22 Januar 2020

Konferenz zur Zukunft Europas: „Bürgerbeteiligung“ ist nicht genug

Früher ließ man Bürger verfassunggebende Versammlungen wählen. Heute beteiligt man sie an einer Zukunftskonferenz.
Am 9. Mai soll es losgehen mit der Konferenz zur Zukunft Europas – und die Erwartungen an sie sind groß. Einen „Eckpfeiler, um eine stärkere EU zu bauen“, nannte sie jüngst etwa der Präsident des Europäischen Parlaments, David Sassoli (PD/SPE). EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU/EVP) erhofft sich von ihr „die Grundlage für eine starke, sichere und demokratische EU“. Der Europaabgeordnete Daniel Freund (Grüne/EGP) spricht von dem „größten EU-Reformprozess seit dem EU-Konvent“. Und die Union Europäischer Föderalisten sieht eine „historische Gelegenheit auf dem Weg zu einem föderalen Europa“.

Debatte über das Konferenzmandat

Wie die Veranstaltung, auf die sich diese hohen Hoffnungen richten, genau aussehen soll, ist indessen noch offen. Das Europäische Parlament hat dazu in der vergangenen Woche seine Vorschläge vorgelegt, heute folgte eine Stellungnahme der Kommission. Der Europäische Rat hingegen blieb auf seinem Dezember-Gipfel eher vage (im Abschlussdokument fanden sich dazu nur drei knappe Absätze unter „Sonstiges“); eine Ratssitzung nächste Woche dürfte mehr Klarheit bringen. Im Februar wollen sich alle drei Institutionen dann auf ein Memorandum of Understanding einigen, in dem das Mandat, die Zusammensetzung und die Arbeitsweise der Konferenz festgelegt werden.

Einige Konturen der Konferenz zeichnen sich jedoch schon ab – und wer die Diskussionen darüber in den vergangenen Wochen und Monaten mitverfolgt hat, konnte feststellen, wie sich der Fokus der Debatte nach und nach verschoben hat. Ging es anfangs vor allem darum, spezifische institutionelle Reformen zu diskutieren, so soll die Konferenz jetzt ein sehr viel größeres Themenspektrum behandeln. Und war zunächst viel davon die Rede, ob die Konferenz der Auftakt zu einer formalen Vertragsänderung sein könnte, so wurde diese Frage inzwischen fast vollständig von einer Debatte über die Beteiligung der europäischen Bürgerinnen und Bürger an der Konferenz abgelöst.

Von der Leyens ursprünglicher Vorschlag

Ihren Ursprung hatte die Idee der Zukunftskonferenz in den politischen Leitlinien, mit denen sich Ursula von der Leyen (CDU/EVP) im Juli 2019 dem Europäischen Parlament zur Wahl als Kommissionspräsidentin stellte. Von der Leyen hatte damals als Nicht-Spitzenkandidatin bekanntlich bei vielen Abgeordneten einen schweren Stand. Ihre Nominierung durch den Europäischen Rat galt als Schwächung des Parlaments und Ausdruck einer demokratischen Rückentwicklung.

Um dieses Manko auszugleichen, versprach von der Leyen den Abgeordneten unter dem Titel „Neuer Schwung für die Demokratie in Europa“ eine Zukunftskonferenz. In dieser sollten auch „die Bürgerinnen und Bürger […] zu Wort kommen“, allerdings „mit einem klar abgesteckten Rahmen und eindeutigen Zielen, die vorab von Parlament, Rat und Kommission vereinbart wurden“. Auch wie diese Ziele aussehen könnten, deutete von der Leyen bereits an: Sie unterstütze ein „Initiativrecht für das Europäische Parlament“, eine Abkehr „von der Einstimmigkeit [im Rat] in der Klima-, Energie-, Sozial- und Steuerpolitik“, ein verbessertes „Spitzenkandidaten-System“ sowie „länderübergreifende Listen bei den Europawahlen“.

Das Parlament drängt schon lange auf Reformen

Im Parlament stießen diese Vorschläge auf große Zustimmung – wenig überraschend, knüpften sie doch an Forderungen an, die die Abgeordneten selbst in den Jahren zuvor intensiv diskutiert hatten. Mit dem Verhofstadt-Bericht und dem Brok-Bresso-Bericht von 2017 hatte das Parlament konkrete institutionelle Reformen (mit und ohne Vertragsänderung) vorgeschlagen; die Spinelli-Gruppe, ein Zusammenschluss föderalistischer Europaabgeordneter, hatte bereits 2013 einen ausformulierten Vertragsentwurf präsentiert.

Diese und ähnliche weitere Vorstöße waren bis jetzt allerdings ohne Erfolg geblieben, was im Wesentlichen an den nationalen Regierungen im Rat liegt. Unter denen verfolgten selbst die integrationsfreundlicheren in den letzten Jahren meist andere Prioritäten als die EU-Reform, während die integrationsfeindlichen einer Stärkung des Parlaments teils offen ablehnend gegenüberstehen. Und da bereits einzelne Mitgliedstaaten jede institutionelle Reform mit ihrem Veto blockieren können, verschwanden viele Reformvorschläge – trotz guter, mehrheitsfähiger Argumente – letztlich von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt in der Schublade. Der vor einem Jahr gescheiterte Vorstoß zu Mehrheitsentscheiden in der Steuerpolitik ist nur ein Beispiel dafür.

Vetospieler unter Druck setzen

Aus dieser Sicht bietet die Zukunftskonferenz eine Chance, um neue Bewegung in blockierte Debatten zu bringen. Indem die Diskussionen darin grundsätzlich ergebnisoffen gestaltet und machttaktische Fragen wenigstens vorläufig zurückgestellt werden, könnten inhaltliche Argumente in der öffentlichen Debatte mehr Sichtbarkeit gewinnen. Und das wiederum könnte (wenigstens in einigen Mitgliedstaaten und zu einigen Reformvorschlägen) die politische Stimmung verändern und bisher blockierende Vetospieler unter Druck setzen, eine mehrheitlich unterstützte Reform mitzutragen.

