübergehend Neuwahlen als das
wahrscheinlichste Szenario erschienen. Letztlich aber fanden die
beiden Wahlsieger doch noch zueinander: Am vergangenen Freitag
präsentierten Di Maio und Salvini einen Koalitionsvertrag (Wortlaut)
– ein Novum in der italienischen Politik. Sofern ihm die Basis
beider Parteien an diesem Wochenende in Mitgliederentscheiden
zustimmt, soll er die Grundlage für eine gemeinsame Regierung in den
nächsten fünf Jahren werden.
Alarmismus
in der EU
Im
Rest der Europäischen Union sorgt diese Koalition für einige
Aufregung. Der britische Journalist Andrew Neil, ein bekannter
Brexit-Befürworter, verkündete mit erkennbarer Genugtuung die
Bildung
der „ersten populistischen, europaskeptischen Regierung der EU“. Der Chefvolkswirt der
deutschen Wirtschaftswoche erklärte,
die neue italienische Regierung könnte
„den Euro killen“. Und
auch ein
Leitartikel in Le
Monde sprach von einer
„tödlichen
Herausforderung für Europa“.
Auf
den ersten Blick scheint es für diesen Alarmismus gute Gründe zu
geben: Immerhin haben beide
neuen Regierungsparteien in
der Vergangenheit ein
Referendum über den Austritt Italiens aus der europäischen
Währungsunion gefordert.
Aber welche
europapolitischen Positionen beinhaltet
der Koalitionsvertrag
zwischen ihnen
genau? Welche
Dynamik ist zwischen M5S und Lega zu erwarten? Und wie
wahrscheinlich ist es, dass es wirklich zum großen Krach
mit Brüssel kommt?
Unterschiede
zwischen den neuen Partnern
Sieht
man etwas genauer hin, so
zeigen sich
zwischen den beiden neuen Regierungsparteien einige
deutliche Unterschiede. Dies
beginnt schon mit der Zusammensetzung
ihrer Wählerschaft: Das M5S wurde vor allem von jüngeren
Menschen sowie von Arbeitslosen, Studierenden und prekär
Beschäftigten gewählt, für die vor allem wirtschaftspolitische
Fragen im Vordergrund stehen. Ihr
wichtigstes
Wahlversprechen war deshalb
der reddito di
cittadinanza („Bürgereinkommen“)
– eine am deutschen
Hartz-IV-Modell orientierte Grundsicherung
für Arbeitssuchende ohne Vermögen, die für
Italien, wo es bis vor kurzem überhaupt keine Leistungen für
Langzeitarbeitslose gab, ein weitreichender sozialpolitischer Schritt
wäre.
Die
Lega hingegen ist historisch
aus der norditalienischen Separatismus-Bewegung entstanden,
die vor allem Finanztransfers
aus dem wohlhabenden Nord- ins arme Süditalien ablehnte. Seitdem
Matteo Salvini 2013 die Parteiführung übernahm, entwickelte sie
sich in Richtung einer typischen europäischen Rechtspartei. Gewählt
wird sie vor allem von
Menschen mit eher niedrigem Bildungsstand, die Sicherheit und Einwanderung als
wichtigste politische Themen
ansehen. Etwas vereinfacht
ausgedrückt,
hat das M5S seinen Aufstieg
in den letzten Jahren der
Eurokrise, die Lega hingegen
der Flüchtlingskrise zu verdanken.
Schlingerkurs des M5S
Aber
auch europapolitisch liegen
die beiden Parteien
keineswegs auf
einer klaren gemeinsamen Linie. Während
die
nationalistisch-europafeindliche
Haltung der
Lega recht große
Ähnlichkeiten mit anderen
Rechtsparteien wie FN und FPÖ aufweist,
verfolgte das
M5S einen europapolitischen
Schlingerkurs: Auf
der einen Seite vertrat Parteigründer
Beppe Grillo nationalpopulistische
Positionen und
pries den
Austritt aus der Währungsunion während
der Eurokrise als
Ausweg aus der ungeliebten
Austeritätspolitik an.
Auf der anderen Seite
bezeichnete Luigi
Di Maio die Europäische
Union im Wahlkampf als
das „natürliche Zuhause für Italien und das M5S“
und forderte
als Lösung für die europäischen Probleme demokratischere
Institutionen und mehr
Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten –
also mehr, nicht
weniger Integration.
