- Er ist wieder da: Dass Donald Trump frischen Reformschwung in Ursula von der Leyens zweite Amtszeit bringt, ist leider kaum zu erwarten.
Donald Trump (Rep./IDU) ist erneut zum Präsidenten der USA gewählt worden. Für die Regierungen in Europa, die sich heute und morgen im Rahmen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Budapest treffen, ist das in vieler Hinsicht ein Problem: Trump könnte die amerikanische Unterstützung für die Ukraine im Verteidigungskrieg gegen Russland stoppen, die NATO im Stich lassen (und Taiwan sowieso), den Nahostkonflikt weiter anheizen, den amerikanischen Beitrag zum Klimaschutz reduzieren, neue Handelskriege vom Zaun brechen und globalen Rechtsaußen-Diskursen, etwa zur Asyl- oder Geschlechterpolitik, neuen Auftrieb verleihen.
Das Narrativ des heilsamen Schocks
Aber könnte das alles womöglich auch seine guten Seiten haben? Vergangene Woche zitierte Politico sechs anonyme „EU officials“, die eine mögliche Trump-Präsidentschaft als bittere, aber letztlich womöglich heilsame Medizin für die EU beschrieben.
Am Dienstag legte ein Meinungsbeitrag von Mujtaba Rahman, Europa-Chef der Politikberatungsfirma Eurasia Group, nach: Europa leide an einer politischen „Malaise“, da es sich in wichtigen Fragen wie der Verteidigungs-, Migrations- und Fiskalpolitik nicht zu einer gemeinsamen Linie zusammenraufen könne. Vor allem die französische und deutsche Regierung seien aufgrund ihrer innenpolitischen Schwäche nicht bereit, eine Führungsfunktion zu übernehmen.
Doch eine zweite Trump-Präsidentschaft könne eine „galvanisierende Wirkung“ haben. Wenn die EU-Mitgliedstaaten erkennen würden, dass sie sich nicht mehr auf die USA verlassen können, wären sie eher bereit, sich zu den notwendigen Reformen durchzuringen: ein modernerer, eher auf Zukunftsinvestitionen als auf Agrarsubventionen ausgerichteter Haushalt, gemeinsame Anleihen zur Finanzierung von Verteidigungsausgaben, gemeinsame Investitionen zur Stärkung der europäischen Industrie. So problematisch ein Wahlsieg Donald Trumps also sei, könne es doch „gerade der Schock sein, der nötig ist, um die EU vor einem langen und womöglich endgültigen Niedergang zu bewahren“.
Es fehlt nicht an Ideen, sondern am politischen Willen
Was ist dran an diesem Narrativ des heilsamen Schocks? Könnte es wirklich sein, dass die zweite Trump-Präsidentschaft zwar die liberale Demokratie in den USA an den Rand des Abgrunds führt, aber gerade dadurch die EU-Mitgliedstaaten dazu bringt, sich aufzuraffen, um entschlossener als bisher zusammenzustehen, kleinliche nationale Interessengegensätze und Bedenkenträgereien aufzugeben und gemeinsam Verantwortung für die Verteidigung ihrer Werte zu übernehmen?
Drei Argumente machen dieses Argument zumindest oberflächlich plausibel. Das erste, womöglich wichtigste, ist, dass es tatsächlich recht klar ist, was die EU jetzt nötig hätte. Verfassungspolitisch liegen jede Menge Reformvorschläge auf dem Tisch, die die europäischen Institutionen handlungsfähiger und demokratischer machen würden, und das Europäische Parlament selbst hat bereits einen kompletten Entwurf für einen neuen EU-Vertrag vorgelegt. Außenpolitisch wird seit vielen Jahren über Ansätze wie die „strategische Autonomie“ diskutiert. Finanzpolitisch gibt es mit NextGenerationEU bereits eine erfolgreiche Blaupause, wie gemeinsame EU-Anleihen aussehen könnten. Die Letta-, Draghi- und Niinistö-Berichte haben weitere Schritte für zentrale Politikbereiche vorgeschlagen. Es fehlt also nicht an Ideen, sondern am politischen Willen, sie umzusetzen.