Kein Wunder also, dass viele Europaabgeordneten von der Leyens Vorschlag mit großer Begeisterung aufnahmen und sich zügig daranmachten, über die Ausgestaltung der Konferenz zu diskutieren, während die meisten nationalen Regierungen eher abwartend reagierten.

Zwei Fokus-Verschiebungen

Im Lauf der folgenden Monate kam es jedoch zu zwei auffälligen Verschiebungen im Fokus der Diskussionen. Zum einen setzte sich unter den Reformbefürwortern die Ansicht durch, dass eine allein auf institutionelle Fragen fokussierte Konferenz nicht unbedingt der beste Weg sei, um eine breite öffentliche Debatte anzukurbeln. Institutionen- und Verfahrensfragen können zwar drastische Auswirkungen auf politische Entscheidungen haben, doch da ihre Wirkweise oft komplex und nicht einfach abstrakt zu erklären ist, ist das mediale Interesse an ihnen meist gering.

Um der Konferenz öffentliche Relevanz zu verleihen, so die verbreitete Überlegung, ist es deshalb sinnvoller, inhaltliche Politikfelder in den Mittelpunkt zu stellen: Eine Debatte über die Ziele, die die EU in diesen Feldern erreichen sollte, könnte dann auch den institutionellen Reformbedarf sichtbar machen – etwa dass die Einstimmigkeit in der gemeinsamen Außenpolitik die Handlungsfähigkeit der EU auf der Weltbühne schwächt oder dass nur eine bessere Beteiligung des Parlaments den weitreichenden haushaltspolitischen Eingriffsrechten der EU demokratische Legitimität geben kann.

Sachfragen als Hebel zu institutioneller Reform?

Dieser wachsende Fokus auf Sachfragen wurde etwa im deutsch-französischen Positionspapier von November deutlich, das forderte, die Konferenz solle „alle Themen behandeln, die für die Gestaltung der Zukunft Europas relevant sind […] – so wie Europas Rolle in der Welt und seine Sicherheit/Verteidigung, Nachbarschaft, Digitalisierung, Klimawandel, Migration, Kampf gegen Ungleichheit, unser Modell der ‚sozialen Marktwirtschaft‘ […], die Rechtsstaatlichkeit und die europäischen Werte“.

Er spiegelt sich aber auch im Standpunkt des Europäischen Parlaments wider, der als „Orientierungshilfe für die Konferenz“ mehrere „politische Prioritäten“ vorschlägt, unter anderem die Klimakrise, die soziale Gerechtigkeit, den digitalen Wandel und die weltpolitische Rolle der EU. Zudem soll es sich bei dieser Liste, wie das Parlament mehrfach betont, nicht um eine „erschöpfende Zusammenstellung“ handeln, sondern die eigentliche Themensetzung erst im Lauf der Konferenz entwickelt werden.

Schlagwort Bürgerbeteiligung

Mit dieser inhaltlichen Offenheit ist die zweite Verschiebung in der Debatte über die Konferenz verbunden: die Frage der Bürgerbeteiligung. Während diese in von der Leyens Leitlinien nur mit knappen Worten skizziert wird, rückte das Schlagwort in der Konzeption des Parlaments im Mittelpunkt. Neben der eigentlichen Konferenz, die Mitgliedern der EU-Institutionen und der nationalen Regierungen und Parlamente vorbehalten wäre, soll es mehrere „thematische Bürgerforen“ sowie „mindestens zwei Jugendforen“ geben.

Diese sollen jeweils 200-300 Bürgerinnen und Bürger umfassen, die „nach dem Zufallsprinzip“ ausgewählt werden, aber „unter dem Gesichtspunkt der geografischen Herkunft, des Geschlechts, des Alters, des sozioökonomischen Hintergrunds und/oder des Bildungsniveaus“ repräsentativ zusammengesetzt sein sollen. Ihre Aufgabe soll es sein, eigene Ideen in die Konferenz einzubringen und deren Beratungen zu kommentieren. Zudem soll es Online-Konsultationen und andere Verfahren geben, über die „jeder Bürger zu Wort kommen kann, solange die Konferenz läuft“. Und auch über die Konferenz hinaus soll nach den Plänen des Parlaments „langfristig ein dauerhafter Mechanismus zur Einbeziehung der Bürger in die Überlegungen zur Zukunft Europas ins Auge gefasst werden“.

Partizipationsmechanismen sind für die EU nichts Neues

Diese Idee einer Beteiligung zufällig ausgewählter Bürger folgt einem Trend nationaler Verfassungsreformen in den letzten Jahren – etwa in Island oder Irland. Auch die EU selbst setzt schon länger auf partizipative Konsultationsverfahren. So gab es bereits in den letzten Jahren eine Reihe von „Bürgerdialogen und Bürgerkonsultationen“, die allerdings weitgehend ergebnislos verpufften. Dass das Parlament eine stärkere Bürgerbeteiligung vorschlägt, ist also kein ganz neuer Ansatz, auch wenn er nun einen höheren Stellenwert einnimmt und in größeren Dimensionen erfolgen soll als je zuvor.

Unter Freunden partizipativer Demokratie wurde diese Entwicklung allgemein positiv aufgenommen, auch wenn einigen die Vorschläge noch nicht weit genug gehen. Und natürlich klingt „mehr Bürgerbeteiligung“ für die als „bürgerfern“ verschriene EU erst einmal nach einer guten Sache. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass Bürgerforen wirklich einen demokratischen Durchbruch für die EU bringen können?

