12 April 2023

Differenzierte Integration – Wegbereiter für ehrgeizige EU-Reformen?

Von Thomas Winzen
Sitzungssaal des Europäischen Rates
„Insgesamt ist es unwahrscheinlich, dass differenzierte Integration entscheidend dazu beitragen kann, die derzeit diskutierten Schlüsselreformen durchzusetzen.“

Institutionelle Reform und Erweiterung stehen wieder auf der Tagesordnung der EU. Doch die Reformvorschläge erfordern Änderungen der EU-Verträge und sind höchst umstritten. Noch nie gab es eine so schwierige Gruppe von Beitrittskandidaten. Es ist alles andere als sicher, dass die 27 Mitgliedstaaten, die die Vertragsänderungen beschließen und ratifizieren müssen, eine gemeinsame Basis finden werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob differenzierte Integration der Weg zu einer Einigung sein könnte, wenn die Verhandlungen an der Notwendigkeit, alle 27 Länder ins Boot zu holen, zu scheitern drohen.

Ich rate jedoch zur Vorsicht. Differenzierung – die Praxis, einzelne Mitgliedstaaten von bestimmten Politiken, Rechten und Pflichten auszunehmen oder auszuschließen – ist nur unter spezifischen Bedingungen ein realistisches und hilfreiches Mittel, um Reformen zu fördern. In Bezug auf die wichtigsten Reformen auf der aktuellen Agenda ist sie (1) als Instrument ungeeignet, da der Widerstand nicht auf wenige Länder beschränkt ist, oder (2) nicht durchführbar, da die Reformen die Beteiligung aller Länder erfordern. Für die Erweiterung wiederum ist Differenzierung nützlich und praktikabel, aber ihre tatsächliche Anwendung ist noch Jahre von schwierigen Reformen entfernt.

Kann differenzierte Integration Reformen erleichtern?

Die Attraktivität differenzierter Integration ist leicht zu verstehen. Sie hat in der Vergangenheit wichtige Reformen ermöglicht. Der Euro, der Schengen-Raum und die Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres wären ohne Ausnahmeregelungen für widerstrebende Mitgliedstaaten nicht möglich gewesen. Jede Erweiterungsrunde war auf Übergangsfristen angewiesen. Differenzierung ist allerdings kein Allheilmittel für alle Verhandlungsprobleme. Sie ist nur unter bestimmten Bedingungen eine praktikable und hilfreiche Option (z. B. Schimmelfennig 2019Schimmelfennig et al. 2015Schimmelfennig & Winzen 2020):

  • Erstens muss sich der Widerstand auf wenige Länder beschränken. Ist der Widerstand aus ideologischen oder anderen Gründen weit verbreitet, sind Reformverhandlungen in der Regel von vornherein nicht tragfähig und können auch nicht durch nationale Ausnahmeregelungen und Übergangsfristen für ausgewählte Länder gerettet werden. Nur in Ausnahmefällen kann sich dennoch eine Vorreitergruppe von Ländern herausbilden, die dann aber politisch tragfähig sein und auf günstige institutionelle Bedingungen stoßen muss.

  • Zweitens muss die differenzierte Integration tragfähig sein. Die Vorreitergruppe muss über die Größe, die Ressourcen und den politischen Willen verfügen, aus eigener Kraft voranzukommen und skeptische Mitglieder auszuschließen. Sie muss auch bereit sein, zu akzeptieren, dass mögliche Trittbrettfahrer ihre Bemühungen ausnutzen („positive externe Effekte“) (Kölliker 2001).

  • Drittens müssen die formellen und informellen Regeln und Normen der EU eine differenzierte Integration ermöglichen. Wenn beispielsweise die Entscheidungsregeln die Zustimmung aller Mitgliedstaaten erfordern, wie es bei Vertragsreformverhandlungen üblich ist, wird jede Form der Differenzierung, die einen potenziellen Außenseiter schlechter stellt, unwahrscheinlich. Die Organisation der Zusammenarbeit außerhalb des vertraglichen Rahmens bleibt nur im Fall von neuen Mechanismen wie dem Europäischen Stabilitätsmechanismus eine mögliche Alternative.

