23 Mai 2019

Am Sonntagabend wissen wir mehr: Offene Fragen zur Europawahl 2019

Die Europawahl 2019 hat begonnen.
Das Warten hat ein Ende: Am heutigen Donnerstag beginnt die Europawahl – zunächst in Großbritannien und den Niederlanden, bis zum Sonntag dann auch in allen anderen EU-Mitgliedstaaten. In den letzten Wochen sind in diesem Blog bereits einige Artikel erschienen, was bei der Wahl zu erwarten ist: Hier gibt es die letzte Sitzprojektion, eine Roadmap mit den wichtigsten Ereignissen der kommenden Wochen sowie verschiedene Szenarien, wie sich das Rennen um die Kommissionspräsidentschaft nach der Wahl entfalten könnte.

Doch sollte man sich von solchen Prognosen nicht zu dem Eindruck verleiten lassen, dass der Ausgang dieser Europawahl eigentlich schon feststünde. In Wirklichkeit sind noch viele Fragen offen, auf die es teils am Wahlabend, teils auch erst in den Tagen und Wochen danach Antworten geben wird. Hier soll es deshalb darum gehen, wo die wichtigsten Ungewissheiten dieses Wahlgangs liegen und worauf es sich in den nächsten Tagen zu achten lohnt.

Liegen die Umfragen richtig?

Die erste, offensichtliche Unsicherheit ist natürlich die Fehleranfälligkeit von Wahlumfragen. Für das Gesamtergebnis ist diese umso relevanter, je größer der betreffende Mitgliedstaat ist: In kleinen Ländern, in denen insgesamt nur wenige Sitze vergeben werden, müssen Abweichungen größer sein, um sich auf die Sitzverteilung auszuwirken. Überraschungen am Wahlabend könnte es deshalb vor allem in einigen größeren Mitgliedstaaten geben, in denen die Umfragen zuletzt sehr volatil oder unzuverlässig waren:

  • Besonders groß ist die Unsicherheit dabei im Vereinigten Königreich, wo sich die Umfragewerte der Parteien während des Wahlkampfs schnell entwickelten und stark schwankten. Wie hoch der erwartete Sieg der neu gegründeten Brexit Party wirklich ausfällt, wie tief die regierenden Conservatives (AKRE), aber auch die Labour Party (SPE) abstürzen und welche der proeuropäischen Parteien (LibDem/ALDE, Greens/EGP, SNP/EFA sowie die neu gegründete ChUK) wie stark dazugewinnen, wird sich erst am Wahlabend zeigen.
  • Ebenfalls unklar ist der Ausgang in Polen, wo sich die Werte der Parteien je nach Umfrageinstitut stark unterscheiden. In der letzten Woche sagte eine Umfrage der regierenden PiS (EKR) einen Vorsprung von 15 Prozentpunkten voraus, während eine andere das Oppositionsbündnis KE (PO/EVP, SLD/SPE, PSL/EVP u.a.) um 10 Prozentpunkte vorn sah
  • In Italien schwanken die Werte weniger stark, doch bei den letzten Wahlen (den nationalen Wahlen 2013 und 2018 und der Europawahl 2014) wichen die Ergebnisse regelmäßig weit von den Prognosen ab. Ob die Umfrageinstitute diesmal besser treffen, wird erst der Wahlabend zeigen.
  • In Deutschland schließlich können aufgrund der fehlenden Sperrklausel Kleinstparteien schon mit wenig mehr als einem halben Prozent der Stimmen einen Sitz gewinnen; die meisten Umfrageinstitute weisen Werte in dieser Größenordnung jedoch nicht einzeln aus. Welche und wie viele Kleinstparteien ins Parlament einziehen könnten, ist deshalb ungewiss.

Welche Parteien überwinden die Sperrklausel?

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor sind nationale Sperrklauseln: Die Europawahl findet bis heute nach Mitgliedstaaten getrennt statt; jedes Land hat sein eigenes Sitzkontingent und gegebenenfalls auch seine eigene Sperrklausel, die mal bei 3, mal bei 4 oder 5 Prozent liegt. Ob eine Partei knapp über oder knapp unter der Hürde liegt, kann deshalb mit einem Schlag über mehrere Sitze entscheiden – vor allem in großen Mitgliedstaaten wie Frankreich, Polen und Italien. Das wiederum hat Einfluss auf die Stärke der betreffenden Fraktionen im Europäischen Parlament.