Bürgerforen gegen die „Brüsseler Blase“?

Demokratisch gewählten Institutionen wie dem Europäischen Parlament noch zufällig geloste Bürgergremien beizufügen, ergibt in der Regel dann Sinn, wenn politische Repräsentationsmechanismen versagen und sich beispielsweise wegen eines missglückten Wahl- oder Parteienrechts eine „politische Klasse“ gebildet hat, die in ihren eigenen Diskursen und Wertvorstellungen verhaftet ist und zu weit von den in der Bevölkerung vorherrschenden Ansichten entfernt hat. Bürgergremien können hier ein Korrektiv bilden, neue Ideen in die Debatte tragen und bestenfalls zu einer Erneuerung des politischen Systems beitragen.

Auf den ersten Blick scheint die notorische „Brüsseler Blase“ genau so ein Fall zu sein: eine eigene Schicht von „Eurokraten“, die ihre eigenen Bürger nicht mehr verstehen und Debatten führen, die oft nur wenig mit jenen in den nationalen Öffentlichkeiten zu tun haben. Tatsächlich wird dieses Bild nicht nur von populistischen Europaskeptikern befeuert, sondern auch von eigentlich integrationsfreundlichen Europaabgeordneten. Wenn etwa der EVP-Fraktionsvize Paulo Rangel (PSD/EVP) jüngst betonte, die Zukunftskonferenz müsse in erster Linie eine „Übung im Zuhören“ sein, so suggerierte er implizit, dass die Abgeordneten sich im sonstigen Alltag nicht über die Meinungen ihrer Wähler informieren würden.

Es gibt nicht „die“ europäischen Bürger

In Wirklichkeit scheinen mir die Hauptursachen für die Diskrepanz zwischen „Brüssel“ und der breiten Öffentlichkeit jedoch anderswo zu liegen – nämlich vor allem in der nationalen Fragmentierung der Öffentlichkeit, durch die die meisten Medien eine nationale Perspektive auf die europäische Politik pflegen und die Vielschichtigkeit der Meinungs- und Kompromissbildung in den EU-Institutionen oft nicht hinreichend sichtbar wird.

Die Vorstellung, es gäbe die europäischen Bürger, auf deren Meinung die EU-Institutionen nur endlich einmal hören müssten, ist naiv. Vielmehr gibt es in der europäischen Gesellschaft eine enorme Vielzahl von politischen Standpunkten und Sichtweisen, und anders als im traditionellen Nationalstaat werden diese auch nicht durch gemeinsame Massenmedien vorstrukturiert. Diese Leistung wird vielmehr oft erst in den europäischen Institutionen – speziell den Fraktionen im Europäischen Parlament – selbst vollzogen. Wenn die Brüsseler Diskurse von jenen in den nationalen Öffentlichkeiten abweichen, so liegt das also häufig daran, dass die EU-Institutionen das Gesamtspektrum der politischen Meinungen in Europa besser abbilden als die Medien, aus denen sich die meisten einzelnen Bürger informieren.

Bürgerforen als Verbündete des Parlaments

Wenn das so ist, sollte man allerdings auch nicht unbedingt erwarten, dass durch die stärkere Einbindung „der Bürger“ eine völlig neue Perspektive auf die europäische Politik entstehen wird. Vielmehr erscheint es nicht abwegig, dass die Debatten unter den Mitgliedern eines gelosten transnationalen Bürgerforums letztlich mit ähnlichen Lernprozessen verbunden wären wie jene unter den gewählten Europaabgeordneten – und dass auch die politischen Kompromisse, die dabei herauskommen, in vielen Fällen wohl nicht vollkommen anders wären.

Diese Erwartung kann jedenfalls auch eine Erklärung dafür sein, warum die meisten Europaabgeordneten sich gegenüber der Idee partizipativer Bürgerforen so offen zeigen. Sie sehen in lottokratischen Gremien nicht in erster Linie eine Konkurrenz zu ihrem eigenen repräsentativ-demokratischen Legitimationsanspruch, sondern eher einen potenziellen Verbündeten, um öffentlichen Druck auf die nationalen Regierungen aufzubauen, die derzeit Reformen blockieren. Dass das Parlament die Notwendigkeit von „Bürgerbeteiligung“ und einem „Bottom-up-Prozess“ nun so stark hervorhebt, lässt sich insofern auch als eine rhetorische Strategie deuten, um ein nationales Veto gegen die Forderungen dieses Verbündeten schon im Voraus zu delegitimieren.

Fixierung auf Bürgerbeteiligung lenkt von Kernproblemen ab

Indessen geht mit dieser Strategie auch ein großes Risiko einher – nämlich eine weitere Verzerrung der Diskussion über die Gründe des europäischen Demokratiedefizits. Begünstigt durch die Ausweitung des thematischen Spektrums erscheint schon jetzt oft nicht mehr die notwendige institutionelle Reform als der eigentliche Zweck der Konferenz, sondern „mehr Bürgerbeteiligung“ in allen inhaltlichen Fragen. Doch die Fixierung auf dieses Thema kann nicht nur zu einer rhetorischen Abwertung der existierenden demokratischen Verfahren auf EU-Ebene führen (Paulo Rangel ist nur ein Beispiel), sondern lenkt schlimmstenfalls auch von den echten institutionellen Schlüsselproblemen ab.