    Außerdem könnte eine Differenzierung den Normen und Praktiken der EU zuwiderlaufen. Beispielsweise gibt es in einigen Politikbereichen umfangreiche Erfahrung und Präzedenzfälle für eine Differenzierung, während in anderen Bereichen eine einheitliche Integration schon immer die Norm war oder geworden ist. In diesen Bereichen könnten Vorschläge zur Differenzierung als illegitim angesehen werden. Darüber hinaus kann eine Differenzierung die Unterstützung von EU-Institutionen wie der Kommission und dem Gerichtshof erfordern, die von den Befürwortern zur Vorbereitung und von den Gegnern zur Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit der Differenzierung herangezogen werden können.

In prominenten Fällen differenzierter Integration in der Vergangenheit waren diese Voraussetzungen gegeben. So wurde beispielsweise die Schaffung des Schengen-Raums von einigen, aber nicht von allen Mitgliedstaaten unterstützt und konnte von den Befürwortern tragfähig organisiert werden. Außerdem konnte er als neue Politik zunächst außerhalb des vertraglichen Rahmens etabliert werden, wodurch Bedenken und Einwände anderer Mitgliedstaaten umgangen werden konnten. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob auch die aktuellen Reformvorschläge durch eine Differenzierung erleichtert werden könnten.

Differenzierung und große Reformvorhaben

Ich illustriere die Anwendung der bisher diskutierten Bedingungen anhand von drei Reformideen: die Ausweitung qualifizierter Mehrheitsentscheidungen auf alle Bereiche der Außenbeziehungen, die Schaffung neuer und stärkerer fiskalischer Solidaritätsmechanismen im EU-Haushalt und die Erweiterung der EU um die derzeitigen Beitrittskandidaten. Tabelle 1 fasst meine Einschätzung zusammen, dass die Differenzierung bei der Verabschiedung von zwei dieser Reformen wahrscheinlich nicht hilfreich sein wird.

Reform Widerstand
gegen die Reform
Durchführbarkeit
der Differenzierung
Institutionelle
Bedingungen
Differenzierung
erleichtert die Reform
Mehrheitsentscheide viele Regierungen begrenzt gemischt Nein
Fiskalische Solidarität viele Regierungen begrenzt gemischt Nein
Erweiterung einzelne Regierungen durchführbar günstig Ja

Ausweitung qualifizierter Mehrheitsentscheide in der Außenpolitik

Die größte Herausforderung bei der Ausweitung qualifizierter Mehrheitsentscheide auf die Außenpolitik ist der breite Widerstand. Nach einem kürzlich erschienenen Bericht (König 2020) wären 7 Regierungen dafür, 10 dagegen und 10 ambivalent oder skeptisch, was bedeutet, dass ausgewählte Opt-Outs nicht genügen würden, um die Reform durchzubringen. Selbst wenn die Befürworter der Reform als Avantgarde vorangehen wollten, wäre die Tragfähigkeit ihres Vorhabens in Frage gestellt. Während Frankreich, Deutschland und Spanien Größe und Ressourcen mitbrächten, würden andere wichtige Akteure wie Italien und Polen fehlen. Darüber hinaus hängt die Wirkung der europäischen Außenpolitik zum Teil von der Fähigkeit ab, die Marktmacht der EU einzusetzen, etwa über Handels- oder Reisesanktionen oder durch Bedingungen in internationalen Verträgen. Um in diesen Bereichen Wirkung zu erzielen, wäre die Beteiligung von allen oder fast allen Mitgliedstaaten erforderlich.

Der formelle und informelle institutionelle Rahmen für ein differenziertes Vorgehen bei der Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen in den Außenbeziehungen ist ebenfalls nicht günstig. Die ordentlichen und vereinfachten Vertragsänderungsverfahren räumen allen Gegnern ein Vetorecht ein. Zudem könnten Vetos nicht durch einen neuen Vertrag außerhalb des vertraglichen Rahmens umgangen werden. Externe Verträge sind eine Option, um neue Zuständigkeiten oder Maßnahmen zu schaffen, die im Laufe der Zeit in den EU-Rahmen integriert werden können, aber kein formell definierter und damit möglicher Weg, bestehende Zuständigkeiten und Verfahren neu zu definieren.