Krisen können die Mitgliedstaaten zum Handeln bewegen
Zweitens: Tatsächlich wurden externe Schocks und Krisen auch in der Vergangenheit immer wieder zum Anlass, der die EU dazu brachte, den politischen Willen für Reformfortschritte aufzubringen. In der Politikwissenschaft wird das unter dem Schlagwort „failing forward“ diskutiert: Da die Mitgliedstaaten nicht gern nationale Hoheitsrechte an die EU abgeben, setzen sie notwendige Reformen in aller Regel nicht präventiv um – sondern erst dann, wenn eine Krise so drängend wird, dass ihnen gar kein anderer Ausweg einfällt.
Die Sorgen vor der deutschen Wiedervereinigung führten zum Vertrag von Maastricht, die Corona-Pandemie brachte NextGenerationEU, der russische Überfall auf die Ukraine stärkte die EU als sicherheitspolitischen Akteur und setzte eine neue Erweiterungsdynamik in Gang. Könnte die neue Trump-Präsidentschaft einen ähnlichen Effekt haben?
Eine neue politische Führung
Drittens: Die personelle Neusortierung der EU nach der Europawahl im Juni ist fast abgeschlossen. Die Anhörungen der neuen EU-Kommissionsmitglieder im Europäischen Parlament verlaufen bislang ohne große Aufreger. Falls das so bleibt, könnte Ursula von der Leyen (CDU/EVP) am 1. Dezember gestärkt in ihre zweite Amtszeit gehen. Auch der neue Ratspräsident António Costa (PS/SPE) dürfte in Sachen Führungsqualität eine Verbesserung gegenüber seinem unbeliebten Vorgänger Charles Michel (MR/ALDE) darstellen.
Zudem gingen auch mehrere Mitgliedstaatsregierungen in ihrer ersten Reaktion auf Trumps Wahl auf die Bedeutung der EU ein. Noch während in den USA die Stimmzettel ausgezählt wurden, telefonierten Olaf Scholz (SPD/SPE) und Emmanuel Macron (RE/–) miteinander und ließen anschließend verlauten, sie würden künftig noch enger kooperieren, um „in dem neuen Kontext auf ein geeinteres, stärkeres, souveräneres Europa hinzuarbeiten“. Auch einige kleinere Mitgliedstaaten reagierten ähnlich. Finnlands Petteri Orpo (Kok/EVP) etwa forderte, dass „Europa eine größere Rolle spielen muss“. Ähnlich äußerte sich der tschechische Regierungschef Petr Fiala (ODS/EKR).
Für manche in der EU ist Trumps Sieg Grund zur Freude
Hier endet allerdings der Optimismus. Denn all die lang diskutierten Reformen, die nötig wären, um die EU handlungsfähiger und demokratischer zu machen, erfordern nicht nur eine politische Mehrheit, sondern einen einstimmigen Konsens unter den Mitgliedstaaten. Das gilt nicht nur für Vertrags- und Wahlrechtsänderungen, sondern auch für Entscheidungen, die die gemeinsame Außenpolitik oder den langfristigen EU-Haushalt betreffen.
Einstimmigkeit aber bedeutet, dass jede einzelne Mitgliedsregierung im Rat ein Vetorecht hat – und darunter sind einige, für die die Wahl von Donald Trump vor allem ein Grund zur Freude war. Der ungarische Premierminister Viktor Orbán (Fidesz/P) etwa jubelte am Wahlabend über den „wunderbaren Sieg“. Der slowakische Regierungschef Robert Fico (Smer/–) hatte bereits im Juli eine Solidaritätsadresse an Trump abgegeben, der ebenso wie er selbst einer Schmutzkampagne politischer Gegner:innen und einem Attentatsversuch ausgesetzt gewesen sei. Etwas zurückhaltender gab sich die italienische Premierministerin Giorgia Meloni (FdI/EKR), die jedoch schon lange gute Beziehungen zu amerikanischen Rechtsaußen-Aktivist:innen pflegt und unter anderem 2019 und 2022 bei deren Großevent CPAC auftrat.
Orbán und Fico werden ihre Europapolitik nicht ändern
Zu erwarten, dass Trumps Wahlsieg diese Politiker:innen in irgendeiner Weise zu einem Überdenken ihrer europapolitischen Linie motivieren würde, ist illusorisch. Im Gegenteil dürften sie sich gerade dadurch beflügelt fühlen: So erklärte Orbán mit Blick auf die Ukraine bereits vor einigen Tagen, die EU müsse „sich bewusst machen, dass, wenn es in Amerika einen Pro-Frieden-Präsidenten gibt […], Europa nicht pro-Krieg bleiben kann“.