Denn es ist eben nicht richtig, dass Bürger bislang keine Chance hätten, auf europäischer Ebene Gehör zu finden. Das Hauptproblem der EU ist vielmehr das schwer durchschaubare, allzu verflochtene Institutionengefüge, das politische Verantwortlichkeiten verschleiert, dem Wahlakt seine Bedeutung als demokratische Richtungsentscheidung nimmt und bei vielen Bürgern ein Gefühl der Hilflosigkeit und Fremdbestimmung erzeugt. Die wesentlichen Hebel dagegen wären eine Stärkung der europäischen Parteien, ein Abbau der übermäßigen institutionellen Konsenszwänge und eine loyale Opposition im Europäischen Parlament. Die Einführung neuer Partizipations- und Konsultationsmechanismen auf europäischer Ebene kann diese Maßnahmen allenfalls ergänzen, aber nicht ersetzen.

Schlüsselfrage bleibt die institutionelle Reform

Soweit Bürgerbeteiligung also als ein Hebel dient, um diesen Fragen anlässlich der Zukunftskonferenz mehr Sichtbarkeit zu verleihen, neue Bewegung in die öffentliche Debatte darüber zu bringen und Druck auf die bislang blockierenden Vetospieler aufzubauen, sei sie willkommen.

Aber wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass die Einrichtung von beratenden Bürgerforen genügen würde, um die demokratischen Kernprobleme der EU zu lösen. Dafür sind echte institutionelle Reformen notwendig, und daher bleibt auch die Schlüsselfrage, an der sich der Erfolg der Zukunftskonferenz zuletzt bemessen wird, ob es ihr gelingt, den Weg zu diesen Reformen zu ebnen.

Bild: Jean Nicolas Ventadour [Public domain], via Wikimedia Commons (bearbeitet).

13 Januar 2020

Wenn am nächsten Sonntag Europawahl wäre (Januar 2020): Mitte-rechts legt weiter zu, Liberale verlieren deutlich

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Basis-Szenario (mit UK),
Stand: 9.1.2020.


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Stand: 9.1.2020.


Dynamisches Szenario (mit UK),
Stand: 9.1.2020.


Dynamisches Szenario (ohne UK),
Stand: 9.1.2020.
Immer wieder wurde der Brexit verschoben, aber am kommenden 31. Januar wird es nun so weit sein: Mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU verlassen auch die dort gewählten Europaabgeordneten das Europäische Parlament. Entsprechend präsentiert auch diese Sitzprojektion heute voraussichtlich zum letzten Mal zwei parallele Berechnungen: ein 751-Sitze-Szenario mit und ein 705-Sitze-Szenario ohne das Vereinigte Königreich.

Tories stark – aber bald draußen

Ein Vergleich zwischen diesen beiden Berechnungen macht die parteipolitische Tragweite des Brexit deutlich. Nach ihrem Triumph bei der Unterhauswahl am 12. Dezember bilden die britischen Tories in der aktuellen Projektion die stärkste nationale Einzelpartei überhaupt. Im 751-Sitze-Szenario schießt ihre rechtskonservative EKR-Fraktion auf ein neues Rekordhoch von 93 Sitzen und liegt damit fast gleichauf mit der liberalen RE-Fraktion und deutlich vor der rechtsextremen ID. Im 705-Sitze-Szenario fallen die Zugewinne der EKR hingegen geringer aus; die EKR liegt hier mit weitem Abstand hinter der ID. Aber auch die sozialdemokratische S&D-Fraktion, die grün-regionalistische G/EFA und die liberale RE werden unter dem britischen Austritt zu leiden haben.

Die fraktionslose Brexit Party hingegen, bei der Europawahl 2019 noch die stärkste Kraft in Großbritannien, kommt in der Projektion schon jetzt überhaupt nicht mehr vor. Ihre Wählerschaft ist nahezu geschlossen zu Boris Johnsons Tories zurückgekehrt – freilich in der Erwartung, dass diese ihr „Get Brexit done“-Versprechen halten werden. Insofern stellt das 751-Sitze-Szenario der Projektion gewissermaßen ein Trugbild dar: Die spektakulären Umfragewerte der EKR-Fraktion entstehen gerade dadurch, dass ihre stärkste Mitgliedspartei bei der nächsten Europawahl 2024 nicht mehr dabei sein wird. Die folgende Analyse wird sich deshalb allein auf das Post-Brexit-Szenario mit 705 Sitzen konzentrieren.

EVP und EKR gewinnen

Doch auch wenn man das Vereinigte Königreich außer Acht lässt, konnten die Mitte-rechts-Fraktionen im Europäischen Parlament in den Wochen seit der letzten Sitzprojektion von November 2019 deutlich dazugewinnen. Die christdemokratisch-konservative EVP kommt nun auf 186 Sitze (+5), die EKR immerhin noch auf 65 (+3). Stark verloren haben in den Umfragen zuletzt hingegen die Liberalen (93 Sitze/–6), und auch S&D (135/–3) und Grüne/EFA (58/+1) liegen deutlich unter ihren Ergebnissen bei der Europawahl.

Dies hat auch Auswirkungen auf die Machtbalance im Parlament insgesamt. Mit 51 Sitzen ist der Vorsprung der EVP auf die Sozialdemokraten in der aktuellen Projektion so groß wie nur selten zuvor in den letzten fünf Jahren. Zugleich liegt ein Mitte-rechts-Bündnis aus EVP, EKR und der liberalen RE-Fraktion (zusammen 344 Sitze) nun deutlich vor dem Mitte-links-Bündnis aus S&D, RE, Grünen/EFA und der Linksfraktion GUE/NGL (335 Sitze).

S&D tut sich schwer

Wichtigster Treiber für die Zugewinne der EVP sind die Entwicklungen in Rumänien. Der konservative PNL konnte hier nach der Regierungsübernahme Anfang November und der Wiederwahl des von ihm unterstützen Präsidenten Klaus Iohannis wenige Wochen später auch in den Umfragen sprunghaft zulegen und strebt nun offenbar eine rasche Neuwahl des nationalen Parlaments an.

