25 November 2024

Brüsseler Maulwurf: Übergangsriten

Von Niklas Helwig
Euromovers moving lorry


Sich in einer neuen Stadt einzugewöhnen, ist niemals einfach – vor allem, wenn diese Stadt Brüssel ist.

Sich in einer neuen Stadt einzugewöhnen, ist niemals einfach – vor allem, wenn diese Stadt Brüssel ist, das bürokratische Herz Europas. Übergänge sind, wie jede:r weiß, unbequem. Wie ich aus erster Hand erfahren habe, ist der Umzug nach Brüssel mit unerwarteten rites de passage verbunden. Die Stadt selbst hat eine Reihe von Veränderungen erlebt: Letzten Sommer ist das neue Europaparlament zusammengetreten, und gerade bereitet sich eine neue Europäische Kommission inmitten globaler Herausforderungen auf ihre Amtszeit vor. Es ist spürbar, dass auch sie ähnliche Prüfungen zu bestehen hat.

Als ich aus Finnland ankam, ging ich davon aus, dass die Anmeldung meines Autos eine unkomplizierte Sache sein würde. Mit vielen Dokumenten und ausreichend Geduld ausgestattet, betrat ich eines der neunzehn Brüsseler Gemeindeämter in der Hoffnung, die belgischen Behörden zufrieden zu stellen. Doch schon bald stieß ich auf den berüchtigten bürokratischen Irrgarten.

Ohne eine belgische Identitätsnummer, so wurde mir beschieden, sei eine Autozulassung unmöglich. Könnte ich dort eine beantragen, fragte ich? Ja, aber erst, nachdem ich einen anderen Anmeldeversuch zurückgenommen hätte, den ich bei einer anderen Behörde eingeleitet hatte. Mit jedem weiteren Schritt wurde es immer komplizierter und der Status meines Autos – und mein eigener Enthusiasmus – immer ungewisser.

Tribut an die Stolpersteine der realen Welt

Natürlich weiß ich, dass für mich als Expat die Herausforderungen durch Privilegien abgefedert sind. Dennoch macht der Anfang in einer neuen Stadt demütig. Der Versuch, sich in einem unbekannten System zurechtzufinden, nimmt einem Illusionen und zwingt dazu, sich anzupassen und die Eigenheiten des täglichen Lebens zu lernen. Echte Integration bedeutet, neue Erfahrungen zu machen, wie das Finden des richtigen „yaourt im Supermarkt, sich durch französischsprachige Kundendienstgespräche zu kämpfen und das lokale Bankensystem zu entschlüsseln.

Dabei bin ich nicht der Einzige, der mit Brüsseler Initiationsritualen konfrontiert ist. Die neue Europäische Kommission durchläuft ihre eigenen rites de passage, die sowohl von praktischen als auch politischen Herausforderungen geprägt sind. Kürzlich hörte ich von einer neu ernannten Kommissarin, die sich im labyrinthischen Berlaymont-Hauptquartier verirrt hatte und von einem hilfsbereiten Mitarbeiter zu ihrer Generaldirektion geführt werden musste. Dieser Moment des Verirrens ist in gewisser Weise symbolisch; das europäische Integrationsprojekt mag mit hochfliegenden Idealen einhergehen, aber die Ankunft in der Brüsseler „Blase“ erfordert ihren Tribut an die Stolpersteine der realen Welt.

Ein noch bedeutenderer Übergangsritus sind natürlich die gerade abgeschlossenen Marathon-Anhörungen im Europäischen Parlament, ein Spektakel, an dem politisches Theater und karriereentscheidende Momente aufeinandertreffen. Politische Veteran:innen wie Kaja Kallas beherrschten dieses Initiationsritual: Geschickt holte sie sich mit ihrer klaren Haltung zu Russlands Krieg gegen die Ukraine den Beifall der Abgeordneten, während sie polarisierenden Themen wie dem Nahostkonflikt diplomatisch auswich.

Die Vorteile der Bürokratie

In diesem Jahr, in dem die globalen Herausforderungen zunehmen und die internationalen Beziehungen angespannt sind, sind diese Übergangsriten für die neue Kommission vielleicht besonders wichtig. In der sich verändernden politischen Landschaft – von der möglichen seismischen Verschiebungen in der US-Politik bis hin zu den Turbulenzen zu Hause – muss die neue Kommissionskohorte schnell Fuß fassen und die Union durch unruhige Gewässer steuern.

Hier liegen auch die Vorteile der oft beklagten Brüsseler Bürokratie: Während sich die Kommissar:innen in ihre neuen Aufgabenbereiche einarbeiten, hat der Apparat längst verschiedene Szenarien durchgespielt, wie sich die Dynamik mit einer weniger freundlichen US-Regierung entwickeln wird. Inmitten des Wandels ist Kontinuität gewährleistet.

Ach, und mein Auto? Das habe ich schließlich doch noch anmelden können … in Deutschland. Vielleicht eine sanfte Erinnerung an die Dinge, die sich in Europa niemals ändern. Wenn es ein Omen ist, dann hoffentlich nicht, dass auch Europa auf dem Weg ist, von Deutschland aus regiert zu werden.

Porträt Niklas Helwig
Niklas Helwig ist Leading Researcher am Finnish Institute of International Affairs (FIIA) und braucht sich keine Sorgen mehr um Winterreifen zu machen.


Die Kolumne „Brüsseler Maulwurf“ erscheint in Zusammenarbeit mit Ulkopolitiikka, der finnischen Zeitschrift für internationale Politik. Der finnische Originaltext ist hier zu finden.



Übersetzung: Manuel Müller.
Bild: Umzugswagen: NotrucksNolife [CC BY 2.0], via Flickr; Porträt Niklas Helwig: FIIA [alle Rechte vorbehalten].

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