In anderer Hinsicht, etwa was informelle Normen und Praktiken betrifft, ist der institutionelle Kontext weniger eindeutig. So haben Dänemark und Malta einen Präzedenzfall für Differenzierung in der Außenpolitik geschaffen. Außerdem ist die „differenzierte Zusammenarbeit“ in diesem Bereich weit verbreitet (Klose et al. 2023). Auch der Mechanismus der konstruktiven Enthaltung, bei dem ein Land einer Entscheidung zustimmt, aber nicht daran gebunden ist, ermöglicht bereits eine differenzierte Gesetzgebung. Diese Präzedenzfälle und bestehende Flexibilität dürften die Legitimität von Vorschlägen für weitere Differenzierungen erhöhen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es aufgrund des Widerstands von Regierungen unwahrscheinlich ist, dass der Bereich der Außenbeziehungen zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit übergehen wird. Auch differenzierte Integration dürfte hier wenig hilfreich sein – angesichts dieses Widerstands, der begrenzten Tragfähigkeit der Befürworter als Vorreitergruppe, der restriktiven Reformvorschriften und weil es darum geht, bestehende Verfahren zu reformieren, statt neue zu schaffen. Der flexible Charakter des Politikbereichs verleiht den Vorschlägen zur Differenzierung zwar Legitimität, doch dies ist von untergeordneter Bedeutung. Außerdem verringern die Möglichkeiten zur konstruktiven Enthaltung und zur differenzierten Zusammenarbeit weiter den Druck, formale Reformen einzuleiten.

Stärkung der fiskalischen Solidarität

Vorschläge, die fiskalische Solidarität in der EU durch gemeinsame Schulden oder höhere Eigenmittel zu stärken, stoßen in der Regel auf den Widerstand potenzieller Beitragszahler. Selbst die jüngsten Reformen waren so umstritten, dass sie entweder Einzelfälle bleiben mussten (Corona-Wiederaufbaufonds), außerhalb des EU-Vertragsrahmens erfolgten (Europäischer Stabilitätsmechanismus, ESM) und/oder an Reformauflagen für die Empfänger geknüpft wurden (beide). Insbesondere Deutschland hat sich stets sehr skeptisch gegenüber großen Haushaltsreformen gezeigt (Heermann et al. 2023Schramm 2021). Die Reform könnte daher ins Stocken geraten, und eine Differenzierung könnte sich als wenig hilfreich erweisen, wenn sich herausstellt, dass der Widerstand weit verbreitet ist.

Was aber, wenn unter den richtigen Umständen und mit dem richtigen Druck, wie bei früheren Reformen, alle bis auf wenige finanzstarke Mitgliedstaaten eine Stärkung der fiskalischen Solidarität im EU-Haushalt unterstützen? Selbst dann wäre die Tragfähigkeit des Projekts fraglich. Wenn ein großer EU-Nettozahler oder -Schuldengarant, insbesondere Deutschland, seine Teilnahme verweigern würde, könnte sich das Projekt als fiskalisch nicht tragfähig erweisen (unabhängig von der politischen Frage, ob man ohne einen großen Mitgliedstaat vorangehen sollte). Denkbar wäre allenfalls ein Opt-out für kleinere oder mittelgroße Beitragszahler wie Finnland oder die Niederlande. Ein solches Opt-out könnte jedoch eine Kaskade weiterer Forderungen auslösen, da die verbleibenden Beitragszahler einen größeren Teil der Last tragen müssten (Jensen & Slapin 2012).

Die institutionellen Bedingungen für ein differenziertes Vorgehen bei der Reform des regulären EU-Haushalts sind ebenfalls restriktiv. Gegner fiskalischer Solidarität können ein Veto gegen Reformen einlegen. Außerdem kann der EU-Haushalt als bestehendes Instrument nur im Rahmen der Verträge reformiert werden. Die Befürworter von Reformen könnten die Vetos also nicht umgehen, indem sie außerhalb des Vertragsrahmens agieren (z. B. Nettesheim 2020). Die Frage, ob eine Differenzierung legitim wäre, ob es Präzedenzfälle dafür gäbe oder ob sie von den EU-Institutionen unterstützt würde, ist unter diesen Umständen zweitrangig. Jedenfalls aber ist der reguläre EU-Haushalt bislang weitgehend undifferenziert geblieben. Um einen differenzierten fiskalischen Solidaritätsmechanismus in den regulären Haushalt zu integrieren, müsste deshalb das Fehlen eines Präzedenzfalls und wahrscheinlich auch eine widerstrebende Haltung von Kommission, Gerichtshof und Europäischem Parlament überwunden werden.