Die europäischen Sozialdemokraten hingegen haben in Rumänien ein größeres Problem: Nicht nur hat sich der bis November regierende PSD durch seine zahlreichen Korruptionsaffären und einen Angriff auf den nationalen Rechtsstaat massiv diskreditiert und in den letzten zwei Jahren rund die Hälfte seiner Wählerschaft verloren. Auch die erst 2018 gegründete sozialliberale Oppositionspartei PRO, die sich nach der Europawahl ebenfalls der S&D-Fraktion anschloss, fiel zuletzt in den Umfragen zurück, offenbar da sich die Anti-PSD-Wählerschaft hinter dem PNL vereinigte.

Aber auch in anderen Ländern tun sich die europäischen Sozialdemokraten schwer. Bei der deutschen SPD folgte auf die Wahl der neuen Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans statt des erhofften Anstiegs ein weiterer Rückgang der Umfragewerte, und auch die S&D-Mitgliedsparteien aus Österreich, Schweden und Bulgarien büßten seit November in den Umfragen ein. Bessere Nachrichten für die Sozialdemokraten kommen aus Spanien, Italien und Polen, wo sich die Umfragewerte zuletzt stabilisierten oder leicht verbesserten.

Einbußen der Liberalen

Besonders düster fielen die letzten Monate für die liberale RE-Fraktion aus (93 Sitze/–6). Schon in der November-Projektion hatte diese starke Einbußen hinnehmen müssen, die sich nun fast ungebremst weiter fortsetzen. Betroffen sind davon die spanischen Ciudadanos (die nach ihrem Debakel bei der nationalen Parlamentswahl im November weiter zurückfallen), die rumänische USR-PLUS (die wie die sozialliberale PRO an der Konsolidierung des PNL leidet), aber auch die niederländischen, belgischen, bulgarischen und slowenischen Liberalen. Nur für die deutsche FDP und die österreichischen Neos brachten die letzten Wochen leichte Verbesserungen.

Im linken Spektrum kann die Fraktion der Grünen/EFA leicht zulegen (58 Sitze/+1). Die deutschen Grünen konnten sich nach einem Durchhänger im November wieder stabilisieren, zudem würde die portugiesische Tierschutzpartei PAN nun wieder knapp ins Europäische Parlament einziehen.

Die Linksfraktion GUE/NGL wiederum kann aufgrund leicht verbesserter Umfragewerte in Belgien und den Niederlanden geringfügig hinzugewinnen (49 Sitze/+1). Die GUE/NGL bliebe damit jedoch weiterhin die schwächste Fraktion im Parlament.

EKR wird in Südeuropa stärker

Am rechten Rand des politischen Spektrums kommt die ID-Fraktion weiterhin auf 82 Sitze (±0) und hält damit in der Sitzprojektion bereits zum dritten Mal in Folge ihren Wert. Leichte Zugewinne der niederländischen PVV werden durch leichte Verluste der italienischen Lega ausgeglichen.

Die nationalkonservative EKR-Fraktion legt unterdessen, wie bereits erwähnt, auch ohne die britischen Tories kräftig zu (65 Sitze/+3). Interessant ist dabei, woher die Zugewinne der EKR kommen: Während die polnische Regierungspartei PiS seit ihrem nationalen Wahlsieg im vergangenen Oktober eine leichte Abwärtsentwicklung erfahren hat, konnten vor allem die erst nach der Europawahl neu beigetretenen Fraktionsmitglieder aus Südeuropa – die spanische Vox und die italienischen FdI – ihre Umfragewerte in den letzten Monaten deutlich verbessern.

Neue Wechselgerüchte um Fidesz

Diese Entwicklung könnte Auswirkungen auf das Kräftegleichgewicht innerhalb der Fraktion haben. Im realen Parlament wird die PiS dort nach dem Austritt der Tories erst einmal die mit großem Abstand stärkste Einzelpartei sein. Die Sitzprojektion hingegen lässt für die Zukunft ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen der PiS und weiteren Parteien erwarten – jedenfalls sofern Vox und FdI ihre Werte bis zur nächsten Europawahl halten können. Zugleich wäre die EKR-Fraktion, in der bislang vor allem Parteien aus dem Norden und Osten der EU vertreten waren, damit auch geografisch breiter aufgestellt.

Noch nicht berücksichtigt sind in der Sitzprojektion die erneuten Gerüchte über einen bevorstehenden Fraktionsübertritt der ungarischen Regierungspartei Fidesz, deren Mitgliedschaft in der Europäischen Volkspartei derzeit suspendiert ist. Voraussichtlich Anfang Februar will diese nun über den Ausschluss der Partei entscheiden – falls die Fidesz dem nicht zuvorkommt und freiwillig die EVP verlässt. Fidesz-Chef Viktor Orbán selbst rief die EVP jüngst noch einmal zu einem Rechtsruck auf, inszenierte aber auch seine Eintracht mit Führungsfiguren der PiS. Dies könnte Teil eines EVP-internen Tauziehens sein, aber auch das Vorspiel eines Wechsels zur EKR-Fraktion. In letzterem Fall könnte der Fidesz in der EKR als zweitstärkster Kraft und zweiter auf nationaler Ebene regierungsführender Partei eine zentrale Rolle neben der PiS zukommen.

Fraktionslose und „weitere“ Parteien

Leichte Zuwächse gibt es in der Projektion auch unter den fraktionslosen Abgeordneten (24 Sitze/+2). Dies liegt an der linkspopulistischen ŽZ aus Kroatien sowie der neofaschistischen XA aus Griechenland, die beide nach den jüngsten Umfragen wieder über der jeweiligen nationalen Sperrklausel liegen und – allerdings nur äußerst knapp – einen Sitz im Parlament gewinnen könnten.