Fico wiederum bezeichnete Trumps Wahlsieg als „Niederlage liberaler und progressiver Ideen“ und als Beleg dafür, dass „die Medien immer zu Lügen neigen“. Sein Vizeregierungschef Tomáš Taraba (SNS/P-nah) lobte Trump als den „besten Kandidaten“, um „Probleme“ wie den Krieg in der Ukraine zu lösen. Zwar erkannten Fico und Taraba auch an, dass Trump Europa vor Herausforderungen stelle. Aber gerade bei der besonders drängenden Ukraine-Frage – und, damit verbunden, der EU-Verteidigungspolitik und ihrer Finanzierung – wird das amerikanische Wahlergebnis die Uneinigkeit im Europäischen Rat eher verschärfen als verringern.
Lässt sich das Vetorecht der Trump-Verbündeten umgehen?
Das einzige Szenario, in dem ein Trump-Sieg wirklich zu einer neuen Reformdynamik in der EU führen könnte, bestünde darin, dass eine Mehrheit der Mitgliedstaaten sich dafür entscheidet, auf solche Stimmen keine Rücksicht mehr zu nehmen und das Vetorecht der Trump-Alliierten im Rat systematisch zu umgehen. Möglich ist das mit mehr differenzierter Integration, bei der eine Gruppe der Mitgliedstaaten Reformen zunächst unter sich beschließt und umsetzt. Sowohl verfassungsrechtlich als auch politisch ist das allerdings mit einigen Herausforderungen verbunden.
Verfassungsrechtlich darf das im EU-Vertrag für solche Fälle grundsätzlich vorgesehene Instrument der „verstärkten Zusammenarbeit“ (Art. 20 EUV) nicht zulasten der nicht beteiligten Mitgliedstaaten gehen, sodass sich etwa gemeinsame EU-Anleihen nur schwer darauf stützen lassen. Ein Umgehen von Vetos wäre deshalb oft nur mithilfe komplizierter rechtlicher Konstrukte möglich – oder in Form von „Zusatzverträgen“ außerhalb des EU-Vertragsrahmens, wie dem Fiskalpakt von 2012, der in der Eurokrise ein britisch-tschechisches Veto umging.
Differenzierung bringt politische Herausforderungen
Politisch ist Differenzierung vor allem bei den supranationalen EU-Institutionen, insbesondere dem Europäischen Parlament, unbeliebt, da sie grundsätzlich die europäische Rechtseinheit schwächt und schlimmstenfalls die EU in ein inkohärentes System intergouvernementaler Koalitionen der Willigen abgleiten zu lassen droht. Statt einer „variablen Geometrie“ mit vielen Einzelvereinbarungen sollte es deshalb besser einen einzelnen umfassenden „Kerneuropa“-Vertrag geben.
Ein solches „Kerneuropa“- oder „Konzentrische Kreise“-Modell wirft allerdings weitere Fragen auf, über die ebenfalls bereits seit vielen Jahren diskutiert wird: Welche Staaten wären Mitglied des inneren Kreises? Welche neuen Institutionen würde man dafür schaffen? Welche politischen Ziele würde man in diesem Rahmen umsetzen, welche im Rahmen der EU-27?
Ohne Konfrontation keine neue Reformdynamik
Diese Fragen bergen große Konfliktpotenziale zwischen den Mitgliedstaaten: Die Gefahr, in die zweite Reihe relegiert zu werden, könnte einige Regierungen zu größeren Zugeständnissen motivieren – aber auch zu Versuchen, die Verhandlungen insgesamt scheitern zu lassen. Auch deshalb scheuen die großen Länder Deutschland und Frankreich bislang davor zurück und setzen in den laufenden Reformdebatten eher auf Minimalkompromisse, bei denen alle 27 Regierungen an Bord gehalten werden.
Dass ausgerechnet Trumps Wahlerfolg nun zu mehr Konfrontationsfreude im Europäischen Rat führen sollte, erscheint zweifelhaft – zumal sowohl die deutsche als auch die französische Regierung innenpolitisch stark unter Druck stehen. Ohne Konfrontation mit den Trump-Verbündeten aber wird eine neue europäische Reformdynamik nicht zu haben sein. So willkommen ein heilsamer Schock wäre: Wahrscheinlicher erscheint, dass die EU auch in Zukunft auf eine Strategie des Durchwurstelns setzt, so wie in den letzten 15 Jahren der Polykrise.
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