Die institutionellen Voraussetzungen für die Schaffung völlig neuer Solidaritätsfonds oder ‑mechanismen außerhalb des Vertragsrahmens sind offener, wie der Fall des ESM und bestimmte Vorschläge während der Verhandlungen über den Corona-Wiederaufbaufonds gezeigt haben. Angesichts dieser Möglichkeit liegt der wichtigste Grund, der eine Stärkung der fiskalischen Solidarität in der EU mithilfe von differenzierter Integration verhindert, in der begrenzten politischen Unterstützung und Tragfähigkeit.

Erweiterung

Die Debatte um eine EU-Erweiterung wurde durch aktuelle Ereignisse neu entfacht. Die Beitrittskandidaten stehen jedoch vor großen wirtschaftlichen, institutionellen, demokratischen, territorialen und sicherheitspolitischen Herausforderungen (Schimmelfennig & Sedelmeier 2020). Ihr Beitritt dürfte auf Widerstände in den Mitgliedstaaten stoßen, die sich um die (künftige) Umverteilung von Subventionen, den Wettbewerb auf den Arbeits- und Dienstleistungsmärkten, die effiziente Umsetzung der europäischen Wirtschafts-, Währungs-, Migrations- und Grenzpolitik sowie um demokratische Rückschritte sorgen. Schon die Aufnahme der Verhandlungen hat sich vor allem wegen der Skepsis Frankreichs in die Länge gezogen. Die Kandidaten selbst werden wahrscheinlich versuchen, bestimmte Verpflichtungen aufzuweichen, z. B. die Wettbewerbs- und Beihilfevorschriften der EU.

Wenn die Kandidaten in den Verhandlungen vorankommen, was angesichts innenpolitischer Herausforderungen und ambivalenter Versprechen der EU ungewiss ist (Schimmelfennig & Sedelmeier 2020), könnte sich eine ähnliche Situation wie bei früheren Erweiterungen ergeben, als die meisten Mitgliedstaaten die Erweiterung befürworteten und einige skeptisch waren. Eine temporäre Differenzierung – Übergangsfristen und -bedingungen, bevor die neuen Mitglieder in den Genuss der vollen Mitgliedschaftsrechte kommen – könnte dann dazu beitragen, die von einigen Mitgliedstaaten befürchteten Kosten auf künftige Regierungen zu verlagern oder sie sogar ganz zu vermeiden, wenn sich die neuen Mitglieder erfolgreich anpassen (Schneider 2007). Auch wenn eine Erweiterung in naher Zukunft nicht realistisch ist, so könnte sie doch mit der Zeit wahrscheinlicher und durch Differenzierung erleichtert werden.

Die Nutzung differenzierter Integration im Rahmen von Erweiterungen ist zudem politisch tragfähig. Zum einen wurde sie bereits bei früheren Erweiterungen ausgiebig genutzt (Schimmelfennig & Winzen 2017). Ihre Durchführbarkeit setzt voraus, dass die Erweiterung für die Beitrittskandidaten attraktiv genug bleibt, um sie davon abzuhalten, ihre Anträge zurückzuziehen. Die bewährte Praxis, Differenzierung zeitlich zu begrenzen, an bestimmte Rahmenbedingungen zu knüpfen und mit günstigen Ausnahmeregelungen zu flankieren, hat bei früheren Erweiterungen dazu beigetragen, dass diese Bedingung erfüllt wurde. Zudem hat sich gezeigt, dass willige Neumitglieder fast alle Differenzierungen innerhalb des ersten Jahrzehnts der Mitgliedschaft beenden können (Schimmelfennig & Winzen 2017). Wenn die EU ihre derzeitige Praxis beibehält, ist es unwahrscheinlich, dass eine Differenzierung die Mitgliedschaft unattraktiv macht.