Einen Rückgang gibt es hingegen unter den „weiteren Parteien“, die derzeit nicht im Parlament vertreten sind und auch keiner europäischen Partei angehören (13 Sitze/–3). Die liberalkonservative Partei Most aus Kroatien und die linksliberalen Progresīvie aus Litauen würden es nun anders als im November nicht mehr ins Europäische Parlament schaffen. Und auch die sozialliberale Italia Viva des früheren italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi – die größte unter den „weiteren Parteien“ – verlor zuletzt an Zustimmung. Neu im Tableau vertreten ist die nationalpopulistische Partei Chega aus Portugal, die programmatisch wohl der EKR am nächsten steht.

Die Übersicht

Die folgende Tabelle schlüsselt die Sitzverteilung zwischen den Fraktionen im nächsten Europäischen Parlament nach nationalen Einzelparteien auf. Die Tabelle folgt dem Szenario mit dem Vereinigten Königreich. Nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs wird sich die Sitzzahl einiger Mitgliedstaaten erhöhen, sodass auch einzelne Parteien durch den Brexit zusätzliche Mandate gewinnen würden. Deren Anzahl (+1, +2) ist jeweils hochgestellt angegeben.

Die Tabelle folgt dabei dem Basisszenario, in dem nationale Parteien in der Regel jeweils ihrer aktuellen Fraktion (bzw. der Fraktion ihrer europäischen Dachpartei) zugeordnet und Parteien ohne klare Zuordnung als „weitere Parteien“ ausgewiesen werden. Demgegenüber geht das dynamische Szenario von stärkeren Annahmen aus und ordnet insbesondere die „weiteren Parteien“ der Fraktion zu, der diese plausiblerweise am nächsten stehen. Die Veränderungen im dynamischen Szenario sind in der Tabelle durch farbige Schrift und durch einen Hinweis im Mouseover-Text gekennzeichnet.

Da es keine gesamteuropäischen Wahlumfragen gibt, basiert die Projektion auf aggregierten nationalen Umfragen und Wahlergebnissen aus allen Mitgliedstaaten. Wie die Datengrundlage für die Länder im Einzelnen aussieht, ist im Kleingedruckten unter den Tabellen erläutert. Mehr Informationen zu den europäischen Parteien und zu den Fraktionen im Europäischen Parlament gibt es hier.


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DE 8 Linke
1 Tier
20 Grüne
1 Piraten
1 ÖDP
1 Volt
1 Partei
12 SPD 8 FDP
2 FW
26 Union 1 Familie 13 AfD 1 Partei
FR 6 FI 12+1 EELV 5+1 PS 21+2 LREM 8 LR
22+1 RN

UK 1 SF 7 Greens
2 SNP
1 PC
21 Labour 9 LD
1 All

30 Cons

1 DUP

IT

16+1 PD
5 FI
1 SVP
9 FdI 26+1 Lega 13+1 M5S 3 IV
ES 8+1 UP
1 Bildu
1 ERC 16+2 PSOE 3 Cʼs
1 PNV
12+1 PP 10+1 Vox
1 JxC 1 MP
PL

8 Lewica
14+1 KO
3 KP
23 PiS

3 Konf
RO

8 PSD
2 PRO
5 USR-PLUS 17+1 PNL



NL 1+1 SP
1 PvdD
3 GL 3 PvdA 4+1 VVD
2 D66
3 CDA
1 50plus
1 CU
3 FvD
1 SGP
3+1 PVV

EL 6 Syriza
2 KINAL
9 ND 1 EL
1 KKE
1 XA
1 MeRA25
BE 2 PTB-PvdA 1 Groen
2 Ecolo
1 sp.a
2 PS
1 OpenVLD
2 MR
1 CD&V
1 cdH
1 CSP
3 N-VA 4 VB

PT 2 BE 1 PAN 9 PS
7 PSD
1 CDS-PP



1 CH
CZ 1 KSČM 3 Piráti 2 ČSSD 7 ANO 2 TOP09
1 KDU-ČSL
3 ODS 1 SPD
1 THO
HU

3 DK
2 MSZP
2 MM 12 Fidesz

2 Jobbik
SE 2 V 1 MP 5 S 2 C 4 M
1 KD
5+1 SD


AT 3 Grüne 3 SPÖ 1+1 Neos 8 ÖVP
3 FPÖ

BG

5 BSP 2 DPS 6 GERB
2 DB
2 WMRO


DK 1 Enhl. 1 SF 4+1 S 4 V
1 RV
1 K
1 DF

FI 1 Vas 2 Vihr 2 SDP 1+1 Kesk 3 Kok
4 PS

SK

3 SMER 1 PS 1 M-H
1 KDH
1 OĽANO
0+1 MKP
1 SaS 1 SR 2 ĽSNS 1 Za ľudí
1 SNS
IE 3 SF

4+1 FF 4+1 FG



HR

4 SDP
5 HDZ
1 HSS


1 NLMK
0+1 ŽZ


LT
2 LVŽS 2 LSDP 1 LRLS
1 DP
4 TS-LKD


1 TT
LV

3 SDPS 1 AP!
1 ZZS
1 JV
1 JKP
1 NA


SI 1 Levica
1 SD 2 LMŠ 3 SDS-SLS
1 NSi




EE

1 SDE 3 RE
1+1 KE


1 EKRE

CY 2 AKEL
1 DIKO
1 EDEK

2 DISY



LU
1 Déi Gréng 1 LSAP 2 DP 2 CSV



MT

4 PL
2 PN





Verlauf (Basisszenario mit UK)


GUE/
NGL
G/EFA S&D RE EVP EKR ID fʼlos Weitere
09.01.2020 49 67 152 96 179 93 79 23 13
23.11.2019 48 65 153 108 175 85 79 23 15
23.09.2019 48 70 153 113 172 77 78 29 11
30.07.2019 48 73 149 113 174 77 79 31 7
Wahl 2019 41 75 154 108 182 62 73 56