Davon betroffen ist etwa der französische PS (SPE): In den Umfragen liegt er mal über, mal unter der Fünfprozenthürde, was für die europäischen Sozialdemokraten einen Unterschied von vier bis fünf Sitzen im Parlament ausmachen wird. In der nationalkonservativen EKR-Fraktion wird es für die Mitgliedsparteien aus Frankreich (DLF) und Italien (FdI) knapp; Erstere liegt in den meisten Umfragen knapp unter, Letztere knapp über der Hürde. Für die liberale ALDE haben die Mitgliedsparteien aus Italien (+E) und Ungarn (MM) nur Außenseiterchancen. Und in Polen gibt es mit Kʼ15 und Konfederacja gleich zwei rechtspopulistische Listen, deren Einzug ins Parlament ungewiss ist.

Wie sind die Fraktionen zugeschnitten?

Die Wahlumfragen sind jedoch nicht der einzige Unsicherheitsfaktor für die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments. Womöglich noch wichtiger werden die Entscheidungen einer Reihe von Parteien, die bis jetzt noch nicht öffentlich erklärt haben, welcher Fraktion sie sich nach der Wahl anschließen wollen. Diese Entscheidungen werden voraussichtlich auch am Wahlabend noch nicht fallen, ziemlich sicher aber in den Tagen und Wochen danach: Bis das Parlament sich am 2. Juli zu seiner konstituierenden Sitzung trifft, dürften alle Parteien ihre Fraktion gefunden haben.

Für den Zuschnitt der Fraktionen insgesamt sind dabei natürlich vor allem jene Parteien wichtig, die auf nationaler Ebene besonders viele Sitze gewinnen können. Unter diesen gibt es derzeit zwei, deren Zukunft besonders unklar ist: die ungarische Fidesz und das italienische M5S.

Verlässt die Fidesz die EVP?

Die Fidesz, die der Sitzprojektion zufolge mit 13 Sitzen rechnen kann, gehört bislang der christdemokratisch-konservativen EVP-Fraktion an. Diese nahm die Partei um Regierungschef Viktor Orbán über viele Jahre hinweg auch gegen den Vorwurf in Schutz, auf nationaler Ebene Demokratie und Rechtsstaat zu zerstören. In den letzten Monaten änderte sich dies jedoch: Die EVP ging zunehmend auf Distanz und beschloss im März 2019 die Suspendierung der Fidesz; umgekehrt sendet auch Orbán deutliche Signale für einen EVP-Austritt.

Sollte es dazu kommen, wären die Rechtsfraktionen EKR und ENF wohl beide sehr gern bereit, die Fidesz aufzunehmen, wobei Viktor Orbán zuletzt vor allem die Nähe zur ENF inszenierte. Allerdings achtete er dabei genau darauf, das Tischtuch mit der EVP nicht endgültig zu zerschneiden. Nach der Wahl könnte die Fidesz deshalb letztlich doch auch in der EVP verbleiben, falls sich beide Seiten davon einen Vorteil versprechen – was insbesondere dann der Fall sein könnte, wenn die EVP auf die Sitze der Fidesz angewiesen ist, um weiterhin stärkste Fraktion zu bleiben.

Schafft das M5S eine eigene Fraktion …

Das italienische Movimento Cinque Stelle (M5S), das 18 Abgeordnete erreichen könnte, gehörte bisher der heterogenen, nationalpopulistischen EFDD-Fraktion an. Diese jedoch wird es künftig nicht mehr in ihrer heutigen Form geben: Mehrere der aktuellen Mitglieder werden bei der Wahl nicht mehr ins Parlament einziehen; andere haben bereits den Wechsel in andere Fraktionen angekündigt. Das M5S strebt deshalb die Gründung einer neuen Fraktion an, wofür nach der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments mindestens 25 Abgeordnete aus sieben verschiedenen Mitgliedstaaten nötig sind. Von den Verbündeten, die das M5S bislang präsentiert hat, haben jedoch nur zwei (die polnische Kʼ15 und die kroatische ŽZ) Aussicht auf Sitze im Parlament.

Damit die neue Fraktion doch noch zustande kommt, müsste das M5S deshalb nach der Wahl weitere Partner dazugewinnen. In Frage kämen dafür etwa die britische Brexit Party (als De-facto-Nachfolgepartei der UKIP, die bislang der EFDD angehörte), die litauische TT (bisher ebenfalls EFDD), die lettische KPV (die, sofern sie einen Sitz gewinnt, erstmals ins Parlament einziehen würde), die rumänische ALDE (die bisher der liberalen ALDE-Fraktion angehörte, dort jedoch im April ausgeschlossen wurde) und die ungarische Jobbik (bisher fraktionslos). Hinzu könnten noch Überläufer anderer Parteien kommen – so wie 2014 die Französin Joëlle Bergeron, die auf der Liste des Front National (ENF) gewählt worden war, diesen aber schon kurz nach der Europawahl verließ und die Gründung der EFDD-Fraktion ermöglichte.