Und auch der institutionelle Rahmen erleichtert die Anwendung differenzierter Integration im Erweiterungskontext. Alle Mitgliedstaaten müssen den Beitritt neuer Länder unterstützen, was Skeptikern die Möglichkeit gibt, auf Differenzierung zu drängen. Die Beitrittskandidaten wiederum können ihren Antrag zurückziehen, sind aber in der Regel eher bereit, der EU beizutreten. Solange sich die angebotenen Übergangsfristen nicht als so unattraktiv erweisen, dass eine Mitgliedschaft aussichtslos wird, ist für sie die Aufnahme als Mitglied die beste Option (Schneider 2007). Darüber hinaus gibt es, wie bereits erwähnt, genügend Präzedenzfälle, die die Legitimität von Erweiterungsdifferenzierung stärken, sofern sie konsequent und zeitlich oder konditional begrenzt angewandt wird (Schimmelfennig 2014).

Im Gegensatz zu den beiden vorhergehenden Fällen stellt im Bereich der EU-Erweiterung differenzierte Integration also ein plausibles und nützliches sowie praktikables und bewährtes Instrument dar. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass diese Differenzierung in naher Zukunft zur Anwendung kommen wird. Zuvor müssen die Beitrittskandidaten erst erhebliche Reformherausforderungen bewältigen, während die EU vor der Herausforderung steht, ein konsistentes und glaubwürdiges Beitrittsversprechen aufrechtzuerhalten (Schimmelfennig & Sedelmeier 2020).

Verliert die differenzierte Integration an Bedeutung?

Insgesamt ist es unwahrscheinlich, dass differenzierte Integration entscheidend dazu beitragen kann, die derzeit diskutierten Schlüsselreformen durchzusetzen. Dort, wo sie helfen könnte, nämlich bei der Erweiterung, liegen noch Jahre an Beitrittsverhandlungen vor uns. Es mag verwundern, dass die Differenzierung in der Vergangenheit einen so wichtigen Beitrag zur Integration geleistet hat, jetzt aber weniger nützlich sein soll. Doch die EU ist heute viel stärker integriert als vor dem Vertrag von Maastricht. Die Reformvorschläge konzentrieren sich auf die wenigen verbleibenden Bereiche mit schwacher Integration, in denen Solidarität gefragt und die Skepsis der Regierungen groß ist. In diesen Bereichen erweist sich eine Differenzierung oft als irrelevant, weil es zu viel Widerstand gibt, als undurchführbar, weil Solidarität statt Opt-outs gefragt ist, und als institutionell problematisch oder schwer durchsetzbar.

Dies bedeutet nicht, dass differenzierte Integration irrelevant geworden ist. Opt-outs waren für wichtige Rechtsetzungsvorhaben wie die Schaffung der Europäischen Staatsanwaltschaft entscheidend. Zudem hat sich die Drohung mit Differenzierung immer wieder als wichtiges Verhandlungsinstrument erwiesen, beispielsweise als die EU vorschlug, den Corona-Wiederaufbaufonds oder die Hilfe für die Ukraine teilweise außerhalb des EU-Vertragsrahmens zu verabschieden, um Vetodrohungen zu überwinden. Das Hauptanwendungsfeld differenzierter Integration liegt derzeit jedoch eher im Bereich der Gesetzgebung (Duttle et al. 2017) als bei institutionellen Reformen.


Dieser Beitrag ist Teil des Themenschwerpunkts „Überstaatliches Regieren zwischen Diplomatie und Demokratie – aktuelle Debatten um die Reform der EU“, der in Zusammenarbeit mit dem Online-Magazin Regierungsforschung.de erscheint.


Übersetzung: Yannik Uhlenkotte.
Bilder: Tagungssaal des Europäischen Rats: EU2017EE Estonian Presidency [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons; Porträt Thomas Winzen: privat [alle Rechte vorbehalten]; EU-Flagge: Arno Mikkor (EU2017EE) [CC BY 2.0], via Flickr.

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