Verlauf (Basisszenario ohne UK)


GUE/
NGL
G/EFA S&D RE EVP EKR ID fʼlos Weitere
09.01.2020 49 58 135 93 186 65 82 24 13
23.11.2019 48 57 138 99 181 62 82 22 16
23.09.2019 49 61 139 108 175 56 82 24 11
30.07.2019 47 64 138 108 180 57 82 22 7
Wahl 2019 40 68 148 97 187 62 76 27

Die Zeile „Wahl 2019“ kennzeichnet die Sitzverteilung zum 2. Juli 2019, dem Zeitpunkt der Konstituierung des Europäischen Parlaments nach der Europawahl im Mai 2019.
Eine Übersicht der Projektionen aus der Wahlperiode 2014-2019 ist hier zu finden.

Die vollen Namen der Fraktionen und der nationalen Einzelparteien erscheinen als Mouseover-Text, wenn der Mauszeiger eine kurze Zeit regungslos auf der Bezeichnung in der Tabelle gehalten wird. Sofern eine Partei im dynamischen Szenario einer anderen Fraktion zugeordnet ist als im Basisszenario, ist dies ebenfalls im Mouseover-Text gekennzeichnet..

Fraktionszuordnung

Basisszenario: Für die Projektion werden Parteien, die bereits im Europäischen Parlament vertreten sind, jeweils ihrer derzeitigen Fraktion zugerechnet, es sei denn, sie haben ausdrücklich ihren Entschluss zu einem Fraktionswechsel nach der nächsten Europawahl erklärt. Nationale Parteien, die derzeit nicht im Europäischen Parlament vertreten sind, aber einer europäischen Partei angehören, werden der Fraktion der entsprechenden europäischen Partei zugeordnet. In Fällen, bei denen sich die Mitglieder einer nationalen Liste nach der Wahl voraussichtlich auf mehrere Fraktionen aufteilen werden, wird jeweils die am plausibelsten scheinende Verteilung zugrundegelegt. Parteien, bei denen die Zuordnung zu einer bestimmten Fraktion unklar ist, werden im Basisszenario als „Weitere Parteien“ eingeordnet. Jeder Leserin und jedem Leser bleibt es deshalb selbst überlassen, sie nach eigenen Kriterien zu korrigieren.

Für die Bildung einer eigenständigen Fraktion sind nach der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens sieben Mitgliedstaaten erforderlich. Mit einem Asterisk (*) gekennzeichnete Gruppierungen würden diese Bedingungen nach der Projektion derzeit nicht erfüllen. Sie müssten deshalb gegebenenfalls nach der Europawahl zusätzliche Abgeordnete (z. B. aus der Spalte „Weitere“) für sich gewinnen, um sich als Fraktion konstituieren zu können.

Dynamisches Szenario: Im dynamischen Szenario werden alle „weiteren Parteien“ einer schon bestehenden Fraktion (oder der Gruppe der Fraktionslosen) zugeordnet. Außerdem werden gegebenenfalls Fraktionsübertritte von bereits im Parlament vertretenen Parteien berücksichtigt, die politisch plausibel erscheinen, auch wenn sie noch nicht öffentlich angekündigt wurden. Um diese Veränderungen gegenüber dem Basisszenario deutlich zu machen, sind Parteien, die im dynamischen Szenario einer anderen Fraktion zugeordnet werden, in der Tabelle mit der Farbe dieser Fraktion gekennzeichnet; zudem erscheint der Name der möglichen künftigen Fraktion im Mouseover-Text. Die Zuordnungen im dynamischen Szenario basieren auf einer subjektiven Einschätzung der politischen Ausrichtung und Strategie der Parteien und sind daher im Einzelnen oft recht unsicher; in der Gesamtschau kann das dynamische Szenario jedoch näher an der wirklichen Sitzverteilung nach der nächsten Europawahl liegen als das Basisszenario.