Dieser
Kurswechsel unter Di Maio zeigte sich auch in der Ankündigung, nach
der nächsten Europawahl die europaskeptische EFDD-Fraktion zu
verlassen. Sogar
an einer Zusammenarbeit mit der Partei des französischen
Staatspräsidenten Emmanuel Macron (LREM/–) soll
das M5S interessiert sein. Ob
sich diese neue
Linie in der Partei dauerhaft durchsetzen wird, ist aber noch unklar:
Während Di Maio in
den Koalitionsgesprächen auf europafreundliche Positionen drängte,
erklärte Parteigründer
Beppe Grillo, dass er selbst
jedenfalls weiter
an der Idee eines Referendums über den italienischen Euro-Austritt
festhalte.
Europaskeptische
Signale
Und
im Koalitionsvertrag? In
einem Anfang
der Woche bekannt gewordenen Zwischenstand der Verhandlungen zwischen
M5S und Lega fanden sich
tatsächlich noch eine ganze Reihe an europaskeptischen Signalen.
Besonders auffällig war die Ankündigung, sich für eine
EU-Vertragsreform einzusetzen, die in Zukunft den Austritt einzelner
Länder aus der Eurozone ermöglicht hätte. Aber auch die Forderung
nach einem Erlass der von der Europäischen Zentralbank gehaltenen
italienischen Staatsschulden versprach heftigen Streit mit anderen
Mitgliedstaaten.
Schon
in dieser Zwischenversion des Koalitionsvertrags war allerdings
bemerkenswert, dass M5S und
Lega in der Europapolitik nur Vorschläge in den Blick nahmen,
gegen die jede der anderen
Regierungen einfach ein Veto hätte einlegen können. Es
ging jeweils nur um Forderungen an andere Akteure oder um Wünsche
nach einer Neuverhandlung der Verträge – einseitige
Maßnahmen, die die italienische Regierung allein hätte umsetzen
können, waren kaum dabei. Schon dies deutete an, dass M5S und Lega
ihre Europaskepsis eher auf der symbolischen als auf der praktischen
Ebene ausleben wollen.
Einige explizit
europafreundliche Positionen
Zudem betonten die Verhandlungsführer sofort nach Bekanntwerden
dieses Zwischenstands, dass es zu
diesen Punkten noch einige Änderungen geben werde. Und
tatsächlich wurde die europaskeptische Symbolik in der Endversion
des Koalitionsvertrags weitgehend gestrichen; von einem möglichen Euro-Austritt ist dort nun keine Rede mehr. Stattdessen finden sich sogar einige explizit europafreundliche Positionen – etwa
zur Stärkung des Europäischen Parlaments oder der
Unionsbürgerschaft.
Andere Forderungen dürften zwar zu Konflikten führen, sind jedoch
kaum als Angriffe auf die europäische Integration an sich zu deuten.
So wollen M5S und Lega die EU-Wirtschaftspolitik weniger marktliberal
und stärker sozialpolitisch ausrichten und erreichen, dass
(entsprechend der „goldenen
Regel“ der Finanzpolitik) Investitionen bei der Berechnung des
Haushaltsdefizits nicht mehr berücksichtigt werden. In anderen
Bereichen, etwa beim Einsatz für eine europaweite Umverteilung von
Asylbewerbern, steht die neue Regierung ganz in Kontinuität zu der
alten. Und auch dass M5S und Lega eine sofortige Aufhebung der
Sanktionen gegen Russland anstreben, zeugt zwar einerseits von der
Nähe Grillos und Salvinis zu Vladimir Putin, ist aber
andererseits nur eine graduelle Veränderung gegenüber der Position der bisherigen Regierung, die die Russland-Sanktionen ebenfalls mit Skepsis sah.
Angriff auf den Vorrang des Europarechts
Einige andere Formulierungen im Koalitionsvertrag sind hingegen schwerlich mit dem Europarecht in Einklang zu bringen – etwa die Idee, den Besuch von Kindertagesstätten „für italienische Familien“ kostenfrei zu machen. Allerdings kennt man solche Ankündigungen, die auf eine illegale Bevorzugung der eigenen Staatsangehörigen gegenüber Bürgern anderer EU-Staaten hinauslaufen würden, auch aus der Politik anderer Länder. Und da kein Zweifel darüber bestehen kann, wie die Gerichte eine solche Maßnahmen bewerten würden, werden wohl spätestens die Juristen des zuständigen Ministeriums darauf achten, dass der entsprechende Gesetzesentwurf letztlich doch auch die übrigen Unionsbürger umfasst.
Der
größte im Koalitionsvertrag enthaltene Angriff auf Prinzipien der
europäischen Integration schließlich ist eine Erklärung,
dass die italienische Verfassung Vorrang gegenüber dem Europarecht
besitzen müsse. M5S und
Lega beziehen damit Position in einem schwelenden Konflikt, den ich
auf diesem Blog vor einem Jahr als
eine der größten Gefahren für einen schleichenden Verfall der EU
beschrieben habe.