… oder schließt es sich einer bestehenden an?

Doch auch wenn die Bildung einer neuen Fraktion nicht ganz unmöglich ist, bleibt sie unwahrscheinlich und prekär. Sollte das M5S damit scheitern, könnte es sich einer der bestehenden anderen Fraktionen anschließen – wobei allerdings recht unklar ist, welcher. Ausgeschlossen dürfte ein Beitritt zu EVP, S&D und ENF sein, in denen bereits jeweils andere große italienische Parteien vertreten sind. Ein Beitritt zur liberalen ALDE-Fraktion scheiterte schon Anfang 2017. Eine gewisse programmatische Übereinstimmung gibt es zur Linksfraktion GUE/NGL, in der das M5S jedoch (ebenso wie in der grünen G/EFA-Fraktion) durch seine schiere Größe das interne Kräftegleichgewicht durcheinanderbringen würde. Es ist zweifelhaft, dass die Fraktion sich darauf einlassen würde.

Damit bliebe noch die nationalkonservative EKR-Fraktion um die polnische Regierungspartei PiS: Auch wenn das M5S mit dieser inhaltlich eher nicht auf einer gemeinsamen Linie liegt, könnte ein Beitritt im beiderseitigen Interesse sein, um jeweils an Sichtbarkeit und Einfluss zu gewinnen. Ob es dazu kommt oder ob das M5S doch fraktionslos bleibt, wird sich jedoch erst in den Wochen nach der Wahl zeigen.

Wer wechselt noch?

Neben Fidesz und M5S gibt es noch eine Reihe weiterer mittelgroßer Parteien, deren künftige Fraktionszugehörigkeit ebenfalls unklar ist.

  • Die größte von ihnen ist die britische Brexit Party um Nigel Farage (19 Sitze in der Projektion), die faktisch die Nachfolge der UKIP antritt. Wie bisher wird Farage das Europäische Parlament vor allem als Bühne nutzen wollen, wofür die Mitgliedschaft in einer Fraktion und das damit verbundene längere Rederecht im Plenum hilfreich sind. An einer konstruktiven Beteiligung an der Parlamentsarbeit dürfte er hingegen kaum interessiert sein. Entsprechend könnte eine Fortsetzung des heterogenen EFDD-Bündnisses mit dem M5S für die Brexit Party interessant sein – weniger hingegen der Beitritt zur Rechtsaußenfraktion ENF, deren Mitglieder großteils nicht mehr auf den EU-Austritt, sondern auf eine aktive Umgestaltung der EU von innen heraus abzielen.
  • Die spanische Rechtsaußenpartei Vox (6 Sitze in der Projektion) hat bislang noch keine klare Aussage getroffen, ob sie sich der EKR- oder der ENF-Fraktion anschließen will. Vox spielt damit eine wichtige Rolle für das Kräfteverhältnis zwischen den Rechtsfraktionen – zusammen mit Fidesz, den polnischen Kʼ15 und Konfederacja sowie einigen rechten Kleinparteien, die sich ebenfalls noch nicht erklärt haben.
  • Die rumänische ALDE (4 Sitze) wurde im April aus der ALDE-Fraktion ausgeschlossen und ist im Parlament seitdem heimatlos.
  • Die tschechische Regierungspartei ANO (6 Sitze) gehört bislang der ALDE-Fraktion an, ist dort jedoch wegen Korruptions- und Autoritarismus-Vorwürfen umstritten. Die erwartete Neugründung und Umbenennung der ALDE nach dem Beitritt der französischen Regierungspartei LREM könnte deshalb ein Anlass sein, um die ANO auszuschließen. Bei einem Treffen von ALDE- und LREM-Vertretern Mitte Mai war die ANO jedenfalls auffällig abwesend.
  • Die polnische Wiosna (4 Sitze) wurde erst vor wenigen Monaten neu gegründet und wird erstmals ins Parlament einziehen. Die Partei hat bereits ihre Nähe zur sozialdemokratischen S&D-Fraktion bekundet, schließt aber auch andere Optionen wie die ALDE und die G/EFA noch nicht aus.
  • Die tschechischen Piráti (4 Sitze) werden erstmals ins Parlament einziehen. Bislang gehörten Abgeordnete der europäischen Piratenpartei stets der G/EFA-Fraktion an; ob das auch in Zukunft so bleibt oder ob sie zur ALDE wechseln, wollen sie jedoch erst nach der Wahl entscheiden.
  • Die griechische Regierungspartei Syriza (6 Sitze) gehört zur Linksfraktion GUE/NGL, betonte zuletzt jedoch wiederholt die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit mit den übrigen Mitte-links-Fraktionen. Manche Beobachter spekulieren deshalb, dass Syriza zur sozialdemokratischen S&D-Fraktion wechseln könnte – insbesondere falls innerhalb der GUE/NGL die kompromisslose, linksnationalistische französische Mitgliedspartei France Insoumise deutlich an Gewicht gewinnt.