Datengrundlage

Soweit verfügbar, wird bei der Sitzberechnung für jedes Land jeweils die jüngste Umfrage zu den Wahlabsichten für das Europäische Parlament herangezogen. Wo mehr als eine Umfrage erschienen ist, wird der Durchschnitt aller Umfragen aus den letzten zwei Wochen vor der jüngsten Umfrage berechnet, wobei jedoch von jedem einzelnen Umfrageinstitut nur die jeweils letzte Umfrage berücksichtigt wird. Stichtag für die Berücksichtigung einer Umfrage ist, soweit bekannt, jeweils der letzte Tag der Feldforschung, andernfalls der Tag der Veröffentlichung.
Für Länder, in denen es keine spezifischen Europawahlumfragen gibt oder die letzte solche Umfrage mehr als zwei Wochen zurückliegt, wird stattdessen die jüngste verfügbare Umfrage für die Wahl zum nationalen Parlament bzw. der Durchschnitt aller Umfragen für das nationale oder das Europäische Parlament aus den letzten zwei Wochen vor der jüngsten verfügbaren Umfrage verwendet. Für Mitgliedstaaten, für die sich überhaupt keine Umfragen finden lassen, wird auf die Ergebnisse der letzten nationalen Parlaments- oder Europawahl zurückgegriffen.
In der Regel werden die nationalen Umfragewerte der Parteien direkt auf die Gesamtzahl der Sitze des Landes umgerechnet. Für Länder, in denen die Wahl in regionalen Wahlkreisen ohne Verhältnisausgleich erfolgt (aktuell Belgien, Irland und das Vereinigte Königreich), werden regionale Umfragedaten genutzt, soweit diese verfügbar sind. Wo dies nicht der Fall ist, wird die Sitzzahl für jeden Wahlkreis einzeln berechnet, dabei aber jeweils die nationalen Gesamt-Umfragewerte herangezogen. Nationale Sperrklauseln werden, soweit vorhanden, in der Projektion berücksichtigt. In der Projektion ohne das Vereinigte Königreich wird für alle Länder die Sitzzahl angenommen, die sie entsprechend dem Beschluss des Europäischen Rates vom 29. Juni 2018 nach dem britischen EU-Austritt haben werden.
In Belgien entsprechen die Wahlkreise bei der Europawahl den Sprachgemeinschaft, während Umfragen üblicherweise auf Ebene der Regionen durchgeführt werden. Für die Projektion werden für die französischsprachige Gemeinschaft die Umfragedaten aus Wallonien, für die niederländischsprachige Gemeinschaft die Umfragedaten aus Flandern genutzt. Für die deutschsprachige Gemeinschaft wird das Ergebnis der letzten Europawahl herangezogen.
In Ländern, in denen es üblich ist, dass mehrere Parteien als Wahlbündnis auf einer gemeinsamen Liste antreten, werden der Projektion plausibel erscheinende Listengemeinschaften zugrunde gelegt. Dies betrifft folgende Parteien: Spanien: Más País (1., 3. Listenplatz), Compromís (2.) und Equo (4.); ERC (1., 3.-4.), Bildu (2.) und BNG (5.); PNV (1.) und CC (2.); Niederlande: CU (1., 3.-4.) und SGP (2., 5.); Slowakei: PS (1.) und Spolu (2.).
Da es in Deutschland bei der Europawahl keine Sperrklausel gibt, können Parteien bereits mit weniger als 1 Prozent der Stimmen einen Sitz im Europäischen Parlament gewinnen. Mangels zuverlässiger Umfragedaten wird für diese Kleinparteien in der Projektion jeweils das Ergebnis der letzten Europawahl herangezogen (je 2 Sitze für PARTEI und FW, je 1 Sitz für Tierschutzpartei, ödp, Piraten, Volt und Familienpartei).
In Italien können Minderheitenparteien durch eine Sonderregelung auch mit nur recht wenigen Stimmen ins Parlament einziehen. In der Projektion wird die Südtiroler Volkspartei deshalb stets mit dem Ergebnis der letzten Europawahl (1 Sitz) geführt.
In Großbritannien haben wegen der Unterschiede im Wahlrecht einige Parteien bei Europawahlen deutlich bessere Chancen, Mandate zu gewinnen. In Umfragen zu nationalen Wahlen schneiden diese deshalb strukturell schlechter ab als bei der Europawahl. Um dies zu kompensieren, wird für die Projektion der Umfragewert der Brexit Party um den Faktor 2 multipliziert, der Wert der LibDem um 1,5. Für die Greens, deren Umfragewerte besonders stark schwanken, wird stets das Ergebnis der letzten Europawahl herangezogen (7 Sitze).

Die folgende Übersicht führt die Datengrundlage für die Mitgliedstaaten im Einzelnen auf. Die Daten beziehen sich auf den letzten Tag der Feldforschung; falls dieser nicht bekannt ist, auf den Tag der Veröffentlichung der Umfragen:
Deutschland: nationale Umfragen, 3.-6.1.2020, Quelle: Wikipedia.
Frankreich: Ergebnis der Europawahl, 26.5.2019.
Vereinigtes Königreich, England: Ergebnis der nationalen Parlamentswahl, 12.12.2019.
Vereinigtes Königreich, Schottland: Regionalwahl-Umfragen, 3.-6.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Vereinigtes Königreich, Wales: Regionalwahl-Umfragen, 9.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Vereinigtes Königreich, Nordirland: Ergebnis der nationalen Parlamentswahl, 12.12.2019.
Italien: nationale Umfragen, 24.12.2019-7.1.2020, Quelle: Wikipedia.
Spanien: nationale Umfragen, 21.12.2019-2.1.2020, Quelle: Wikipedia.
Polen: nationale Umfragen, 18.-31.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Rumänien: nationale Umfragen, 18.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Niederlande: nationale Umfragen, 22.-24.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Griechenland: nationale Umfragen, 5.-18.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Belgien, französischsprachige Gemeinschaft: regionale Umfragen (Wallonien) für die nationale Parlamentswahl, 6.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Belgien, niederländischsprachige Gemeinschaft: regionale Umfragen (Flandern) für die nationale Parlamentswahl, 6.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Belgien, deutschsprachige Gemeinschaft: Ergebnis der Europawahl, 26.5.2019.
Portugal: nationale Umfragen, 12.-17.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Tschechien: nationale Umfragen, 29.11.-11.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Ungarn: nationale Umfragen, 15.-20.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Schweden: nationale Umfragen, 12.-18.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Österreich: nationale Umfragen, 14.-26.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Bulgarien: nationale Umfragen, 12.12.2019, Quelle: Europe Elects.
Dänemark: nationale Umfragen, 5.1.2020, Quelle: Wikipedia.
Finnland: nationale Umfragen, 20.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Slowakei: nationale Umfragen, 9.-11.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Irland: nationale Umfragen, 17.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Kroatien: nationale Umfragen, 25.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Litauen: nationale Umfragen, 29.11.-7.12.2019, Quelle: Europe Elects.
Lettland: nationale Umfragen, 12.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Slowenien: nationale Umfragen, 5.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Estland: nationale Umfragen, 12.-23.12.2019, Quelle: Wikipedia.
Zypern: Ergebnis der Europawahl, 26.5.2019.
Luxemburg: Ergebnis der Europawahl, 26.5.2019.
Malta: nationale Umfragen, 20.12.2019, Quelle: Europe elects.

Bilder: Eigene Grafiken.