Ausgetragen
wird dieser Konflikt allerdings vor allem zwischen dem Europäischen
Gerichtshof und den nationalen Verfassungsgerichten (wobei vor allem
das
deutsche Verfassungsgericht immer wieder eine zentrale Rolle gespielt
hat – was M5S und Lega zu der Formulierung bringt, sie wollten
sich in dieser Frage für das „deutsche Modell“ einsetzen). Der
Einfluss der nationalen Regierungen auf die Auseinandersetzung ist
begrenzt. Auch hier handelt es sich also eher um einen symbolischen
Wink, weniger um eine Absichtserklärung
von praktischer Relevanz.
Konflikte
über Haushalts- und Asylpolitik sind wahrscheinlich
Wird
also alles gut? Festzuhalten ist, dass die neuen italienischen
Regierungsparteien derzeit offenbar nicht gezielt den Konflikt mit
Brüssel suchen. Dies liegt zum einen daran, dass ein Teil des M5S
offen europafreundliche Positionen vertritt. Zum anderen fürchten
beide Parteien wohl, dass eine lange
Auseinandersetzung mit der Kommission
letztlich nur
von ihren
übrigen Zielen (wie
dem reddito di cittadinanza im
Fall des M5S oder einer härteren Asyl- und Innenpolitik im Fall der
Lega) ablenken würde.
Trotzdem
sind Konflikte zwischen der italienischen Regierung und der EU in den
nächsten Jahren natürlich möglich, sogar wahrscheinlich. Ein
naheliegendes Streitfeld ist
die Haushaltspolitik: Die von M5S und Lega geplante Erhöhung der
Sozialausgaben bei gleichzeitiger Steuersenkung würde das nationale
Budgetdefizit in die Höhe treiben und gegen den Stabilitäts- und
Wachstumspakt verstoßen. Und
auch in der Asylpolitik
könnte es Ärger geben, da
die Lega bei ihrem Versuch, die Flüchtlingszahlen in Italien zu
senken, nicht unbedingt Rücksicht auf die europarechtlich
garantierten Rechte für Asylbewerber nehmen will.
„Normalisierung“
eines einst sehr europafreundlichen Landes
Zudem
sind M5S und Lega als Parteien natürlich grundsätzlich unsichere
Partner: Beide entstanden als Protestbewegungen und
Anti-System-Parteien, die sich stärker über ihre Ablehnung der
bestehenden Verhältnisse als durch eine klare nationale oder
europapolitische Agenda definierten. Die im Kern
souveränistisch-identitäre und fremdenfeindliche Weltanschauung der Lega steht in offenem Widerspruch zur Grundidee der europäischen
Integration, und im M5S ist die parteiinterne Auseinandersetzung
zwischen populistischen Scharfmachern und regierungswilligen
Gestaltern bis heute offen. Für eine Entwarnung wäre es deshalb zu früh.
Doch
wenn der jüngst unterzeichnete Koalitionsvertrag ein Indikator für
die künftige Regierungspolitik ist, so wird Italien wohl nicht zum
neuen Hauptproblem
der EU. Wenigstens
auf dem Papier vertreten
M5S und Lega gegenüber der
supranationalen Integration
eine weitaus konstruktivere Grundhaltung als etwa die Regierungen von
Ungarn oder Polen. Sorge
bereiten muss eher die im
europaweiten Vergleich schlechte
wirtschaftliche Lage Italiens – und
die europapolitische
„Normalisierung“
eines Landes, das sich in der Vergangenheit meistens durch eine
besonders fortschrittliche und
integrationsfreundliche
Haltung zur EU auszeichnete
und dessen neue Regierung nun andere, nationale
Prioritäten setzt.
Bild: By Niccolò Caranti [CC BY-SA 3.0], from Wikimedia Commons.
Hallo Herr Müller,
AntwortenLöschendas ist der erste Artikel, den ich lese, in dem das Thema mal etwas differenzierter betrachtet wird. Ansonsten herrscht überall Alarmstimmung und es wird von einer Anti-EU-Regierung gesprochen. Bisher wollen sie sich vor allem vom Spardiktat befreien. Portugal hat das nach den letzten Wahlen auch getan und scheinbar sind sie ganz erfolgreich unterwegs. Und bei der Staatsschuldenquote von 131% könnte man nun anführen, dass Japan aktuell 236 hat. Und wenn doch alles ganz anders kommt, bleibt immer noch die Gewissheit, dass eine italienische Regierung im Schnitt 1,76 Jahre durchhält, dann gibt es Neuwahlen. Herr Trump macht mir da mehr Sorgen. Der scheint tatsächlich seine vier Jahre durchzuhalten.
Viele Grüße,
Joachim