Welche Mehrheiten im Parlament sind möglich?

Die größte offene Frage an dieser Europawahl dürften ihre Auswirkungen auf die Ernennung der EU-Spitzenämter sein, allen voran des nächsten Kommissionspräsidenten. Die Debatte darüber wird sich in den Tagen nach der Wahl schnell zuspitzen: Bereits für kommenden Dienstag ist ein Sondergipfel des Europäischen Rates angesetzt, auf dem über das neue Personaltableau beraten werden soll.

Indessen hat das Europäische Parlament wiederholt angekündigt, für das Amt des Kommissionspräsidenten niemanden in Betracht zu ziehen, der nicht zuvor Spitzenkandidat einer europäischen Partei gewesen ist. Der entscheidende Hebel ist dabei Art. 17 Abs. 7 EUV, nach dem der Kommissionspräsident für seine Wahl die Unterstützung einer absoluten Mehrheit der Abgeordneten benötigt. Und so wird – selbst wenn wegen der beschriebenen Ungewissheiten das genaue Kräfteverhältnis zwischen den Fraktionen am Wahlabend noch nicht ganz feststehen wird – vom ersten Tag an darüber diskutiert werden, welche Mehrheiten im Parlament künftig möglich sind.

Hat Weber oder Timmermans die Nase vorn?

Ein Fokus wird dabei auf dem Verhältnis zwischen den beiden größten Fraktionen EVP und S&D liegen: Wird die EVP mit deutlichem Abstand stärkste Kraft, so hat deren Spitzenkandidat Manfred Weber gute Chancen, als „Wahlsieger“ und damit als legitimer nächster Kommissionspräsident anerkannt zu werden. Fällt das Ergebnis hingegen knapp aus oder hat gar die S&D die Nase vorn, so dürfte der sozialdemokratische Spitzenkandidat Frans Timmermans ebenfalls einen Anspruch auf den Posten erheben.

Projektion vom 2. Mai 2019, Details hier.
Im Wahlkampf hat Timmermans zudem immer wieder die Möglichkeit ins Spiel gebracht, sich von einer Mitte-links-Allianz aus S&D, ALDE, G/EFA und GUE/NGL wählen zu lassen. Damit ein solch heterogenes Bündnis funktionieren kann, müsste es jedoch deutlich über der absoluten Mehrheit liegen, um gegebenenfalls einige Abweichler auszuhalten. Bleibt es (wie nach der letzten Projektion zu erwarten ist) knapp unter der absoluten Mehrheit, dürfte dieser Weg für Timmermans definitiv versperrt sein.

In diesem Fall wären auch Timmermansʼ nächste Schritte von Interesse: Stellt er sich öffentlich hinter Weber, um das Spitzenkandidaten-Verfahren zu stärken – so wie Martin Schulz das 2014 mit Jean-Claude Juncker tat? Oder wahrt er die Distanz und öffnet damit die Tür zu komplizierteren Verhandlungen, bei denen auch Kompromisskandidaten zum Zug kommen könnten?

Können die Grünen Königsmacher sein?

Doch auch wenn sich Timmermansʼ S&D hinter Weber stellt, würde das noch nicht genügen, um diesen zum Kommissionspräsidenten zu wählen. Damit EVP und S&D auf eine absolute Mehrheit kommen, sind jedenfalls noch die Stimmen einer dritten Fraktion nötig. In Frage kämen hierfür vor allem die liberale ALDE oder die grüne G/EFA. Die ALDE lehnt das Spitzenkandidaten-Verfahren jedoch ab und dürfte für eine Wahl Webers deshalb aus Prinzip nicht zur Verfügung stehen. Die G/EFA hingegen würde mit sich reden lassen – doch auch hier hegen viele Mitglieder große Vorbehalte gegenüber Manfred Weber, sodass bei der Wahl jedenfalls mit einigen Abweichlern zu rechnen wäre.

Aus dieser Perspektive spielt es deshalb auch eine Rolle, wie viele Sitze ein mögliches Bündnis aus EVP, S&D und G/EFA bei der Europawahl gewinnt. Liegt es deutlich über einer absoluten Mehrheit, so dürfte das Webers Chancen verbessern. Erreicht es die absolute Mehrheit hingegen nur knapp (wie die Projektion erwarten lässt), wird bei der Wahl des Kommissionspräsidenten wohl kein Weg an der ALDE vorbeiführen.

Was passiert in den Mitgliedstaaten?

Die gesamteuropäischen Ergebnisse sind das wichtigste, aber nicht das einzig Interessante an der Europawahl. Auch die nationalen Teilergebnisse können politische Auswirkungen haben – auf die betreffenden Mitgliedstaaten, aber indirekt auch auf die EU insgesamt:

  • In Polen ist die Europawahl vor allem ein Kräftemessen zwischen der Regierungspartei PiS (AKRE) und dem Oppositionsbündnis KE, das von der liberalkonservativen PO (EVP) über die sozialdemokratische SLD (S&D) bis zu den grünen Zieloni (EGP) reicht. Welches Lager dabei vorne liegt, sendet ein wichtiges Zeichen für die nationale Parlamentswahl im Herbst – deren Ausgang für die Zukunft von Demokratie und Rechtsstaat in Polen von entscheidender Bedeutung sein dürfte.
  • In Italien wachsen die Spannungen zwischen den beiden Regierungsparteien Lega (BENF) und M5S, seit Wochen wird über das bevorstehende Ende der Koalition spekuliert. Die Europawahl ist dafür ein Testlauf: Erreicht die Lega deutlich über 30 Prozent, könnte sie sich stark genug fühlen, um Neuwahlen herbeizuführen und eine reine Rechtsregierung ohne das M5S anzustreben.
  • In Österreich fällt die Europawahl in die aufgeheizte Stimmung nach dem Platzen der Koalition zwischen ÖVP (EVP) und FPÖ (BENF): Gleich am Montag steht im nationalen Parlament ein Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP/EVP) an. Die Wahl dürfte hier deshalb als wichtiger politischer Stimmungstest gesehen werden und wohl einen Dauerwahlkampf bis zu den nationalen Neuwahlen im September einleiten.
  • Auch in Dänemark ist die Europawahl ein Probelauf, nämlich für die nationale Parlamentswahl, die nur zehn Tage später stattfindet. Den Umfragen zufolge könnte dabei der „blaue“ Mitte-rechts-Block seine Mehrheit an die „rote“ Mitte-links-Allianz verlieren – was für die EU auch insofern von Bedeutung ist, als damit die Partei der möglichen Kommissionspräsidentschaftskandidatin Margrethe Vestager (RV/ALDE) wieder in die nationale Regierung zurückkehren würde.
  • Im Vereinigten Königreich schließlich dürfte die Europawahl das nationale Parteiensystem völlig durchpflügen und eine neue Polarisierung entlang der Position zum EU-Austritt zeigen: Während die neu gegründete Brexit Party klar gewinnen dürfte, legen auch die proeuropäischen LibDems (ALDE) und Greens (EGP) deutlich zu. Die europapolitisch ambivalente Labour Party hingegen könnte auf den dritten Platz zurückfallen, und die regierenden Conservatives (AKRE) müssen gar ein einstelliges Ergebnis befürchten. Dieses Debakel wird auch die britische Regierungskrise befeuern: Womöglich gibt Premierministerin Theresa May noch an diesem Freitag ihren Rücktritt bekannt.

Ein spannender Wahlabend

Im Vergleich zu nationalen Parlamentswahlen hat die Europawahl weniger Drama zu bieten: Sie ist keine Richtungsentscheidung, bei der Regierung und Opposition einander konfrontieren und eine Seite den Gewinn davonträgt. Stattdessen führt sie nur zu einer Neukalibrierung der komplexen Machtverhältnisse auf europäischer Ebene: zu politischen Verschiebungen, die oft zu fein sind, um die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit zu fesseln, und die zum Teil auch erst in den Tagen und Wochen nach der Wahl erkennbar sein werden.

Am Ende aber wird das Ergebnis dieser Europawahl den Kurs der Europäischen Union in den nächsten fünf Jahren prägen. Und es sind genügend Fragen offen, um uns am Sonntag auf einen spannenden Abend zu freuen.

Bilder: Wahlurne: Element5 Digital [Public Domain], via Unsplash; Sitzprojektion: eigene Grafik.

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